01 - the letter
𝒯𝒶𝑒𝒽𝓎𝓊𝓃𝑔
Als Kim Taehyung jenen Morgen mit seinen, von Acryl-Farben verschmutzten, Händen nach dem dicken und durchaus förmlichen Brief der Regierung griff und mit Verwunderung in den Augen betrachtete, wie sich das Papier unter seinen Fingern in den unterschiedlichsten Grüntönen verfärbte, war er sich sicher, dass der Brief ein direktes Geschenk des Himmels war.
Trotz der Dicke fühlte sich der Brief in seinen Händen wie eine unendliche Erleichterung an und nachdem er seinen Blick ein weiteres Mal über die schwarz gedruckten Hangul-Zeichen hatte wandern lassen, stand fest, dass das hier seine einzige Rettung war.
Das PROJECT O2. Fast hätte er unkontrolliert über diesen möglichst einfallslosen Namen gelacht, aber dann blieb ihm das Lachen genauso schnell wieder in der Kehle stecken, als sein Blick auf die Belohnung für jeden einzelnen Freiwilligen fiel.
Dreizehn Millionen koreanische Won.
Davon könnte er zumindest für einige Zeit die hohen Preise der Mietwohnung abdecken, die er sich mit dem zwei Jahre älteren Dauer-Kaffee-Trinker Yoongi teilte.
Denn von den wenigen Werken, die er in letzter Zeit auf Leinwand gebracht hatte, konnte er ganz sicher nicht leben und es war sicher, dass es dieses eine Mal nicht einmal mehr zu einer Ausstellung in dem kleinen Nebengebäude kommen würde, die er zuvor fleißig jeden dritten Monat abgehalten hatte - gemeinsam mit zwei weiteren Künstlern, die er gegen Ende seiner Schulzeit kennengelernt hatte.
„Yoongi! Hyung!", seine tiefe Stimme donnerte durch die kleine Wohnung, hallte an den dünnen Wänden zurück und wenig später stand sein verschlafener Mitbewohner vor ihm, der von seinem lauten Gefühlsausbruch allerdings garnicht begeistert zu sein schien.
Er konnte es ihm nicht verübeln. Als er gestern nach seinen letzten Erledigungen die Wohnung betreten hatte, war es bereits spät in der Nacht und die einzige Lichtquelle die ihn begrüßte, kam aus dem kleinen Türspalt aus Yoongis Zimmer, das der Ältere schon seit dem selben Morgen nicht verlassen hatte.
Sein Mitbewohner arbeitete an irgendeinem neuen Track - denn er produzierte für sein Leben gerne Musik - aber egal wie sehr Taehyung darum bettelte auch nur einmal reinhören zu dürfen, der Ältere verneinte seinen Wunsch immer.
Wahrscheinlich war es Schicksal, dass ausgerechnet er an einem regnerischen und widerlich kalten Tag stehen geblieben war, um Taehyungs wirre Skizzen und Acrylgemälde zu betrachten.
Er hatte die Chance natürlich gleich gerochen und versucht dem mürrisch-wirkenden Jungen eines seiner neuesten Kunstwerke schmackhaft zu machen. Und wie der Himmel es so wollte, verkaufte er noch an jenem Abend die hässlichste aller Skizzen, die er eigentlich zerreißen und wegwerfen hatte wollen, an den selben jungen Mann.
Es stellte sich heraus, dass er zwar nicht sonderlich gesprächig war, aber immerhin erzählte er ihm mehr oder weniger bereitwillig von seinem Job als Produzenten und wenn es etwas gab, das Taehyung nach der Kunst fast genauso sehr faszinierte, dann war das die Musik.
Genau drei Wochen hatte es gedauert, bis er ihm wieder begegnete und das schließlich ganz dem Zufall überlassen (oder dem Schicksal, wie er sich immer wieder sicher war).
Taehyung war zu dieser Zeit auf Wohnungssuche, denn seine Alte hatte er kündigen müssen, da er sich die Miete nicht leisten konnte und Min Yoongi hatte das perfekteste Zimmer aller Zeiten in seiner WG frei und suchte nach einem neuen Mitbewohner.
