Kapitel 52 - Die verlorene Haarsträhne
N/A: Vielen für gestrige Kommentare und Abstimmungen :) LillyMller0, Jevan2020, LeMa0401, Blacky0809, mimikannshalt, RastlosesHerz, KitaoLaufeysdottir.
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Ein ungleichmäßiges Geräusch weckte mich. Ich rieb mir über die Augen. Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Ich quälte mich aus dem Bett und öffnete das Fenster. Harivald stand im Garten und hieb mit einer Axt auf Holzscheite ein. Es sah beschwerlich aus. Er mühte sich redlich ab, die Axt immer wieder anzuheben. Ich zog nur Hemd und Hosen an, und zwängte mich in die Stiefel.
Gähnend durchquerte ich das Haus und war überrascht, wie viel Leben bereits herrschte. Rie rannte an mir vorbei, Friederk versuchte sie zu fangen.
»Bleib stehen, du Schlange.« Er bremste ab und verbeugte sich hastig. »Guten Morgen, Hoheit.« Dann setzte er seine Verfolgung fort.
Aus der Küche hörte ich das Klirren von Geschirr. Ich warf einen Blick hinein. »Guten Morgen.« Limiteti, Anmol und Ansa sahen überrascht zu mir.
»Guten Morgen, Hoheit. Verzeiht, haben die Kinder Euch geweckt? Ich werde sie morgen besser beaufsichtigen.«
»Keine Sorge. Die Kinder haben nichts damit zu tun. Ihr seid schon sehr fleißig.«
Anmol lächelte. »Es muss viel getan werden, damit das Frühmahl rechtzeitig aufgetischt werden kann.«
Der Tagesablauf des Gesindes war mir bisher nie bewusst gewesen. Als ich weiter nach draußen gehen wollte, fuhr mir plötzlich etwas wie ein Blitz in den Kopf. Ich musste mich an der Wand festhalten, um nicht zu stürzen. Mir schwindelte. Ich schloss die Augen und schnappte nach Luft.
War das Lokis Stimme in meinem Kopf gewesen? Seine Stimme, die meinen Namen rief? Konnte es sein? Ich erinnerte an den Kampf mit dem Eisriesen, als Loki auch dort seine Gedanken an mich sandte. Verbissen versuchte ich mehr von ihm zu hören. Nichts. Vielleicht nur die große Sehnsucht nach ihm? Der Schwindel war fort. Seufzend trat ich nach draußen.
»Harivald, halte ein.« Er ließ die Axt sinken und starrte mich überrascht an.
»Mein Prinz, es ist früh.«
»Das mag sein.« Ich sah zum immer noch dämmrigen Himmel und hielt die Hand deutend zu der Axt hin.
»Das ist keine Aufgabe, die Eurer Hoheit gebührt.«
»Ach nein?« Ich nahm ihm die Axt einfach ab. »Trete einen Schritt zurück.« Es war leicht für mich, das Holz zu spalten. Harivald wischte sich über die Stirn. »Sag mir rechtzeitig Bescheid, wenn Holz benötigt wird. So lange ich hier bin, werde ich alle Arbeiten übernehmen, die körperlich anstrengend sind.« Ein kurzer Seitenblick zu Harivald zeigte mir den Protest, der auf seinen Lippen lag, sich aber hütete meinem Wunsch zu widersprechen. Aus dem Zimmer von Merida erklang ein leiser Schrei. Ich hielt inne und sah hinauf.
»Keine Sorge, es ist nicht Prinz Loan. Das ist Zachy, mein Prinz.«
Ich nickte und fuhr mit meiner Arbeit fort. Harivald stapelte die Scheite in einen Tragekorb. Das Schreien schien lauter zu werden, erst zornig, dann verzweifelt. So hörte ich es bisher nur einmal, als Merida Zachy im Wald nicht stillen konnte. »Was ist mit ihm? Ist er krank?«
Harivald schwieg, zögerte. Seine Stimme war leise. »Nein, mein Prinz.«
»Warum schreit er dann so?«
»Die ganze Aufregung... Meridas Milchfluss ist gering geworden.«
Ich unterbrach die Arbeit erneut und runzelte die Stirn. »Aber Loan... ihn habe ich nicht schreien hören.« Harivalds Gesicht reichte aus, um mir die ganze Wahrheit zu offenbaren und sie schockierte mich zutiefst.
