Kapitel 36 - Züngelndes Feuerblatt
Da waren wir nun, am südlichen Ende der Gähnenden Leere, Ginnungagap, vor Muspelheim, dem Land der ewigen Flamme. Ich stand auf dem schwarzen Felsen und blickte auf die vor uns rotglühenden Lavamassen, die in einem schier unglaublichen Tempo dahinflossen.
»Und jetzt?«
Angespannt rieb ich mir über den Nasenrücken und rollte kurz die Lippen ein. »Ich sage es wirklich nicht gerne – aber wir müssen da hinüber.«
»Also wirklich Loki. Ich kann nicht glauben, dass es da drüben überhaupt eine Pflanze geben soll. Wie heißt sie nochmal?«
»Züngelndes Feuerblatt.« Wenn ich mir diese Feuersbrunst so ansah teilte ich meines Gefährten Zweifel.
»Wohlan! Vor keinem Abenteuer bin ich je zurückgeschreckt. Wenn es dein Wunsch ist, diese Feuerpflanze zu besitzen, dann lass sie uns suchen.« Einladend deutete ich auf Mjölnir. »Fliegen, oder teleportieren?«
»Fliegen. Ich weiß nicht, wie sich Muspelheim nach meinem letzten Besuch verändert hat. Das Feuer löscht ständig aus und ruft wieder ins Leben zurück. Ich möchte nicht im Herzen eines Vulkans oder Fumarole materialisieren.«
Ich grinste breit. »Und ermahne mich nicht erneut, dass ich dich nicht fallen lassen soll.« Damit zog ich ihn fest an mich und wirbelte Mjölnir herum. Wie landeten sicher auf einem Felsplateau. Ein überwältigender Schwefelgestank erstickte jeden Atem in der Lunge. Menschen hätten hier keine Sekunde überlebt. Unter uns züngelten Feuerdämonen im Lavastrom. Ein unachtsamer Moment und sie würden unser Fleisch verzehren. »Wir sollten einen Feuerdämon bannen und ihn nach der Pflanze befragen.«
Mit der linken beschwor ich das Feuer, mit der Rechten webte ich Magie. »So soll es sein. Locke einen empor, Thor.«
»Wir könnten... holt Hilfe machen. Das lockt sie sicher an.«
»Hör auf mich zum Lachen zu bringen – das ist eine gefährliche Angelegenheit.«
»Das war ernsthaft gemeint.«
Ich warf Thor einen vernichtenden Blick zu.
»Na schön.« Ich kletterte nach unten bis ich an eine seichte Stelle kam. »Hallo, ihr kleinen Feuerdämonen. Schaut her! Ein saftiger Leckerbissen heißt euch willkommen.«
Ich drehte mich halb um und wackelte mit dem Hintern. »1.500 Jahre junges Asenfleisch. Kommt her und holt es euch.«
In diesem Moment schoss ein Feuerdämon aus der Lava Flut direkt auf mich zu. »Loki?« Warum bannte er ihn nicht? »Loki?« Wollte ich nicht vom Feuer eingefangen werden, musste ich nun schleunigst entkommen. Ich lief los und warf einen Blick zum Plateau. Loki hielt sich den Bauch und lachte. »HEY! Willst du die Kinder alleine großziehen?«
»Bei allen 9 Welten! Niemals! Wo rennst du denn hin – hierher!«
»Hmpf!« Der hatte leicht reden. Ich kletterte hastig den Felsen nach oben zurück was sich als schwieriger erwies, als hinab zu kommen. Das Feuer des Dämons packte meine Wade. Ich fuhr herum und schlug mit Mjölnir nach ihm. Er wich nicht zurück, schien noch heller zu lodern, erfasste nun mein ganzes Bein. Mit einem Satz hechtete ich auf das Plateau und rollte mich zur Seite.
Beim Aufprall auf den felsigen Untergrund löste sich der Feuerdämon für einen Lidschlag und der reichte mir aus. Ich hüllte ihn in kühlende Magie und warf einen Feuerring über ihn, der den kleinen Dämon auf die Stelle bannte. Ein schneller Blick auf Thors Bein. Es begann gerade zu verheilen. Das Feuerwesen fauchte und prasselte. Es wand sich in seinem Bannkreis.
»Hunger! Hunger!«
Der Feuerdämon war klein und dumm. Das niedrigste aller Wesen in Muspelheim.
