Raven
Meine Herrin sieht mich an. Ihre Miene ist voller Zorn. „Es tut mir leid Herrin.", sage ich mit gesenktem Kopf. Sie reißt mir den Kelch aus der Hand. „Sieh mir in die Augen und sag mir, dass das nicht wahr ist.".
Ich hebe vorsichtig den Blick. Ihre sonst so freundlichen, grünen Augen scheinen Funken zu sprühen. „Es... es war ein Unfall!". Meine Stimme zittert und ich halte die Tränen zurück. „Ein Unfall?" schreit sie und wirft den Kelch an die Wand. Ich zucke zusammen. Der Rotwein läuft an der Cremefarbenen Wand herab. Nemesis dreht sich um. „Er ist Tot. Und das ist einzig und allein deine Schuld.". Ihre Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken und meine Federn rascheln.
„Ich wollte Euch nicht enttäuschen Herrin.". Sie lacht bitter auf. „Das hast du aber." Sie dreht sich wieder zu mir. Ihr langes, rotes Seidengewand bauscht sich bei der Drehung gefährlich auf. Sie geht langsam auf mich zu. Als sie vor mir steht, nimmt sie mein Kinn in die Hand und dreht mein Gesicht zu sich. Die Falten auf ihrer Stirn glätten sich und ihr Blick wirkt fast freundlich. Mütterlich.
Sie sieht mir in die Augen. „Oh Raven, meine liebe, gute Raven.". Ihre Stimme ist süß. Wie Honig. Sie lächelt kurz, ehe ihr Gesicht wieder zu der steinernen Maske aus Zorn wird.
Für einen Moment glaube ich, ein wenig Bedauern in ihren Augen aufblitzen zu sehen. „Lasst sie fallen.", sagt sie kalt und lässt mein Kinn wieder los. „Nein! Nemesis, bitte! Bitte nicht!", flehe ich. Aber sie dreht sich schon wieder um und geht zu dem Fenster.
Ich werde auf die Füße gezogen und aus dem Saal geschleift. „Nein! Herrin. Bitte!" schreie ich weinend.
Die Tränen versperren mir die Sicht. Ich wehre mich mit meiner ganzen Kraft aber die Wachen sind stärker. Ich schlage mit meinen weißen Flügeln um mich aber es stört die Wachen nicht.
Wir bleiben stehen.
Ich höre den Wind.
Wir sind am Tor. Mir werden die Flügel auf dem Rücken zusammen gebunden. Ich werde umgedreht und auf die Knie gedrückt. Ich blinzele und eine Träne fällt durch das Tor - ein rundes, großes Loch im Boden. Sie fällt und fällt und fällt.
Ich schluchze und sehe die Wachen an. „Bitte." Flehe ich leise. Ich werde an den Handgelenken gepackt und nach vorn gezogen. Ich verliere den Boden unter den Füßen und falle.
Ein spitzer Schrei entweicht meiner Kehle. Der Erdboden kommt immer näher. Ich strampele mit den Beinen und rudere mit den Armen, versuche meine Flügel frei zu bekommen aber es hilft nicht. Irgendwann gebe ich es auf und schließe die Augen. Meine Haare peitschen mir ins Gesicht und stille Tränen laufen mir aus den Augen.
Eine plötzliche Ruhe überkommt mich.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Dann ein Aufprall. Ein stechender Schmerz schießt mir durch den ganzen Körper. Ich höre Knochen brechen und Muskeln reißen.
Ich öffne die Augen und sehe einen pechschwarzen Flügel
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