~ 20. Kapitel ~
Natürlich schlief ich die Nacht überhaupt nicht mehr. Ich hatte es nicht einmal mehr versucht, weil ich ganz genau wusste, dass es nicht funktionieren würde. Mein Kopf war voll mit wirren Gedankengängen und mein Herz wollte sich einfach nicht mehr beruhigen. Von Ben hatte ich keinen Mucks mehr vernommen. Irgendwann war ich von diesem harten, vermaledeiten Boden aufgestanden und hatte angefangen meine Sachen zusammenzusuchen, die sich über die Zeit hinweg, in der ich in diesem Zimmer gewesen war, ganz automatisch überall verteilt hatten. Bis zu dem Moment, in dem ich Ben von meiner bald anstehenden Abreise erzählt hatte, hatte ich selbst fast nicht mehr daran gedacht gehabt. Vielleicht weil ich den Gedanken daran verdrängt hatte, weil ich nicht wegwollte, aber jetzt... Jetzt konnte ich es gar nicht mehr abwarten endlich zumindest für zwei Wochen diesem ganzen furchtbaren Chaos zu entkommen. Eigentlich war es Blödsinn meinen Koffer jetzt schon wieder zu bepacken, aber jetzt war es wenigstens schon erledigt. Als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, war es bereits so spät, dass es nicht auffallen würde, wenn ich mich nun schon auf den Weg zum Studio begeben würde.
Nachdem mich das Taxi dort abgesetzt hatte, stürmte ich eilig in den Bereich des Studios, den wir heute brauchen würden. Wie bereits angenommen herrschte noch gähnende Leere, schließlich war ich über eine Stunde zu früh da, doch dann entdeckte ich Mark, der mit einem Kaffee in der Hand auf einem Klappstuhl saß und in einem Skript blätterte. Als er mich kommen hörte, sah er automatisch auf.
„Yasi? Was machst du denn schon so...", begann er, schien aber als ich näherkam zu merken, dass ich wortwörtlich wie der Tod aussah und legte seine Stirn in Falten.
„Guten Morgen, Mark", entgegnete ich tonlos, ließ mich auf den Stuhl neben ihn fallen und rieb mir beiläufig müde über die verweinten Augen.
„Wow", murmelte er entsetzte, sah mich besorgt von der Seite an und reichte mir dann seinen Kaffee. „Ich glaube den brauchst du dringender als ich."
„Danke", sagte ich knapp, lächelte ihn gequält an und nahm dann einen tiefen Schluck des warmen Getränks.
„Was ist denn passiert?", tastete er sich vorsichtig voran, schloss das Skript und legte es ohne hinzusehen auf den kleinen Tisch neben sich.
„Schlimme Nacht", entgegnete ich nur, nippte wieder an dem Kaffee, auch wenn mein Magen etwas dagegen rebellierte – an Essen war definitiv nicht zu denken.
„Das sehe ich", meinte Mark und wartete wohl darauf, dass ich mich erklärte, doch ich schwieg. „Ben?", fragte er dann schließlich und ich konnte bloß nicken – nicht zu mehr im Stande. „Hast du überhaupt geschlafen?" Wieder schüttelte ich nur wortlos den Kopf. „Ich verstehe", sagte Mark leise und nachdenklich, ehe er sich etwas räusperte und mir dann beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. „Wenn du nicht darüber reden willst ist das absolut in Ordnung, Yasi, aber ich bin für dich da, falls du jemanden zum Reden brauchst. Schließlich ist es ja auch irgendwie zum Teil meine Schuld, dass du dich in dieser Situation befindest, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, was er nun wieder angestellt hat."
„Das ist... doch nicht deine Schuld, Mark", krächzte ich, räusperte mich, doch der Kloß in meinem Hals wollte einfach nicht verschwinden.
„Doch, irgendwie schon", meinte er ernst und strich mir fürsorglich über meinen Unterarm. „Es tut mir leid."
„Muss es wie gesagt nicht", erwiderte ich kopfschüttelnd – meine Stimme klang immer noch schrecklich belegt.
