029 | Harry
Harrys P.o.V.
Das ich Louis geküsst hatte war jetzt eine Woche her. Und wirklich darüber geredet hatten wir nicht. Es war ja aber auch nicht der erste Kuss. Ich hatte schon gar nicht mehr mitgezählt, doch keiner von uns machte den ersten Schritt, um darüber zu reden.
Ich wollte nicht.
Für mich war es in Ordnung, dass wir nicht darüber sprachen. Ich hatte Angst, dass wenn ich anfing darüber zu reden, es kaputt zu machen und das wollte ich nicht.
Doch auch Louis machte keine Anstalten. Er sprach nicht darüber, sondern machte es einfach. Louis nahm einfach meine Hand oder umarmte mich, wenn ihm danach war. Manchmal wurde es zu viel, doch Louis merkte es immer, wenn er etwas nicht machen konnte oder eher nicht machen sollte. Sobald das der Fall war, ließ er von mir ab und gewehrte mir den Freiraum, den ich dann in diesem Moment einfach brauchte.
Nicht, dass er irgendwas Negatives in mir auslöste, doch egal wie liebevoll und warmherzig das war, was Louis tat, manchmal konnte ich das Gefühl einfach nicht ablegen, dass er mir schaden wollte.
Auf der einen Seite wusste ich, dass er mir nichts antun würde, doch so wirklich sicher konnte ich mir nicht sein. Schließlich kannte ich niemanden der so wie er war. Louis war einfach einzigartig. Nicht einer hatte sich so für mich eingesetzt und wollte im Gegenzug nichts dafür haben. Mir war sowas völlig fremd. Daher auch die Vertrauensprobleme. Aber die kamen ja nicht nur daher. In meinem Leben sind schon so einige Dinge passiert, die mich einfach nur noch Zweifeln und alles hinterfragen lassen.
Nur weil wir nicht über die Küsse und Berührungen sprachen, war es aber auch nicht so, dass wir uns ignorierten. Das taten wir auf keinen Fall. Jeden Morgen war Louis hier und redete mit mir vor dem Frühstück, ließ mir bis mittags meine Ruhe und nach dem Mittagessen war er wieder hier. In der vergangenen Woche war ich vormittags in einer der Trainingsräume oder mit Niall in der Bibliothek. In dieser Zeit saß Louis an dem Gespräch mit dem Gefängnisleiter und schaute wie er mich am besten darauf vorbereiten konnte. Nachmittags redeten wir dann ausschließlich über das Thema. Er wollte mich so gut es ging stärken und zeugen, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Ich war ihm dankbar dafür, doch auch bei all seiner Mühe, konnte ich meine Zweifel nicht ablegen.
Und heute war es soweit. Herr Walker wollte unbedingt heute mit mir sprechen. Er hatte nochmal ein Auge zugedrückt, als Louis zu ihm sagte, dass ich noch etwas Zeit brauchte. Aber mehr Zeit wollte er uns oder eher mir nicht geben.
Louis war heute morgen auch schon da, doch das Einzige was ich ihm bisher gesagt hatte war, dass ich nicht zum Frühstück wollte. Daraufhin ist er verschwunden und war bisher noch nicht wieder zurück. Ich konnte einfach nichts essen. Eigentlich war es nicht meine Art Essen abzulehnen, doch vermutlich hätte ich mich danach direkt übergeben. Ich war einfach viel zu nervös.
Hatte er es sich anders überlegt? War es ihm zu viel Arbeit?
Fragen über Fragen schwirrten in meinem Kopf herum und ließen mich ganz benommen fühlen. Ich wusste ab einer gewissen Zeit einfach nicht mehr wo oben und wo unten war. Deshalb setzte ich mich so gut es ging auf das Bett und versuchte mich ein bisschen zu beruhigen.
Doch umso mehr Zeit verstrich, desto nervöser wurde ich. Meine Magenschmerzen breiteten sich aus und auch mein Rücken fing an weh zu tun. Der Schmerz machte mich beinahe aggressiv, doch ich versuche es so gut es ging zu ignorieren. Doch das schlimmste war die Nervosität. Ich hasste das Gefühl, dass das Herz immer schneller wurde, dass die Hände schwitzig wurden und die Übelkeit die immer mehr zu nahm.
Für einen Moment schloss ich meine Augen, aber das war keine gute Idee, denn dann begann sich alles zu verstärken und es wurde nur noch unerträglicher.
Auf einmal ging die Zellentür auf und Louis stand in dieser. "Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Aber wenn du magst können wir jetzt schon los. Dann hast du es- Oh Gott, ist es so schlimm?" Louis schaute mich mit aufgerissenen Augen an, setzte sich neben mich aufs Bett und legte eine Hand an meine Wange. Langsam nickte ich nur und schmiegte mich leicht an seine Hand.
