Kapitel 20 - Thursenbrut
Ich bin niemals nervös. Meine Worte an Loki. Es kam mir ewig lange her vor. Heute straften mich meine Worte Lüge. Beunruhigt drückte ich Loan an mich. Ich wusste nicht, ob ich dem Impuls widerstehen und Loan liegen lassen konnte, wenn das Eis ihn einschloss. Ich blickte zur Höhle. Helblindi hatte die Worte des Rituals gesagt und war dann zu dem Durchgang zurückgegangen, wo er nun stand und uns beobachtete. Er wollte sofort eingreifen, wenn es Probleme geben sollte.
Loan spielte an meinem Ohr. Ich löste sanft seine Hand. Er blickte mich lächelnd an. Alles in mir sträubte sich dagegen, ihn auf das kalte Eis zu legen. Trotzdem legte ich ihn in die Kuhle, strich ihm über den Kopf und trat einige Schritte zurück. Loan blickte mir nach und verzog sein Gesicht. Gerade als ich dachte, er würde anfangen zu weinen, schloss er unerwartet die Augen und bewegte sich nicht mehr.
Verflüssigte sich das Eis? Woher kam das Wasser? Ich streckte meine Hand nach vorne, als die Mulde sich mit dem Wasser füllte und zog sie sofort wieder zurück. Nal erklärte, was passieren würde und alles entsprach seinen Worten. Das Wasser wurde zu Eis. Loan war gefangen, festgefroren. Ich schluckte heftig, rieb mir über das Gesicht. Wie lange dauert es? Bei Tiara war es so schnell vorbei. Reif bildete sich auf Loans Gesicht und dann färbte sich seine Haut. Färbte sich seine Haut? Er erfror! »Loan!« Jemand hielt mich an den Schultern fest. Unwirsch versuchte ich die Hand abzuschütteln. Es war Helblindi.
»Warte.«
»Er erfriert! Er ist schon ganz blau. Lass mich los.«
»Sieh genauer hin.«
Sein ganzer Körper war nun bereits blau und dann sah ich sie – die Linien, die seine Haut zierten. Sein Körper – gewandelt in einen Eisriesen.
»ĺsgaldur erkennt den Thursen in ihm.«
***
Mir war, als würde mein Herz stillstehen. Ich spürte, wie sich Loans Herzschlag veränderte, wie sein Blut schneller wurde.
»Loan«, flüsterte ich und suchte Halt. Nal kam sofort neben mich, nahm mir Tiara ab. Martr kam ebenfalls zu mir und unterstützte Nal. Tatsächlich schwankte ich.
»NEIN!« Ich schüttelte die beiden Argunen ab und stürzte zum Ausgang. »Nein!«
Das durfte nicht sein – bitte! ĺsgaldur durfte uns das nicht antun. Loan durfte keine Thurse sein! Er war doch Ase. Geboren als Ase aus einem gewandelten Asenweib.
Helblindi kam mir entgegen und fing mich ab.
»Loptr! Beruhige dich, es ist....«
»Aus den Weg!« Ich stieß ihn von mir und wollte weiter. Da kam Thor mit Loan, in die Decke gewickelt. Ich riss ihm Loan aus den Armen. »Loan!« Grüne Augen sahen mich von einem rosigen Gesicht an.
»Gadabada.«
»Loan.« Ich erstickte fast, presste ihn an mich und ging in die Knie. Bei allen neun Welten! Mein kleiner Loan war ein Ase. Ein Ase. Weinend wiegte ich ihn. Meinen Kopf über ihn geneigt.
Mit festem Griff zog ich Loki in die Höhe. »Lass uns in unser Quartier gehen.«
Ich nickte schniefend.
Nal gab mir Tiara und wollte Loki trösten, aber ich winkte kopfschüttelnd ab. »Wir brauchen einen Moment für uns. – Loki, bring uns weg.«
Im gleichen Moment standen wir in unserem Quartier.
Ich befreite mich von Thor, setzte mich auf die Bettstatt und drückte Loan wieder an meine Brust, dabei wiegte ich meinen Oberkörper. In Alt-Asisch sprach ich leise auf ihn ein und er antwortete mit seinem kindlichen Geplapper, mich aus großen Augen ansehend. Grüne Augen – keine roten.
