Loki und Harivald - Erste Begegnung
Der königliche Gardist öffnete mir die Tür. Allerdings trat ich nicht ein sondern blieb auf der Schwelle stehen, um meine Zeitnot aufzuzeigen. »Mutter – du wolltest mich sprechen?«
Sie sah von einer ihrer Handarbeiten auf und legte diese achtlos zur Seite, als sie meiner gewahr wurde. »Das will ich – komm nur ganz herein und nimm Platz. Ich fürchte, das Gespräch wird einige Zeit in Anspruch nehmen – auch wenn dir dies nicht recht ist.«
Ich unterdrückte ein Seufzen. So war es dann nichts zwischen Tür und Angel zu stehen und ein Abwinken zu erhoffen. Ich straffte mich und trat ein, der auffordernden Geste folgend, während ich den bisherigen Tagesablauf im Geiste durchging, war ich mir doch keiner Schuld bewusst.
Ich setzte mich und wartete. Mutter stand auf, um ihre Handarbeiten zu verstauen. Sie ließ sich Zeit dabei. Zeit, die mir fehlte. Ich begann unruhig meine Hände zu kneten. Endlich, endlich gewahrte sie wieder meine Anwesenheit.
»Du wirkst sehr ruhelos, Loki.«
»Ich habe derzeit viel zu erledigen, Mutter.« Mit größter Mühe zwang ich meine Hände zur Ruhe.
»Würdest du nicht einen Kammerdiener nach dem anderen verschrecken, hättest du mehr Zeit. - Morgen stellt sich ein neuer Kammerdiener für dich vor.«
Ich öffnete den Mund zum Protest und wurde sofort unterbrochen.
»So geht es nicht weiter, mein Sohn. Vier Kammerdiener in einer Woche zu verjagen ist für einen Prinzen Asgards nicht statthaft.«
»Ja, Mutter. Ich verstehe.«
»Das hoffe ich.«
»Und ich hoffe, es ist nicht wieder ein schleimiger Stiefellecker, der sich durch den Dienst beim Prinzen Privilegien erhofft.«
»Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder. Sein Kammerdiener Jotan ist schon so lange bei ihm und es gab noch nie einen Zwischenfall.«
»Thor verweilt ja auch selten in seinen Gemächern – und wenn doch dann selten nüchtern.«
»Ist das ein Vorwurf?«
»Nein! Eine Feststellung.«
***
Am nächsten Tag saß ich gewandelt mit rotem lockigen Haar in der Gesindeküche und trank mit den anderen vom verwässerten Wein.
»Hier!« Urda knallte mir ein Holzbrett mit Käse, Brot und eingelegten Kürbis auf den Tisch. »Hab dich die letzte Woche vermisst. Wo warst du und warum siehst du so griesgrämig aus?«
»Danke.« Ich schnitt mir ein Stück Käse ab und steckte es mir in den Mund. »Hab einen Junghengst nach Vanaheim überführt – aber zurück musste ich laufen.«
»Du Armer, was machen deine Füße?«
Ich seufzte übertrieben und hob die Beine an, damit sie die Sohlen meiner Stiefel begutachten konnte.
»Ubila! Die sind ja durchgelaufen. Geh morgen früh zu Sjur, damit er sie dir neu besohlt.«
»Mach ich, danke.«
Sie nahm mir den Becher aus der Hand und füllte ihn neu auf. »Hast du schon gehört? Heute kommt wieder ein Kammerdiener für Prinz Loki.«
»Für Loki? Schon wieder?« Überrascht hob ich die Brauen und sah Urda fragend an, die mir einen finsteren Blick zuwarf.
Sie nickte. »Der Arme. Er tut mir jetzt schon leid.«
»Ach was.« Ich winkte ab und nahm einen Schluck.
