Kapitel 1
»...Sie lässt sich sogar mathematisch präzise in Formeln fassen? Ist das nicht toll?«
Am liebsten würde ich ihm grade nach seinem zwanzig minütigen Vortrag über ›warum ich die Relativitätstheorie von Albert Einstein so toll finde‹ ein lautes »Nein und bitte hör auf zu reden« ins Gesicht schreien. Aber erstens, will ich ungern riskieren, dass mich alle hier in diesem Café anschauen, als wäre ich total bekloppt und zweitens bin ich zu nett um ihm wahrscheinlich sein erstes Date komplett zu versauen. Zwischendurch habe ich sogar überlegt einfach auf die Toilette zu gehen und dann durchs Fenster abzuhauen. Aber selbst das erscheint mir als nicht gerecht. Oder vielleicht weiß ich auch, dass ich sowieso zu ungelenkig bin und dann jemanden anrufen müsste, der mich befreien muss. Obwohl wenn ich jetzt genau darüber nachdenke... wie hätte ich überhaupt, im Fenster feststeckend an mein Handy kommen sollen? Die große Frage ist eigentlich, warum sind in all den Filmen die Fenster auf der Toilette überhaupt groß genug? Gibt es hier überhaupt ein Fenster?
Ich bin wohl zu sehr vertieft in meine Gedanken, da ich auf einmal spüre, wie sich ein dünner Finger gegen meine Schulter bohrt.
»Sophia?« Verwirrt schaue ich den blonden Jungen, mit der großen runden Brille im Gesicht und dem karierten Hemd, welches in seine Hose gestopft ist, an.
»Äh was?« Er rümpft die Nase und sieht dabei eher aus wie ein Trüffelschwein auf der Suche nach Futter.
»Ich glaube, dass mit uns wird nichts. Es tut mir leid, aber ich denke wir zwei sind einfach nicht auf dem gleichen Niveau.«, entschuldigend blickt er mich an und schiebt seine Brille ein kleines Stückchen mit dem Zeigefinger nach oben. Warte? Werde ich gerade abserviert?
Eigentlich müsste ich mich jetzt freuen, da mir das ganze sowieso schon auf die Nerven gegangen ist.. aber wie soll ich jemals eine Beziehung auf die Reihe bekommen, wenn ich nicht mal ein Date mit einem Informatik-Nerd und Mathe-Ass länger als zwanzig Minuten halten kann?
»Ach komm schon, Ruben?« Ich probiere ihn daran zu hindern aufzustehen. »Du kannst mich hier nicht einfach sitzen lassen?« Versuche ich es nochmal, doch auch diesmal ignoriert er mich und zieht nur einen Fünfer aus seinem Geldbeutel um ihn auf den Tisch zulegen.
»Wir sind einfach nicht auf einer Wellenlänge, verstehst du? Ich brauche jemanden mit ein bisschen mehr Grips okay? Ich weiß, ich bin sehr begehrt bei der Damenwelt, aber ich bin nicht der einzige Fisch im Teich.« Er nickt mir zu und zieht sich seine wirklich scheußlich grüne Jacke an. Wow, wurde ich gerade von einem Nerd gedisst?
»Okay gut! Ich habe eh die Nase voll von deinem Quantenphysik Geschwafel«, brülle ich ihm hinterher als er schon kurz vor dem Ausgang steht und dabei ist, die Tür zu öffnen. Jetzt habe ich es also doch geschafft mich vor allen hier zu blamieren. Toll gemacht, Sophia. Zu meiner Überraschung dreht Ruben sich sogar noch mal um.
»Relativitätstheorie! Das ist die andere Säule des Theoriegebäudes in Physik, man!« Damit knallt er dann anschließend die Tür des Cafés zu. Verdutzt blicke ich auf die immer noch hin und her schwingende Tür. Wenigstens weiß er, wie man einen halbwegs dramatischen Abgang macht.