»Sag mir wo sich das züngelnde Feuerblatt befindet und du darfst mich verspeisen.«
Für einen Moment sah ich Thors entgeistertes Gesicht.
»Das ist alles? Hahaha!« Der kleine Dämon lachte und knisterte vergnügt. Funken sprühten.
»Im verbrannten Ödland – der einzige Ort, an dem etwas gedeihen kann - und nun halte dein Wort.«
Ich seufzte, ließ die Hände sinken und Bann, wie Feuer erloschen. Ohne zu Zögern stürzte sich der Feuerdämon auf mich. Schon leckten seine Flammen an meiner Kleidung.
Thor hob Mjölnir und ich tippte ihm auf den Rücken. »Sag mir nicht, du bist auch auf ihn hereingefallen?« Ich deutete auf meinen brennenden Doppelgänger, der sich begann aufzulösen.
»Los, nichts wie weg hier. Der Kleine hat jetzt bestimmt Hunger für zwei.«
Ein erneuter Flug mit Mjölnir brachte uns weiter ins Landesinnere. Ich setzte Loki behutsam ab. »Wir sollten einen anderen Weg zurück wählen. Feuerdämonen sind zwar dumm wie Trolle, aber auch nachtragend wie Gebirgsriesen. Du hättest ihn fragen sollen, wo sich dieses Ödland befindet.« Um uns herum, soweit das Auge reichte, schwarze Felsen, nach Schwefel stinkender Rauch, Feuersäulen und eine unerträgliche Hitze.
»Ich weiß das es hier mehrere Ödland-Inseln gibt... leider schwimmen sie auf der Lava und sind deshalb ständig in Bewegung.« Thor warf mir einen ungläubigen Blick zu.
»Klingt nach einer Menge Spaß.«
»Und weshalb klingt dein Ton so verschieden zu deinem Ausspruch?« Thors Geste war weit ausholend und bezog ganz Muspelheim mit ein.
»Das Loki überlasse ich dir herauszufinden.«
»Genug des Geschwätzes. Lass uns nach dort drüben fliegen. Dort scheint es mir festeren Untergrund zu geben, der nicht ständig versucht unsere Füße zu verbrennen.«
Das Atmen fiel hier ein wenig leichter und die Schuhe rochen nicht mehr so, als würden sie uns an den Füßen schmelzen. Pflanzen konnte ich keine sehen. Nur schwarze Felsen und Dampf. Loki und ich liefen aufs geradewohl los. »Brauchen Pflanzen nicht Wasser, damit sie wachsen können?« Hier gab es nur Flüsse aus Lava.
»Wasser, Licht und Wärme. Wärme bekommt sie hier genügend.«
»Aber kein Wasser. Und du bist dir ganz sicher, dass die Pflanze aus Muspelheim kommt? Vielleicht hat der Händler gelogen.«
»Ich weiß ja noch nicht mal, wo der Händler herkommt. Nal sagte, die Pflanze wäre aus Muspelheim.«
Unser Weg endete vor einem Abgrund. Unter uns tobten Lavaströme. Das Feuergewässer erstreckte sich in endlosen Weiten. »Das scheint das Meer der Verdammnis zu sein. Ist das da vorne so eine Insel, von der du sprachst?« Rauchschwaden verdeckten die Sicht, so dass man von hier aus nicht sagen konnte, ob Lokis Feuerpflanze dort wuchs.
»Dem ist so.« Als Thor erneut den Hammer schleudern wollte, legte ich ihm meine Hand auf den Arm. »Diesen Weg werde ich allein beschreiten.«
»Willst du teleportieren?«
»Durch den Rauch kann ich nichts sehen. Eine Teleportation ist daher unmöglich.« Ich seufzte innerlich. »Heb einen Stein auf und führe mir vor, ob du die Insel triffst.«
»Wozu?«
»Tu es einfach, weil ich dich dazu auffordere.«
»Ich dachte, das hitzige Röschen wäre so wichtig für dich und nun forderst du mich zu Geschicklichkeitsprüfungen auf.« Ich schüttelte den Kopf, nahm einen Stein auf und schleuderte ihn, mit Leichtigkeit, in die Mitte der Insel. »Zufrieden?«
»Zufrieden bin ich, wenn du mich genauso zielsicher dorthin beförderst.«
»Was meinst du da...« Vor meinen Augen wurde aus Loki ein kleiner schwarzer Saimakan. Seine gelben Punkte leuchteten warnend. Saimakane waren giftig. Es würde mir keinen bleibenden Schaden verursachen, die kleine Echse in die Hand zu nehmen, aber das Gift des Feuertiers brannte so schmerzhaft auf der Haut, als würde man sie direkt ins Feuer halten. »Du Kredō. Ja, ja. Ich weiß, du bist eine Echse.« Seufzend nahm ich Loki auf und zischte, als sich das Gift in meine Haut fräste. Weit ausholend warf ich das Tierchen von mir, folgte seinem Flug mit den Augen und war erleichtert, als er mittig der Insel herunterkam.