Eine unglaubliche Erleichterung durchzog mich. Ich schluchzte. Die zerfressende Anspannung nahm ab.
Ich setzte mich neben Loki, hielt Tiara mit dem einen Arm fest, den anderen legte ich um Lokis Rücken und strich mit der Hand tröstend über seine Seite.
»Ich bekomme nur Thursenbrut zustande.«
»Sieh hin. Loan ist ein Ase. ĺsgaldur hat uns nur gezeigt, dass auch jotunisches Blut in seinen Adern fließt. Daran ist nichts Schlimmes. Stammen wir nicht alle von Ymir ab? Fließt nicht in jedem von uns Thursenblut?«
Ich rollte meine Lippen ein und schwieg.
»Und nur weil mein Gefährte sich auch in der Gestalt eines Thursen zeigen kann, liebe ich ihn nicht weniger. Genauso wie Tiara und Loan und auch das neue Kind werde ich bedingungslos als Thurse, oder Ase lieben.«
»Erinnerst du dich, was in den Büchern stand? Die Haut des Eisriesens ist blau und spiegelt ihre Gefühlskälte wider. Ihre Augen sind rot, wie das Blut, dass sie aus ihren Kindern saugen. Jedes Zeichen auf ihrer Haut steht für einen Asen, den sie töteten. Eisriesen sind Monster. Siehst du das Monster, dann lauf, sonst frisst es dich eilends auf.«
Ich setzte Tiara auf das andere Bein von Loki, kniete mich vor ihn, legte meine Hand auf seine und sah ihn durchdringend an. »Du weißt inzwischen, was von diesen Büchern zu halten ist. Ich liebe deine Jotunengestalt.«
Er strich mir über die Wange, genau über die Linien ĺsgaldurs.
»Jeden blauen Zoll deiner Haut, jede Erhebung, jede Vertiefung. Und deine roten Augen erinnern mich an die Telonsteine aus dem Blutfluss.«
Ich betrachtete lange seine Augen, wie er mich ansah – und ich konnte keine Lüge in ihnen erkennen. So lehnte ich mich gegen seine Hand und schloss die Augen. Ich wusste, Thor benötigte keine Worte der Entgegnung.
Für einen Moment saßen wir einfach nur schweigend da, während die Kinder sich, in einer mir unbekannten Sprache unterhielten. Bis ein Klopfen unsere Zweisamkeit unterbrach. Ich küsste Lokis Hand und öffnete die Tür.
Fandral stand, mit vor der Brust verschränkten Armen, da und wirkte verärgert.
»Thor, Helblindi schickt mich. Wie einen gewöhnlichen Boten, benutzt er mich. Ich soll euch sagen, dass neben den Feierlichkeiten zum Eisritual zusätzlich die Sippenübergabe von Nal stattfindet. Irgendein Frischon, oder so. Was heißt das?«
»Du benötigst Übung, für deine Aufgabe als Bote«, feixte ich. »Sie stellen üblicherweise keine Fragen.«
»Thor! Nur weil du mein Freund bist, entgehst du einer Herausforderung.«
Wie ich Fandral kannte, war er noch immer ungehalten, da sein Degen kein Blut im Kampfe schmecken durfte. »Vili hat Nal gefreit. Frīhon ist das jotunische Gegenstück zur asischen Verbindung.« Fandral starrte mich mit offenem Mund an. »Bote, geh zu Helblindi und teile ihm mit, dass wir da sein werden.« Damit schloss ich die Tür.