Ein paar Leute haben den Blick von mir immer noch nicht abgewendet, als ich leicht beschämt, meinen Mantel anziehe, zusätzlich auch noch einen Fünfer auf den Tisch lege, da Ruben nicht mal für mich gezahlt hat und auch das Café verlasse. Na toll, hier kann ich mich jetzt auch ganz sicher nicht mehr blicken lassen. Und dabei, ist es eigentlich eines meiner Lieblingscafés hier in der Umgebung. Draußen ziehe ich sofort mein Handy aus der Tasche und wähle die Nummer meiner Mutter. Weil ich leider immer noch keinen Führerschein gemacht habe, kann ich nicht einmal alleine nach Hause fahren und bin immer darauf angewiesen, dass mich jemand abholt.
Es tutet dreimal bis endlich jemand abnimmt. Seufzend halte ich mir mein Handy ans Ohr, da meine Mutter es hasst, wenn ich mit Lautsprecher telefoniere.
»Mom?«
»Ja Schätzchen?« Ich verdrehe die Augen, als sich anstelle meiner Mutter, mein Zwillingsbruder Henry mit hochgestellter Stimme meldet.
»Lass den scheiß, Henry. Immerhin hast du mich in diese Situation gebracht. Ich wurde von diesem Nerd grade abserviert, verdammt.« Am Ende der anderen Leitung höre ich nur, wie er praktisch fast vor Lachen erstickt. Wäre vielleicht auch besser so.
»Du-Du wurdest was?«
»Hör auf zu lachen und gib mir lieber Mom!«
»Mom ist gerade noch mal einkaufen gegangen, weil Brianna unbedingt ihre Suppennudeln in der Form von Tieren haben will und nicht in Buchstaben. Das hättest du mitbekommen sollen, sie hat so einen Aufstand gemacht.« Ich muss wegen des Gedankens an meine kleine Drama-Queen-Schwester schmunzeln. Wenn sie etwas möchte, dann bekommt sie das auch. Zumindest 80% der Fälle. Das ist leider der Bonus, den man bekommt, wenn man acht Jahre später auf die Welt kommt und damit das jüngste Mitglied ist. Unfall wäre wahrscheinlich das falsche Wort, aber Überraschung trifft es ganz gut. Zumindest, wenn man den Worten meiner Eltern Glauben schenken kann.
»Ich schätze, du möchtest jetzt abgeholt werden?« Höre ich ihn nachfragen und nicke automatisch mit dem Kopf, bis ich bemerke, dass er das ja gar nicht sehen kann.
»Ja, Bitte«, Bestätige ich dann schnell seine Frage und schaue mich nach einem Platz zum Unterstellen um, da ich spüre wie die ersten paar Regentropfen auf meinen Haaren landen. Auch das noch. Im Hintergrund kann ich bereits deutlich das Rascheln eines Schlüssels hören.
»Wo bist du? Ich hole dich.«
»Gegenüber vom Betty's«, antworte ich und stelle mich unter einen kleinen Dachvorsprung.
Scheint so, als hätte ich mir das Haare glätten heute Morgen sparen können. Ich bin nämlich leider nicht mit aalglatten Haaren gesegnet worden. Locken kann man es aber unglücklicherweise auch nicht nennen. Eher Wellen, die jeden Tag so liegen wie sie wollen. Also wie man so schön sagt, nichts Halbes, aber auch nichts Ganzes. »Alles klar, bis gleich.« Ich seufze schwer und beende das Gespräch.
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis Henry endlich mit dem Toyota meiner Eltern neben mir anhält und ich in das Auto einsteigen kann. Sein Blick gleitet einmal über mich und ein schadenfrohes Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus. »Du siehst aus wie ein begossener Pudel.«
»Sei lieber still, mit dir hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen«, ermahne ich ihn und ziehe meinen mittlerweile klitschnassen Lieblingsmantel aus. Seine Mundwinkel zucken noch weiter nach oben, während er den Motor startet und die Heizung volle Pulle aufdreht.