„Willst du nicht lieber wieder zurück ins Hotel und dich... ausruhen? Ich glaube das würde dir guttun. Es wäre überhaupt kein Problem", bot er mir an.
„Ich weiß nicht", murmelte ich und wollte eigentlich nicht darauf eingehen. Zum einen, weil ich Ben nicht diese Genugtuung geben wollte und zum anderen, weil ich doch schließlich zum Arbeiten in einem eigentlich wundervollen Praktikum hier war, aber es schien nicht so, als ob Mark ein Nein akzeptieren würde.
„Komm, du gehst jetzt wieder ins Hotel, ich kann das wirklich nicht mitansehen, Yasi", beharrte er, nahm seine Hand weg und holte seinen Geldbeutel hervor. „Hier, das sollte reichen", meinte er und reichte mir ein paar Scheine.
„Das kann ich nicht annehmen, Mark", erklärte ich entschieden und schob seine Hand mit dem Geld entschieden von mir, woraufhin er diese nach kurzem Zögern wieder sinken ließ.
„Na schön", gab er fast schon zu leicht auf, stand dann auf und zog mich plötzlich in eine feste Umarmung. „Ich wünsche dir einen guten Heimflug, Yasi. Wir werden uns vorher nun ja nicht mehr sehen. Pass bitte auf dich auf und wenn du etwas brauchst zögere bitte nicht mich anzurufen."
„Danke, Mark. Ich werde dich vermissen. Sagst du bitte den anderen temporär auf Wiedersehen von mir? Eigentlich wollte ich das persönlich machen, aber naja...", murmelte ich und sah, dass er lächelte, als er sich wieder von mir löste. Okay, dann ging ich eben zurück ins Hotel. Er ließ keine Widerrede zu und vermutlich hatte er ja recht. Es war wohl das Beste so.
„Natürlich. Ich dich auch, Yasi. Es macht wirklich Spaß mit dir zu arbeiten. Also, wir sehen uns", erwiderte er und schließlich gingen wir vorerst getrennte Wege.
Auf meinem Weg nach draußen musste mir natürlich Ben begegnen, der zu meiner großen Genugtuung genauso fertig aussah wie ich, wenn nicht sogar noch schlimmer. Er war ebenfalls viel zu früh am Set, was für ihn ziemlich ungewöhnlich war. Woran das wohl liegt?, dachte ich bitter. Ich spürte seinen Blick auf mir liegen, doch ich sah schnell wieder weg, bis ich an ihm vorbei war. Ich hörte, dass er stehengeblieben war, doch ich weigerte mich, mich umzudrehen. Zum Glück beging er nicht den Fehler und sprach mich an.
Als ich wenig später endlich wieder das Hotel vor mir sah und den Fahrer bezahlen wollte stellte ich schnell fest, dass Mark mir trotz meines Protestes doch unbemerkt das Geld zugesteckt hatte. Vermutlich während der Umarmung. Ich schüttelte nur den Kopf und machte mir innerlich die Notiz, ihm das Geld definitiv zurückzugeben, sobald ich wieder hier war.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit im Wohnzimmer auf dem Sofa zu liegen, wahllos durch die Fernsehsender zu zappen und zu versuchen nicht an Ben zu denken. Das mit dem Schlafen hatte ich gleich gar nicht mehr versucht, denn es hätte sowieso keinen Sinn gemacht – ich war immer noch viel zu aufgewühlt. Arbeiten hätte aber mit Sicherheit auch nicht funktioniert, denn obwohl ich ihm eigentlich hatte die Stirn bieten wollen, war ich nun mehr als froh darüber, dass Mark mich mehr oder weniger gezwungen hatte zu gehen.
