
Die Hütte
Jordan stellte ihren alten Sack auf den Boden. "Welches Bett darf ich benutzen?", fragte sie Luc. "Du kannst das oben haben." Luc blickte zu einer Leiter, welche zu einem kleinen Halbstock führte. "Ich, danke, für das", stammelte Jordan leise vor sich her. Ihr wurde bewusst, wie unfair sie Luc gegenüber gehandelt hatte. Er schien ein normaler Mensch zu sein und er versuchte wirklich ihr zu helfen. Luc sah sie erst verdutzt an, bis seine komische Mine in ein Lächeln überging.
Luc wurde erst jetzt bewusst, dass er zu vorschnell geurteilt hatte. Vielleicht waren es nur die Emotionen, die Empathie, welche noch so tief in ihr verankert war, die Luc dazu verleiteten so unvorsichtig, irrational zu handeln, jemand Fremdes hierher zu bringen und dennoch bereute er es nicht. Luc fühlte sich zum ersten Mal seit langem nicht mehr alleine und er genoss dieses Gefühl, auch wenn er ihr noch nicht zu stark vertrauen wollte.
"Ich werde versuchen, dir ein Stück weit zu vertrauen", sagte Jordan mit einer ruhigen Stimme. "Ich kann nur hoffen, dass du jenes Vertrauen nicht ausnutzt." "Insofern du mir keinen Grund dazu gibst dich zu töten, werde ich es auch nicht tun." Danach brach eine unangenehme Stille über sie. Beide wussten nicht so genau, wie mit der Situation umzugehen war. Luc begann ein Feuer im Kamin zu entzünden, während Jordan begann, die Bettdecken und Kissen auf ihr neues Bett zu legen.
Sie krabbelte danach flink wieder die Leiter hinunter und setzte sich ebenfalls an den Kamin. Man konnte die Erleichterung, welche die beiden umfasste, kaum beschreiben. "Was ist damals mit deinem Bruder passiert? War er krank?", fragte Jordan leise, das Gesicht zur Flamme gewandt. Luc schluckte und senkte seinen Kopf. Erinnerungen schossen durch seine Gedanken und er versuchte die Gefühle sofort wieder zu verdrängen. Diese grosse Schuld die er in sich trug. "Das brauchst du nicht zu wissen", antwortete er gefühllos. Jordan merkte, dass dieses Thema vielleicht nicht das beste war, um eine Konversation zu beginnen.
"Ich denke, wenn wir uns besser kennen würden, könnten wir uns besser vertrauen", sagte Jordan nach einigen Minuten Stille. "Meine Mutter war Arzthelferin, bevor dieses kranke Experiment startete", Jordan machte eine kurze Pause, da die Gefühle sie zu übermannen drohten. "Sie starb kurz nach dem Beginn, da sie versuchte verwundeten Menschen zu helfen. Gutmütigkeit ist in so einer Situation leider tödlich."
Luc wusste nicht genau, was er erwidern sollte. Zum einen wollte er ihr vertrauen, er war so lange alleine und konnte mit niemandem reden und dennoch wollte er Vorsicht walten lassen. "Mein Bruder und ich waren alleine als es geschah", begann er. "Unsere Eltern waren sehr Vermögend und haben mir zu meinem sechzehnten Geburtstag dieses Häuschen gekauft. Natürlich war ich nicht allzu begeistert davon, vor allem da es weder Internet noch Fernsehen gab. Dennoch sollte ich mit meinem Bruder hier in die Ferien fahren, ich denke, dass meine Eltern uns einfach los haben wollten."
Langsam begannen Lucs Gefühle sich bemerkbar zu machen. Er versuchte sie schweigend zu unterdrücken. Jordan wusste nicht genau, was sie darauf erwidern sollte. Sie legte schweigend ihre Hand auf seine Schulter als Zeichen des Mitgefühls. Ihr wurde bewusst, dass es für Luc viel schwerer gewesen sein musste. Er wurde nicht darauf vorbereitet im Gegensatz zu Jordan.
"Sie sind schuld am Tod meines Bruders. Sie haben nichts getan, um uns hier rauszuholen, dass alles zu beenden", fuhr Luc fort, nachdem er sich beruhigt hatte. "Das kannst du nicht wissen", entgegnete Jordan. "Vielleicht haben sie alles versucht und sind gescheitert. Vielleicht machen sie sich jeden Tag von neuem Vorwürfe, euch im Stich gelassen zu haben." Luc sah Jordan in die Augen. Sie sah den ganzen Schmerz und die Hilflosigkeit, welche er wirklich empfand. Er wirkte wie ein kleiner Junge, der nicht mehr weiter wusste.
Jordan wusste nicht, wie sie auf diese plötzliche Ehrlichkeit reagieren sollte. Sie wusste nicht, wie man sich in so einer Situation verhalten sollte und sie hatte Angst, dass dies alles nur trug war, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Doch wieso sollte er das machen? Was hätte er davon, wenn sie ihm Vertrauen würde? Sie hatte keinen Besitz der für ihn in irgendeiner Weise relevant wäre. Sollte sie ihm einfach Vertrauen?
"Ich", begann sie, "Ich weiss nicht-" "Warum ich dir das erzähle?", sah Luc sie fragend an und Jordan bestätigte dies mit einem Nicken. "Ich denke es tut mir einfach gut, mal wieder jemand lebendes um mich zu haben." Mit einem erzwungenen Lächeln drehte er sich von ihr Weg. "Wir sollten schlafen gehen", sagte Jordan und stand im selben Atemzug wieder auf den Beinen. Luc tat es ihr gleich und bewegte sich auf ein Bett zu, welches auf demselben Stock war wie sie. Jordan kletterte die Leiter hoch. "Gute Nacht", sagte sie noch leise, bevor sie ihr Stockwerk erreichte.
Als sie auf dem Bett sass, fiel ihr auf, dass sie von hier aus fast die ganze Hütte sehen konnte. Zudem sah sie, dass ein Vorhang montiert war, mit dem sie das Bett von der Hütte optisch trennen konnte. Sie fragte sich, warum Luc ihr ausgerechnet diesen Raum überliess. Jedoch wollte sie nun keine Gedanken an sowas verschwenden, Jordan war einfach nur glücklich wieder auf einer Matratze schlafen zu können. Sie zog den Vorhang zu und legte sich hin. Ihr letzter Gedanke, bevor ihr die Augen vor Erschöpfung zufielen, galt ihrer kleinen Schwester.
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