Kurz - Taehyung zog mit seinen rund dreitausend Zeichenutensilien ein und verwüstete die vorher so saubere Wohnung im Handumdrehen, bis sie mehr nach seinem chaotischen Künstler-Selbst schrie, als nach Min Yoongi, dem stillen Musikproduzenten.
Aber er hatte den seltsamen Kauz, der sich nur wenig später schon als ein liebevoller Freund zeigte, schnell ins Herz geschlossen.
Dafür hatte es nicht einmal viel gebraucht.
Als er die Skizze, die er Wochen zuvor an ihn verkauft hatte, eingerahmt über der Wohnzimmercouch wiedergefunden hatte, hatte er für einen kurzen Moment geglaubt, dass Yoongi ein Engel war.
Die Bestätigung dieses Glaubens holte ihn dann ein, als der Produzent anfing Kakaopulver für ihn zu kaufen und es liebevoll mit einer neuen Tasse, die jetzt ihm selbst gehörte, auf den Frühstückstisch stellte - denn Taehyung konnte, im Gegensatz zu Yoongi, Kaffee zum Tode nicht ausstehen.
„Hast du das schon gehört? Da ist dieses Projekt-", er wollte gerade damit beginnen seinem Mitbewohner von dieser wahnsinns-tollen Idee vorzuschwärmen, als dieser ihm schon das Papier aus der Hand riss und damit nicht nur seine Hand, sondern auch seinen hellgrauen Pullover mit den Acrylresten verschmierte, die daran hafteten.
„Bah, Taehyung!", brummte er angewidert und versuchte sogleich panisch den grünen Fleck wegzuwischen, was es natürlich nur noch verschlimmerte, denn die Farbe sog sich wundervoll in den grauen Stoff.
Taehyung sparte sich unterdessen seine besserwisserische Bemerkung über Acrylfarben, denn wenn es eines gab, dass er in den fünf Monaten gelernt hatte, in denen er hier wohnte, dann war es, dass man Min Yoongi am besten nicht provozierte, nachdem man ihn so dreist aus dem Schlaf gerissen hatte.
„Was willst du damit?", Min Yoongi wandte seinen Blick von dem Papier zu ihm und musterte ihn skeptisch, „Du willst dich doch da nicht wirklich freiwillig melden, Tae? Oder? Taehyung?"
Taehyung wandte seinen Blick schmunzelnd auf den Boden und alleine dies schien Antwort genug für den Älteren, der in knapp zwei Schritten direkt vor ihm stand und trotz seiner schmächtigen Größe so autoritär und angsteinflößend wie nie wirkte:
„Schlag dir den Bullshit aus dem Kopf, Taehyung."
„Aber das Geld-"
„Das Geld bringt dir nichts, wenn ich danach jeden Sonntag frische Blumen zu deiner Urne legen muss.", Yoongis Blick war eiskalt und wenn Taehyung sich Recht entsinnte hatte er vor vier Tagen sogar eine hitzige Diskussion mit ihm über den Sauerstoffverlust geführt, die damit endete, dass Yoongi ihn für den Rest des Abends mit Stillschweigen strafte, weil er nicht wie Yoongi der Ansicht war, dass das alles die Schuld der Menschen war und sie damit auskommen lernen sollten.
Es war also kein Wunder, dass der Ältere jetzt so heftig auf diesen Brief und Taehyungs neuesten Wunsch reagierte. Er hätte es wissen sollen.
„Du gehst da nicht hin, Taehyung. Ende der Diskussion.", in ihrer Freundschaft nahm sein Mitbewohner es sich immer mal wieder gerne heraus, auch über das Leben des Jüngeren zu bestimmen, aber Taehyung fühlte sich deshalb nicht in seiner Freiheit eingeschränkt, wie andere das vielleicht tun würden.
Taehyung war einfach unglaublich froh, dass er Yoongi gefunden hatte - oder Yoongi ihn - und ließ deshalb seine liebenswürdigen Eigenheiten für sein Leben gerne über sich ergehen.
Schließlich konnte er am Ende ja doch tun und lassen, was er wollte und Yoongi wusste das.
