~ 19. Kapitel ~
Es dauerte ein paar schmerzhafte Herzschläge bis ich begriff, was die Frau vor mir gerade gesagt hatte. Nun war ich es, die sie anstarrte, als wäre sie die schrägste Erscheinung auf Erden. War das etwa wirklich die Kate? Bens Kate? Was machte sie denn bloß hier? Verdammt, sie war wirklich unfassbar hübsch.
„Was tust du hier?", durchbrach Ben endlich zähneknirschend das extrem bedrückende Schweigen, welches sich zwischen uns gelegt hatte.
War das denn wirklich das, was man dem anderen sagte, wenn man ihn nach so vielen Jahren das erste Mal wiedersah? Ben hatte ausgesehen, als ob er einen Geist gesehen hätte. Es musste also das erste Mal seit diesem ganzen Zwischenfall gewesen sein oder? Wir hatten bisher nie darüber gesprochen aber es war doch bestimmt so oder nicht?
„Ich wohne hier in der Straße", entgegnete Kate ruhig und ich kam nicht umhin ihre nahezu grazile Anmut zu bewundern. Ihr Äußeres wirkte auf eine eklige Art perfekt. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich umgezogen bin."
„Kate!", fauchte Ben jetzt wütend und funkelte sie böse an, aber Kate verzog dabei keine Miene.
Moment, sie hatte ihm bereits gesagt, dass sie umgezogen war? Und wieso regte sich Ben denn auf einmal so auf? Ich meine klar war es unter diesen Umständen bestimmt merkwürdig seine Ex wieder zu treffen, vor allem bei der extremen Vorgeschichte, die sie verband, aber dennoch verwirrte mich das alles ungemein. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich mit dieser obskuren Sache nun umgehen sollte.
„Du hast es ihr noch nicht gesagt?", stellte Kate nüchtern fest, nachdem ihre smaragdgrünen Augen mich das erste Mal seit diesem Zusammenstoß abschätzend musterten. Eine offensichtliche Kälte in ihnen.
„Wir hatten das doch besprochen. Wieso tust du das?", schrie Ben nun und ich zuckte unerwartet zusammen, als er von Sekunde zu Sekunde wütender zu werden schien – sein plötzlicher Wutausbruch verwirrte mich.
„Ist sie das?", stellte sie kaum dass er geendet hatte eine Gegenfrage, sah mich dabei aber schon nicht mehr an und tat so, als ob ich überhaupt nicht existierte und sehr wohl alles hören konnte, was sie sagten.
„Kann mir bitte mal jemand erklären, was hier gerade abgeht?", fuhr ich den beiden Idioten vor mir giftig dazwischen. Langsam aber sicher wurde ich richtig sauer, da ich scheinbar die Einzige hier war, die absolut im Dunkeln tappte. „Was hast du mir noch nicht gesagt, Ben?"
„Geh jetzt, Kate", kam es von Ben mit fester, aber gleichermaßen kühler Stimme und er sah immer noch zu ihr – nicht zu mir.
Lange Zeit blickten sie sich einfach nur an und dann, ohne dass jemand noch auch nur ein einziges weiteres Wort verlor, setzte sie sich in Bewegung. Einfach so, als ob nichts gewesen wäre. Ben sah ihr nicht nach. Wir lauschten nur beide auf die Schritte, die sich langsam aber entschieden entfernten. Erst als nichts mehr darauf hinwies, dass das gerade wirklich passiert war, blickte Benedict wieder zu mir. Er wusste ganz genau, dass er in der Scheiße steckte und er das verflucht nochmal erklären musste, aber so seltsam das auch klang: In diesem Moment fühlte ich rein gar nichts, nur eine grenzenlose Leere, die mich zu übermannen drohte. Was zum Teufel war da gerade passiert?