Mehr im Halbschlaf als wach riss mich das laute Vibrieren meines Handys, was auf dem Glastisch unmittelbar vor mir lag, zurück in das Hier und jetzt. Stöhnend streckte ich mich nach dem Teil, kippte es etwas, um zu sehen, wer etwas von mir wollte. Als ich Bens Namen las, ließ ich es einfach weiterklingeln und drehte mich zurück auf die Seite, blickte zurück zum Fernseher, auf dem gerade irgendeine seltsame Talkshow flimmerte, der ich aber keine Beachtung schenkte. Mein Handy vibrierte erneut um mir mitzuteilen, dass ich mittlerweile sechs verpasste Anrufe von Ben hatte. Ja, ich hatte mitgezählt. Nein, ich würde nicht mit ihm sprechen. Momentan hatte ich mich emotional einigermaßen unter Kontrolle, aber sobald ich seine tiefe, sexy Stimme hören würde, würde dieser sorgsam um mich hochgezogene Wall natürlich sofort wieder einbrechen. Als das Smartphone nach einigen Augenblicken allerdings wieder kurz vibrierte, riskierte ich dennoch erneut einen Blick auf das Display. Eine Voicemail. Okay, das war neu. Seufzend entschloss ich mich dazu sie abzuhören und legte mir das Handy ans Ohr.
Hallo Yasi... ähm... Du gehst... leider ja nicht an dein Handy, also... Ich würde wirklich gerne nochmal mit dir über gestern Abend reden bevor du gehst. Mark sagte du kommst heute nicht mehr wieder und morgen früh wirst du ja... äh... schon im Flieger sitzen.
Während ich seiner Stimme lauschte, schloss ich seufzend meine Augen, konzentrierte mich voll auf ihn, merkte wie sich automatisch mein Herzschlag beschleunigte und mein Atem wurde unregelmäßiger. Bens Stimme stockte für einen Moment, ich hörte ihn seufzen.
Ich weiß, dass ich ein Arsch bin, aber ich muss dich innständig bitten mich anzuhören. Bitte. Hm... also schön dann... werde ich mal auflegen. Bitte ruf mich an, schreib mir oder... du weißt ja. Machs gut.
Ich hätte ja beinahe Mitleid mit ihm kriegen können so wie er klang, aber nur beinahe. Er klang fertig, müde, traurig... verletzt... verunsichert. Meiner Meinung nach klang er sogar schlimmer als an dem Tag, an dem er mir die Geschichte mit Kate erzählt hatte. Kate. Eine stille Träne rann meine Wange hinab, als ich zurück an sie und ihn dachte, mein Handy immer noch auf meiner Brust liegend. Es war ein Fehler gewesen. Von Anfang an. Gegen sie konnte ich nicht ankommen. Sie schien die Liebe seines Lebens zu sein, so wie er es damals gesagt hatte. Oh, hätte ich doch bloß die Finger davongelassen. Es hätte mir so viel Leid erspart. Aber gut wie sagte man so schön? Hinterher ist man immer schlauer. Zum Glück musste ich ihn für zwei Wochen nicht mehr sehen. Vielleicht wird es nach dieser Zeit wieder besser. Vielleicht... So richtig glaubte ich noch nicht daran. Es würde mit Sicherheit immer noch genauso weh tun.
~~~*~~~
Am nächsten Morgen checkte ich zeitig aus. Ein letzter prüfender Blick in mein Zimmer und ich zog die Tür hinter mir vorerst das letzte Mal zu. Erst in zwei Wochen würde ich wieder hierherkommen. Da ich nichts weiter als meinen Schlüssel abgeben musste, war das Check-Out schnell erledigt und ich ließ mich mit dem Taxi zum Bahnhof in Cardiff fahren. Glücklicherweise begegnete ich Ben nicht mehr und vermied es ebenfalls nochmal zurück zum Hotel zu sehen. Er hatte mir nachdem ich mich in keinster Weise bei ihm gemeldet hatte weitere Nachrichten geschickt. In einer hatte er mich förmlich angefleht mich wenigstens zum Flughafen bringen zu dürfen. Wenigstens hatte er davon abgesehen nochmal vor meiner Tür aufzutauchen – kluge Entscheidung. Keine Antwort war auch eine Antwort, dass musste ihm wohl ebenso klar gewesen sein. Während meiner Fahrt im Taxi und auch später im Zug, während die Landschaft in rasender Geschwindigkeit an mir vorbeizog, fühlte ich mein Handy mehrfach vibrieren – nicht nur von eingehenden Nachrichten. Mit fest zusammengebissenen Zähnen und äußerster Willenskraft widerstand ich dem Drang auf mein Smartphone zu sehen und seufzte.