»Das ist ja HUHNglaublich.«
»Wenn du willst, dass ich dich wieder kneife, dann sag es lieber gleich.«, beleidigt verschränke ich die Arme vor der Brust und schalte auch noch die Sitzheizung ein. Bei meinem Glück, bin ich Morgen direkt wieder erkältet.
»Also was war jetzt mit Ruben?«
»Erstens, wenn du das nächste Mal ein Blind Date für mich vorbereitest, dann bitte nimm jemanden, der wenigstens eine Gemeinsamkeit mit mir hat. Ach ja und zweitens, bereite niemals wieder ein Blinddate für mich vor. Verstanden?«
Seit der Sache mit Nathan hat er mich nicht mehr in die Nähe eines anderen Jungen gelassen. Na ja, zumindest so lange, bis er letztens meinte, dass er mir ein Date mit Ruben verschafft hat. Woher hätte ich wissen sollen, dass er nicht den super scharfen Braunhaarigen aus der Zwölften gemeint hat? Er wirft mir einen belustigten Blick rüber, woraufhin ich ihm nur bedeute, dass er doch bitte auf die Straße schauen soll.
»Ach warum? Ich fand ihn ganz lustig.«
»Ich finde auch Dane Cook lustig, trotzdem wurde er als einer der schlechtesten up-coming Comedians betitelt und hat einen riesigen Shitstorm bekommen, okay?« Meine Frustration beginnt langsam Überhand zunehmen. Das ist nun locker das dritte Date in diesem Monat gewesen, dass in einer absoluten Katastrophe geendet hat. Es ist ja nicht so, als würde ich auf Biegen und Brechen versuchen eine Beziehung zum Laufen zu bringen. Trotzdem aber, würde ich es mir wirklich wünschen, endlich mal eine stabile Beziehung haben zu können.
»Hast du ihm überhaupt eine Chance gegeben?« Ich verdrehe die Augen. Gut, es wäre nicht das erste Mal, dass ein vermasseltes Date meine Schuld ist, aber das muss ja keiner wissen.
»Natürlich? Ich hab ihm geschlagene zwanzig Minuten dabei zugehört, wie er von Albert Einstein geredet hat, nur um dann von ihm gesagt zu bekommen, dass wir nicht auf dem gleichen Level sind?« Er seufzt und biegt in die Auffahrt unseres Hauses ein.
»Ist ja gut, war vielleicht nicht meine beste Idee. Aber hey, sieh es positiv du hast bestimmt viel über Physik gelernt!«, lachend macht er den Motor aus und zieht den Schlüssel raus. Ich will gerade zu einer Antwort ansetzen, doch Henry ist bereits ausgestiegen. Danke fürs Gespräch Bruderherz.
Als ich durch die Haustür gehe, kommt mir sofort der Geruch von Nudelsuppe in die Nase. Oder der, von salzigem Wasser. Es ist eines der wenigen Gerichte die meine Mom beherrscht. Kochen liegt ihr nicht wirklich. Okay das ist eine Untertreibung. Sie kann es gar nicht. Erfreulicherweise kann sie aber Wasser in einem Topf erhitzen.
Ich bin gerade dabei, meine Schuhe auszuziehen, als ich auch schon ihre aufgeregte Stimme aus der Küche rufen höre.
»Wie war dein Date, Liebes?«
»Wer hatte ein Date?« Die Stimme meiner neunjährigen Schwester Brianna tönt ebenfalls so laut an mein Ohr, als würde sie direkt neben mir sitzen.
»Frag lieber erst gar nicht«, antworte ich genervt, als ich mich hinter meinem Zwilling in das Esszimmer begebe.
»Warte... Du hattest ein Date?« Bree schaut mit skeptischem Blick zwischen meiner Mutter und mir hin und her und lässt dafür sogar für einen Augenblick ihre Malstifte, einfach Malstifte sein. Seit meine beste Freundin Rachel ihr eines dieser aus mal Topmodel-Bücher geschenkt hatte, schleppt sie diese ständig überall mit sich herum und ist der Meinung, sie würde bald eine angesehene Modedesignerin sein. Ich nicke nur lustlos und setzte mich zu ihr an den Tisch. »Jemand will sich freiwillig mit dir treffen?« Sie fängt an zu lachen und tut so, als wäre es das lustigste der Welt. Wow.. sogar meine kleine Schwester mobbt mich.
