O N E
"Hier, die Unterlagen." Jason drückte mir einen Umschlag in die Hand.
Ich nickte ihm dankend entgegen und umarmte ihn flüchtig. Lachen tat ich selten mehr. Die einzigen, die mir diese Geste aus der Nase ziehen konnten, waren Milo und April.
Das Couvert presste ich an meine Brust, als ich seine Wohnung verließ und in die Außenwelt trat. Mein Haar hob sich etwas an, da die Böen in den letzten Tagen ziemlich zugelegt hatten. Meine Schritte waren selbstsicher und mit jedem Meter, den ich vorankam, kam ich ihm näher.
Damians Autoschlüssel hing an meinem Schlüsselbund und unter Strom gesetzt öffnete ich sein Auto. Bevor ich mich hineinsetzte, strich ich meinen engen, schwarzen Rock glatt und richtete meine Bluse. Die hohen Schuhe waren der Horror, aber ich musste es glaubwürdig aussehen lassen.
Bevor ich den Motor aufbrüllen ließ, steckte ich den gefälschten Ausweis in mein Portemonnaie und verstaute dieses auf dem Beifahrersitz.
Mit einer fließenden Handbewegung steuerte ich vom großen Parkplatz und schielte auf die Tafeln, welche viel zu weit oben waren.
Die kleinste und am verruchteste Tafel war zu unterst und darauf stand CDCR. Ich schluckte und wechselte auf die Spur, welche mich dort hinbringen würde.
Das California State Prison...
Meine Finger zitterten und ich erwischte mich dabei, daran zu denken, was passieren würde, würde es nicht funktionieren. Diese Zweifel peitschte ich aber aus meinem Kopf und mit ernster Miene sah ich in den Rückspiegel. Diese Straße war komplett leer. Mein... Damians Nissan war das einzige Auto weit und breit.
Als ich den Knopf drückte und die Barriere hochging, um auf den eher unschönen Parkplatz zu fahren, drückte ich auf das Gas und der Motor heulte auf. Es überraschte mich, dass doch wenige Autos hier waren und zu meinem Pech weckte ich mit der Karre ein wenig zu viel Aufmerksamkeit. Ich schnallte mich ab und packte alles wichtige in meine Handtasche. Mein Handy würde ich extra hierlassen.
Erneut richtete ich meine Kleidung, als ich das Auto schloss und zum großen Eingang stolzierte. Das Aufprallen meiner Schuhe hallte in der Eingangshalle und mit einem letzten tiefen Atemzug, stellte ich mich an den Empfang.
Hinter den Glasscheiben saßen mehrere Beamte, welche sich miteinander unterhielten und auf die Kameras starrten. Eine eher jüngere Frau, vielleicht 6 oder 7 Jahre älter als ich, bemerkte mich und rollte zur Trennscheibe. "Guten Tag."
"Guten Tag." Ich setzte mein bestmögliches Benehmen auf und versuchte so erwachsen wie möglich zu klingen. "Ich bin Veronica Blair, die Vertretung für Olivia Keaton. Sie wissen bestimmt, dass sie zurückgetreten ist."
Die Frau nickte und musterte mich eindringlich. "Ausweis und bitte Ihre Unterlagen." Sie griff nach einem Kugelschreiber und tippte etwas am PC rum. Die Unterlagen schob ich ihr direkt entgegen. Konzentriert musterte sie die einzelnen Angaben und innerlich hoffte ich, dass Jason keinen Fehler gemacht hatte.
"Da Sie regelmäßig hier eintreten werden, speichern wir Ihren Fingerabdruck und registrieren Sie. Bitte seien Sie sicher, dass sie immer Ihren Ausweis dabei haben und ich bitte Sie darum, keine Begleitpersonen, Familienmitglieder, Partner und so weiter des Insassen mitzubringen. Das endet meistens nicht gut." Sie schmunzelte mir spielerisch entgegen, als ich meine ganze Hand auf die Ablage drücken musste.
