Kapitel 20 ❀ mon ami?
ALIÉNOR
Augenblicklich erhob ich mich aufgrund unseres Besuches, und die altbekannte Angst, dass Rafael nun eine erneute Demütigung einstecken könnte, machte sich in mir breit.
„Du brauchst dich nicht zu fürchten", beschwichtigte meine Mutter mich, woraufhin ihr Tante Marie-Thérèse zu meiner Überraschung mit einem Nicken zustimmte, ehe sie eine eine Handbewegung machte, um anzudeuten, dass wir uns wieder auf unserer Sitzgelegenheit niederlassen konnten. Verdutzt taten wir wie geheißen und ich legte nervös meine Hände auf meinen Schoß, den Blick zu den beiden gerichtet.
„In... in letzter Zeit ist sehr viel passiert", begann meine Mutter mit leicht zitternder Stimme und schluckte kurzzeitig. „Auch wenn wir einige N-Niederlagen einstecken mussten... waren Sie, Álvarez, am Ende doch der Held."
Still schauten wir einander an, doch Mamans Worte ließen mich nach wie vor nicht auf der sicheren Seite fühlen.
Die ganze Situation erschien mir so surreal, vor allem aber, da die Madame von Frankreich - die Person, die Rafael verabscheute und immer Louis-Antoines Meinung in solchen Angelegenheiten war - meiner Mutter hier zu Seite stand.
„Gegen die Befehle des Kaisers haben Sie gehandelt, gegen das Gesetz mehrere Male verstoßen und haben trotz alledem meine Tochter gerettet. Dafür kann ich Ihnen gar nicht genug danken."
Zustimmend nickte Rafael und senkte dankend seinen Kopf. „Das war das mindeste, was ich für sie und Eure Familie tun konnte. Verzeiht mir, wenn ich Euren Mann, Seine Hoheit, nicht retten-"
„So dürfen Sie nicht denken, Monsieur Álvarez", mischte sich nun auch Tante Marie-Thérèse ein, ehe ich sie erschüttert anstarrte. Ja, es wurde immer fantastischer... sie hatte den dreckigen Nichtsnutz von Soldat höflich angesprochen, um ihn zu beruhigen.
„Sie haben selbst mich nun vollständig von ihrem Mut überzeugt, dass ich nun sicher sagen kann, dass Sie keine Schuld an dem Tod des Herzogs tragen."
„Euer Majestät... Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie sehr Eure Worte mir schmeicheln", erwiderte Rafael so galant, dass ich ihm am liebsten stolz einen Kuss auf die Wange gedrückt hätte.
„Aufgrund dieser Tatsache", fuhr Maman fort und blickte erneut zu ihrer Cousine, als wollte sie sichergehen, ob sie uns ihre folgenden Worte tatsächlich mitteilen konnte. „Sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass Sie, Álvarez, in Frankreich wie in Savoyen-Piemont freier Mann sind und trotz ihres Standes und ihrer Herkunft eine Beziehung mit meiner Tochter Aliénor führen dürfen."
Es herrschte kurze Stille, in der ich perplex erst zu Rafael und anschließend zu meiner Mutter und Tante schaute, um zuletzt meine Augen auf Rafael zu legen. „Wie bitte?"
„Du hast richtig gehört, Liebes. Gestern Abend noch sprach ich mit dem Kaiser. Mir war es möglich, ihn nach einer langen Diskussion umzustimmen", sprach nun Tante Marie-Thérèse in ihrer gewöhnt ernsten Stimmlage.
Zwar konnte sie sich selbst bei der Überbringung dieser wundervollen Nachricht kein Lächeln abzwingen, doch schätzte ich sie dafür, dass sie es uns persönlich mitteilte.
Wie verrückt begann mein Herz gegen meine Brust zu pochen. „Oh Gott", hauchte ich mein Glück kaum fassend, bevor ich mich von Rafael, der kopfschüttelnd auflachte, in eine innige Umarmung ziehen ließ.
