Kapitel 24 ❀ l'affaire
RAFAEL
Kleine Schneeflocken tanzten langsam hinter den Fenstern, die in dem erwärmten Saal einen Blick auf den kalten Hof des Schlosses gewährten, vom dunklen Himmel.
Es war der Abend der Geburtstagsfeier von Madame Marie-Thérèse, der Mutter des Kaisers, und ich war sichtlich aufgeregt. Auf so einem Fest eingeladen zu sein, war eine Ehre für mich. Als Aliénors Partner hier zu erscheinen, war zudem etwas, was ich mir nie hätte erträumen können.
Die Stimmung zwischen uns beiden war nach unserem Gespräch am letzten Abend wieder entspannt; bloß der Kaiser war mir ein Dorn im Auge. Jeder Blinde mit einem Krückstock konnte sehen, dass er seine und Aliénors Freundschaft ausnutzen würde, um ihr näher zu sein. Die Spannung zwischen ihnen war spürbar.
Aber wie sollte ich mich gegen ihn stellen? Schließlich war er der mächtigste Mann in ganz Frankreich und könnte mich wer-weiß-wo hinschicken, um die Hochzeit zwischen Aliénor und mir herauszuzögern.
Ihre Hand ruhte auf der meinen, als wir gemeinsam an dem langen, festlich geschmückten Tische saßen, an dem sonst nur die Familie Platz nehmen durfte.
„Ein vorzügliches Mahl. Es ist tatsächlich sehr schade, dass Marie Brienne nicht daran teilnehmen kann", bemerkte die Madame von Frankreich bedrückt und ließ sich etwas von dem Braten auf den Porzellanteller laden.
„Ihre Hofdame Liliette von Spanien meinte, dass es ihr nicht sonderlich gut ginge. Sie hat sich durch die Strapazen der Fahrt wohl eine Erkältung eingefangen", erklärte Aliénors Mutter einem irritierten Gast höflich.
„Unsere arme Kaiserin. Hoffen wir mal, dass es ihr bald wieder besser geht", sagte nun auch eine andere Verwandte Aliénors mit dunklen Haar. „Bis zur Hochzeit ist es ja nicht mehr lange hin, oder irre ich mich?"
Jeder am Hofe - selbst ich - wusste, dass es ganz bestimmt noch lange dauern würde, bis die Vermählung stattfand. Wahrscheinlich brauchte der Kaiser noch mehrere Jahre dafür.
„Ein konkreter Termin wird morgen beschlossen, liebe Tante", entgegnete der Kaiser lächelnd zu unserer aller Überraschung. Aliénors schien ebenso keine Ahnung davon gehabt zu sagen, denn ihr Blick streifte den des Kaisers, der hingegen nicht lange dem Blickkontakt stand hielt. Eifersüchtig hatte ich schon in den letzten Minuten feststellen müssen, dass der französische Monarch nicht selten seine Augen auf Aliénor legte.
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Als die Feier im vollen Gange war, wurde zum Tanzen aufgerufen. Eine Hand um die Taille meiner Verlobten und die anderer mit ihrer umschlossen, tanzten wir beide unsere Schuhe durch, und genossen den Abend in unserer Zweisamkeit. Sie war so wunderschön heute. Ihre Haare hingen ihr zwar nicht offen über den Schultern, doch schmeichelte das hellblaue Rüschenkleid ihrer femininen Figur und die Wahl ihrer Schmuckstücke wirkte nicht allzu übertrieben und protzig.
Meine Laune verschlechterte sich jedoch, als Louis XVII. sie zum Tanz aufforderte. Ich konnte ja schlecht Nein sagen, und so musste ich zusehen, wie er sie anfasste und ganz nah mit ihr umschlungen tanzte.
Ich konnte es nicht verhindern, dass sich meine Hände zu Fäusten ballten.
~*~
ALIÉNOR
Ich war bereits schläfrig, als ich durch das Schloss in Richtung der Gemächer meiner Schwester schlenderte. Ein gutes Gefühl umgab mich, wenn ich Rafael in der Nähe meiner Verwandten erblickte.
Zwar schauten manche von ihnen noch etwas skeptisch in unser Gegenwart drein, doch der größte Teil schien sich gut mit meinem Freund zu verstehen. Bloß die Spannung zwischen Louis-Antoine und Rafael unterbrach die sonst entspannte Stimmung stark.
Möglicherweise lag dies daran, dass Rafael merkte, dass ich meinen Cousin möglicherweise auch mehr mochte, als ich eigentlich sollte. Mein Mitleid, das ich für Louis-Antoine empfand, rührte daher, da er mir aufgrund seines schlechten Verhältnisses zu Brienne einfach leid tat.