Noch einmal seufzend blickte ich mich in diesem öden Land um. Wahrlich kein geeigneter Beginn für eine Weltenreise. Selbst Jotunheim bot in seiner ewigen Kälte eine gewisse geheimnisvolle Schönheit. Muspelheim präsentierte sich lebensfeindlich und unbarmherzig rau.
Was die Avengers gerade machten? Ob sie einen Kampf bestritten und mich dabei missten? Grinsend dachte ich an die Trinkgelage von Stark und mir während der Lustbarkeiten und Loki, der in Banner scheinbar einen guten Freund fand, denn in den sieben Tagen sah ich ihn stets an seiner Seite.
Ich bedauerte es, dass wir keine Zeit zur Jagd fanden. So gerne hätte ich den Avengers unsere Bilgenschweine vorgeführt. Neben mir erschien keuchend Loki und sein Gesicht verriet bereits, dass seine Suche erfolglos war.
»Eine andere Insel brauchen wir nicht aufzusuchen. Ich zweifle daran, dass der Feuerdämon wusste, wovon ich sprach.«
»Wie sollte in diesem Feuerwahnsinn etwas Lebendiges existieren können. Lass uns an einem Ort suchen, der von der Hitze geschützt ist.«
»Und wo soll der sein?«
»Vielleicht in einer Höhle. Auf unserem Weg bemerkte ich eine Felsspalte. Vielleicht verbirgt sich dahinter eine Höhle.«
»Glaubst du da gibt es Wasser?«
»Möglich.«
»Du bist ein hoffnungsloser Optimist. Lass uns nachsehen.«
***
Der Durchgang war gewaltig. Unförmige Felsformationen zeugten von erhärteten Lavaströmen. Die dicken Steinwände hielten die Hitze von draußen ein wenig ab. Unsere Schritte hallten von den Wänden wider und je tiefer wir in die Höhle vordrangen, umso dunkler wurde es um uns herum. »Kannst du Licht machen?«
Ich erschuf Leuchtkugeln, die die Höhle in grünes Licht tauchten.
»Sehr viel besser.« Ich grinste Loki an. Hinter uns erklang ein dunkles Grollen.
»Das klingt beunruhigend.«
Wir drehten uns gleichzeitig zu dem Geräusch um. Ein riesenhafter Feuerdrache riss sein Maul auf und präsentierte uns messerscharfe schwertlange Zähne. Mit einem heftigen Ruck zog ich Loki an mich, wirbelte Mjölnir und katapultierte aus der Höhle. Der Feuerdrache ritt auf seiner Flamme dicht hinter uns. Er war so nah, dass sein schwefelig heißer Atem uns einhüllte.
»Ich will dich ja nicht antreiben... aber... FLIEG SCHNELLER!« Obwohl Thor ein Tempo erreichte, das mir selbst fremd war, schaffte er es nicht, den Feuerdrachen abzuhängen. Der Drache grollte und öffnete sein Maul. Sein Atem erreichte mich und mir wurde fast übel. Bei allen neun Welten, wie konnte man nur so stinken, wenn man den ganzen Tag nur Feuerdämonen fraß?