Kaum realisierte ich das, was ich so eben gehört hatte. Das konnte nur ein wundervoller Traum sein!
Anschließend fiel ich meiner Mutter und meiner Tante um den Hals und weinte vor Freude.
~*~
LOUIS - ANTOINE
Ich hatte es kommen sehen: Es war nie eine gute Idee gewesen, Álvarez am Leben zu lassen.
Liebe hin oder her, zum Schluss schaffte er es trotz alledem immer wieder, zu Aliénor zurückzukehren und sich als Held darzustellen. Und dabei hätte doch jeder einigermaßen vernünftige Mann eine ohnmächtige Person aus dem Wasser gefischt, wenn noch Hoffnung bestand, dass jene überleben konnte.
Doch was sollte ich nun unternehmen? Durch meine unfähigen Soldaten war er entkommen, und ich hatte ihn nach einer stundenlangen Diskussion mit meiner Mutter und einigen Beamten letztendlich doch freilassen müssen, da er Aliénors Leben gerettet hatte.
Wenn es um die Familie ging, könnte ich doch schließlich über seinen gesellschaftlichen Stand hinwegsehen; - genau diese Worte hatte meine Mutter, die Vermenschlichung des Konservatismus, verwendet.
Selbstverständlich war ich Álvarez auch mehr als alles andere in der Welt dafür dankbar, dass er sie vor dem Tod bewahrt hatte; zudem hatte ich Marie Brienne versprochen, unsere Beziehung von nun an festigen zu wollen, da ich einen Skandal vermeiden wollte.
Bloß zerbrach es mir seit Tagen das Herz, Aliénor zusammen mit ihm zu sehen. Dass er der glückliche Mann war, der sie als die seine bezeichnen und nach dem Tod ihres Vaters umsorgen durfte, ekelte mich an.
Selbst unsere Streitereien, die in der Vergangenheit oftmals die einzige Konversationsmöglichkeit zwischen Aliénor und mir dargestellt hatten, blieben nun aus.
Normalerweise müsste ich mein Vorhaben nun durchziehen, und sie mir für immer aus dem Kopf schlagen. Doch erneut war ich diesbezüglich zu egoistisch. Meine Gedanken konnten nicht von ihr ablassen. Es war mir unmöglich.
━━
Des Abends saß ich bei bitterer Kälte auf dem Balkon meines Gästezimmers. Die Sonne war selbstverständlich schon vor Stunden untergegangen und der Boden vor Glätte so glitschig, dass ich beim Betreten dessen beinahe ausgerutscht wäre.
Nachdenklich rührte ich in meinem schon längst verkühlten Tee herum, als mich eine engelsgleiche Stimme aus meinen Gedanken riss. „Majestät?"
Selbst unter Millionen von Klängen hätte ich Aliénors Stimme darin wieder erkennen können. Unsere Blicke verbanden sich miteinander, und für einen kurzen Moment fühlte ich mich wieder in den letzten Sommer zurückversetzt.
„Habt ihr einige Minuten Zeit für mich?" Überraschend schüchtern für ihre Person spielte sie mit einem silbernen Ring herum, den sie am Finger trug.
Ich unterdrückte ein Schlucken und wandte meinen Blick von ihr ab. „Je nachdem, worum es geht", entgegnete ich kühl, obwohl ich etwas gekränkt war, dass sie wohl vergessen haben musste, was ich ihr damals noch mitgeteilt hatten. In dem Garten von Versailles, zwischen all den Rosen:
„Ihr solltet Eure Zeit nicht so viel mit mir verplempern. Brienne erzählte schon oft, wie wenig Zeit Ihr habt", säuselte sie nachdenklich, ihren Blick erneut auf die Rosen gerichtet, die so unbeschwert gen Sonne blühten.