~~~*~~~
Dieser Abend brach den Rekord im Bezug auf eine seltsame Atmosphäre bei weitem. Nachdem Kate gegangen war, hatten wir uns nur noch angeschwiegen und das was Benedict mir eigentlich hatte sagen wollen war völlig in Vergessenheit geraten. Keiner von uns hatte es gewagt zu sprechen, wir hatten beiden wohl unseren Gedanken nachgehangen. Hatten versucht zu begreifen, was das nun zu bedeuten hatte, was es änderte. Vor allem ich dachte darüber nach, während ich unkontrolliert am gesamten Körper zitterte. Obwohl Ben verärgert reagiert hatte, fühlte ich mich dennoch verraten und angelogen und das alles hatte mich in blanke Panik versetzt. Was verschwieg er mir? Würde das nun alles beenden, bevor es überhaupt angefangen hatte?
Natürlich hatten die anderen umgehend die hundertachtzig Grad Wende in unserem versteiften Verhalten bemerkt, nachdem wir irgendwann schweigend in den Pub gegangen waren, allerdings wagte es niemand uns direkt darauf anzusprechen. Wir versuchten wohl beide das eben vorgefallene irgendwie zu überspielen, aber die dennoch offenliegende Besorgnis auf den Gesichtern vor uns zeugte mehr als deutlich davon, dass der Versuch zwecklos war. Wir verabschiedeten uns schließlich frühzeitig von den anderen, nachdem es uns beiden nicht länger richtig gelingen wollte, etwas vorzuspielen, so schlecht es auch war. Die wissenden Blicke der anderen brachten mich beinahe um den Verstand.
Während der gesamten Fahrt in Henrys Wagen sahen wir uns weder an, noch berührten wir uns auf irgendeine Weise. Es lag eine Distanz zwischen uns, die nicht nur körperlich auf einmal vollends unüberwindlich zu sein schien. Den kritischen Blick von Henry im Innenspiegel ignorierte ich geflissentlich. Wieder im Hotel angekommen folgte mir Ben wie immer bis zu meinem Zimmer und sah mich nun das erste Mal wieder an – ein flehender Ausdruck in den sonst so strahlenden Augen.
„Kann ich noch mitreinkommen? Ich möchte das klarstellen", murmelte Ben und ich seufzte. „Bitte, Yasi. Du sollst nicht... Ich will nicht, dass du falsche Schlüsse daraus ziehst."
„Okay", war alles, was ich im Stande war zu sagen und Ben nickte nur, ging an mir vorbei und steuerte aufs Wohnzimmer zu, wo wir uns beide niederließen – jeweils dem anderen gegenüber.
„Das war also deine Kate, ja?", durchbrach ich die wieder präsente, drückende Stille, woraufhin er nur umgehend nickte. „Sie ist verdammt hübsch", provozierte ich giftig, sah ihn fest an und er schluckte schwer. „Sag mir, Ben, als du meintest, dass du bei einem Interview warst... War das die Wahrheit?", fragte ich, auch wenn das aktuell vermutlich nicht die wichtigste Frage war, die ich hätte stellen können, aber dennoch beschlich mich in dieser Sache ein ungutes Gefühl.
„Ich... nein", begann er zögerlich, doch ich unterbrach ihn sofort.
„Warst du da bei ihr?"
„Was? Nein! Ich schwöre dir, ich habe sie heute das erste Mal nach all diesen Jahren wiedergesehen", stellte Ben sofort klar, schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich war... bei meiner früheren Therapeutin", gestand er und sah dabei wieder scheu zur Seite.
„Du hast eine Therapeutin?", fragte ich verblüfft und sah, wie peinlich ihm das nun war, auch wenn es eigentlich wirklich nichts gab, was ihm in diesem Bezug peinlich sein musste – es verwunderte mich nur.
„Eigentlich hatte, aber nach letzter Nacht... Ich musste dringend mit ihr sprechen und sie hat sich extra für mich aus dem Bett gequält."
„Wieso diese Lüge, Ben? Wieso musst du dich immer davor drücken mir zu sagen, was in deinem Inneren vor sich geht?"