Er riss sein Maul noch weiter auf und ich vermochte neben seinen unglaublich spitzen Zähnen, seiner gespaltenen Zunge, die zwei Drüsen in seinem Rachen auszumachen, die uns eventuell bald Schwierigkeiten bereiten würden. »Thor! Geht es vielleicht noch ein klein wenig schneller?«
»Sonst wirfst du bei jeder Gelegenheit Feuerbälle. Tu gefälligst was!«
Feuerbälle auf einen Feuerdrachen! »Halt an!«
»Was?«
»HALT AN!« Thor drehte sich im Flug, so dass wir beide ins Angesicht des Drachen starrten. Als ich das erste Glimmen in seinem Rachen wahrnahm, stoppte Thor endlich den Weiterflug. Wir hingen für Lidschläge in der Luft, bevor wir zu Boden fielen. »Einen Blitz! Gib mir einen gewaltigen Blitz – schnell!«
Thor fragte nicht nach. Er hob eine Hand hoch, seine Augen bekamen das leuchtende Blau seiner göttlichen Energie und fernes Grollen kündete von der Entstehung eines gewaltigen Blitzes. Ich wob Magie. Gerade in dem Moment, in dem aus dem Glimmen, Funken wurden, die sich in lechzende Feuerzungen verwandelten, brach durch die Höhlendecke, ein ziemlich eindrucksvoller Blitz. Sofort fing ich ihn mit meiner neuen Energie ein und leitete ihn weiter, in das offene Maul des Drachen, der inzwischen auf wenige Meter herangekommen war. Ich traf ihn frontal. Der Blitz stoppte seinen Flug abrupt. Der Feuerdrache überschlug sich nach hinten, breitete seine Flügel aus, um sich zu stabilisieren. Da schickte ich ihm einen zweiten Energiestrahl hinterher. Er kreischte und stürzte schließlich ab.
»Schnell! Weg!« Das ließ sich Thor nicht zweimal sagen und er startete durch.
Ich steuerte einen erloschenen Vulkan an. Am unteren Ende erkannte ich einen schmalen Durchgang. Viel zu klein für den Feuerdrachen. Ein optimales kurzzeitiges Versteck, um Kräfte zu bündeln.
Als ich sah wo Thor landen wollte, setzte ich an, um zu protestieren, doch die Wucht der Landung raubte mir für einen Moment den Atmen und Thors schnelle Schritte brachten ihn bereits ins Innere des erkalteten Vulkans. Zu spät...
Ich eilte in die erhoffte Sicherheit und platzte in eine Surtenbehausung. Waren die kleinen Feuerdämonen dumme verfressene Biester, konnte man mit den Surten in echte Schwierigkeiten geraten. Ein Kampf ganz nach meinem Geschmack. Die Surten ließen ihre züngelnden Rufe erklingen, stürzten sich gemeinschaftlich auf mich. Ich wirbelte herum und ließ Mjölnir sprechen, der begeistert war, endlich wieder seine Stärke ausleben zu dürfen.
Die Luft auspustend lehnte ich mich an den Durchgang und sah dabei zu, wie Thor seiner Lieblingsbeschäftigung nachging. Surten flogen in alle Richtungen. Mjölnir fräste sich hungrig nach Opfern durch die Massen der Angreifer. Funken sprühten, wenn der Hammer siegreich war. Doch so viele Surten Mjölnir und Thor auch nach Hel schickten, der Strom schien nicht enden zu wollen. »Ich schlage vor, du zeigst ihnen, wieso man dich Gott des Donners nennt.«
Thor blickte kurz zu mir, was einem Surten die Möglichkeit gab seinen Umhang in Brand zu setzen. Ubila!
»Hey, ihr miesen Schwefelschleuderer!« Hastig klopfte ich die Flamme aus, riss Mjölnir in die Höhe und lud ihn mit Blitzen auf. Dann schmetterte ich den Hammer auf den Boden des Vulkans und Blitze stoben rings um mich herum. Die Surten wurden weggeschleudert und ich nutzte den Moment, um zum Ausgang zu rennen. Loki empfing mich mit einem amüsierten Lächeln und klatschte Beifall. »Fast hätten die Flammen der Surten mich verzehrt und du siehst tatenlos zu?«
»Ich dachte du schätzt es eher, wenn ich dir den Spaß alleine lasse.«
Ich klopfte ihm lachend auf die Schulter. »Wohl wahr und nun lass uns das Weite suchen, bevor die Surten sich erholt haben.«
Das Heil war uns weiterhin nicht treu, die Götter offensichtlich dagegen, dass ich weiteren Nachwuchs verhindern wollte. Draußen lauerte der Feuerdrache auf uns und jetzt war er richtig wütend. Aus seinem Maul troff grüner Schleim. Offensichtlich löschte mein Energiestrahl seine Flamme. Die würde er nicht benötigen, um uns in seinem gewaltigen Maul zu zermalmen. Thor schoss an mir vorbei und stürzte sich auf den Drachen. »Thor! Nein!« Ein Biss von dem Ungetüm und Thor würde als Frühstück in dessen Magen enden.