»Du hast leicht reden. Wie oft bist du Prinz Loki schon begegnet? Einmal... zweimal?«
Ständig? Immer wenn ich in den Spiegel sehe... Ich zuckte mit den Schultern. »Hab es nicht gezählt.«
»Ich erzähl dir was. Morten hat alles hingeworfen, als Prinz Loki ihm den Wein, den er auf den Tisch bringen sollte in rote Blutegel verwandelte. Morten erschrak sich so sehr, dass er das Tablett von sich warf und die Gesandten von Albenheim über und über mit Wein besudelte. Er bekam großen Ärger.«
»Das klingt mir aber mehr nach Illusion als nach Verwandlung«, warf ich ein, auf einem Stück Brot kauend.
Urda strafte mich mit einem vorwurfsvollen Blick. »Das macht wohl keinen Unterschied.«
Ich wiegte den Kopf. »Doch – ich finde schon.«
»Einerlei! Skjol zum Beispiel rannte schreiend aus dem Palast, schüttelte dabei seine Hand und niemand hat ihn je wieder gesehen. Wir wissen nicht was mit ihm passiert ist.«
Ich schon. Er versuchte an meine besonderen magischen Bücher zu kommen, was ich ihm ausdrücklich untersagt hatte und geriet dabei an den Säureschutzzauber. »Das klingt nicht so gut.«
»Eben – und am gleichen Tag ging auch Are und das bevor er überhaupt seinen Dienst bei Prinz Loki antreten konnte.«
Are? »Warum das?«
»Die Gerüchte um seine Vorgänger - du weißt doch, dass Morten und Skjol nicht die ersten waren... die Gerüchte haben ihn verschreckt.«
»Dann wäre er eh nichts für Loki gewesen.« Bevor ich reagieren konnte stand Urda bei mir und zog mir am Ohr. »Auuu!«
»Wie oft muss ich dir sagen, dass du PRINZ Loki zu sagen hast, Rorik.«
»Schon gut, schon gut. Prinz Loki.« Unsere Aufmerksamkeit wurde auf die sich öffnenden Tür gelenkt. Thors Kammerdiener kam mit einem jungen Mann herein, der vielleicht gerade fünf Jahre älter war als ich.
»Das ist die Gesindeküche.« Jotan schloss die Tür hinter sich und seinem Begleiter, welcher sich neugierig umsah. Er begegnete unseren interessierten Blicken und nickte uns lächelnd zu. Jotan schob ihn weiter in unsere Richtung. »Urda, Rorik – das ist Harivald. Er wurde zum neuen Kammerdiener von Prinz Loki bestimmt.«
»Du kannst mein Ohr jetzt loslassen, Urda«, zischte ich und Urda ließ ab von mir.
»Harivald – das sind Urda und Rorik. Urda ist die gute Seele der Küchen und Rorik ist Stallbursche bei Prinz Loki. Falls du etwas über deinen neuen Herrn wissen willst, kannst du Rorik ausfragen.«
»Nein danke, Jotan. Nichts gegen dich, Rorik, aber ich möchte mir meine Meinung selbst bilden. Ich kenne die Runden der Gerüchte. Mit jedem Erzähler werden die Erlebnisse übertriebener.«
»Eine weise Entscheidung«, stimmte Jotan anerkennend zu. »Über die Prinzen wird immer geredet und das wird auch stets so sein. Urda, lass mir einen Teller für Prinz Thor zusammenstellen. Er wird nach dem Training hungrig sein.«
Urda nickte diensteifrig und winkte sofort einer Küchenmagd, der sie auftrug was auf dem Teller sein sollte. Jotan deutete zu den Speisen, die auf dem Tisch stand.
»Willst du auch etwas, Harivald? Oder ein Gläschen Wein?«
»Nein, die Königin wird mich gleich Prinz Loki vorstellen. Und im Dienst trinke ich nie.«
Schnell nahm ich mir ein Stück Käse und stand auf. »Ich geh dann auch. Meine Auszeit ist vorbei.«
»Vergiss nicht morgen bei Sjur vorbeizusehen.«
»Auf keinen Fall, danke nochmal Urda! - Jotan, Harivald! Bestimmt sieht man sich wieder.« Ich grinste die beiden an und verließ die Küche, ohne eine Antwort abzuwarten.