»Der Typ hat sie sogar abblitzen lassen.«, setzt Henry lachend sogar noch einen drauf. Brianna kann sich mittlerweile vor Lachen kaum noch halten und klammert sich an der Stuhllehne fest. Schnaubend schnappe ich mir einen der Stifte, wofür ich von meiner kleinen Schwester einen bösen Blick zugeworfen bekomme.
»Schön, dass ihr mein Liebesleben so amüsant findet.«
»Was überhaupt für ein Liebesleben?«, krächzt sie nun und wenn meine Mutter sie nicht schon warnend anschauen würde, wäre ich ihr wohl oder übel an die Gurgel gegangen.
»Das Liebesleben, das ich noch hätte, wenn er hier- «, ich deute auf Henry und setzte eine theatralische Pause ein, - »mir nicht alle Jungs vom Leibe halten würde und mir nicht Dates mit irgendwelchen Physik-Nerds ausmachen würde.« Wir verstehen uns gut. Wirklich gut. Was wir wahrscheinlich auch wegen der Tatsache, dass wir den gleichen Freundeskreis teilen, müssen. Aber manchmal, beneide ich Rachel um ihr Einzelkind-Leben.
»Hey, du wolltest nach der Sache mit Nathan keine Jungs mehr sehen und außerdem bin ich dein Zwillingsbruder. Das ist irgendwie meine Aufgabe.«, versucht er sich zu verteidigen. Ich gebe einen genervten Laut von mir und lasse meinen Kopf auf den Tisch vor mir fallen.
»Das war vor Monaten.«
»Jetzt hört schon auf zu streiten. Die Liebe kommt, wenn sie es möchte. Und nicht, wenn ihr es vielleicht wollt«, schreitet meine Mom mit einer Weisheit dazwischen, die sie mit Sicherheit von unserem bedruckten Sprüche-Klopapier geklaut hat, dass Dad ihr dieses Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Seitdem fühlt sie sich oft, wie eine waschechte Philosophin und es würde mich nicht wundern, wenn sie bald auch noch anfängt unser ganzes Haus mit Wandtattoos zu schmücken. Obwohl unser Vater da glücklicherweise auch noch was mit zu Reden hat.
Ich beiße die Zähne zusammen, um mir einen bissigen Kommentar dazu zu unterdrücken und widme meine Aufmerksamkeit stattdessen dem Model Abdruck in Briannas Heft. Sie hat bereits angefangen die Umrisse eines roten Kleides zu zeichnen und ist gerade dabei, die Details zu verfeinern. »Künstlerin wird sie schon mal nicht«, schießt es mir durch den Kopf, als ich ihr so dabei zu sehe.
Seit ein paar Wochen ist sie auf der Suche nach einer Berufung. Genau genommen, seit sie in der Schule den Tag der Berufe hatten. Letzte Woche war sie noch der Meinung gewesen, Tierärztin werden zu wollen. Und nun, ist eben das an der Reihe. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in ihrem Alter unbedingt Zoologin werden wollte, nachdem ich das Dschungelbuch geschaut hatte. Zumindest, bis ich einen Ausflug in einen Zoo gemacht habe und dann schweren Herzens erkennen musste, dass die ganzen Raubtiere in Echt doch angsteinflößender sind, als ich angenommen hatte.
»Tisch aufräumen, das Essen ist fertig.« Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch, als die energische Stimme meiner Mutter wieder aus der Küche heraus erklingt. Gleichzeitig grummelt mein Bauch vor sich hin und der Wunsch, mir eine Pizza zu bestellen, brennt sich in meinem Kopf ein. Wohl oder übel muss ich mich aber vorerst mit der Tütensuppe zufriedengeben.
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