"Versuch tief durchzuatmen. Wir haben es die vergangenen Tage so oft besprochen. Du weißt wie die Fragen aussehen und du bist vorbereitet. Er wird dich nicht mit irgendwelchen unerwarteten Dingen überraschen. Das wird schon, du kannst das." Seine Stimme war liebevoll, weich und mehr als nur einfühlsam.
Doch ich konnte es gerade einfach nicht hören. Wie konnte er so entspannt bleiben? Wie?
"Ich kann das nicht. Ich schaffe das nicht Louis. Können wir nicht noch etwas warten? Bitte." Mein Hals schmerzte und mein Mund wurde immer trockener.
"Tut mir leid, aber heute ist deine letzte Chance Harry. Wir müssen damit ja irgendwann mal anfangen und heute ist dieses Tag. Aber ich bin doch hier. Gemeinsam schaffen wir das." Er lächelte mich an und mit seinem Daumen strich er mir über die Wange, welches ein angenehmes Kribbeln verursachte.
Als ich ihn das letzte Mal geküsst hatte, war es auch ein Kribbeln, welches sich in meinem Körper ausgebreitet hatte. Und es war nicht dieses negative Kribbeln, welches einen Anfall ankündigte. Es war viel angenehmer.
Tief atmete ich durch, stand langsam auf und schaute zu Louis, welcher es mir gleichtat. "Louis, versprichst du mir etwas?" Er schaute mich gespannt an und nickte langsam. "Bleibst du bei mir? Auch wenn das alles vorbei ist? Auch wenn ich hierbleiben sollte und nicht raus darf?"
Louis wurde blass und seine Augen zuckten nervös hin und her. Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinem Körperinneren aus und verstärkte sich mit jeder Sekunde in der Louis nichts sagte. "Louis?"
"Ich-" Er unterbrach sich selbst und schüttelte leicht mit dem Kopf und fuhr sich durch die Haare. Schlagartig riss ich meine Augen auf und wurde wütend. Mehr als das. Zorn breitete sich aus und hasserfüllt schaute ich ihn an.
"Du lässt mich alleine, stimmt's? Du verlässt mich."
"Nein. Ich verlasse dich nicht." Louis schüttelte schnell seinen Kopf und ging plötzlich etwas auf Abstand. "Ich werde nur kündigen."
"Was?" Ich schubste ihn noch weiter von mir weg und sah ihn verständnislos an. "Wie bitte?"
"N-Nach der Verhandlung. Ich werde nach der Verhandlung kündigen. Hier kann ich einfach nicht mehr arbeiten. Der einzige Grund, der mich hier noch arbeiten lässt, bist du. Hier ist keiner der mit Anstand oder Respekt arbeitet. Die meisten werden hier sogar von den Insassen bezahlt. Wo auch immer die das ganze Geld hernehmen."
"Du gehst weg? Du lässt mich alleine?"
"Harry, ich werde ohne dich nirgendwo hingehen. Du wirst die Gerichtsverhandlungen gewinnen. Du wirst hier rauskommen. Und ich werde da sein. Das habe ich versprochen. Weißt du das noch?"
Meine Wut schwand umso mehr je länger ich in Louis blaue Augen schaute. Langsam nickte ich und biss mir auf die Unterlippe. "Kannst du dich erinnern?" Erneut nickte ich und schaute Louis an. "Ja, du hast mir versprochen, dass du mich nie alleine lassen wirst. Und dann-" ich brach ab und schaute auf den Boden. "Und dann?" Louis Stimme war nur ein Flüstern und es breitete sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus. "Und dann hast du mich geküsst", murmelte ich leise und erinnerte mich an das was gestern Mittag passiert war.
"Genau und was habe ich dir dann noch gesagt?"
"Du hast gesagt, dass ich keine Angst haben brauche, dass du da bist, um mich aufzufangen." Ich schaute wieder hoch zu Louis und blickte geradewegs in seine blauen Augen. Es war ein wirklich schönes Blau, um nicht in ihnen zu versinken blinzelte ich mehrmals und schaute wieder schnell weg.
Ich spüre Louis Wärme, da er näherkam und meine Hand in seine nahm. "Ganz genau. Ich werde dich auffangen. Immer. Egal wann. Und ich verlasse dich nicht. Ich weiß, dass du nicht davon überzeugt bist, aber du wirst gewinnen."
Zwar glaubte ich ihm noch nicht komplett, aber ich versuchte es und deswegen stimmte ich dem mit einem Nicken zu.