Endlich am Flughafen Heathrow angekommen, schleppte ich mich mit vor Müdigkeit tränenden Augen zur Kofferaufgabe. Ich hatte nicht mehr als zwei oder drei Stunden Schlaf finden können, es war einfach furchtbar. Mein Kopf brummte und die gängige Sicherheitskontrolle kostete mich fast den letzten Nerv. Wieso musste es auch ausgerechnet um diese Zeit schon so verdammt voll sein? Eilig packte ich meine Sachen zurück in mein Handgepäck und musterte nun die Schilder um zu sehen, in welcher Richtung das Gate lag, zu dem ich musste, als ich jemand meinen Namen rufen hörte. Zunächst reagierte ich nicht schließlich war Yasmin nun kein wirklich seltener Name, aber als diese Stimme immer lauter wurde und ich schließlich die kurze Variante meines Vornamens vernahm, drehte ich mich dennoch stirnrunzelnd um.
Mein Herz setzte für mehrere Schläge aus und setzte dann in einem deutlichen schnelleren Tempo wieder an zu schlagen, als ich der Stimme, die wegen der laut tönenden Menschenmenge wirklich schwer erkennbar war, ein Gesicht zuordnen konnte. Da stand er. Er war so nah an der Sicherheitsabsperrung, dass ihn bereits zwei Sicherheitsbeamte kritisch beäugten und einer ihn schon wieder etwas zurückdrängen wollte. Einige andere Augenpaare lagen ebenfalls schon auf ihm und es dauerte nicht lange bis ich sah, dass ein paar sofort ihre Handys zückten – natürlich hatten sie ihn erkannt. Stöhnend schüttelte ich meinen Kopf, als er sichtbar bebend mit stechendem Blick zu mir blickte. Ihm musste doch wohl klar sein, dass er hier eine riesen Szene machte und das morgen überall in den Klatschblättern zu finden sein würde und nicht nur da.
„Yasi, bitte!", schrie er gegen den Tumult an, beugte sich weiter vor, bis ihn einer der Sicherheitsbeamte leicht an der Schulter packte und dieses Mal etwas energischer zurück auf Distanz brachte, doch davon ließ er sich nicht wirklich beeindrucken – seine Augen lagen unverändert fixiert auf mir.
Nun stand ich also hier, wie festgewachsen und spürte, wie sich weitere Tränen anbahnten, die ich in den letzten Stunden erfolgreich zurückgehalten hatte. Dass ich überhaupt noch weinen konnte, verwunderte mich. Es tat so weh. Wieso war er überhaupt hier? Was sollte das alles? Das zwischen uns, was auch immer es im Endeffekt gewesen war, war Geschichte. Er hatte sich entschieden. Für Kate, nicht für mich. Vermutlich plagte ihn einfach ein schlechtes Gewissen, das musste es sein. Tja, selbst schuld, das hatte er sich schließlich selbst eingebrockt. Wütend wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und starrte ihn hilflos an. Selbst auf diese Entfernung wirkte er irgendwie verloren in dieser Menschentraube um ihn herum, die mittlerweile ein einziges Blitzlichtgewitter über ihn gebracht hatte, doch das schien ihn absolut nicht zu kümmern – zumindest noch nicht. Und mich? Naja, mir war es in diesem Moment auch völlig egal. Sollten sie sich eben die Mäuler darüber zerreißen, dass er meinen Namen gerufen hatte. Ich hatte nichts mehr damit zu tun.
„Nein, Ben", hauchte ich so leise, dass selbst ich es kaum hören konnte. Es fühlte sich seltsam an seinen Namen auszusprechen. Ich schüttelte entschieden den Kopf, sah noch einige weitere Sekunden zu ihm, löste mich dann aber von seinen stechenden Augen und drehte mich langsam um.
„Yasi! Yasmin!", hörte ich ihn weiter rufen, doch ich reagierte nicht mehr, ging stur weiter in die Richtung meines Gates und versuchte mit aller Kraft weitere Tränen zurückzuhalten, während ich den wohl hinter mir weiter eskalierenden Tumult tunlichst ausblendete.