»Sorgt Euch nicht, mein Prinz. Loan wird es an nichts fehlen.«
Harivald und Merida würden ihr eigenes Kind sterben lassen, damit der Thronfolger überleben konnte. Es war nicht selten, dass der Milchfluss durch Krankheit, oder schwere Zeiten bei Frauen ausblieb. In den Heilkammern Asgards gab es dafür Tränke. Aber wenn ich nach Asgard ritt, würden mich die Schergen des falschen Odins erhaschen. Andererseits würde ich nicht sehenden Auges den Tod von Harivalds Sohn verantworten. Dann kam mir die Lösung in den Sinn.
»Lass Sikko ein Pferd für mich satteln und sag Merida, dass sie Zachy und Loan gleich viel Milch geben soll. Ich werde einen Stärkungstrank beschaffen.«
»Aber mein Prinz, wenn Ihr nach Asgard zurückkehrt, wird man Eurer habhaft werden. Das kann ich nicht zulassen!«
Überrascht sah ich zu Harivald, der sich meinem direkten Befehl widersetzte, weil er sich um mein Leben sorgte. »Den Trank weiß ich hier im Wald zu finden. Alles wird gut.«
***
>Sie mag keine Asen. Sie wird dir nicht vertrauen.< Lokis Worte klangen deutlich in meinem Ohr. Zunächst nahm ich einen falschen Abzweig. Seltsam gebogene Stämme von riesigen mir unbekannten Bäumen ließen kaum noch Licht auf den Weg fallen. Ein wahrlich unheimlicher Ort. Es waren keine Vögel zu hören. Als wäre hier nichts Lebendiges anzutreffen. Ein heiseres Kreischen, das ich keinem Tier zuordnen konnte, hallte im Wald wider.
Schnell machte ich kehrt und fand bald den Fluss wieder, der an Irmingards Haus vorbeiführte.
Da war es. Moosbewachsen, auf den ersten Blick kaum zu erkennen, wie die verwunschene Behausung eines Gnoms. Ich stieg vom Pferd ab und behielt Osara an den Zügeln.
Wie sie wohl aussah? Noch konnte ich die Zwergin nicht entdecken. »Irmingard?« Osara scheute plötzlich. Der Boden war mit Schlangen übersäht. Die Stute tänzelte schnaubend. Ich führte sie zu einem Baum und band sie mit einem Strick fest. Wo kamen all die Schlangen her? Als ich zurückkam, sah ich keine einzige mehr. »Irmingard, ich brauche deine Hilfe!«
Das tiefe Grollen eines gewaltigen Bilgenschweins dröhnte an mein Ohr. Ich riss mein Schwert aus der Scheide und war bereit, es mit dem Biest aufzunehmen. Er brach durch die Bäume und war riesig. Mehr als zwei Kopf größer als ich, mit langen spitzen Hauern und Hörnern. Knurrend ließ es sich auf mich fallen. Ich hechtete zur Seite, stieß mit den Schultern gegen einen Baum, hob das Schwert und stürmte voran. Weglaufen nutzte nichts. Diese Bestien musste man direkt töten. Ich stieß mit der Klinge von unten in die Kehle. Da verschwand es in einer violetten Wolke. Nur ein Trugbild!
»Irmingard, erinnerst du dich an Loki? Den Eisriesen? Wir sind miteinander verbunden. Sieh mich an! Ich trage seine Magie in mir.«
Etwas knurrte hinter mir, tiefer und mächtiger, als ich es je vorher vernahm. Wie viele Trugbilder wollte Irmingard mir noch schicken? Genervt drehte ich mich um und blickte in die bernsteinfarbenen Augen eines Sumpfwolfes. Er war größer als Osara. Sein Fell trug die Farbe von Schlamm. Es konnte nicht sein. Der letzte Sumpfwolf war vor mehr als 1000 Jahren gefallen. Wenn die Zwergin mich weiter mit Schein beeindrucken wollte, musste sie kreativer werden. Ich tippte den Wolf mit der Spitze des Schwertes an, damit sich das Bild auflöste. Doch das tat es nicht. Ich starrte das Tier erschrocken an und hob das Schwert.
