
2. Juni Pangender
Pangender bezeichnet eine Person die sich mit allen oder vielen Gendern identifiziert, die gleichzeitig oder abwechselnd empfunden werden können
Charlie
Charlotte Julie Paskander, darauf war die mittlerweile 20 Jahre alte Medizinstudentin im Alter von einem halben Jahr getauft worden. Spätestens seit dem Kindergarten wurde sie aber nur Charlie gerufen. Doch so langsam, je älter sie wurde, desto mehr wurde ihr bewusst, dass sie nicht den Klischees einer weiblichen Person entsprach. Sie trug gerne weite Kleidung und Jogginghosen, spielte Fußball seit Jahren im Verein, hatte sich dauernd auf dem Pausenhof geprügelt und mit den Jungs Cliquen die Straßen unsicher gemacht. Diese Zeiten waren in mit der Qualifikationsphase vorbeigegangen, sie hatte sich auf ihr Abitur konzentriert. Dadurch war ihr Abitur so gut geworden, dass es für den NC in Medizin locker gereicht hatte. Das Studium finanzierten ihr ihre Eltern, aber sie sich selbst die Wohnung.
Sie arbeitete am Wochenende und ab und zu nachmittags nach der Uni in einem Café nicht weit entfernt von ihrer Wohnung. Anfangs einfach nur als einfache Kellnerin, die Getränke, Eis und Kuchen, mittlerweile aber arbeitete sie auch hinter den Kulissen. Machte die Teller mit den Kuchen, den Kaffee bereit für die neueren Kellner, die jetzt das Essen verteilten. Es war ein bekannteres Café in der Gegend, sie verdiente gut für die wenigen Stunden, die sie in der Woche hier arbeitete, vorallem in Klausurenphasen. Aber sie arbeitete zuverlässig und schnell, was ihr Chef ihr mit Fairness in schwierigen Phasen zugutehielt. Das machte so manche ihrer Kommilitonen neidisch, ständig wechselnde Jobs, machten es für sie schwierig teilweise in der Uni. Sie hatte bereits eine Freundin verloren, die wegen Geldmangels aufgeben musste.
Der Fakt, dass sie an diesem Nachmittag arbeiten konnte, hob ihre Stimmung ein wenig, dann hatte sie keine Zeit zu sehr über ihr Leben nachzudenken. Sie war schon froh im Besitz eines Binders zu sein, der ihr im Moment mal wieder eine Menge Nerven rettete. Es war ein verregneter Novembertag, es nieselte schon den ganzen Tag leicht, sie war froh drinnen arbeiten zu können. Draußen saßen allerdings auch heute keine Menschen, alle hatten sich nach drinnen zurückgezogen, die meisten Tische waren schon besetzt als sie eintrat und zu ihrem Chef hinüberlief, der gerade mit einer neuen Kellnerin sprach. Diese nickte die ganze Zeit und sah sich nebenbei um, es war wohl die neuste Mitarbeiterin, nach einer Welle der Kündigungen in letzter Zeit.
„Ah da bist du ja", Markus, ihr Chef umarmte sie: „Das ist Charlie, eine meiner besten Mitarbeiterinnen. Charlie, das ist Alice, die neue Mitarbeiterin, sie hat schon ein bisschen Erfahrung als Kellnerin, es wäre gut, wenn du ihr ein bisschen was von hinter dem Tresen zeigst." „Natürlich Markus", sie nickte leicht und gab Alice die Hand: „Freut mich dich kennenzulernen, ich gehe mich nur rasch umziehen." Alice nickte und sah ihr augenscheinlich nach, als sie in der Umkleide verschwand und sich das übliche beige Hemd und die rote Schürze überstreifte. Das Café wusch die Dienstkleidung der Mitarbeiter selbst, soweit sie wusste, machte das Markus als Geschenk für die Mitarbeiter. Umgezogen machte sie sich dann auch wieder auf den Weg nach vorne, wo schon Alice wartete.