~~~*~~~
Obwohl der Flug nur knapp eineinhalb Stunden dauerte, war ich als wir endlich gelandet waren, völlig am Ende. Sowohl körperlich, als auch emotional. Mir entging nicht der besorgte Blick der Stewardess am Ausgang des Fliegers, die mich argwöhnisch musterte, aber ich ignorierte sie einfach, holte schnell meinen Koffer und begab mich dann zum Ankunftsbereich. Meine Freundin Aylin würde mich abholen. Obwohl wir uns zusammen eine kleine Wohnung im Kern der Stadt teilten und wir beide wenig Geld besaßen, hatte sie wenigstens ein Auto.
Suchend sah ich mich nach ihr um. Ich fühlte mich unendlich verloren und wollte einfach nur ein bekanntes Gesicht vor mir sehen. Es war so seltsam um mich herum fast nur noch Deutsch zu hören. Es war seltsam wieder zu Hause zu sein, dabei war ich noch gar nicht so lange in England gewesen. Ich spürte mein Handy in meiner Hosentasche schon wieder dutzende Male vibrieren und überlegte gerade, ob ich es hervorkramen sollte, falls es doch Aylin und nicht er war, doch da hörte ich endlich ihre altbekannte Stimme.
„Yasi! Oh mein Gott, endlich!", rief sie euphorisch und eine Sekunde später fanden meine Augen sie endlich. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als sie mich kurz darauf fest in den Arm nahm und eng an sich drückte. „Du hast mir so gefehlt! Du hast dich ja auch kaum gemeldet und ich...", begann meine beste Freundin freudig, als sie zu merken schien, dass ich wieder angefangen hatte zu schluchzen.
Himmel, ich kam mir so verdammt schäbig vor! Normalerweise war ich keine solche Heulsuse, aber dieser elendige Kerl machte mich einfach fertig. Es tat so gut sie bei mir zu wissen, zu wissen, dass ich mich nun nicht mehr zusammenreißen musste, dass ich einfach loslassen und es zulassen konnte. Ich musste mich nicht mehr verstellen, ich hätte es auch keine Sekunde länger mehr ausgehalten.
„Ohje, ich sehe du hast mir einiges zu erzählen", sagte sie nachdenklich und strich mir dabei beruhigend über den Rücken. „Na komm, wir bringen dich jetzt erstmal nach Hause. Ich mache uns eine schöne Tasse Tee und dann erzählst du mir alles, was dir auf dem Herzen liegt. Lass mich deine Sachen nehmen,", erklärte sie irgendwann, nachdem wir eine ganze Weile einfach nur hier gestanden hatten und sie mich versucht hatte zu beruhigen. Bestimmt schauten schon einige Leute, aber das war mir egal.
„Ja, okay", murmelte ich, löste mich dankbar von ihr und folgte ihr dann eilig zum Auto.
~~~*~~~
Dieses seltsame Gefühl was mich umfing, als ich nach dieser eigentlich so kurzen, aber dennoch so langen Zeit in England das erste Mal wieder einen Fuß über unsere gemeinsame Türschwelle setzte war etwas, was ich so noch nie empfunden hatte. Das Knarzen des alten Holzbodens in unserem schmalen, langen Flur erinnerte mich schmerzlich daran, dass ich nun wieder hier in Köln und zu Hause war. Es war natürlich nichts Schlechtes wieder hier zu sein, aber es gab mir einfach dieses Empfinden, was mir versuchte weis zu machen, dass all das mit Benedict und alles was damit zusammenhing niemals passiert wäre.