Sie schob mir die Akten zurück und zeigte mir, wo ich langgehen musste, um meine Tasche abzugeben. "Hier in den kleinen Gang und beim großen Tor durch. Warte. Frank, begleite sie doch bitte!" Ein eher älterer Herr erhob sich von seinem Tisch und nickte mir zu. Meine Finger klammerten sich an die Akte und meine Tasche fühlte sich verdammt schwer an. Ich lief der Scheibe entlang und wartete, bis er das große Tor aufgesperrt hatte. Neben ihm lief ich weiter und sah mich um.
Jede Tür hatte mehrere Schlüssellöcher und überall waren Gitter. "Die Tasche können Sie mir geben. Ich werde sie im ersten Spind verstauen. Den Schlüssel holen Sie dann einfach bei mir ab."
Ich nickte und wurde an eine andere Person weitergeleitet. Diese lächelte mir aufmunternd zu und ließ mich vorgehen. "Insassennummer?"
Ich kramte im Umschlag umher und suchte seine Nummer. "6665", murmelte ich. Es war doch ziemlich angsteinflößend, aber ich würde keinen Rückzieher machen.
"Sie scheinen ziemlich nervös und sehr jung." Der Typ sah mich belustigt an und deutete mir, dass ich in den Fahrstuhl gehen konnte. Er folgte mir und führte einen Schlüssel ein, damit das Ding überhaupt anging. "Ich bin frisch aus dem Studium und das ist mein erster Fall." Es kam glaubwürdig rüber und er nickte mir zustimmend zu.
Stille.
"Ihr Insasse hat eine ziemlich hohe Zahl, was bedeutet, dass wir ein wenig gehen müssen. Ich bitte Sie, Ihre Arme bei sich zu behalten und bleiben Sie immer in der Mitte des Ganges. Vermeiden Sie Blickkontakt und hören Sie nicht auf die Kommentare und Anspielungen. Die Sitzenden bekommen selten so hübsche Frauen, wie Sie es sind, zu sehen."
Ich nickte und wir standen nun vor einem grauen Tor. Dahinter erstreckte sich ein langer Gang und auf beiden Seiten waren Türen, welche Gucklöcher hatten und wenige Hände drängten sich durch die unteren Löcher durch. Ich schluckte und ein letztes Mal sah mich der Beamte an, bevor er vorging. "Dass Sie mich begleiten, ist normalerweise nicht nötig, aber mein Kollege hat gerade Pause und ich verspreche Ihnen, dass Sie in Sicherheit sind. Tun Sie einfach das, was ich Ihnen gesagt habe."
Die Akte presste ich gegen meine Brust und ich zog meinen Rock ein wenig weiter nach unten. "Auf der Akte wurde verfasst, dass Ihr Insasse am Paniksyndrom leidet, als bitten wir Sie, wenn er Angstschübe bekommt, drücken Sie den roten Knopf an der Kante des Tisches. In Therapiestunden sind keine Kameras erlaubt, also betätigen Sie bei jeder komischen oder gefährlichen Bewegung den Knopf. Wir wollen nicht, dass Ihnen etwas passiert."
Sobald meine Wenigkeit den Gang betrat, kamen von allen Türen irgendwelche Worte und ich versuchte nicht daraufzuhören. "Oh wow. Wer hat den das Glück so eine Therapeutin zu bekommen?"
"Offizier! Ich denke, meine Depressionen haben wieder angefangen, kann ich mal ne Stunde bei ihr haben?"
Eklig lange Finger streckten sich mir entgegen und leider Gottes gab es auch welche, die es für nötig hielten, mir zu erzählen, was sie gerne mit mir anstellen würden.
"Einfach ignorieren. Die kriegen sich schon wieder ein."
Ich wich einer, mir gefährlich nahekommender Hand aus und blickte den Beamten beängstigt an. "Sie kennen den Insassen noch nicht. Er könnte Sie nicht mögen. Wir bevorzugen also das erste Aufeinandertreffen in getrennten Räumen. Außer Sie sind der Meinung, Sie seien dem gewappnet", grummelte er, als er mit seinem Schlagstock spielte.
Ja... Dieser Insasse würde mich überhaupt nicht mögen.
Innerlich schmunzelte ich.
Es ging schneller als gedacht und wir hielten vor einer eher neueren Zelle an. Das Guckloch war zugezogen und hier war die einzige Tür, wo sich mir keine Finger entgegenbangten.