„Gebacken wird morgens von anderen Mitarbeitern", erklärte sie Alice, während sie sie durch die Küche führte. „Sieht doch schön aus hier", meinte Alice daraufhin, ihre Stimme war ein wenig dunkel und warm, was sie irgendwo überraschte. „Ja, Markus ist auch ein unglaublich lieber Chef", erwiderte sie daraufhin gelassen: „Ich studiere nebenbei Medizin und er bringt echt viel Verständnis mit." „Ach wie lustig", Alice lächelte: „Ich studiere auch Medizin, allerdings bin ich glaube ich ein paar Semester über dir, ich habe schon die Famulatur fast hinter mir." „Stimmt", erwiderte Charlie: „Ich bin erst im vierten Semester, bis ich zur Famulatur komme, dauerts wohl noch ein bisschen." „Aber du hast es ja soweit schon gut geschafft", Alice lächelte und wandte sich der Kaffeemaschine zu, um einer Kundin Coffee to go zu machen.
Irgendwann musste Charlie dann allerdings auch einen kleinen Abstecher auf die Toilette machen und entschied sich einfach nach Gefühl für die Herrentoilette. Ihr war Alice Blick in ihrem Nacken durchaus bewusst, die anderen kannten ihre Angewohnheiten ja schon und akzeptierten, dass sie immer unterschiedlich auf die Toiletten benutzte. Aber zumindest Johanna, eine weitere Mitarbeiterin beugte sich zu Alice hinüber, wie sie aus dem Augenwinkel bemerkte und schien ihr das ganze zu erklären. Sie konnte nur hoffen, dass Alice jetzt nichts dagegen sagte, bisher war ihr die etwas Ältere ziemlich sympathisch gewesen, das wollte sie nicht noch auf die Probe stellen. Die Gäste hatten sich nicht wirklich bisher darüber beschwert, soweit sie es von Markus wissen konnte, der niemanden vor der Wahrheit schützte.
Alice warf ihr nur einen kurzen Blick zu als sie wiederkam und die Arbeit wieder aufnahm, sie sprachen nicht besonders viel während sie Kaffee ausschenkten und Kuchen verkauften. Erst in der Pause von Alice kam es zur Sprache, es war gerade ein wenig ruhiger geworden im Café, als Alice sich auf einen der Barhocker setzte und sie ansah. „Deine Kollegin meinte du wärst Pangender", meinte sie schließlich betont langsam und lehnte sich ein wenig zu ihr vor. „Das stimmt", Charlie lehnte sich über den Tresen zu ihr hinüber: „Ich habe mich vor einem halben Jahr hier geoutet, weil ich mich nicht auf der Arbeit mit Dysphorie quälen wollte." „Verständlich", Alice nahm ihre Kaffeetasse auf und kniff die braunen Augen zusammen, um sie zu mustern.
Eine Weile verharrten die beiden im Schweigen, keine wusste, was sie sagen sollte, Alice trank schweigend ihren Kaffee und Charlie wusste nicht was sie noch sagen sollte. Dann aber kam eine plötzliche Reaktion von Alice: „Ich kann dich nachvollziehen, irgendwo zumindest ein bisschen denke ich." Charlie sah auf, direkt in ihre Augen: „Wie meinst du das, du gehörst auch zu LGBTQ+ also, nehme ich an." Alice zuckte mit den Schultern und senkte die Stimme, als eine Gruppe Jugendlicher ins Café kam: „Ja bin ich, um genau zu sein bin ich transgender, kannst dir wahrscheinlich denken in welche Richtung." „Ja", Charlie berührte ihren Arm ganz kurz: „Deswegen kann ich mir ja auch vorstellen, warum du mit meinen Gefühlen etwas anfangen kannst, also ich kanns mir vorstellen."
Sie arbeiteten schweigend gemeinsam ihre Schicht zu Ende, irgendwie fehlten ihnen gerade einfach die Worte. Es war ein Hauch von Vertrauen einfach zwischen ihnen, der ihnen die Arbeit erleichterte und Charlie sich entspannen ließ. Es war trotzdem immer ein Hauch eines Lächelns zwischen ihnen, wenn sie sich ansahen während der Arbeit. Ein älterer Mann kam zu ihnen an den Tresen, um einen Coffee to go und einen Kuchen zu bestellen, beim Kaffee machen stießen sie fast zusammen. Das brachte sie beide zum Kichern und den wartenden Mann zu einem abfälligen Schnauben und einem Kommentar über Frauen. „Sorry", meinte Alice an Charlie gerichtet und ging rasch den bestellten Kuchen holen, den Mann möglichst ignorierend. „Entschuldigung", meinte jetzt auch Charlie rasch an den Gast gerichtet.