„Es ist wahr, dass es etwas sehr rares für mich ist... aber ich habe immer etwas freie Zeit... für Euch zumindest", fügte ich etwas schneller meine letzten drei Worte hinzu, doch sie seufzte bloß verbittert leise auf.
Etwas irritiert blickte sie mich an, bevor ein Seufzer meine Lippen verließ und ich mich erhob. Sie trat einige Schritte zurück, sodass ich an ihr vorbei in die Wärme treten konnte.
Anschließend drehte ich mich zu ihr um.
„Nun gut. Worum geht es?" Für einen kurzen Moment sah Aliénor mich nach wie vor verwirrt an, ehe sie unwillkürlich blinzelte, sich fröstelnd die Hände rieb und nun an mir vorbeiging, bevor ich die Tür hinter uns beiden schloss.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie meine Cousine sich an das prasselnde Feuer des Kamins setzte.
Ich kratzte mich am Kinn, bevor ich in Richtung der Sitzgelegenheiten schritt, um mich gegenüber von ihr niederzulassen.
„Tatsächlich", begann die Blondine leise und sah den Flammen zu, wie sie sich um das Brennmaterial wanden. „... wollte ich Euch bloß danken. Dafür, dass Ihr mir und ihm geholfen habt, glücklich zu sein, und Eure eigenen Wünsche zurückstelltet."
Sie drehte erneut den silbernen Ring um ihren Finger, sodass der winzige Edelstein im Schein der Flammen aufblitzte. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen.
„Er hat... Euch...?"
Mein Entsetzen unterdrückend musterte ich den spärlichen Verlobungsring, den sie schüchtern lächelnd unter ihrer anderen Hand versteckte. Dann nickte sie. Und mein Herz rutschte mir in die Hose. Álvarez und sie waren verlobt. Mir wurde augenblicklich schlecht.
„Das f-freut mich für Euch", log ich gequält lächelnd und hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt.
Nun verstand ich endlich, was sie all die Zeit von mir gedacht haben musste. Aufgrund meiner Stimmung in den letzten Wochen hatte mich wohl so übel ihr gegenüber verhalten, dass sie meine Liebe zu ihr gar nicht hatte wahrnehmen können.
Sie hielt meine Zustimmung zu der Verlobung für einen Beweis dafür, dass ich meine egoistische Meinung einfach abgelegt hatte. Nach wie vor glaube sie wohl tatsächlich, dass ich sie nicht liebte, sondern nur besitzen und gewinnen wollte.
Die Verabscheuung, die ich mir selbst entgegenbrachte war immens. Zudem hätte ich es mir doch eigentlich denken können - ... wer lebte denn miteinander ohne zu heiraten?
Zumindest schwärmt sie dir nicht vor, wie wundervoll ihr Antrag verlaufen ist, rief ich mir in den Sinn. Denn das würde meinem Herz höchstwahrscheinlich den Rest geben.
„Ohne Euch wäre es zumindest wohl niemals geschehen...", fügte sie daraufhin noch hinzu und schenkte mir ein dankbares, wenn auch schwaches Lächeln.
Seit dem Tod ihres Vaters fiel es ihr schwer, wirklich aus vollem Bauche zu lachen - das hatte ich bereits erkannt.
„Und da Ihr den ersten Schritt in Richtung der Besserung getan habt, will ich nun einen weiteren unternehmen...."
Nun war ich an der Reihe, irritiert drein zu blicken. Doch bevor ich meine Frage stellen konnte, kam sie mir zuvor:
„Meiner Meinung nach ist es nun Zeit, unser Kriegsbeil vollständig zu begraben.
In meinen Augen seid Ihr ein verantwortungsbewusster, gütiger Herrscher, der sich für andere Leben einsetzt. Und die Änderung Eurer Einstellung beweist mir erneut, dass Ihr kompromissbereit und intelligent seid. Deshalb würde ich mich freuen, Euch von nun an einen Freund nennen zu dürfen."
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Mein Freund
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