Wiedersehen
Ich stand gerade vor dem Bahnhof und wartete auf den Zug, in dem sie drinnen sein müsste.
Ich war so nervös und aufgeregt, dass ich fast die ganze Nacht wach geblieben war.
Ich hatte Angst.
Ich hatte Angst, dass sie sich komplett verändert hatte.
Auch wenn ich mit ihr täglich schrieb, ich wusste nicht, ob sie wirklich das meinte, was sie geschrieben hatte.
Sie könnte auch einfach nur Mitleid mit mir gehabt haben.
Es könnte alles eine Lüge gewesen sein.
Genau das, was ich nicht wollte.
Denn heute würde ich sie endlich nach all den Jahren wiedersehen.
Wie viele Jahren waren nun vergangen?
Sechs Jahre?
Oder doch sieben Jahre?
Seitdem wir uns kennengelernt hatten, hatten wir fast jeden Tag miteinander gespielt.
Anfangs nur im Kindergarten.
In der Grundschule waren wir in unterschiedlichen Klassen, weshalb wir in den Pausen gespielt hatten.
Irgendwann kam es dazu, dass wir uns gegenseitig besuchten.
Wir spielten Tag ein und Tag aus, halfen uns bei den Hausaufgaben und waren einfach für einander da.
Die Geburtstage feierten wir jedes Jahr zusammen und schenkten uns irgendwelche Sachen, meistens waren sie selbst gemacht.
Doch eines Tages zog sie weg.
Es war in der vierten Klasse.
Wir hatten in der Schule so eine komische Tradition gehabt, dass jede vierte Klasse irgendetwas zum Abschied machen sollte.
Einige spielten etwas vor, andere tanzten etwas vor und wiederum andere vorbereiteten für die Pause irgendetwas zu essen, meistens war es Kuchen oder anderes Gebäck, vor.
Wir hatten damals zum Abschied ein Lied gesungen, etwas, was am meisten gemacht worden war.
Ich konnte mich noch erinnern, wie die meisten, wenn nicht sogar alle geweint hatten.
Ich hatte damals auch geweint, genauso wie sie.
Kein Wunder auch.
Die Grundschulzeit war vorbei.
Und somit auch die schöne Zeit.
Nachdem wir uns von allen verabescheidet hatten, kam dann die Nachricht.
Die Nachricht, die die schöne Zeit zerstört hatte.
Sie musste umziehen.
Ich hatte gehofft, dass sie noch immer nicht so weit weg wohnen würde und wir in die selbe Schule gehen könnten, doch das war nicht der Fall.
Sie wohnte nun am anderen Ende des Landes.
Natürlich hatten wir noch immer Kontakt gehabt.
Wir telefonierten fast täglich miteinander.
Als wir unsere ersten Handys hatten, fingen wir auch an uns täglich zu schreiben.
Wir schrieben über alles mögliche.
Über die Schule, die Lehrer, die Schüler, die Freunde, die Familie und wie es uns ging.
Doch gesehen hatten wir uns seitdem nicht mehr.
Wir hatten nie Zeit dafür gehabt.
Wir waren irgendwie nie dazu gekommen.
Doch wir hatten uns dazi entschieden das zu ändern.
Endlich, nach sechs, fast schon sieben Jahren, hatte ich den Mut gehabt sie zu Fragen.
Ich fragte, ob sie hier her kommen würde.
Und tatsächlich: sie sagte ja!
In dem Moment war ich so glücklich, wie ich schon lange nicht mehr war.
Ich hatte zwar ein paar Freunde, doch ich verstand mich mit niemanden so gut, wie ich es mit ihr tat.
Es war komplett, nein, ich war bei ihr eine komplett andere Person.
Ich war einfach ich selbst.
Normalerweise, war ich anderen gegenüber sehr schüchtern, doch bei ihr.... da war ich das komplette Gegenteil.
Ich konnte mit ihr einfach über alles reden!
Etwas, was ich mit den anderen nicht konnte und nie können würde.
Bei ihr war alles komplett anders.
All meine Sorgen waren dann meistens wie ausgelöscht.
Und selbst, wenn ich welche hatte, nahm sie diese mit ein paar so simplen Worten all diese Last und Traurigkeit von mir.
Es hatte eine Zeit lang gedauert, bis ich herausgefunden hatte, warum es so war.
Wieso ich für sie so empfinde.
Wieso sie so besonders und wichtig für mich war.
Aber jetzt wusste ich es und ich konnte es kaum erwarten sie wiederzusehen.
Ich wollte mit ihr wieder Zeit verbringen, genau wie damals.
Da es heute heiß war, wollte ich mit ihr Eis essen gehen und natürlich reden.
Und dann, später.... wenn ich den Mut dazu hätte.... Dann wollte ich es ihr sagen.
Ich wollte ihr dann sagen, was ich für sie fühlte.
Gleichzeitig hoffte ich, dass ich sie nicht verschrecken würde.
Ich hoffte, dass sie mich akzeptieren würde und selbst, wenn sie für mich nicht das selbe empfinden würde, hoffte ich, dass wir dann noch immer wenigsten befreundet sein könnten.
Sie zu verlieren wäre für mich am schlimmsten.
Es kam dem Weltuntergang gleich.
Endlich kam ihr Zug.
Zu erst wusste ich nicht was ich tun sollte.
Sollte ich zu ihr gehen?
Sollte ich nach ihr rufen?
Sollte ich hier warten?
Oder sollte ich vielleicht doch wieder zurück gehen?
Nein!
Dafür war es viel zu spät.
Ich wollte sie sehen.
Es hatte auch so lange gedauert, bis ich sie endlich fragen konnte.
Ich durfte jetzt nicht gehen!
Letztendlich entschied ich mich dazu, dass ich auf sie warten würde.
Ich wusste ja nicht, wie sehr sie sich verändert hatte.
Ich hatte zwar ein paar Bilder von ihr gesehen, aber die könnten auch alle von einer anderen Person mit schwarzen Haaren, mit blasser Haut und honigbrau-
Nein! Hör auf!
Wieso sollte sie auch soetwas machen?
Als sie aus dem Zug ausstieg, wusste ich sofort, dass sie es war.
Sie hatte sich erstaunlicherweise kaum verändert.
Sie hatte noch immer lange, rabenschwarze Haare und eine ziemlich blasse Haut.
Sie sagte zwar immer wieder, dass sie die hasste und sich wünschte, dass sie etwas dunkler wäre, wie meine Haut, aber ich fand, dass sie so, wie sie jetzt aussah, perfekt war.
Sie war schon damals und auf den Bildern wunderschön gewesen, aber jetzt war sie noch viel schöner.
Es gab keine, die nur annähernd so schön war wie sie!
Sie schaute sich etwas verloren um, bis sie mich entdeckte.
Sie schaute mich überrascht und glücklich an, bevor sie mit ihrem Gepäck auf mich zu rannte.
Sie blieb vor mir stehen und umarmte mich fest.
Sofort eriederte ich ihre Umarmung.
"Endlich können wir uns wiedersehen. Ich habe dich vermisst, Lucy", flüsterte sie überglücklich.
Ich umarmte sie noch fester und erwiderte ebenfalls im Flüsterton: "Ich dich auch, Sharon."
Endlich, nach all den Jahren waren wir wieder vereint und ich hoffte, dass es so bleiben würde.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro