03 - surprise surprise
𝒮𝑒𝑜𝓀𝒿𝒾𝓃
Wenn es etwas gab, das Kim Seokjin mehr hasste als zähes Fleisch, das zu lange gebraten wurde und eine trockene Wüstenexplosion in seinem Mund veranstaltete, dann waren es die ewig langen Meetings seines Vaters, zu denen er mitgeschleppt wurde.
Und wenn beides in Kombination auf ihn niederschmetterte, fühlte er sich oft einfach danach aus dem Büro im 28. Stock zu springen, nur um das halbe Land in große Aufruhr zu bringen.
Kim Seokjin, Sohn des CEOs von OXG und damit derzeit einer der größten Unternehmen Südkoreas, begeht Suizid mit nicht einmal 26 Jahren.
Es würde einen riesig großen Knall geben - er konnte förmlich vor seinem inneren Auge sehen, wie die Medien explodierten.
Seokjin wusste aber auch, dass es Kim Haewon, der Tochter des „besten Freundes" und Mitarbeiters seines Vaters, nicht anders ging.
Gerade im Moment saß sie ihm gegenüber, die dunklen Haare fielen ihr in welligen Strähnen über die Schulter, ihr Gesicht stur auf den Teller vor sich gerichtet, während sie mit ihrer Gabel in ihrem Essen herumstocherte.
Nicht gerade das Verhalten, das sein Vater und auch ihr Vater gerne duldeten, aber es sprach sie niemand darauf an - auch wenn das Missfallen daran nicht zu übersehen war.
Er musste über ihre leicht rebellische Ader schmunzeln.
Kim Haewon war hübsch - keine Frage - und er hatte sich selbst in jüngeren Jahren oft dabei erwischt, wie er sie zwischen den Meetings immer wieder verstohlen gemustert hatte, aber mit den Jahren hatte er feststellen müssen, dass er nicht mehr für sie empfand, als eine simple Freundschaft.
Sehr zum Missfallen seines Vaters, der ihn allzu gerne mit der jungen Frau gesehen hätte.
„Wir ihr bereits wisst, sind die Vorbereitungen zum Project O2 bereits in vollem Gange.", drang die Stimme seines Vaters an ihn,
„Shiwon und ich haben lange über so einiges nachgedacht und sind schließlich zu einem Entschluss gekommen, der das Projekt in Null Komma Nichts zu einem der Erfolgreichsten in dieser Welt promoten wird."
Sein Vater holte tief Luft und ließ seinen Blick über die Versammlung wandern und Seokjin legte - nur der Höflichkeit zu Liebe - das Besteck zur Seite, um seinen Blick scheinbar interessiert zu ihm zu wenden.
Haewon verzog nicht einmal eine Miene, stattdessen zerriss sie ein Salatblatt mithilfe des Bestecks in dreitausend kleine Teilchen, die sie achtlos über den Teller schob.
Kim Shinwon, der auf der anderen Seite neben seiner Tochter platziert war, räusperte sich mehrere Male heftig und ging dann sogar so weit, dass mit dem Griff des Messers erbost auf den Tisch schlug.
Haewons Mundwinkel zuckten verräterisch.
Seokjin hätte lügen müssen, wenn er sagen würde, dass er nicht äußerst amüsiert von der Gesamtsituation war, aber im Gegensatz zu seiner Leidensgenossin schaffte er es leichter, sich zumindest ein wenig zusammenzureißen.
„Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es für das Projekt und auch für die Welt am besten wäre, wenn ihr beide - Seokjin und Haewon - das Projekt nach außen tragt und dafür werbt."
In diesem Moment ging bereits eine schrille Alarmglocke in Seokjins Kopf los, die die Ausmaße dieses Gespräches bereits ahnte und ihm auf der Stelle mächtige Kopfschmerzen bescherte.
„Und deswegen werdet ihr beide, Seokjin und Haewon, die ersten sein, die sich für das Projekt bereitstellen."
Haewon fiel die Gabel aus der Hand und landete mit einem lauten Klirren auf dem weißen Mamorboden, während ihr Mund sich immer wieder öffnete und schloss - nicht bereit dazu irgendwelche sinnvollen Worte zu formen.
Und das, obwohl Seokjin sie eigentlich stets als sehr wortgewandt gekannt hatte.
Aber er selbst war fast genauso geschockt von den Neuigkeiten, die ihre Väter einfach so auf sie losließen.
Ohne Vorwahnung.
Er hätte es kommen sehen sollen, aber er hatte es nicht und die Realität riss ihn fast von den Füßen (oder von dem teuren Stuhl, auf dem er saß).
Die Stille, die den Raum erfüllte, war nicht anders zu beschreiben, als erdrückend.
Sie raubte ihm den Atem und sorgte dafür, dass es in seinen Ohren panisch klingelte, während er nach den richtigen Worten suchte, um seinem Vater klarzumachen, dass das ganz sicher keine gute Idee war.
Aber Haewon kam ihm zuvor, durchbrach seine wirren Satzfügungen - auch wenn nicht ganz so erwachsen, wie Seokjin das geregelt hätte:
„Woah. Klingt nach einer richtig dummen Idee."
Das traf das Ganze eigentlich richtig gut, aber wenn Seokjin die Jüngere von einem hysterischen Ausraster seitens ihrer Väter schützen wollte, durfte er ihr nicht so offensichtlich zustimmen. Also versuchte er, den Schaden zu dimmen - er hatte ja schließlich auch Jahre lange Übung darin.
„So schlimm wird es doch wohl nicht werden, Haewon-ie.", er lächelte seinem Vater besänftigend zu, der angespannt mit dem Kiefer malmte und bereit dazu war, eine gesamte Schimpftirade auf die junge Frau zu feuern,
„Es ist ja nur für einen Monat."
Seokjin wirft der Dunkelhaarigen einen strengen Blick zu, denn er weiß, dass sie gleich wieder dagegen schießen würde.
Er selbst war ja auch nicht einverstanden, auf keinen Fall, aber was sollte er schon über die Vereinigung ihrer Väter ausrichten?
Trotz seiner fast 26 Jahren, der festen Anstellung im Unternehmen und dem hohen Stellenwert seiner selbst in der Firma, war sein Vater immer noch der CEO und wenn er es sich nicht auf der Stelle komplett mit ihm verscherzen wollte, musste er kooperieren.
Viel hatte er in der Firma schließlich sowieso nicht mitzureden.
Auch wenn sich alles in ihm gegen die Idee wehrte, selbst an diesem Projekt teilzunehmen und damit unter anderem auch seiner Gesundheit zu schaden, konnte er nicht anders, als seinem Vater zumindest in einem Punkt zuzustimmen.
Es würde eine Menge Aufmerksamkeit auf das Projekt lenken und das war schließlich genau das, was sein Vater wollte. Denn es ging schon lange nicht mehr nur um die Entwicklung der Maschinen, die den Menschen weitere tausend Jahre auf diese Erde ermöglichen sollten.
In erster Linie ging es hier nämlich mittlerweile nur noch um das Geld, dass dieses Projekt einbringen sollte.
„Ich mache da ganz sicher nicht mit.", Haewon schien seine Blicke vollkommen ignoriert zu haben,
„Ich bin volljährig. Das hat hier niemand zu entscheiden, außer ich selbst."
Kim Shinwon öffnete den Mund, um seiner Tochter - eindeutig mehr als nur gereizt - dazwischenzufahren, aber Haewon ließ sich von nichts mehr stoppen.
Sie schob ihren Stuhl ruckartig zurück und sprang auf, was ein widerliches Kratzen auf dem Mamorboden verursachte und warf giftige Blicke durch den Raum, die eindeutig töten konnten.
Die Bodyguards hatten keine Ahnung wie sie sich zu verhalten hatten, schließlich hatten sie keine genauen Aufforderungen erhalten, und ließen die vor Wut schäumende Haewon einfach aus dem Meeting spazieren (und bei Gott, Seokjin konnte es ihnen nicht verübeln).
„Ihr könnt mich alle einmal!"
Die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss, dann herrschte erst einmal Stille.
Sein Vater räusperte sich mehrmals unwohl, um nicht zu explodieren und Kim Shinwon hielt beschämt den Kopf gesenkt.
Die Anspannung war im gesamten Raum zu spüren und sorgte dafür, dass Seokjins eher friedliebende Ader ebenfalls aufstand (mit Gänsehaut auf den Armen, wohlgemerkt!).
„Ich gehe ihr nach.", erklärte er bedacht, um eine weitere Eskalation zu verhindern,
„Sie ist einfach nur ein wenig überfordert mit dem Gedanken. Kein Grund sich große Sorgen zu machen.
Ich...rede mit ihr."
Und Seokjin musste sich mächtig beeilen, denn trotz ihrer kürzeren Beine legte die Brünette ein beachtliches Tempo vor und so fing er sie erst außerhalb des Gebäudes wieder ab, gerade noch rechtzeitig.