Politik und Gesellschaft rütteln allgemein an ihm - doch dieses bloße Mitleid war bloße Fassade. Eine Täuschung für die anderen Lieben um mich herum, um zu vertuschen, dass ich für ihn schwärmte.
Vor der Tür des Salons meiner älteren Schwester blieb ich schließlich stehen. Ich hob bereits meine Faust in die Höhe, um zu klopfen, als mir etwas auffiel.
Im gesamte Flur war keine Menschenseele anzutreffen. Sonst standen hier viele Soldaten Wache, um Brienne im Notfall zu beschützen.
Nun gut, kam es mir in den Sinn. Die meisten Wachen halten sich in der Nähe des Festes auf, da sich dort die meisten Besucher des Schlosses aufhalten. Doch wenn Brienne krank ist, müssten hier doch zumindest-
Mein Gedankengang wurde unterbrochen. Ein Geräusch ertönte aus dem Gemach meiner Schwester. Es war kein Husten wie bei einer Erkältung, ebenso keine Vase, die hinunterfiel; sondern es war ein Stöhnen.
Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Louis-Antoine war noch bei der Feier. Ein weiteres Stöhnen und Gekicher folgte.
Nun wurde mir klar, weshalb Brienne sich vollkommen aus dem Nichts erkältet hatte. Ohne mich vorher anzukündigen, öffnete ich die Tür.
Dort lag sie. Halbnackt in ihren Kissen, ihren Körper mit Tulpenblättern geschmückt und ihre dunkelhaarige Affäre gleich daneben. Doch sie ließen sich gar nicht von mir stören, hörten mich wahrscheinlich gar nicht. Sie küssten sich erneut.
„Was ist hier los?", unterbrach ich ihr Techtelmechtel und die zwei schreckten auf. Erst jetzt erkannte ich ihren Bettgenossen: Es war Alexandre Fournier, der Hauptdiener meiner Familie.
Wie oft hatte ich versucht, sie miteinander zu verkuppeln, doch Brienne hatte ihre Gefühle für ihn stets mit einer Handbewegung abgewehrt? Doch sie nun zusammen zusehen verwirrte mich - ja, machte mich wütend.
„Aliénor, was-", begann sie, doch ich unterbrach ihre unnötige Frage: „Mein Lebensgefährte soll ein dreckiger Nichtsnutz von Soldat sein und dann... er?!"
Mit gesenktem Blick zog sich Fournier schnellstens seine Hose wieder an. „Wenn Ihr mich entschuldigen würdet, Hoheit", entschuldigte er sich bei meiner Schwester und verneigte sich kurz. Mit offenem Mund sah ich zu, wie er einfach aus der Hintertür verschwand.
Mit gekräuselten Lippen sah sie mich von unten bis oben an. „Also?", wollte sie schließlich wissen, dass ich nur mit dem Kopf schütteln konnte.
„Also? Während unser Vater stirbt, lügst du uns alle an und hast schon seit Wochen oder wahrscheinlich schon seit Monaten etwas mit ihm?!", hauchte ich.
Empört schnappte ich nach Luft, als sie gähnte.
„Was soll man machen?", sagte sie dann desinteressiert.
„Wieso sollte ich nicht tun können, was ich möchte? Ich habe einen Mann, der mich nicht begehrt. Ich passe auf, wenn es geschieht. Louis-Antoine kann vögeln, wen er möchte - so ich auch. Was ist daran falsch? Erzähl's mir, petite sœur..."
„Ich verurteilte dich nicht dafür, wen du liebst und wen nicht", erklärte ich ihr.
„Doch mich zu verurteilen, weil ich liebe, wen ich liebe und ebenso wie du dafür kämpfe, was ich für mein Leben gerne möchte? Was ist mit dir geschehen, Brienne? Siehst du mich nicht mehr?" Ich war einen Schritt auf sie zugetreten.
„Du bringst Schande über die Familie", erwiderte sie schmunzelnd und legte sich auf den Bauch, ehe sie die Federdecke über sich legte. „Du bringst Schande über uns alle, indem du ihn heiratest. Was tue ich? Ich präsentiere mich nicht mit meinem Geliebten vor allen, und stelle sie alle bloß! Solange ich es geheim halte, hat es niemanden etwas anzugehen. Doch du..."
Erneut schenkte sie mir diesen abschätzigen Blick. „Du wirst immer die schlimmere von uns beiden seien. Denn auch wenn ich betrüge, betrüge ich niemanden, der mir lieb ist."
„W-Was willst du damit sagen?", entgegnete ich mit zitternder Stimme. Mein Oberkörper hob und senkte sich vor Aufregung.
„Dass du sogar mehr als eine Person betrogen hast, als du mit meinem Verlobten schliefst. Nicht nur Rafael und mich. Sondern unsere ganze Familie."
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Die Affäre
( petite sœur ) → kleine Schwester
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