Irgendwann war auch ein anstrengender Arbeitstag zu Ende und Charlie hatte ein kleines Zettelchen mit Alices Nummer in der Hosentasche stecken. Zuhause erst zog sie ihren Binder aus, den sie schon wieder viel zu lange getragen hatte und zog eine Jogginghose an. Aus der Hosentasche ihrer Jeans zog sie den Zettel und speicherte die Nummer in ihr Kontaktbuch ein und schrieb Alice eine kurze Nachricht. Es war ein ruhiger Freitagabend, das Wochenende hatte sie zur Abwechslung mal wieder frei, Markus hatte ihr wegen des neuen Personals freigeben können. Alices Dienstplan kannte sie allerdings nicht wirklich und sie wunderte sich, ob sie vielleicht Zeit hatte Pizza essen zu gehen, bei einem Italiener in der Nähe. Sie hatte zwei Gutscheine für diesen zu ihrem Geburtstag geschenkt bekommen.
Alice hatte tatsächlich Zeit und wenig später holte Charlie sie mit dem Auto aus einem etwas entfernten Ort ab. Alice hatte zwar auch einen Führerschein, kannte sich aber nicht wirklich in der Region der Stadt aus. Also fuhren sie gemeinsam dahin, wieder wussten sie nicht wirklich, was sie sagen sollten, schwiegen sich einfach nur an. Dann endlich brach Alice das Schweigen: „Danke, dass du mich eingeladen hast, was sind denn eigentlich deine Pronomen." Die angesprochene zuckte mit den Schultern: „Mir sind meine Pronomen eigentlich relativ egal, wenn ich ehrlich bin. Ich bin es gewöhnt, dass man sie zu mir sagt, aber eigentlich ist es mir wirklich egal." „Das ist gut", Alice strich ihre Jacke glatt und knispelte nervös an dem Saum der Jacke herum.
Die Pizzeria war nicht besonders groß, aber wurde mit einem alten Steinofen geheizt und gleichzeitig wurde damit auch gebacken. Alice bestellte eine Pizza mit Salami, Charlie eine Pizza Hawaii die wenig später auch schon geliefert wurden. Mit zwei Fantas und den Pizzen im Kerzenschein war es fast schon romantischer als es sein sollte. Es ließ Charlie sich unwohl fühlen, es machte sie nervös, vorallem machte es der fehlende Binder für sie nur noch schlimmer. Alice schien es weniger schlimm zu ergehen: „Hast du eigentlich vor dem Café schon woanders gearbeitet?" „Nein", Charlie drehte ihr Glas ein wenig hin und her: „Ich habe da das erste Mal so richtig gearbeitet, ich habe davor nur mal auf meine Cousine aufgepasst und ein bisschen Taschengeld von meiner Tante dafür bekommen.
„Ich habe offensichtlich ja schon vorher gearbeitet", Alice schnitt ein Stück Pizza ab und schob es sich langsam in den Mund: „Allerdings habe ich da als Mann angefangen noch. Als ich dann angefangen habe mich durch das Östrogen körperlich zu verändern, hat mein Chef mich da gekündigt, er wollte nicht noch eine Frau in seinem Betrieb haben. Das ist jetzt fast ein Vierteljahr her, siehst du ja, ich habe mich eindeutig körperlich verändert, das ist Markus Gott sei dank egal." Charlie säbelte schweigsam an ihrer Pizza herum und wurde sich wieder unangenehm bewusst, dass sie ihren Binder nicht anhatte. „Ich habe keine Hormone", erklärte sie ihr: „Was sollte man auch bei mir geben, mein Gender ändert sich ja leider immer wieder, ich habe nichts festes."
Sie aßen größtenteils schweigend die Pizza zu Ende Charlies Hände waren feucht durch die ständige Nervosität. Sie wischte sich die Hände an der Hose ab und bezahlte mit den beiden Gutscheinen und gab ein wenig Trinkgeld dazu. Der Kellner bedankte sich herzlich und sie machten sich auf den Rückweg zum Auto, es war mittlerweile nach zehn Uhr abends, nur noch schnell Alice nach Hause bringen und dann mussten sie beide auch ins Bett.
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