Kapitel 23 - Monster
Morgendämmerung. Die schönste Zeit des Tages. Im Palast herrschte nur wenig Treiben. Alles wirkte ruhig und friedlich. Wenn ich nach den Auren tastete, kamen sie mir sanft und schwebend vor. Selbst Thors Aura - obwohl er schnarchte, als gelte es damit einen Krieg zu gewinnen. Ich rückte etwas näher an seinen Rücken und spielte mit seinem Haar.
Mit zusammengepressten Lippen dachte ich an den gestrigen Abend. Thors überschwänglicher Optimismus, nach der Verkündigung, erdrückte mich fast. War es nicht naiv anzunehmen, dass ein paar Worte des Allvaters ausreichten, um alles zu bereinigen? Was man den Asen Jahrtausende lang über Frostriesen lehrte, würde nicht so einfach aus den Köpfen zu tilgen sein. Bereits gestern Abend waren auf der Feier die Anfeindungen deutlich zu spüren gewesen. Das Schlimmste war, dass ich es verstand. Nichts hasste ich mehr, als den Frostriesen in mir. So viele Jahrzehnte war ich Ase gewesen. Zwar unterschied ich mich etwas von den ursprünglichen Asen, aber... es half nichts. Ich war von Geburt an ein Eisriese, ein Monster, und würde es für immer bleiben. Angelogen und betrogen von Odin, dem Allvater.
Etwas zog an meinen Haaren. Ich brummte, packte nach Lokis Hand, drehte mich und küsste ihn flüchtig. »Es scheint noch früh zu sein.«
»Du bist ein Achtschläfer. Wie sieht dein Tagesplan aus?«
»Ich weiß es nicht. Jotan wird es mir mitteilen.«
»Ohne Jotan wärst du hoffnungsvoll verloren. Ich bin heute Morgen mit Mutter verabredet.«
Lächelnd streichelte ich über sein Haar. »Sprecht ihr bereits über das Zimmer für Kuno?«
»Kuno? Nie und nimmer.«
»Kuno ist ein starker Kriegername.«
»Wir wissen nicht, was es wird. Es kann auch ein Mädchen werden.«
»Dann eben Kirima. Kleiner Berg.«
»Kleiner Berg! Du bist genauso schlimm, wie Laufey, der mich laues Lüftchen nannte.«
Strafend zwickte ich Loki leicht in die Seite.
»Da brauchst du mich nicht zu zwicken. Außerdem darfst du das nicht mehr.«
Ich lachte. Meine Stimme klang rau. Nachwirkungen von der Avengers-Lustbarkeit. »Ich wäre gerne dabei gewesen, als du Mutter die frohe Botschaft verkündet hast. War sie sehr angetan?«
»Ja, sie hat sich sehr gefreut.« Ich schluckte meine Sorge hinunter und zeigte Thor ein fröhliches Gesicht.
»Sif und die anderen drei werde ich anweisen, dich ab sofort auf Schritt und Tritt zu begleiten.« Obwohl ich versuchte Lebensmut zu versprühen war mir sehr wohl bewusst, dass viele die neue Situation nicht bejahten.
»Muss das sein? Gleich die drei Narren mit einzubeziehen? Sif reicht völlig aus.«
»Warum reagierst du immer noch so abweisend auf meine Schildgefährten? Sie scheinen dich akzeptiert zu haben. Seit ich aus Svartalfheim zurück kam, haben sie kein einziges schlechtes Wort gegen dich verwendet.«
Was nicht verwunderlich war. Fandral und Volstagg wollten nicht kastriert werden und Hogun war schon immer vernünftiger gewesen. »Du würdest Sif im schlechten Licht dastehen lassen, wenn du ihr nicht zutrautest, sie könne das alleine bewältigen.«
»Daran habe ich gar nicht gedacht. Sie ist sehr empfindlich, in solchen Angelegenheiten.«
Thor war so leicht zu lenken. Ich lächelte zufrieden. In diesem Moment flog etwas Dunkles durch das Fenster und landete auf einem Beistelltisch, der krachend zerbarst. Wir sprangen fast gleichzeitig aus dem Bett. Mit einer Feuerkugel in der Hand beäugte ich das Objekt.
»Der Kopf eines Bilgenschweines.«
Thors Gesicht verzog sich wütend. Er hob die Hand. Mjölnir rauschte heran. Während er zum Fenster rannte, schnipste ich Kleidung über seinen nackten Körper.
Noch im Laufen ließ ich Mjölnir kreiseln, schätzte die Richtung ab und flog aus dem Fenster.