»Mir war, als vernähme ich Fandrals Stimme.«
»Hm... «, brummte ich. »Helblindi gedenkt ein Fest zu Ehren des Frīhon von Nal und Vili zu geben und er will das erfolgreiche Ritual von Vona, Tiara und Loan mit einbeziehen.«
»Vili will es wissen. Ich hätte nicht gedacht, dass er die Liebelei mit Nal offiziell macht.«
»Loki, die beiden lieben sich, selbst ein Blinder kann das erkennen.«
Ich grinste – und das aus den Mund meines Blinden. Gut aufgepasst, Thor. Mir war Nals schwärmerischer Tonfall nicht entgangen, wenn er von den Asen sprach. Dabei hingen ihre Gedanken wohl bei Vili. Ich grinste. Vili, der sich nie wieder binden wollte. Der Jahrhunderte lang seinem Weib nachtrauerte. »Vili überrascht mich. Tatsächlich hat er eine Brautgabe mitgebracht, um Nal zu freien. Weißt du, was es ist?«
»Schneepferde. Ein Wunder, dass er überhaupt welche bekommen hat. Holda gibt nichts so leicht heraus.«
»Schneepferde? Was will Helblindi denn mit Schneepferden?«
»Es sind ganz besondere. Die gibt es jetzt nur in Jotunheim.«
Von draußen schallte ein fürchterliches Gebrüll herein. Tiara und Loan verzogen sofort das Gesicht und begannen zu weinen. Augenblicklich nahm ich beide hoch und legte ihre Gesichtchen in meine Halsbeuge. Mein Puls beruhigte beide sofort. Thor starrte auf die geschlossene Tür. Das Gebrüll wandelte sich in ein Kreischen und endete abrupt.
»Das wird wohl eine sehr große Feier werden«, murmelte ich. Für mich klang das nicht nach Aderlass. Erneut klopfte es.
»Wenn der Bote wieder so frech ist, wird er von dem Fest ausgeschlossen.« Ich riss mit einem Ruck die Tür auf und war überrascht Nal zu sehen.
»Ich hoffe, ich störe euch nicht, Thor.«
Er wirkte verlegen. »Nal, nein du störst nicht. Was kann ich für dich tun?«
»Eigentlich möchte ich Loki um etwas bitten.«
»Nur herein mit dir.«
Einladend hielt ich die Tür auf.
Nal lächelte, als die Kinder beide ihre Ärmchen nach ihm ausstreckten und zu quengeln begannen. Sogleich eilte er heran und beugte sich zu den Kindern hinab, um mit deren Händen zu spielen. »Ich würde mich so gerne von den anderen Argunen verabschieden und meine wenige Habe zusammenpacken. Außerdem möchte ich mich für den Frīhon hübsch machen lassen. Würdest du mich bringen?«
»Ich bringe dich. Aber gib mir noch etwas Zeit. Ich bin sehr erschöpft.« Nal nickte, machte aber keine Anstalten zu gehen.
»Meinst du... wir könnten... die Kinder in das Argunenhaus mitnehmen und Hoffnung verbreiten?«
Ich lachte. »Komm in einer Stunde, dann brechen wir gemeinsam auf.«
***
»Lass Loan bei mir. Die Argunen wollen sicher keinen Asenjungen sehen.«
Ich entfernte magisch die benutzten Einpackungen. »Gewiss. Auch wenn Nal sagt, er habe nicht viel Persönliches, so glaube ich es noch nicht, bevor ich es mit eigenen Augen gesehen habe.« Ich dachte an Limiteti und Svea und die Liste, die sie mir gaben, auf der sie notierten, was alles mit nach Jotunheim musste. »Vielleicht sind Argunen genauso schlimm wie Asenweiber?«
Oh ja! Dem war so. Die Lippen schürzend drehte ich mich schnell weg und tat geschäftig.
»Was machst du da?«
»Willst du nicht auch deine volle Rüstung zum Fest tragen?«
»Auf keinen Fall! Trag du die deine – aber meine ist mir zu... warm.«
»Ich verstehe schon. Wenn du gleich mit Nal ins Argunenhaus gehst, lässt auch du dich für das Fest schmücken.« Ich konnte mich nicht schnell genug ducken, flog mir bereits Tiaras benutzte Einpackung um die Ohren. »LOKI!«
»Glaube nicht, ich lasse mich nochmals so herausputzen. Ich mag es nicht bemalt zu sein und zu Klimpern, wie Holdas Schlitten. Außerdem mag es mir warm sein, doch reicht dies nicht, um halbnackt herumzulaufen und alle Blicke auf mich zu lenken. Helblindi gibt mir etwas von seiner Ehrenkleidung.«
Stirnrunzelnd sah ich ihn an. »Wann hast du mit Helblindi gesprochen?«
»Bevor ich die Brut erfrischte.« Ich deutete auf eine der Linien am Boden.