Aber Taehyung ließ sich dennoch gerne ein wenig von dem Älteren lenken, der - so schien es ihm zumindest - in seinem zwei Jahre älteren Leben bereits viel mehr erlebt hatte, als Taehyung selbst.
Yoongis Worte wurden im Laufe der Zeit zu Weisheiten, denen Taehyung gerne lauschte und die er mit Respekt entgegennahm und tief in sich drin verwahrte, denn er wusste, dass auch er an ihnen wachsen würde. Irgendwann einmal. Denn jetzt fühlte er sich mit seinen jungen zweiundzwanzig Jahren immer noch nicht wirklich erwachsen - geschweigedenn bereit, dem Leben alleine entgegenzutreten.
„Ich will da doch auch garnicht alleine hin.", ebenso hatte er gelernt, dass Min Yoongi eine unglaublich große Schwäche für ihn besaß und in den letzten fünf Monaten hatte er diese zu Nutzen perfektioniert.
Es brauchte also nicht mehr, als eine vorgeschobene Unterlippe und ein dramatisches Aufschlagen seiner dichten Wimpern und er hatte den jungen Musikproduzenten für alle möglichen Dummheiten um den Finger gewickelt.
Taehyung wusste, dass Yoongi seine Taktik bereits durchschaut hat, aber er beobachtete dennoch amüsiert, wie der Andere nach einer weiteren Ausführung seiner vorherigen Worte fragend die Augenbraue hob.
Und Taehyung wusste, dass er ihn bereits so gut wie an der Angel hatte:
„Du könntest mitkommen."
Yoongis Gesichtszüge entgleisten ihm für genau zwei Sekunden, dann pfefferte er den acrylverschmierten Brief auf den Küchentresen und fuhr sich aufgebracht durch sein dunkles Haar.
„Nein! Vergiss es!", ein Seufzen und Taehyung wusste, dass Yoongi seinen Blick gleich ein weiteres Mal auf ihn wenden würde, er zählte darauf, „Ich gehe nicht mit dir dort hin. Und du gehst auch nicht alleine. Verdammt, Taehyung, wann wirst du dein Hirn in diesem lachhaft hübschen Schädel endlich einmal einschalten?"
Er zählte von zehn herunter, wartete geduldig zwei weitere Seufzer und ein weiteres Kopfschütteln seines Gegenübers ab, bis Yoongis durchdringender Blick ein weiteres Mal an diesem Abend seinen traf.
Taehyung sah bereits die Skepsis in seinen Augen aufflammen, auch wenn der Ältere sich so groß wie nur möglich zu machen und seine Emotionen hinter einer Maske des perfekten eiskalten Gesichtes verstecken versuchte.
Er bemerkte es außerdem daran, dass seine zu einem geraden Strich gepressten Lippen leicht bebten und daran, wie sich eine tiefe Sorgenfalte zwischen seine Augenbrauen grub.
Und dann verwendete Kim Taehyung seine einzige wahre Geheimwaffe, die Min Yoongi schon tausend Mal zum weichsten Menschen dieser Welt werden ließ.
Er schob die Unterlippe vor und schmollte.
Taehyung konnte augenblicklich erkennen, wie irgendeine Mauer in Yoongis sturem Kopf niedergerissen wurde, aber er beschloss dem ganzen noch eine weitere Schippe darauf zu setzen - sicherheitshalber:
„Bitte? Bitte, bitte, biiittee?"
Er setzte den besten Hundeblick auf, den er zu bieten hatte und faltete seine Hände zum Äußersten entschlossen direkt vor seiner Brust, bis er Min Yoongis Körper ein weiterer Seufzer entlocken konnte und sein Mitbewohner sich ergeben gegen den Tresen sinken ließ.
„Okay."
Mehr Worte hatte es nicht gebraucht und Taehyung schloss seine langen Arme um den Kleineren, um dessen Körper in seiner Gesamtheit in seiner kräftigen Umarmung zu verschlingen.
Während er selbst glücklich und nicht gerade allzu sanft zudrückte, tätschelte Yoongi wie gewohnt etwas unbeholfen seinen Rücken, bevor er seine Hände schlaff an seinem dünnen Körper herabhängen ließ.