Schnell zauberte ich mir Kleidung auf den Leib und trat an die Ausgangstür. »Wachen, bitte helft mir. Entfernt diesen Kopf.«
***
»Ein Eisriese auf dem Thron? Niemals! Ich kämpfe dagegen. Für Asgard! Für...«
Noch fester drückte ich meine Hand um den Nacken des Kriegers, der sich wild gebärdete, und schob ihn barsch vor mir her. »Schweig!«
Er röchelte und bekam keinen Ton mehr heraus. Männer der Palastwache liefen mir entgegen. Ich stieß den Kerl von mir, in die Arme der Wächter. »Bringt ihn in den Thronsaal, damit der Allvater ihn richten kann.«
»Lasst mich los! Seid ihr blind? Ein Monster wird der Gefährte des Thronfolgers! Ein Monster wird ihm einflüstern, wie unser Land zu regieren ist.«
Wütend stieß ich die Palastwachen von dem Narr weg, riss ihn am Leinenhemd nahe an mein Gesicht. »Nenn ihn nie wieder Monster!« Mit einem heftigen Hieb schlug ich ihm in den Bauch, sein Hemd zerriss, er fiel auf den Rücken. Nun zerrte ich ihn an den Haaren zu mir hoch.
»Thor! Thor!« Seine Schlaghand hielt inne. »Halt ein! Er ist noch nicht verurteilt.«
Ich knurrte unwillig, wollte meine Wut an ihm abreagieren, ihm das Gesicht zerschmettern. Immer noch voller Zorn presste ich die Luft zwischen den Zähnen heraus und drückte ihn gegen einen der Wächter.
Auf keinen Fall wollte ich, dass hier ein Märtyrer erschaffen wurde. Sif und ich folgten dem Trupp, die mit strammem Schritt zum Thronsaal liefen.
***
»Vater, hier bringe ich dir den Frevler, der den Kopf des Bilgenschweins in das Gemach schleuderte.«
»Frevler? Wer von uns ist der Frevler? Der Thronfolger teilt mit einem Eisriesen seine Bettstatt und hält Beischlaf mit ihm!« Der Mann spuckte angeekelt auf den Boden.
»Du...!« Drohend hielt ich Mjölnir in die Höhe. Vater gebot mir mit einer Handbewegung Einhalt.
»Welchen Sinn bezweckte deine Tat?« donnerte Odins Stimme durch den Saal.
»Eisriesen haben in Asgard nichts verloren! Sie sind mit Bilgenschweinen gleichzusetzen.«
Ich knurrte wütend auf. Lass es mich endlich beenden, Vater! Dieser Lästerer musste sterben.
Hochmütig sah ich ihn an. »Ich hätte wenigstens ein Rind erwartet.«
»Von deren Heiligkeit kannst du nur träumen, Jotun!« Er spie erneut auf den Boden.
Odin stand von seinem Thron auf. »Schweig, Gefangener! Ich habe alles gehört. Deine schändliche Tat, war ein Angriff auf das Königshaus, deine Worte sind mit Hochverrat gleichzusetzen. Dafür gibt es nur eine Strafe. Du wirst mit deinem Leben bezahlen und verlierst den Kopf, in dem diese gemeine Tat erdacht wurde.«
Vater schlug zur Bekräftigung seines Urteils mit Gungnir auf den Boden. Als er mir zunickte, riss ich einem der Wächter das Schwert aus der Scheide, packte es mit beiden Händen. Die Wächter stoben auseinander, der Verurteilte stand alleine da und starrte mich erschrocken an. Mit einer geschmeidigen Bewegung schnellte die scharfe Klinge auf seinen Hals zu.
»Stopp!« Im letzten Moment konnte ich die Klinge mit Magie daran hindern, in das Fleisch einzudringen. Ich fing Thors wütenden Blick auf, achtete nicht darauf und ging vor Odin auf die Knie. »Darf ich sprechen, Allvater?«
»Sind meine Urteile hohle Worte für dich?«
»Eure Urteile treffen mich jederzeit bis ins Mark, Allvater. Doch dieses Mal sind Thor und ich die Betroffenen und die Strafe für den Bastard, ist viel zu gering.«
»Was schlägst du also vor?«
»Lasst ihn am Leben und öffentlich auspeitschen, damit die Frevler erkennen, dass Ihr zu Eurem Wort steht.« Odins Blick glitt zu Thor, der zwischenzeitlich das Schwert hatte sinken lassen.