»Die Linien sind sehr dienlich. Wir haben ebensolche in Asgard.«
»Ich weiß. Ich habe ihnen nie irgendeine Bedeutung zugesprochen. Was glaubst du Thor, sind es Linien des Seiðr?«
»Möglich wäre es. Ob wir dann auch miteinander stumm sprechen könnten?«
»Vielleicht sollten wir es ausprobieren, wenn wir wieder zu Hau....« Ich verstummte. Ich würde nicht zurück nach Gladsheim gehen. Thor öffnete den Mund. Sicherlich wollte er wieder tröstende Worte von sich geben. Ein zaghaftes Klopfen an der Tür unterband seinen Versuch. »Vielleicht ist das schon Nal? Herein mit dir!«
Die Tür öffnete sich nur einen Spalt und Nals Kopf lugte herein. »Zu früh?«
»Nein, wir können los. Tiara ist erfrischt.«
»Und Loan?«
»Ich nehme ihn mit. Sonst komme ich mir so vor, als hätte ich überhaupt keine Familie in Jotunheim. Ständig sind sie alle verschwunden.« In Ermangelung einer benutzten Einpackung warf Loki einen Stiefel nach mir. »Hey, gehe mit meinen Habseligkeiten pfleglicher um!«
»Das tue ich. Gewiss pfleglicher als du selbst. Ich erinnere dich an dieses seltsame Leibchen aus Midgard. Just a girl... «
Ich warf meinen Stiefel gezielt zurück und nur seine Magie rettete Loki davor, frontal getroffen zu werden. »Diesen Schabernack trage ich dir heute noch nach!«
Nal hob eine Hand vor den Mund, um sein Lachen zu verdecken, aber seine Augen verrieten ihn. Ich sprang hoch, nahm Tiara auf und ging zu Nal. »Wir sollten keine weitere Zeit vertändeln.« Ich grinste Thor frech an, langte nach Nals Schulter und sprang.
***
Stolz trug ich Loan auf meinem Arm, als ich unsere Höhle verließ. Auf meinen dringlichen Wunsch hin, modifizierte Loki Loans normale asische Kleidung. Nun trug er eine Miniaturausführung meiner Rüstung. Der Brustharnisch war zwar aus Stoff und nicht aus Metall, aber der rote Umhang, der daran hing, entschädigte mich.
Vor dem Gemeinschaftstraum traf ich auf Volstagg und Fandral, ebenfalls in ihren Rüstungen gekleidet, die sich grinsend leise unterhielten und etwas zu beobachten schienen. »Bereit für die Lustbarkeit?«
Fandral drehte sich grinsend zu mir um. »Ich weiß nicht, was mir mehr Fest ist. Die Feier, oder dieser Anblick.«
»Was meinst du? Habt ihr Svea gesehen? Ich wollte Loan zu ihr bringen.«
»Oh ja. Das haben wir.« Volstagg rieb sich über den Bart und wirkte amüsiert.
Er gab den Blick frei auf die kleine Sitzecke, die mit Fellen belegt war und ich war überrascht Svea und Hogun zu sehen, die sich angeregt... unterhielten? »Wie lange reden sie schon?«
»Geschlagene zwanzig Minuten. Ununterbrochen.«
»Spricht Hogun auch?«
»Svea kichert in einem fort. Es ist Hogun, der spricht.«
Ich kannte Hogun schon lange, doch nie sah ich ihn mit anderen Frauen reden, als mit Sif. Loan versuchte Fandrals Umhang herunterzuziehen.
»ĺsgaldur scheint nicht nur Eisriesen zueinander finden zu lassen«, feixte Fandral und zwinkerte.
»Was meinst du damit?« Er blickte wortlos lächelnd zu Tiu und Sif die plötzlich hinter uns auftauchten. War Sifs Höhle nicht auf der anderen Seite?
»Ich meinte damit, mal sehen, was ĺsgaldur heute Abend für mich bereit hält.«
***
Unser Auftauchen wurde mit einem erschrockenen Ausruf begrüßt, der sofort in wildes Gekreische umschlug, als die Argunen Nal und mich erkannten. Sie umringten uns, streckten und senkten die Köpfe um zu sehen, was ich Verstecktes auf dem Arm trug.