***
Mutter stickte und damit ich nicht nur zur Verschönerung der Gemächer hier saß verwickelte sie mich in ein Gespräch. Blumen... Mein liebstes Thema nach Seiðr waren Pferde. Gerne wäre ich losgezogen und hätte mir aus allen neun Welten alle Pferdeartigen zusammengesammelt. Doch selbst ich musste zugeben, dass dies ein gewagter Plan mit großen Platz- und Futterproblemen darstellte. Das allergrößte Hindernis bestand allerdings in Odin. Vater duldete keinerlei Einfuhr nicht-asischer-Lebewesen, es sei denn sie waren Geschenke... Hmmm – ein interessanter Gedankengang... sollte ich vielleicht verschiedenen Botschaftern meine Aufwartung machen und verstohlene Ratschläge über Geschenke dem Allvater gegenüber erteilen? Das...
»Loki? LOKI!«
Ich wandte meinen Kopf zu Mutter. »Verzeih?«
»Träumst du, während ich mit dir rede?«
»Entschuldige bitte meine gedankliche Abschweifung. Was bitte sagtest du?«
Sie lächelte. »Sie werden gleich hier sein. Bist du bereit?«
Ich verzog das Gesicht. »Habe ich eine Wahl?«
»Nein, mein Sohn – die hast du nicht. Ich erwarte Achtung von dir.«
Ich gestattete mir ein tiefes Aufseufzen und just in diesem Moment klopfte es.
Der Kammerdiener meiner Mutter trat ein und neigte leicht den Kopf. »Majestät, Hoheit – Harivald ist zur Aufwartung erschienen.«
Mutter sah mich auffordernd an. »Herein mit ihm!«
Der Kammerdiener verbeugte sich leicht und zog die Tür hinter sich zu. Kurz darauf betrat Harivald das Gemach. Sein Gruß meiner Mutter und danach mir gegenüber war anstandslos. »Die Unterhaltung hat uns durstig gemacht – bringe uns frisches Wasser!«
»Sehr wohl, königliche Hoheit.« Harivald verbeugte sich und verließ uns. Deutlich hatte ich seinen schnellen musternden Blick auf mir gespürt.
»Was war das für ein Ton, Loki?« tadelte mich Mutter.
Ich ging nicht darauf ein. »Wollen wir sehen, wie lange sich -mein- Kammerdiener Zeit lässt. Wasser zu holen ist wahrlich eine einfache Angelegenheit in Asgard.«
»Du führst wieder eine ausgesprochen spitze Zunge, mein Sohn.«
Kurz darauf klopfte es und unaufgefordert trat Harivald herein, ein Tablett auf der Linken balancierend. Eine große Glaskaraffe mit Wasser und zwei Kristallkelche standen darauf. Eine schnelle Handbewegung und schöne dicke schwarze Wasserflöhe schwammen im Wasser.
Mutter warf mir einen schnellen Blick zu und ich lächelte freundlich zurück.
Meine volle Aufmerksamkeit galt allerdings Harivald der, ohne mit der Wimper zu zucken, das Tablett abstellte und kundtat: »Ich habe mir erlaubt, frisches Wasser direkt aus dem Fluss zu schöpfen. Wünschen Sie, dass ich die Wasserflöhe auslese?« Schon hielt er die Karaffe zum Ausschenken bereit. Das gefiel mir.
»Loki!« Mutter sah mich auffordernd an.
Mit einer gelangweilten Handbewegung meinerseits verschwanden die Wasserflöhe wieder. »Nicht nötig, Harivald.«
Harivald schenkte ein und brachte mir den Kelch auf einen weiterem kleinen Tablett, nachdem er meine Mutter bedient hatte. Er wirkte völlig unbeeindruckt von meiner kleinen Spielerei und das weckte den Wunsch in mir ihn mit vielen kleinen Scherzen zu versuchen...
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