»Wenn du Torak nur ein Haar krümmst, wirst du an deinem eigenen Blute ersticken, Ase!«
Irmingard! Sie sah so gar nicht aus, wie in den Märchenbüchern der Kinder. Statt der lange roten, wirr vom Kopf stehenden Haare, trug sie ihr weißes Haar in zwei dicken Zöpfen. Auch besaß sie zwei gesunde Augen, die blau und nicht rot waren. Hörner konnte ich ebenso keine entdecken. Sie war fast so breit, wie sie klein war und trug ein Kleid mit blauer Schürze. Auf den ersten Blick wirkte sie gar nicht furchterregend. »Dann ruf deinen Sumpfwolf zurück.« Ich behielt ihn im Auge. Aus seinem Maul troff zähflüssiger Schleim und sein tiefes Knurren hallte durch den Wald.
»Verschwinde, Ase! Du bist hier nicht willkommen.«
»Ich will dir ein Geschäft vorschlagen.«
»Mit Asen mache ich keine Geschäfte.«
Sie hob ihre Hände an. Plötzlich schoss ein violetter Blitz scharf an meinem Kopf vorbei. Ich sprang zur Seite, drückte mich gegen einen Baum. Im nächsten Augenblick war der Kopf von Torak so dicht an meinem, dass sein heißer Atem mein Haar wehen ließ und der stinkende Schleim auf meine Füße tropfte.
»Torak!«
Der Sumpfwolf schien auf die Nidalerin zu hören, denn zurück blieb nur sein Gestank. Stille.
»Gute Frau, so hör mich doch an. Ich brauche einen Trank von dir, zur Stärkung einer Stillenden.« Ich trat einen Schritt neben den Baum. Ihr nächster Blitz streifte meine Schulter, zerriss mein Hemd und die Haut. Ein stark brennendes Gefühl breitete sich aus. Ich keuchte vor Schmerz und brauchte einen Moment, bis ich wieder sprechen konnte. »Ich... habe Gold..., so viel du... willst.« Plötzlich stand sie vor mir.
»Gold? Du Narr!«
Diesmal konnte ich nicht rechtzeitig ausweichen. Ihr Energiestrahl traf mich an der rechten Wange und fuhr über den Hals bis zu meiner Hüfte. Ich schrie auf, als ein zerstörender Schmerz sich seinen Weg bahnte und all meine Sinne überschwemmte. Mein Haar stand plötzlich in Flammen. Ich warf mich auf den Boden, riss die Arme hoch, wälzte mich herum, um die Flammen zu ersticken.
»Verschwinde! Und lass dich hier nie wieder sehen! Das war nur eine Warnung. Nächstes Mal kommst du nicht so glimpflich davon!«
Glimpflich? Der Schmerz breitete sich aus, als wäre Gift in ihrer Magie gewesen. Ich rappelte mich auf, strauchelte, fiel auf den Boden, blickte zurück. Sie sah mir lachend hinterher. Der Schmerz drückte mich nieder. Ein Feuer in meinem Körper, das sich nicht löschen ließ. Es stank nach verbrannten Haaren. Von meinem Kopf stieg Rauch.
Osara hob den Kopf und schnaubte, als ich wieder bei ihr ankam. Ich versuchte mich in den Sattel zu wuchten, aber der Schmerz hielt mich noch immer in seinem Bann. Ich biss die Zähne zusammen stemmte den Fuß in den Steigbügel und zog mich mühevoll am Knauf nach oben. Erschöpft ließ ich mich über den Sattel fallen, konnte mich nicht mehr aufrichten. »Los Osara!« Mir schwanden die Sinne.
***
»Königliche Hoheit!«
Etwas rüttelte an mir, dann spürte ich, wie man mich vom Sattel herunterzog.
»Geht... schon.« Ich befreite mich von Harivald und Jotan, wankte und fiel auf die Knie. Diese Hexe! Was hatte sie mir angetan?
»Los! Helft mir, ihn ins Haus zu schaffen.«
Wieder wurde mir schwarz vor Augen.