Es war noch relativ früh am Tag, als ich wenig später zu Aylin in unser gemeinsames Wohnzimmer trat und es bereits herrlich nach gutem Tee roch, auch wenn dieser Duft etwas Schmerzhaftes an sich hatte. Sehnsucht nach etwas, was es niemals geben würde. Gott, das musste dringend aufhören. Ich musste meine Gedanken wieder unter Kontrolle bringen. Zum Glück stellte sie keine Fragen, nachdem ich viel länger als eigentlich nötig unter der Dusche gestanden hatte. Manchmal half mir das wieder klare Gedanken zu fassen, aber dieses Mal hatte das leider auch nichts gebracht. Stattdessen hatte ich nur wieder weinen müssen. Mitfühlend sah sie zu mir, als ich mich laut stöhnend auf unserem Sofa niederließ und dankbar meine Hände um die dampfende Teetasse schloss, die sie mir entgegengehalten hatte. Hier in Deutschland war das Wetter sogar noch ekliger als in England, aber in meinem grauen Kapuzenpullover und meiner etwas zu großen Jogginghose war mir wenigstens nicht mehr ganz so kalt.
„Du siehst echt nicht gut aus", bemerkte Aylin vorsichtig, als sie sich nun im Schneidersitz neben mich setzte und mich mit dem Ausdruck in den Augen ansah, den sie mir immer aufsetzte, wenn sie in ihren Zuhörermodus schaltete. „Und ähm... dein Handy hat mehrfach geklingelt, als du duschen warst", sagte sie schließlich, woraufhin ich automatisch nach besagtem Gerät griff, welches auf dem Couchtisch lag und einen schnellen Blick darauf riskierte.
4 verpasste Anrufe von Ben
Es wurde keine Nachricht hinterlassen
„Wieso ignorierst du ihn, Yasi? Was ist denn passiert?", tastete sich meine beste Freundin weiter vor, nachdem ich nun mehre Augenblicke einfach nur stumm und schwer atmend auf mein Smartphone gestarrt hatte.
„Das ist eine verdammt lange Geschichte", murmelte ich und als ich wieder zu ihr rüber sah, musste sie bereits erkannt haben, dass ich wieder kurz davor war zu weinen und sie nahm mich kurzerhand fest in den Arm.
„Hey, ich bin für dich da, das weißt du", sagte sie sanft und an mir nagte ein unheimlich schlechtes Gewissen, weil ich so lange nicht mit ihr gesprochen hatte, auch wenn ich sehr wohl wusste, dass sie mir deswegen nicht sauer war.
„Danke, Aylin. Du bist wirklich die beste Freundin, die man sich wünschen kann", entgegnete ich, während sie sich wieder von mir löste und mich frech angrinste – wohl um die Stimmung zumindest etwas zu lockern.
„Das kannst du aber laut sagen, meine Liebe", frotzelte sie, bis sie wieder ernster wurde. „Also, was hat dieser Cumberbatch getan, dass du hier wie ein Häufchen Elend vor mir sitzt?"
Wir saßen bis spät abends beinahe unverändert auf dem Sofa. Sie hörte mir aufmerksam zu, während ich ihr all das erzählte was sie verpasst hatte und unterbrach mich nicht, bis ich zum Ende meiner Ausführungen gelangte. Es war seltsam sich wieder so viel auf Deutsch zu unterhalten, auch wenn es meine Muttersprache war und ich ertappte mich öfter dabei, dass ich bei manchen Worten zunächst das englische Wort auf der Zunge hatte, anstatt das deutsche. Ab und an reichte sie mir ein neues Taschentusch, aber sonst bewegten wir uns wirklich fast nicht. Zwischendurch bestellten wir uns Pizza und tranken billigen Rotwein, während Aylin versuchte mich aufzumuntern. Schließlich hatte ich ihr von dem letzten Zusammenstoß mit Ben am Flughafen berichtet. Darüber schien sie irgendwie am Wenigsten überrascht.
„Wieso guckst du so?", fragte ich also irgendwann, nachdem sie keine Anstalten machte etwas zu sagen, nachdem ich endlich geendet hatte.
„Das wusste ich schon, ich wollte nur nichts sagen, bevor du mir alles erzählt hast", meinte sie und zuckte wohl aufgrund meines fragenden Gesichtsausdrucks nur mit den Schultern. „Soll ich es dir zeigen?", fragte sie und zückte bereits ihr Handy aus ihrer Jogginghose, doch ich schüttelte nur energisch den Kopf – ich konnte mir denken worauf sie hinauswollte. „Keine Angst, von dir gibt es kein Bild, aber dafür umso mehr Bilder von Benedict. So ziemlich jeder fragt sich gerade, ob diese ominöse Yasmin, wegen der er offensichtlich dort war die gleiche Yasmin wie die am Set von Sherlock ist."