»Hallo Feuerspucker.« Der Drache brüllte wütend und ich musste mich gegen den heißen Atem stemmen, der mich drohte fortzuwehen. In das aufgerissene Maul legte ich Mjölnir und sofort wurde der Kopf des Drachens zu Boden gezwungen. »Und? Wo suchen wir jetzt?«
Grinsend schüttelte ich mit dem Kopf. Thor war nicht zu erschüttern, aber mir gingen langsam die Ideen aus. Doch eine Möglichkeit gab es noch. »Surturs Gewölbe. Da könnte es ein unterirdisch gelegenes Gewässer geben.«
»Wasser? Warum sind wir nicht gleich dorthin aufgebrochen. Weißt du noch, wie oft Vater uns die Geschichte erzählte, als er und seine Brüder Surtur bezwangen?«
»Oh, erinnere mich nicht daran. Von Mal zu Mal wurde die Geschichte ausschweifender.«
»Mir gefiel der Teil, wo Vater Surtur mit dem Schwert in den Weltenraum schickte und an den magnetischen Asteroid bannte.«
»Eine wahrlich unglaubhafte Anekdote.«
»Wieso nimmst du das an? Surtur ward seither nie mehr gesehen. Lass uns den Weg abkürzen.« Ich wollte Mjölnir aus meinem Gürtel nehmen als mir einfiel, dass mein Hammer noch den Drachen bannte.
Ich schmunzelte und packte Thor am Arm. Wir teleportierten auf eine freie Fläche vor der Feuergruft, die ich von meinen früheren Besuchen kannte.
»Was machen wir, wenn wir dein lechzendes Feuerröschen dort auch nicht finden?«
Verzweifeln! »Beschwöre dies nicht. Ich bin verloren, ohne diese Pflanze.« Für einen Augenblick starrte mich Thor erschrocken an.
»Was verheimlichst du mir, Loki?«
»Jotunenkram, Thor. Einfacher Jotunenkram – und auf den könnte ich dankend verzichten. Aber nein, ich bekomme immer alles mit. Mit dieser Pflanze kann ich die Hitze vermeiden.«
»Ich wusste nicht, dass du so viele Probleme mit den Temperaturen in Asgard hast.«
»Wenn es das nur wäre.« Ich winkte ab. »Und da wir schon von Hitze sprechen, lass uns gehen.« Der Untergrund erwies sich nicht als so fest, wie ich ihn in Erinnerung hatte, so setzte ich meine Magie ein, um den sicheren Weg in Surturs persönliches Reich zu finden.
Thor blieb hinter mir und sprang in meine Fußstapfen. Die Hitze nahm zu. An den Wänden lechzte das Feuer. Der Gestank nach verkohltem Stein und Schwefel wurde stärker. Mir kamen leider immer mehr Zweifel, dass hier irgendwo eine Pflanze existieren sollte. Trotzdem drangen wir tiefer in die feurige Höhle ein.
Ein seltsames Zischen und Fauchen warnte mich. Flammen, die ein plötzliches Sauerstoffvorkommen fraßen. Ich streckte den Arm stoppend nach hinten aus, wagte ein paar Schritte weiter und tatsächlich... plötzlich wuchs vor mir aus dem Nichts die riesige Gestalt des Feuerriesen aus der Glut.
»Ich rieche Nahrung für meine Flammen.«
»Surtur.«
Sein Oberkörper neigte sich und sein Kopf näherte sich meiner Gestalt. »Ein kleiner Happen, der sich da zu mir verirrt hat.« Er klang enttäuscht, winkte ab und begab sich zu seinem steinernen Thron, auf dem er sich ächzend niederließ.
»Fang doch nicht schon wieder damit an«, stöhnte ich übertrieben. »Erkennst du mich nicht, Surtur? Ich bin Loki. Dein Bruder im Geiste des Ragnarök.« Ich breitete die Arme aus, als wolle ich ihn umarmen, unterließ es aber. Da ich hinter mir nichts hörte, hatte Thor wohl begriffen, dass er sich nicht blicken lassen sollte.
Surtur beugte sich nach vorne und sah nun interessiert aus. »Ist es schon so weit, Loki?«
Sein Gefühl der Vorfreude vermochte ich nicht wirklich zu teilen, aber das musste ich ihm nicht kundtun.