»Zeig es uns! Zeig es uns!« kam es von allen Seiten.
Nal gebot ihnen Abstand zu nehmen. Sie gehorchten augenblicklich und ich drehte Tiara so, dass man ihr Gesicht sehen konnte. Sofort wurde es still.
»Gagadaba!« Tiaras Gebrabbel klang durch das Argunenhaus
Gloi machte einen Schritt vor. Sofort versuchte Tiara an die langen weißen Strähnen des Argunen zu kommen.
»Seine Zeichen... sie sind so anders. Warum hat er blaue Augen? – Ist es wegen dem Asen?«
Ein anderer Argune trat neben Gloi. Ich erkannte Sjafnar. »Das Gesicht – siehst du es denn nicht Gloi? Das Gesicht ist nicht schmal.«
Nal lächelte. »Das kann es auch nicht sein – das ist Tiara – Sie ist ein Thursenweibchen.«
Stille.
Und dann brandete ein unglaubliches Geräusch auf. Jeder wollte sie berühren. Jeder wollte von mir wissen, ob er auch ein Weibchen zur Welt bringen konnte. Tiara kannte keine Berührungsängste, zog gerne an fremden Haaren, brachte einige Argunen dazu in den höchsten Tönen zu quietschen, wenn diese Hochsteckfrisuren oder sogar eingearbeitete Perlen oder Schmucksteine trugen. Auf ihre Frage, nach ihrer Gebärfähigkeit von Weibchen, konnte ich ihnen leider keine Antwort geben.
Tiara entschied sich den Argunen zu zeigen, auf was sie sich alles gefasst machen durften, wenn es eines Tages mehr von ihrer Sorte gab. Sie wickelte sich aus ihrem Tuch und allem was sie trug. Nun starrten alle auf Tiaras Unterleib und ein heißer Meinungsaustausch entbrannte. Den Gesprächen durfte ich entnehmen, dass Tiaras Erscheinung eindeutig praktischer und angenehmer deklariert wurde. Nach dieser Feststellung glitten die Blicke der Argunen zu Nals und meinen Bauch.
Nal lachte. »Wir wissen es nicht. Ihr müsst noch sieben Monate warten.«
Plötzlich klatschte Hreimur in die Hände. »Das ist unser Merkwort. Meine Eisigen, Nal wird uns heute verlassen.«
Plötzliches Wehklagen erklang. Nur Asmar ergriff Nals Hände.
»Du wirst Jǫtunheimr verlassen. Ich beneide dich. Möge das Eis dich auf deinen Wegen begleiten. Ich wünschte, ich wäre an deiner Stelle.«
Wieder klatschte Hreimur in die Hände. »Wir müssen unsere Argunen schmücken. Alle auf dem Fest sollen dunkelblau werden.«
»Alle! Alle! Alle!« Die Rufe kamen von überall und ich zog es vor einen Schritt hinter Nal zu machen.
***
Die Veränderung des Thronsaales überraschte selbst mich. Überall standen die kleinen Würfel herum, die ich bei meiner Entführung kennen lernte. Sie tauchten den Saal in ein warmes Licht, was ihn sofort freundlicher erscheinen ließ. Die zusätzlichen Feuerschalen, die für uns aufgestellt worden waren, verstärkten dies.
An den Seiten hatte man Eisblöcke zu Sitzgelegenheiten aufgestellt, die mit Fellen belegt waren. In der Mitte des Raumes prangte ein mächtiger Eisblock, auf dem alle erdenklichen jotunischen Speisen drapiert waren. Ich sah auch Nahrung, die mir vorher nicht gewahr wurde.
»Thor.«
Helblindi kam mit einem entspannten Gesichtsausdruck auf mich zu und deutete einladend zu einer der Sitzgelegenheiten. Neugierig musterte ich ihn, da Loki etwas Ähnliches tragen wollte und musste grinsen. Sagte Loki nicht, er wolle nicht zu nackt erscheinen? Um Helblindis Hüften saß ein prächtiger Lendenschurz, über seinem Körper hing eine breitere Schärpe aus Algen. Sonst war er nackt. Ob Loki sich dies als Ehrenkleidung vorgestellt hatte? Wir setzten uns.