Der Offizier schlug gegen die Tür und griff nach den Handschellen. Die Tatsache, dass sie ihn jedes Mal fesselten, brach mir das Herz. Zwei tätowierte Hände drängten sich durch das Loch und pfeifend drehte der Beamte die Handschellen zu. "Von der Tür wegtreten!"
Er wartete einige Sekunden und schloss langsam die Tür auf. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und meine Atmung verschnellerte sich. Ich war so auf die Silhouette, die sich aufbaute, fixiert, dass ich fast vergessen hätte, dass sich andere Hände an mir vergreifen wollten. Ich zuckte also zusammen und stand näher an Damians Zelle.
Mit gesenktem Kopf trat er in den Gang und die anderen Insassen brummten genervt umher. "Natürlich hat der Neue das Glück!"
"Wenn er sie nicht durchnimmt, tu ich es!"
"Wollen wir teilen?" Damian hatte seinen Kopf noch nicht gehoben, als er es aber tat, weiteten sich seine Augen. Sein Blick bohrte sich in meinen und mir wurde beides, heiß und kalt. Der Beamte bemerkte das und rempelte meinen Italiener an.
"Genug gestarrt!" Der Beamte schubste meinen Freund in die entgegengesetzte Richtung und ich tapste ihnen hinterher. Ich würde es nicht schaffen, ihm eine ganze Stunde bloß gegenüberzusitzen. Vor allem nicht, wenn wir mit einer Scheibe getrennt waren. "Meinen Sie, Offizier? Könnten wir das ganze Testen etc. überspringen? Ich verspreche, wenn es Probleme oder Komplikationen gibt, werde ich den Knopf sofort betätigen."
Zuerst gab er keine Antwort, doch als wir bei einem Raum ankamen, der keine Trennwand hatte, bestätigte das mir, dass er meinen Wunsch beachtete. Wir gingen in den Raum und das Licht ging an.
Er war monoton. In der Mitte stand bloß ein grauer Tisch und zwei Stühle. Die Lampe war genau über dem Tisch und es hatte bloß zwei kleine Fenster, die in der oberen Hälfte der Wand eingebaut waren. Außerhalb waren Gitter, welche mir nochmals klarmachten, dass ich mich in einem Gefängnis befand.
Ich hörte, wie der Beamte die Handschellen aufdrehte und legte die Unterlagen auf die Tischfläche. Beim Rausgehen und Zusperren deutete er auf den roten Knopf, der sich auf meiner Seite des Tisches befand.
Ich schielte zu Damian, der sich mit verzogenem Mund seine Handgelenke rieb. Wir beide lauschten den Schritten des Polizisten und als sie verstummt waren, verfingen sich wieder unsere Blicke.
Kein Wort wurde gesprochen. Alles was man hören konnte, waren unsere Schritte, die auf dem grauen Boden aufkamen.
Neben dem Tisch streckte ich mich in die Höhe und umgriff seinen Nacken. Seine Arme schlangen sich um meinen Körper und in mir brach der dritte Weltkrieg aus. So fühlte es sich jedenfalls an, als ich seine Finger auf mir spürte.
"Will ich überhaupt wissen, wie du das hinbekommen hast?" Seine Stirn presste sich gegen meine und unsere Lippen berührten sich nur, wenn einer von uns sprach.
Zum ersten Mal seit längerer Zeit zierte ein wirklich echtes Lächeln meine Lippen. "Nein, willst du nicht."
Auch der Italiener grinste und gierig presste er seinen Mund auf meinen. Der Kampf, der zwischen unseren Zungen ausbrach, wurde von wenigen, aber verlangenden Seufzern unterstrichen und meine Finger vergruben sich in seinem Haar.
"Ich-" Meine Stimme wurde wieder unterbrochen, als Damian seine Hand in meinen Nacken legte und mir verspielt an meiner Unterlippe knabberte. Diesen Satz wollte ich trotzdem beenden.
"Ich habe dich so vermisst", seufzte ich, als wir uns langsam lösten. Es war schwer, aber würden wir das hier nicht unterbrechen, würde ich hier nicht mehr allein herausgehen.
Damians Hand fuhr über meinen Rücken runter und wieder hoch und ganz nah an meinen Lippen murmelte er, "Du hast mir so gefehlt."
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