»Ich arbeite daran, Surtur, so schnell ich kann. Leider müssen wir noch etwas abwarten, mit der Ausrufung der Ragnarök. Zuerst benötige ich das züngelnde Feuerblatt, um einen Trank zu brauen, der Odin und seinen Sohn schwächt.«
Surtur richtete sich auf. »Was soll das sein? Züngelndes Feuerblatt?«
Wirklich? Er kannte der Pflanze Namen nicht? Aber vielleicht hieß sie hier auch anders?
»Eine Pflanze, Surtur, die...« Weiter kam ich nicht. Denn Surtur begann so herzhaft zu lachen, dass Feuertropfen von Decke und Wand fielen.
»Eine Pflanze? Hier? Pflanzen brauchen Wasser, hat dir das niemand erzählt, Gott der Lügen? Oder bist du gar selbst einer Lüge Opfer geworden?«
Wieder ertönte sein krächzendes Lachen und es machte mich wütend. War Nal von dem Händler angelogen worden? Aber wieso war er sich dann so sicher? »Selbst du wirst nicht jeden Winkel deines Reiches kennen.«
»Was kümmert mich eine nicht existierende Pflanze. Ich will Asgard zerstören und die Nornen sagen, du wirst mich dazu führen. Erst vor Kurzem kam ich wieder von einer... langen Reise zurück und wäre jetzt bereit.«
Hinter mir hörte ich Thor auflachen. Narr! Sei still! Surtur hasste die Asen und besonders Odin und Thor. »Die Zeit ist noch nicht reif. Was kümmert mich dein vermaledeites Ragnarök. Ich brauche dringlich diese Pflanze. Wer kennt sich hier besser aus?«
»Willst du mich beleidigen, Lügenkönig? Das gefällt mir nicht. Du bist in meiner Welt, also zolle mir Respekt, du Wicht.«
»Respekt? Wozu? Du kennst dich nicht einmal in deinem eigenen Reich aus – was planst du da Eroberungen. Vernichten kann ich auch – das ist keine Kunst.«
»Das war ein großer Fehler.«
»Ich mache häufig große Fehler.« Surtur riss sein Flammenschwert in die Höhe und ehe ich einen Schutzzauber sprechen konnte, stürmte Thor an mir vorbei. Seine Augen glühten bereits blau und aus seinen Händen kam ein gewaltiger Blitz, der Surtur nach hinten riss. »Ich kann meine Kämpfe selbst bestreiten.«
»Ich habe mich verpflichtet meine Familie zu beschützen und jetzt lass uns hier verschwinden.«
Hinter Surtur kam eine große Anzahl Surten herangestürmt und in mir war nicht das Geringste Verlagen nach einer Begegnung. Surtur selbst richtete sich auf. Flammen züngelten aus seinem Kopf. Er riss das Schwert in die Höhe und richtete es auf uns.
»Odinson!«
»Er scheint dich nicht sonderlich zu mögen.«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit.« Wir rannten zum Ausgang der Gruft. Bereits im Laufen rief ich Mjölnir. Und als wir draußen waren flog er in meine Hand. Von weitem konnte ich den Feuerdrachen ausmachen und hinter uns verspürte ich die Hitze des Feuerschwertes.
»Abgang!« Ich teleportierte mit Thor.
Der Sprung endete vor einem gewaltigen Berg mit einem Höhleneingang. »Du teleportierst uns zu einer weiteren Surtenbehausung?«
»Ein Portal nach Jotunheim.«
»Ich wunderte mich schon, woher der plötzlich kühle Luftzug kommt.« Ich genoss den Wind, der meine Haare herumwirbelte. Zugegebenermaßen waren die kurzen Haare im Kampf besser geeignet gewesen.
Schnee wehte aus dem Portal, schmolz bereits in der Luft und kam als feiner Sprühregen herunter.
»Wieso haben wir nicht einfach Heimdall gerufen?«
»Um ihm dann von unserem ehrlosen Abenteuer zu berichten?«
»Sieh mal! Surtur hat sich geirrt. Hier wachsen Pflanzen.«
»Was? Wo?« Ich folgte Thors Fingerzeig und tatsächlich – am Rand des Portals wuchs grünes Kraut und die Blätter... »Das ist sie!«
»Das feurige Grünzeug.«
»Züngelndes Feuerblatt! Ja! Das muss es sein.« Ich konnte mein Heil kaum fassen. Ich würde sie mit Wurzelwerk zu Mutter bringen, damit ich nie mehr ohne diese Pflanze war. Schnell umfasste ich den schmalen Stiel und fuhr erschrocken zurück. Es war als wären tausend kleine Nadeln in meine Haut gefahren.