„Ach, sollen sie sich doch die Mäuler darüber zerreißen", brummte ich und tat so, als ob es mich kalt ließ, aber natürlich tat es das nicht. Irgendwie war ich auch erleichtert, dass das bisher niemand richtig mit mir in Verbindung bringen konnte.
„Eigentlich tun sie das nicht. Ich würde das eher als eine Mischung zwischen dahinschmelzen und Neid bezeichnen", entgegnete Aylin und sah mich aufmerksam an, steckte das Handy aber wieder zurück in ihre Hose. „Mich eingeschlossen, Yasi", fügte sie dann doch noch hinzu und ich blickte nur noch mehr verwirrt zu ihr, doch Aylin zog nur auf theatralische Art und Weise die linke Augenbraue in die Höhe, was wohl so etwas aussagen sollte wie: Ernsthaft jetzt?!
„Was soll das denn nun wieder heißen?", seufzte ich, klammerte mich noch fester an das Couchkissen, was ich nun schon seit einer ganzen Weile mit beiden Armen so fest an mich drückte, dass es gut gequetscht wurde.
„Dass das so ziemlich das Süßeste war, was er hätte machen können in diesem Augenblick! Ich meine hallo?! Er ist extra von Cardiff zurück nach London gehetzt nur um dich am Flughafen abzufangen, nachdem du ihn die ganze Zeit davor komplett ignoriert hast. Er hat es sogar auf sich genommen die gesamte Aufmerksamkeit der Leute um euch herum auf sich zu ziehen und er hat sich beinahe strafbar gemacht, indem er die Sicherheitsleute umgehen wollte. Du hättest dabei sein Gesicht sehen sollen!", führte Aylin aus und ich wusste nicht richtig, was ich mit ihrer Aussage nun anfangen sollte. Ich versuchte jedenfalls nicht zu sehr über seinen möglichen Gesichtsausdruck nachzudenken, als er versucht haben musste an mich heranzukommen, auch nachdem ich schon gegangen war.
„Das heißt du willst mir damit nun sagen, dass ich mich falsch verhalten habe? Nach allem was er getan hat?", erwiderte ich empört über ihre Sicht der Dinge, richtete mich dabei wieder etwas auf, aber sie hob nur beschwichtigend die Hände.
„Ich will damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass du ihm wenigstens eine Chance hättest geben sollen zu erklären, wie denn nun der Lippenstift an seinen Hemdkragen kam. Vielleicht gibt es dafür ja auch eine ganz simple Erklärung", erklärte sie sich und ich wollte ihr schon ins Wort fallen, als sie mich einfach gnadenlos überging. „Es wäre ja durchaus auch möglich, dass es überhaupt nicht sein Verschulden war, dass der da gelandet ist, Yasi", sagte sie mit erhobener Stimme, um mich zum Schweigen zu bringen, aber dennoch überzeugte mich das nicht.
„Und wie argumentierst du es weg, dass er gezögert hat, als ich ihn gefragt habe ob er sie noch liebt?", wollte ich von ihr wissen, wie als ob sie für alle meine Probleme die perfekte Antwort parat hätte.
„Das ist in der Tat eine Variable in der Gleichung, die ich auch nicht richtig bestimmen kann, aber ich kann dir eines sagen, Yasi: Ich glaube ich spreche hier für die Mehrheit aller Frauen auf diesem Planeten, wenn ich sage, dass jede Einzelne von ihnen sich wünscht so von ihm angesehen zu werden. Offensichtlicher kann er seine Gefühle für dich wirklich nicht zum Ausdruck bringen", sagte Aylin mit solch einer Überzeugung in der Stimme, dass mir beinahe schwindelig wurde.
„Und was soll ich jetzt tun? Sag mir bitte was ich tun soll!", murmelte ich verzweifelt, nachdem ihre Worte etwas gesackt waren und kaute nervös auf meiner Unterlippe herum.