»Loptr scheint sich mit dem, für ihn unerwarteten, Ereignis beim Ritual abgefunden zu haben.«
»Für ihn unerwartet?«
»Ich hätte euren Sohn niemals am Ritual teilnehmen lassen, wenn Zweifel in mir gewesen wären.«
Diese Bloßlegung vor dem Ritual, hätte mir viel Unbehagen erspart. Loan wurde unruhig, wollte nicht mehr auf meinem Arm bleiben. Ich zog eines der Felle auf den Boden und ließ ihn herunter. »Loki möchte nur das Beste für unsere Kinder. Ein asischer Thronfolger hat es in Asgard unbestreitbar einfacher.«
Helblindi nickte. »Du brauchst seine Reaktion nicht zu erklären. Nal sagte mir, mit welchen Gedanken Loptr aufwuchs.«
Kein Thema, das zu einer Lustbarkeit passte. »Helblindi, mich interessieren die Würfel, die Licht spenden. Welche Energie speist sie?«
»Sie waren eine Brautgabe aus Alfheim.«
Überrascht blickte ich Helblindi an, während Loan meine Stiefel untersuchte. »Es gab einen frīhon zwischen einem Lichtelfen und einem Thursen?«
»Es wundert dich? Hast du nicht selbst die Vorzüge eines Jotunen erfahren?«
Er schmunzelte. Eine seiner seltenen Gefühlsregungen, die ich gerne aufnahm, auch wenn es sehr persönlich war, was er sagte. Wieder sah ich zu den Würfeln. Dann enthielten sie das ewige Licht und würden für immer leuchten. »Ein guter Tausch. Ich wundere mich, dass ihr sie so selten nutzt.«
»Durch die anhaltende Dämmernis ist uns das Licht nicht mehr vertraut.«
»Sobald wir nach Asgard zurückkehrt sind, leite ich alles in die Wege und bringe die Urne nach Jotunheim.« Helblindi neigte leicht seinen Kopf, was ebenso untypisch für einen Jotun war, wie der Kniefall am Tage zuvor.
Plötzlich fuhr Helblindi erschrocken zurück und ich sah, weshalb seine Augen einen entsetzten Ausdruck bekamen. Loans Hand lag auf Helblindis nackter Wade. Für einen kurzen Moment war ich versucht meinen Sohn wegzureißen, um keinen Gefrierbrand zur riskieren. Doch dann sahen Helblindi und ich, wie sich die Hand von Loan für einen kurzen Augenblick blau färbte und dann wieder rosig wurde, als er sie zurückzog. Helblindi lächelte. Das Heil war mir treu, da Loki sich noch im Argunenhaus befand.
***
Ich saß mit übergeschlagenen Beinen, angelehnt, im größten Kreis des Hauses. Vor mir stand Nal und erzählte mir vom Frīhon. Seit ewigen Zeiten war eine Versippung nicht mehr durchgeführt worden und alle Argunen waren außer sich vor Freude, auch wenn es bedeutete, dass Nal sie verließ. Edles Tuch wurde mir vorgelegt und ich winkte eines nach dem anderen weg. Nichts was sie mir zeigten erschien mir passend für Nal.
»Wenn du weiterhin in dieser Eile alles verstößt, werde ich nackt zu meinem Frīhon gehen müssen.«
Erneut winkte ich ab und lächelte. »Ich bin mir sicher, dass wird nicht pass... Halt! Das hier!«
Zartes Tuch im dunklen Grün, mit goldenem und schwarzem Zwirn durchzogen.
Flink arbeiteten vier Argunen zusammen, um ein bodenlangen Leibtuch für Nal daraus zu nähen. Ebenfalls wurden Bänder aus dem Stoff gearbeitet, die in Nals Haar eingeflochten wurden. Nal bestand darauf nur Vilis Fußglöckchen zu tragen, alle anderen Klangglöckchen wurden abgewiesen. Dafür bekam er Unmengen an Reife für Handgelenke und den Oberarmen. Zum Schluss wurde zum größten Teil sein Gesicht verhüllt in einem grünen Hauch von Nichts, mit Edelsteinen an der Nase und den Ohren gehalten.