»Was ist?«
»Sie ist wehrhaft.«
»Eine gute Pflanze. Sie passt wunderbar nach Asgard.«
***
Als ich zwei Tage später im Garten ankam, sah ich Mutter besorgt auf die extra angelegten Beete blicken, in denen mein Feuerblatt nun wachsen und gedeihen sollte. »Mutter, wie schön dich so interessiert bei meiner Pflanze zu sehen.« Sie wandte sich zu mir und sah nicht wirklich begeistert aus. Als sie den Blick auf das Beet frei gab wusste ich auch warum.
»Ich weiß nicht, was ihnen fehlt. Vielleicht ist es hier nicht heiß genug, oder es war die Mischung aus Hitze und Kälte, die ihnen gut bekam.«
»Ich werde sie mit Magie daran hindern abzusterben.«
»Halte ein, Loki. Du würdest damit ihre Struktur verändern und wahrscheinlich auch ihre Wirkung. Ich werde mein Möglichstes tun, um den Wachstum anzuregen.«
»Danke, Mutter.« Sie widmete sich ihren anderen Pflanzen. Das Möglichste war in diesem Falle nicht gut genug. Ich wusste, dass bald das Abeisen von Tiara anstand und der Besuch in Midgard. Noch einmal wollte ich diese Schmach nicht erleben. Und da fiel es mir ein. Laut Vili waren die besten Pflanzenkenner Midgarder und ich wusste genau, wo ich zwei dieser Sorte treffen konnte.
***
Klaus und Marlene traf ich in der Außenbegrünung an, wo sie dabei waren die Erde um die prächtig blühenden Rotbahlen aufzulockern. »Seid gegrüßt.« Die beiden schreckten hoch. »Ich komme auf Anraten meines Onkels Prinz Vili, der mit verriet, hier würde ich die besten Pflanzenkundigen aller neun Welten finden.«
»Nun ja... die besten.« Klaus lächelte verschämt, Marlenes Gesicht nahm eine gesunde rote Farbe an. Beide richteten sich auf. »Wie können wir helfen?«
Ich öffnete die Klappe des schützenden Gefäßes, in dem ich zwei der Pflanzen transportierte. »Könnt ihr mir sagen, wie ich diese Pflanze vermehren und gesund halten kann?« Beide blickten interessiert auf die Pflanzen und sahen sich dann irritiert gegenseitig an. »Verzeiht, ich nehme an, ihr habt solch eine Pflanze noch nie zuvor gesehen. Es ist...«
»Eine Brennnessel.«
»Mitnichten. Es nennt sich züngelndes Feuerblatt.«
Klaus lachte. »Ja, auch eine passende Bezeichnung. Auf der Erde sagen wir Unkraut dazu, weil sie überall da wächst, wo man sie nicht haben will.«
»Überall?«
»Sie ist nicht gerne gesehen, da sie ein Brennen verursacht, wenn man sie berührt«, klärte Klaus mich auf, aber diesen Schmerz und die Quaddeln auf der Haut waren mir wohlbekannt.
»Dabei ist sie auch ein Heilkraut und ein natürliches Düngemittel«, ergänzte nun Marlene lächelnd. »Manche machen ein Gemüse daraus. Sie ist sehr gesund.«
»Und auf Midgard ist sie überall zu finden?«
»Wenn ein Grundstück nicht gepflegt wird kann man sicher sein, dass sie dort wächst«, meinte Klaus und lachte.
Ich hätte auch gerne gelacht. Doch rang ich noch nach meiner Fassung. Jagten wir dieser Brennnessel durch ganz Muspelheim nach. Langsam schüttelte ich den Kopf: »Eine Heilpflanze aus Midgard, die wie Unkraut wächst... wie die Heidelbeersträucher? Kann es sein, dass es auf Midgard alle Pflanzen in Hülle und Fülle gibt?«
»Wenn sie aus reiner Natur sind.« Klaus und Marlene nickten.
Ich seufzte.
***
Fumarole = heißer Wasserdampf, der aus der Erde nach oben tritt
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