„Naja... Du liebst ihn, er liebt dich...", fuhr sie fort und musterte mich durchdringend. „Du kannst dir doch seine Erklärung zumindest mal anhören und dann entscheiden oder nicht? Ich bin mir sicher, dass er dir seine Gefühle auch gestehen wollte an dem Abend vor dem Pub, bevor diese Kate aufgetaucht ist", meinte sie und ich musste beinahe darüber lachen, wie abfällig auch sie ihren Namen aussprach.
„Das hat mich das letzte Mal erst in diese Lage gebracht...", flüsterte ich fast und dachte wieder einmal zurück an seinen letzten beinahe eskalierten Erklärungsversuch, aber sie hörte mich dennoch.
„Denk zumindest darüber nach, lass das alles erst einmal sacken, bring etwas Abstand zwischen euch fürs Erste und hör einfach auf dein Herz. Du wirst schon das Richtige tun, das weiß ich", riet mir meine beste Freundin, nahm mich dann nochmal überschwänglich in den Arm und ich drückte sie fest an mich, um ihr noch einmal zu zeigen, wie dankbar ich ihr für ihre Hilfe war, auch wenn ich immer noch nicht richtig wusste, wie ich mich nun verhalten sollte.
„Okay, da das nun zumindest vorerst geklärt ist... Ich hoffe dir ist klar, dass du mir irgendwann noch alles von deinem bisherigen Teil des Praktikums erzählen musst ja?", fragte sie mich jetzt breit grinsend und mir war klar, dass ich jetzt wieder Aylin-Fangirli vor mir sitzen hatte – ich nickte. „Gut, gut, aber eine Frage musst du mir trotz des ganzen Benedict-Dramas dennoch beantworten", fuhr sie ungerührt fort und ich rechnete bereits mit dem Schlimmsten aufgrund der Art und Weise, wie sie mich nun mit einem eindeutigen anzüglichen Ausdruck in den Augen musterte – ich sollte nicht enttäuscht werden. „Wie ist denn dein Mr. Sexybatch nun eigentlich im Bett? Ist er eher Big Ben oder eher..."
Weiter kam sie nicht, denn ich löste mich rasch von meinem Kissen, was ich immer noch in meinen Armen gehalten hatte und warf es so fest ich konnte auf sie, doch sie lachte nur und fing es gerade noch ab. Meine Wangen begannen zu glühen, als ich ihren albernen Namen für Ben hörte, ihn meinen nannte und sie mich zusätzlich an diesen Auftritt in einer Late-Night-Show erinnerte, den wir uns damals zusammen angesehen hatte und sie dabei beinahe ausgeflippt wäre.
„Ich fasse es nicht, dass du mich das wirklich fragst!", empörte ich mich und war zugegebenermaßen zunächst etwas sauer, konnte mir dann aber ein Lächeln doch nicht verkneifen, weil mir bewusst wurde, dass sie mich einfach nur etwas aufmuntern wollte – ihre Herangehensweise dabei war schon immer etwas fragwürdig gewesen.
„Und ich fasse es nicht, dass du mir das jetzt tatsächlich beantworten könntest, wenn du wolltest!", kicherte sie nun ungehalten drauf los und das Strahlen in ihren Augen machte mir deutlich, dass sie schließlich auch irgendwo noch eine dieser Cumberbitches war, wie sich viele seiner Fans selbst nannten, auch wenn er diesen Ausdruck überhaupt nicht mochte. „Ich hoffe wirklich, ihr bekommt das irgendwie geklärt, Yasi. Ich würde ihn echt gerne mal kennenlernen. Persönlich meine ich", sagte sie irgendwann, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte und wir uns beide nur noch angrinsten.
„Solange du ihn dann nicht anspringst", versuchte ich mich nun meinerseits in einer auflockernden Entgegnung und Aylin lachte nur wieder herzhaft.
„Versprochen", sagte sie und nahm mich dann nochmal beruhigend in den Arm.
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Ich glaube das hier war das längste Kapitel bisher mit knapp 4.500 Wörtern^^
Vielen lieben Dank für all die Reads, Votes und Kommentare von euch!!! <3 Lasst mich gerne wissen, was ihr von den neuen Kapiteln haltet :)
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