Hreimur klatschte wieder einmal in die Hände. »Fertig, Argune aus dem Eis. Alle Krieger werden sich dir zu Füßen werfen, um nur einen Blick von dir zu erhaschen.«
Nal lachte. »Vilis Blick reicht mir. Loptr, findest du mich auch ansehnlich?«
Ich stand auf, nahm seine Hand und küsste die Fingerspitzen. »Nie sah ich einen schöneren Argunen, Nal. Prinz Vili zahlte eindeutig zu wenig, was immer es auch war.«
Sjafnar trat an mich heran, Tiara im Arm. Man hatte ihr ein Kleid aus dem gleichen Stoff gefertigt, den Nal trug. Um ihre Handgelenke legte man ihr bunte Armbänder, die sie begeistert versuchte herunterzuziehen. »Selbst Nal wird verblassen, im Angesicht dieses Thursenweibchens.«
Nal stieß einen entzückten Ruf aus und presste begeistert die Hände zusammen. »Oh, wie ist sie nur dem Eis gleich.«
»Es ist bedauerlich, dass Loptr unsere Umgestaltung verschmäht hat.«
»Er hat sie nicht verschmäht, Isgeir, ich sagte dir doch, dass er ein Klút tragen wird.«
Asmar seufzte. »Noch nie sah ich einen Argunen in einem Klút.« Es schmerzt mich, dass wir nicht bei deinem Frīhon dabei sein dürfen.«
»Hört zu, meine Eisigen.« Nals Stimme klang aufgeregt. »Zum Abschied gewährt Vili euch einen Zauber. Geht später alle zum Wasserbecken und schaut hinein, dann werdet ihr alles sehen, was sich im Thronsaal zuträgt.«
Begeisterung und Jubelrufe. Als man Nal um den Hals fiel, nahm ich Tiara vorsichtshalber wieder an mich. »Schau dir das bloß nicht ab«, sagte ich ihr leise ins Ohr. Wie zur Bestätigung, dass sie meine Worte verstanden, flog der erste Armreif, in hohen Bogen durch die Luft.
***
Die Köpfe meiner Gefährten wandten sich zum Eingang. Falk und Vili betraten den Saal. Überrascht stellte ich fest, dass weder Falk noch Vili in asischen Rüstungen gekleidet waren.
Als Beinkleid trug Vili einen Sirwal - eine weit geschnittene Pluderhose in einem dunklen Royalblau – der Farbe seines Hauses, mit einem helleren Schurz, umgeben mit silberner Bordüre. Sein Oberkörper war nackt. An den Unterarmen saßen angedeutete Armschienen aus Algen, wie es bei den Jotunen üblich war. Er strahlte und stolzierte barfuß durch den Saal, als wäre er der König.
»Er versteht es sich zu präsentieren.« Helblindi musterte meinen Onkel und schien dann zu lauschen. Erneut lag in seinem Gesicht Erheiterung. »Die Zeremonie der Kinder kann gleich beginnen. Loptr und Nal sind eingetroffen und er hat gerade seine Ehrenkleidung entdeckt.«
Ich schmunzelte. »Es ist betrüblich, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann.«
***
»Wo ist sie denn, die Ehrenkleidung?«
»Na, hier. Auf dem Bett.«
Ungläubig sah ich erst zu Nal und blickte dann auf das kleine Stück Stoff, dass es nicht verdiente, den Namen Kleidung zu tragen. »Das da?«
»Oh, der Lendenschurz liegt darunter.«
Mit spitzen Fingern nahm ich das Tuch hoch und darunter verborgen gewesen war eine Winzigkeit von Lendenschurz. Ich runzelte die Stirn und drehte mich zu Nal, der versuchte sein Lachen zu unterdrücken. Helblindi! Er wusste es und sagte kein Wort davon. Ich würde mir nur noch entblößter vorkommen.
»Es steht dir frei deine asische Kleidung zu tragen, Loptr. Aber es ist eine große Ehre, dass Helblindi dir ein Konungur- Klút gegeben hat. Nur dem König ist diese erlaubt.«
Zähneknirschend nahm ich den Lendenschurz hoch. »Hilf mir, ihn anzulegen.«
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