Louis Lächeln hob meine Stimmung wieder und lächelnd schaute ich zu ihm hinunter.
"Lass uns dann zu Herrn Walker gehen. Dann hast du den ersten großen Schritt geschafft."
Auch wenn ich mich innerlich sträubte und jeder Schritt zu seinem Büro mehr als nur ein bisschen Überwindung kostete, schaffte ich es.
Nun saß ich neben Louis auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch des Gefängnisleiters. Diesmal waren wir in seinem Büro und nicht in einer der Räume, die eigentlich für solche Situationen vorgesehen waren.
"Nun Herr Styles, es freut mich, dass sie es doch endlich geschafft haben. Ich fange auch direkt an, damit sie sich nicht noch dagegen entscheiden und das Weite suchen."
Zurückzuhaltend nickte ich und schaute kurz zu Louis, welcher mir nur ein kleines Lächeln schenkte.
"Nun gut, was ist damals mit Charlotte Tomlinson passiert?"
Ich zuckte leicht zusammen und atmete tief durch. Mit geschlossenen Augen erzählte ich von der Nacht.
Allerdings ließ ich ein paar Dinge aus, schließlich wusste Louis auch noch nicht wirklich etwas davon und dabei wollte ich es vorerst belassen. Irgendwann würde ich es ihm erzählen.
Aber auch erst irgendwann.
Louis legte während meiner Erzählung kurz seine Hand auf mein Knie und es beruhigte mich tatsächlich etwas. Es war komisch, sonst regte es mich eher auf, doch seine Berührungen waren einfach anders.
"Okay, der Mord an Charlotte ist einer der größten Mysterien in dieser Akte. Nun komm ich zu den hier geschilderten Vergewaltigungen." Ich wusste, dass so etwas in der Akte stand, aber darüber zu sprechen war nochmal etwas anderes. Auch wenn Louis das Thema kurz angeschnitten hatte, konnte ich mich nicht damit abfinden, dass so etwas über mich gesagt wurde.
"Herr Styles? Sie müssen mir schon antworten."
Ich nickte leicht und schaute kurz zu Louis. Fest bis ich mir auf meine Lippe und schüttelte meinen Kopf. "Ich habe das nicht getan, dass könnte ich nie. Niemals."
Als ich nach vorne schaute sah ich wie der ältere Mann seine Augen leicht zusammenkniff und mich prüfend ansah. "Und warum nicht?"
Entsetzt schaute ich ihn an. "Wie bitte?"
Allerdings nickte er nur und notierte sich wieder etwas auf seinem Block. Etwas perplex sah ich ihn an und schüttelte langsam meinen Kopf und strich mir durch die Haare. "Ich hätte noch ein paar Fragen zu kleinen Einzelheiten hier in der Akte. Helfen sie mir bitte die Fehler zu finden. Stimmt es das Desmond Styles und Anne Styles ihre biologischen Eltern sind?" Ich nickte langsam und versuchte nicht an meinen Vater zu denken. Dadurch dachte ich allerdings nur noch mehr an ihn.
Leicht zitternd atmete ich tief durch und schloss immer wieder meine Augen. Schon lange hatte ich nicht mehr an ihn gedacht. Der Traum letztens war das letzte Mal. Ich vermisste ihn. So wie meine Mutter. Selbst Gemma vermisste ich, doch er war Tod, sie interessierte sich nicht für mich und Gemma? Sie empfand mir gegenüber nur noch puren Hass.
Herr Walker setzte mit seinen Fragen fort, doch wirklich wichtiges war es meiner Meinung nach nicht. Er machte sich immer wieder Notizen oder eine kleine Pause, in der er nachdachte.
Müde schaute ich ihn an und spannte mich an. Ich wollte nicht mehr. Mir wurde es so langsam zu viel. Es waren schon so viele Fragen, welche mein früheres Leben, meine Eltern oder auch meinen Stiefvater angingen. Über ihn wollte ich gewiss nicht reden, doch als er nach seinem Namen fragte musste ich wohl oder übel antworten. Auch sein Aussehen musste ich beschreiben und das fiel mir gewiss nicht leicht. Allein wenn ich an sein Gesicht dachte wurde mir schlecht und der Hass auf ihn stieg ins Unermessliche. Zitternd krallte ich mich an meinen Oberschenkeln fest und genoss den Schmerz. Dadurch war mir bewusst, dass ich noch ich war. Und nicht wieder zu einem der Monstern in mir wurde.
Als Herr Walker sich räusperte zuckte ich unweigerlich zusammen und schaute ihn verschreckt an. "Eine letzte Frage hätte ich allerdings noch."
"Haben Sie beide etwas miteinander?"
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2017 Wörter 04/09/2020
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