Meine Hand umklammerte immer noch fest den Griff des Schwertes. So sehr, dass es schmerzte. Heiß loderte der Wunsch nach Vergeltung in mir und nur der Tod des Frevlers würde meinen Durst nach Rache stillen. Aber ich spürte, dass gerade etwas Entscheidendes passierte. Dass es wichtig war, meinem Wunsch zu Töten nicht nachzugeben und der Vernunft von Lokis Worten zu vertrauen. »Ich stimme Lokis Vorschlag zu. Ihn jetzt und hier seines Kopfes zu entledigen wird nicht so sehr die Reue in zukünftigen Frevlern wecken, wie eine öffentliche Auspeitschung.«
»Weise Worte, mein Sohn. So lautet mein Urteil: noch heute, vor der Abendgesellschaft, wird der Gefangene auf dem Platz der Sühne zehn Peitschenhiebe empfangen.«
»Habt Dank, Allvater.« Ich stand auf, deutete eine Verbeugung an und verließ mit Sif den Thronsaal.
***
Zu dritt liefen wir nebeneinander her. »Du hast ihm das Leben gerettet. Zwei Mal. Verdient hat er es wahrlich nicht.«
»Odin und du, ihr seid beide Hitzköpfe. Ihr hättet einen Märtyrer erschaffen. Sein Tod hätte uns mehr geschadet, als genützt.« Plötzlich blieb ich stehen und wandte mich um. Fast wäre Thor in mich hineingerannt. Liebreizend fuhr ich ihm mit dem Handrücken über die Wange. »Wie hinreißend Ihr in Eurem Zorn aussaht, Gott des Donners.« Sif schlug sich die Hände vors Gesicht und drehte sich grinsend von uns weg.
»Sag mir lieber, wie ich mich jetzt abreagieren soll?«
»Nun, mir fielen da einige Dinge ein.« Ich benetzte meine Lippen mit der Zunge. Hüftschwingend drehte ich mich um. »Aber leider bin ich jetzt verabredet. Ich bin sicher, Lady Sif wird in der Arena Euer Mütchen schnell kühlen.«
Sif lachte. »Sehr gerne, mein Prinz.«
***
»Loki, ich habe gehört, was passiert ist.« Frigga fasste nach seinen Händen. »Jetzt erfüllst du mich mit Stolz.«
»Falscher Stolz, Mutter. Es war reiner Eigennutz.«
Frigga lächelte wissend. »Wie fühlst du dich?«
»Ich höre die Herzschläge immer noch und ich spüre es bereits in mir. Es wächst so schnell. Ich habe wirklich Angst.« Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Mutter legte ihren Arm um mich.
»Lass uns zur Seelenschmiede gehen.«
»Und wenn ich keine Gewissheit haben mag? Wenn ich mir die Hoffnung nicht zerstören lassen will?« Ich schluchzte auf. »Bitte sag mir, dass es noch Hoffnung gibt.«
»Es gibt immer Hoffnung, Loki.«
Sie strich mir sanft über die Wange. Ich erzitterte.
»Je früher wir Gewissheit haben, desto eher können wir einen Weg finden.«
»Dann lass uns gehen.«
***
Aufgewühlt lag ich in der Seelenschmiede, über mir ein Abbild meines Inneren. Unleugbar. Mein Kind. Es war unleugbar mein Kind. Bereits zu groß für sein Alter und doch zu klein. Trotz der Übertragungsstörungen konnte ich die dicken Zeichnungen erkennen, welche im Verlauf des Wachstums dünner werden würden.
»Es wird früher auf die Welt kommen müssen.«
»Es wird mich bei der Geburt töten.«
»Wir haben hier nur die asischen Bücher und wie du weißt, ist vieles Dichtung in ihnen. Ich werde Heiler in Jotunheim finden, die uns unterstützen.«
»Das geht nicht! Wir haben keinerlei Kontakte nach Jotunheim. Ich habe Laufey getötet. Wer sollte mir helfen?«
»Ich werde meinem Sohn nicht beim Sterben zusehen. Dann werden wir Kontakte aufbauen. Sorge dich nicht. Wir werden einen Weg finden. Du solltest deine Magie ab sofort einschränken.«
Ich nickte.
»Loki, du musst es Thor mitteilen.«
»Ich weiß. Und wenn er mich verstößt?« Meine Mutter schüttelte lächelnd wissend mit dem Kopf.
»Das wird er nicht tun.«
»Ich sage es ihm. Ich werde es nicht mehr lange verstecken können.«
***
Als wir die Seelenschmiede verließen kamen uns mehrere Schwadronen Palastwachen entdecken. Frigga hielt sie auf.
»Sagt, was ist geschehen?«
»Zwei Boten aus Jotunheim, baten um Audienz beim König.«
»Was?« Was wollten diese Bestien hier? Frigga nickte den Wachen zu, die weiter eilten. Sie versuchte mich zuversichtlich anzulächeln, aber es gelang ihr nicht wirklich. »Was wollen diese Boten in Asgard?«
»Wir werden es bald erfahren.«
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