Kapitel 6
Man hatte ihn geschlagen, gestoßen, gezogen, seine Kleider zerrissen, seine Wunden geöffnet – sie brannten wie Feuer - und in Ketten gelegt, die nun voller Schwere und Kälte um seine Handgelenke lagen.
Selbst die schönen Worte die Lex sich zurechtgelegt hatte, um die Rote Hand von sich und Liam abzulenken trafen auf taube Ohren. Die Rote Hand wusste was sie fand und sie ließ es nicht los. Im Gegenteil – sie verschnürte die beiden so fest sie konnten, das Lex dem Gefühl seine Knochen würden bersten in der gesamten Zeit nicht entkommen konnte. Die Schmerzen, denen er unterlag, waren von solchem Ausmaß, dass er keine Gedanken an Liam verschwenden konnte. Alles woran Lex sich erinnerte, waren die verblassten Schreie, die nun von einen Knebeln unterdrückt zwar noch schwach wahrnehmbar waren, dennoch nie ganz verstummten. Vollständig verschlugen im Abyss der Dunkelheit und Schmerzen gehorchten seine Beine nur Befehlen, die ihm wieder und wieder entgegengeschrien worden waren.
Fussel hatte gebellt, die Eisenstangen des Käfigs zerbissen. Lex erinnerte sich wie sein Riesenwolfshund auf den Rabenmaskenmann gestürmt war. Ihn in Stücke gefetzt hätte, wäre er nicht aufgrund seiner Verletzung gefallen und knurrend schnappend vor den Füßen des Mannes zum erliegen gekommen. Es hatte Lex das Herz gebrochen, als er die mühseligen Versuche von Fussel sah sich aufzurichten und Lex zu beschützen. Doch er fiel, fiel und fiel. Bald schon konnte der Riesenwolfshund keinen Muskel mehr rühren und blieb schwer atmend auf dem Boden liegen. Die Rote hatte sich über den wimmernden Hund gebeugt. Als wäre Fussel nur ein wimmernder Welpe, der angsterfüllt einer Übermacht gegenüberlag. Auch ihn legte man in Fesseln, verpasste ihm einen Maulkorb und verschleppte ihm aus der Sicht. Seitdem hatte Lex ihn nicht gesehen.
Die Rückfahrt fühlte sich an wie eine Ewigkeit, seine Gelenke schmerzten mit jeder Welle, die das Schiff zum Schaukeln brachte. An Land angekommen zwang man ihn zum Gehen, scheuchte ihn die steilen, morschen Treppen nach oben, übergoss ihn mit kaltem Wasser, schlug ihn halbnackt durch die Straßen, hinein in die güldenen Gebäude, die aus ihrem Inneren nach Fäulnis und Tod stanken. Schließlich fand er sich auf einem eiskalten Steinboden wieder. Das einzig Warme, das er zu diesem Zeitpunk fühlte, waren die roten Rinnsale seines Blutes aus den Wunden der Peitschenhiebe. Sonst fror er. Seine Beine zitterten – vor Anstrengung und Kälte. Seine Augen waren verklebt mit Blut und Schweiß. Sein Kopf hämmerte und wünschte sich nichts sehnlicher als zu entkommen. Er hatte diesen Moment kommen sehen. Ihn nie erhofft. Doch nun war er gekommen. Dabei wollte er noch so viele Dinge tun.
Obwohl er ein Mensch war, wurde er wie ein Vieh zu seinem Schlachter geführt. Und da stand er – ein Richter, der in seiner sauberen, warmen, wohligen Kleidung, die letzten Sonnenstrahlen, die sich durch jene dichte Wolkenschicht bahnten beobachte. Und als sie erloschen waren, verdunkelte sich der weiße Marmor auf dem Lex lag, fast in ein tiefes Grau. Einem kalten Grau! Verschlang es doch alle Emotionen und Freude – es verschlang alles was einst Hoffnung bedeutete. Der Stein unter ihm war frostig, dass seine Knochen schmerzten. Der Boden hatte sicherlich schon viele ähnliche Schicksale und Geschichten gesehen und nun archivierte er sie für alle Ewigkeiten. Lex' und Liams Geschichte wäre nur eine weitere Unbedeutsamkeit zu allen anderen. Zum Glück der Gläubigen konnte der Stein nicht sprechen, so würde die Hinterhältigkeit und Ungerechtigkeit auch weiterhin verschwiegen werden.
Der Mann drehte sich um. Zu Lex' Erschrecken erkannte er den Mann. Er begegnete ihm einst, als er von Liam die Handschuhe erhalten hatte. Noch schlimmer, damals unterhielten sie sich und nun würde ihn jener Mann ihn foltern und hängen. Ihn nach allen Rechten und Gesetzen seiner gleichgeschlechtlichen Liebschaft bestrafen. Lex kannte die Regeln, wusste von der Strafe. Er fürchtete jedes einzelne Wort, das ihn wohl verurteilen wird ohne. Dass er jemals etwas dafür könnte. Sicherlich hatte er diese Entscheidung getroffen. Sicherlich hatte er bewusst gegen das Regelwerk der heiligen Schrift gehandelt. Die Regeln gar gebrochen und mit Füßen getreten. Doch dieses etwas war verankert in ihm, Tiefsitzendes Bedürfnis nach Liebe. Was schert es diese vergoldeten Arschlöcher wenn ich liebe, rief er sich die Worte von Liam ins Gedächtnis. Wie recht er hatte! Lex verstand nicht, wem er mit seinem Bedürfnis schadete. Keiner trägt doch schaden, dass er Liam liebte. Auch wenn Liam gerade in einer Schweren Zeit gefangen war. Auch wenn er kaum sprach – nie sprach. Sich zurückgezogen und versteckt in seinem tiefem Inneren. Kaum mehr erkennbar, als Liam und dennoch liebte Lex jeden einzelnen Moment, den sie zusammen verbrachten. Jede einzelne Sekunde, die er wachend über das Wohlbefinden seines Freundes ruhte, genoss er. Nur weil er bis dato keine Zeit gefunden hatte, den Horror der Gläubigen zu verstehen, oder zu reflektieren. Weil er dem Schmerzen, die Liam übermannt hatten, keinen Zugang zu seinem Innern gab. War es Schmach oder die Pein, die in wütend machte. Seine Fäuste und Hände ballen ließen? Oder war es die Verzweiflung, die ihm langsam zu erkennen gab, dass seine Reiseflucht beendet sei? - und er nun halbnackt am Boden gefesselt vor dem Manne liegt, der seine Zukunft entscheiden würde.
Es gab keinen Juni mehr, der ihn aus dieser Situation herausholte. Es gab keinen Liam mehr, der seinen Angreifer mit einem Fisch niederstreckte. Auch seine Mutter gab es nicht mehr. Fussel hatte man woanders hingebracht. Lex hatte ihn nicht wiedergesehen. Er fühlte sich alleine im kalten Raum er fühlte sich zurückgelassen, verschmäht und verängstigt. Ja, er fühlte Angst! So sehr, dass er zu weinen beginnen drohte. Doch seine Tränen waren aus. Zu doll und zu lang weinte er in den Nächte in Hoffnung auf Freiheit auf ein Leben mit Liam. Doch auch dieses war aus.
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