„Haewon!", sein eigener Atem ging von der plötzlichen Sprintaktion eher stockend und schwer von sich und so brauchte er unglücklicherweise ein paar Sekunden, um genug Luft in seinen Lungen zu sammeln,
„Warte kurz. Bitte."
Er legte alle Sanftheit die sein Körper besaß in dieses letzte Wort und sandte stumm Gebete in Richtung Himmel, dass die Jüngere nachgab und ihm zumindest zuhörte.
Glücklicherweise schien es zu helfen, denn sie blieb stehen und wandte sich, aufgebracht durch ihre dunkle Haarpracht fahrend, zu ihm um:
„Was?"
„Hör mir bitte zu, Haewon, okay?",
Seokjin holte die letzten übrig gebliebenen Meter auf und blieb vor der Kleineren stehen, um ihr mit aller Ernsthaftigkeit in die Augen zu blicken,
„Ich weiß, dass dir die Idee nicht sonderlich gefällt, ich meine, mir gefällt sie ja auch nicht, aber bitte."
„Bitte, was?", sie zischte und Seokjin wich beinahe wieder zurück - er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so wütend werden konnte. Während er sie vorher noch mit einem etwas dickköpfigen Welpen verglichen hätte, schien sie jetzt eher in die Richtung wilde Hyäne überzugehen.
„Überleg dir das nochmal, Haewon.
Unsere Väter haben Recht - zumindest in einigen Punkten und...ich schwöre bei allem, das ich habe, dass du dich nicht unbedingt mit beiden unserer Väter anlegen möchtest."
„Wenn du nicht hier bist, um mich nach Hause zu kutschieren und nur einen auf Vaters Schoßhündchen machen willst, dann verpiss dich, Kim Seokjin.", ihre Augen sprühten Funken in seine Richtung und sie winkte - definitiv etwas aggressiv - eines der teuren Taxis herbei.
„Ich will dir doch nur helfen..."
Entgegen seiner Erwartung lachte sie jedoch nur höhnisch auf, bevor sie in ein Taxi stieg und die Tür des Wagens vor seinen Augen ins Schloss warf.
Er stöhnte enttäuscht, aber auch gleichzeitig genervt auf, als der Wagen zum Rollen kam und irgendwo in der Automasse Seouls Straßen verschwand.
Kim Seokjin hatte es verkackt. Und zwar so richtig und dabei hatte er selbst nicht einmal wirklich einen allzu großen Funken zu all dem Chaos beigetragen.
Sein Vater ging wahrscheinlich genau in diesem Moment an die Decke oder sprang Kim Shinwon an die Gurgel (er hielt mittlerweile beides für eine legitime Möglichkeit).
Kim Haewon war mit einem Taxi unterwegs - so wütend und unberechenbar wie eh und je.
Und Seokjin selbst stand mitten auf dem überfüllten Gehweg, ließ sich immer wieder anrempeln und starrte auf den dunklen Asphalt vor sich.
Er hätte andere Worte wählen sollen.
Kim Haewon musste sie - genau wie er selbst auch - bereits zu oft gehört haben und jedes Mal in einer riesigen Enttäuschung gelandet sein.
Wieso also hatte er genau diese Worte gewählt?
Ich will dir doch nur helfen.
Der Tag hatte sich also nicht nur mit extrem schlecht gebratenem Fleisch und einem Meeting an die Spitze seiner Liste von Hasstagen katapultiert.
Haewon war sauer, Kim Shinwon war sauer, sein Vater war außer sich.
Der Tag konnte eigentlich garnicht mehr schlechter werden, aber da fing bereits sein Handy an zu vibrieren und er sah mit gerunzelter Stirn auf den Namen seines Vaters, der auf dem Display aufleuchtete.
Und dann erst wurde er sich wieder seiner Rolle in dem Ganzen Chaos bewusst.
Seokjin spielte den erwachsenen, verantwortungsvollen Sohn des CEOs von OXG.
Er spielte eine große Rolle in Projekt O2 und - und das war das schlimmste:
Kim Seokjin würde seine Gesundheit und sein Leben in dieser Kapsel auf das Spiel setzen.
Und die plötzliche Erkenntnis, die ihm in dem Streit für kurze Zeit verlorengegangen war, raubte ihm den Atem.
Nicht der fehlende Sauerstoff in der Luft, sondern die „Überraschung" seines Vaters, die damit unmittelbar in Verbindung stand.
Seokjin war ein Aushängeschild des Projektes und er würde - wenn alles schief lief - auch eines für das menschliche Versagen sein.
———
[1826 Wörter]
A/N:
Epiphany ist wunderschön.
- Annika
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