Taehyungs plötzliche Liebesbekundung ließ er mehr oder weniger bereitwillig über sich ergehen - zumindest bis der Jüngere ihm im Eifer des Gefechts einen dicken Schmatzer auf seinen Haarscheitel platzierte - und er sich, wie Taehyung wusste, dazu verpflichtet fühlte, ihn mit einem angewiderten Gesichtsausdruck von sich zu drücken.
Was Taehyung allerdings auch wusste, war, dass Yoongis weicher Kern vor Liebe nur so strotzte und sich innerlich über Taehyungs anhängliche Seite freute.
Er liebte es, wie sich die Wangen des Älteren verräterisch rot färbten und er die Arme vor seiner Brust verschränkte, um ihn ja nicht wissen zu lassen, dass da wirklich so etwas wie innige Freundschaft zwischen ihnen herrschte. Und das nach fünf Monaten.
„Du bist der Allerbeste Hyung aller Zeiten.", brüllte er euphorisch durch die Wohnung, was ihm einen giftigen Blick seines Freundes und ein wildes Klopfen an der angrenzenden Wand des Nachbars einfing.
Er musste Kichern und zwar so unkontrolliert, dass es ihn ganze zehn Minuten abverlangte, bis er japsend nach Luft schnappte und seinen Hyung mit einem liebevollen Blick anblickte.
„Danke."
„Sei dir einfach bewusst, dass ich das nur für dich mache.", brummte Yoongi bereits auf dem Weg zurück zu seinem Zimmer, den Blick allerdings stets auf ihn gerichtet und den Finger autoritär in Richtung Himmel gestreckt,
„Wenn wir beide noch vor Anfang der vollen Abwesenheit von Sauerstoff wegen dieses Projektes draufgehen... dann ist das ganz allein deine Schuld."
Dann flog die Tür zu Yoongis Zimmer ins Schloss - leise und sanft, denn Yoongi übt sich in einer ruhigen und beherrschten Form der Wut.
Und Taehyung war so glücklich, wie schon lange nicht mehr.
So glücklich, dass er es noch am selben Abend schaffte zwei neue Skizzen anzufertigen, die er am nächsten Morgen auf die Leinwände in seinem Zimmer übertragen würde und dann für viel zu wenig Geld an irgendwelche nichts-ahnenden Kunstbanausen verscherbeln würde.
Ihm wurde klar, dass er sich im Großen und Ganzen echt glücklich schätzen konnte.
Er lebte seinen Traum als Künstler, auch wenn dieses Leben weitaus nicht so golden und ruhmreich war, wie er es sich zunächst vorgestellt hatte.
Er hatte ein Dach über dem Kopf in einer, für Südkoreas Verhältnisse, relativ großen Wohnung in seinem Geburtsort Daegu und er würde bald wieder genug Geld in den Taschen haben, um seinem allerliebsten Lieblings-Hyung Min Yoongi finanziell unter die Arme greifen zu können, damit er ihm mit seiner Pleite nicht mehr in den äußersten Ruin trieb.
Min Yoongi hatte mehr als nur eine altmodische Tüte voller Kaffeebohnen und einen vergilbten Zettel mit der Botschaft „Gutschein für ein Pizza-Date unter zwei guten Freunden" verdient, aber mit mehr konnte Taehyung seinem besten Freund nicht dienen.
Im Moment zumindestens nicht.
———
[ 2031 Wörter ]
A/N:
Huhu. Na, wenn das nicht ein wenig freundschaftliche Taegi Action war :)
Tbh habe ich den softesten Softspot aller Zeiten für die Freundschaft, die die Member untereinander entwickelt haben.
Ich meine, die Jungs sind sich so nah, dass wir - die sie eigentlich garnicht direkt kennen - alles durch den Bildschirm über fast 9.000 km Entfernung spüren können.
Wenn das nicht Friendship-Goals sind, weiß ich auch nicht.
Macht euch darauf gefasst in den nächsten Kapitel erst einmal die Lagen der einzelnen Charaktere zu erkunden.
Bisher haben wir also:
Taehyung - Künstler mit finanzieller Krise
und
Yoongi - Musikproduzent mit Soft-Spot für seinen jüngeren Freund.
- Annika
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