***
Als ich aufwachte, lag ich auf meiner Bettstatt. Harivald betupfte mir mit einem Tuch die Stirn. Ich wollte hochfahren und spürte seine Hand an meiner Brust.
»Bleibt ruhig, mein Prinz. Ihr wurdet schwer verletzt.«
»Nur ein kleiner Energiestrahl.« Meine Stimme klang hohl. Ich räusperte mich und tastete nach meiner Wange. Blätter?
»Die Heilkraft der Pflanzen reicht nicht aus. Die Wunde verschließt sich nicht. Ihr müsst in die Seelenschmiede.«
Ich lachte heiser auf. »Du weißt, dass dies unmöglich ist.« Ich tastete nach meinem Haar. »Sieht es schlimm aus?«
»Wir mussten es abschneiden, mein Prinz.«
Meine Haare? Panisch suchte ich nach meiner Haarsträhne. Sie war fort. Der Schmerz, den dieser Verlust mir bescherte, war stärker, als die Schmerzen von Irmingards Fluch. Alles was mir von Loki geblieben war. Ich schluckte hart. Es waren nur Haare.
Meine Mission war gescheitert und Merida würde weiterhin nicht genügend Milch für beide Säuglinge hervorbringen können. Ich wusste, dass sie, trotz meiner Weisung, Loan angemessen versorgen würde, auch wenn das der Tod ihres eigenen Kindes bedeutete. Es blieb nur erneut mit Irmingard zu reden, oder heimlich die Heilkammern in Asgard aufzusuchen. Ich schob Harivalds Hand von mir weg und wuchtete meine Beine aus der Bettstatt.
»Jotan!! Bitte bleibt liegen, mein Prinz. Ihr fiebert. Wo wollt Ihr hin?«
»Diese Hexe! Sie muss mir den Trank geben.« Schwankend kam ich auf die Beine. »Macht ein Pferd bereit.« Meine Stimme klang seltsam dumpf und so unverständlich, als wäre ich dem Met sehr zugetan gewesen. Jotan stürmte ins Zimmer und bevor ich vornüberkippen konnte, drückten mich beide Männer zurück aufs Bett.
»Vater! Vater!« Ansa rannte ins Gemach.
Jotan fuhr hoch. »Ansa! Wer hat dir erlaubt das Gemach des Prinzen...«
Ansa machte einen Schritt zurück, redete aber aufgeregt weiter. »Limiteti. Sie hat Sikko Osara entrissen, bevor er ihren Sattel entfernen konnte und ist vom Grundstück geritten.«
»Was? Das darf sie nicht!« Erneut wollte ich hochfahren, doch erstaunlicherweise reichte die Kraft von Harivald aus, um mich auf dem Bett zu halten. »Das Schwert... hat sie Aleski...?«
Jotan schluckte und sein Gesicht zeigte Furcht. »Hel sei ihrer Seele gnädig.«
»Ja, sie nahm das Schwert mit.«
»Sie wird nach Asgard reiten, um einen Trank zu besorgen«, mutmaßte Harivald.
Jotans Frau Anmol tauchte an der offenen Tür auf. »Nein, das denke ich nicht. Sie hörte, wie Merida und ich uns über Eselsmilch unterhielten und wie schade es wäre, dass wir keinen Esel hätten.«
»Wieso Eselsmilch?« wollte Jotan wissen.
»Eselsmilch ist die beste Ersatzmilch für Säuglinge, wenn Ammen nicht genügend Milch haben.«
»Aber woher soll sie einen Esel nehmen? Noch dazu muss es eine säugende Stute sein.«
Ich lächelte schwach. »Limiteti ist nicht nur eine gute Kämpferin, sie ist auch noch mutig und klug. Trotzdem wirst du ihr hoffentlich eine Rüge erteilen, Jotan, wenn sie mit der Eselstute zurück kommt.«
»Das werde ich Hoheit.«
Und ich wusste, dass Limiteti es schaffen würde. Wie gerne hätte ich jetzt erneut Lokis Stimme in meinem Kopf gehabt. Meine Augenlider wurden so schwer, dass ich sie nicht mehr offen halten konnte. Loki, wo bist du?
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