„Ich... Ich weiß es nicht, aber es tut mir unendlich leid, das schwöre ich dir", gestand er mit Nachdruck in der Stimme, fuhr sich wie immer wenn er nervös war zittrig durch die wuscheligen Haare und beugte sich vor zu mir, so als ob er nach mir greifen wollte – was er aber nicht tat.
Ich seufzte und nahm all meinen Mut zusammen, um als nächstes nun die Frage zu stellen, die mich mehr als alles andere quälte. Während der Rückfahrt und mehr oder weniger schweigend im Pub hatte ich doch genug Zeit gehabt, um darüber nachzudenken. Ich schluckte schwer, doch der Kloß in meinem Hals wollte einfach nicht verschwinden.
„Dennoch war es nicht das erste Mal, dass du wieder in Kontakt mit ihr standst, richtig?"
Ben zögerte kurz, schüttelte dann aber traurig den Kopf.
„Seit wann?", wollte ich jetzt kühl, aber bestimmend von ihm wissen. „Wie lange schon, Ben?", wiederholte ich, nachdem er nicht umgehend antwortete.
„Sie... schrieb mir an dem Abend, an dem du mich auf dem Balkon erschrocken hast das erste Mal", rückte er nun raus mit der Sprache. Als diese Information weiter an mein Gehirn vordrang, weiteten sich automatisch meine Augen.
„Darum also warst du wieder so komisch", fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
„Es tut mir leid, Yasi", sagte er nun leise, rieb nervös seine Handflächen aneinander und vermied es immer noch mich direkt anzusehen.
„Wieso hast du mir das nicht gleich gesagt? Wieso...", begann ich aufgebracht, doch dieses Mal war er es, der mich unterbrach.
„Ich hatte Angst, Yasi! Ich wollte dich nicht... verlieren und ich..."
„War das denn wirklich ein Zufall, dass sie heute vor dem Pub aufgetaucht ist?"
„Natürlich!"
„So selbstverständlich ist das nicht, Ben! Seit Neuestem fängst du ja wieder an dein Versprechen an mich durchgehend zu brechen, wie soll ich denn wissen, ob du die Wahrheit sagst oder nicht?"
„Yasi..."
„Nein, Ben! Was will sie von dir?"
„Mit mir reden... Das was wir nie bereden konnten aus der Welt schaffen."
„Das war es was du mir vorhin sagen wolltest? Oder ging es dabei um etwas Anderes?"
„Ich...", er zögerte, holte tief Luft, setzte dann aber neu an. „Ja." Er sagte wieder nicht die Wahrheit, zumindest nicht die ganze Wahrheit, ich spürte es, aber ich beließ es dabei – vorerst.
„Und danach? Wird dann alles wieder wie früher? Du und Kate bis ans Ende eurer Tage?", stichelte ich weiter, meine Stimme triefend vor Eifersucht, auch wenn ich ja eigentlich immer noch nicht sicher sagen konnte, dass ich eine Art Anrecht darauf hatte.
„Nein! Ich will nur...", versuchte er mir beizubringen, setzte ein paar Mal neu an und wagte es schließlich nach einigen Augenblicken weiterzusprechen. „Wir haben nie wirklich darüber gesprochen, verstehst du. Sie... verschwand einfach aus meinem Leben und ich... will das einfach mit ihr klären. Ich denke das würde mir... ungemein helfen damit abzuschließen", führte Ben weiter aus, beließ es nun aber dabei.
Ich hörte was er sagte, konnte ihn dabei aber nicht ansehen. Meine Augen waren geschlossen und mein Hinterkopf lag mittlerweile auf der Rücklehne des Sessels auf dem ich saß. Mir schwirrten so viele Fragen im Kopf herum, die ich jedoch alle so weit ich konnte in den hintersten Teil meines Gehirns verbannte. So sehr ich auch eine Antwort darauf wollte, eigentlich wollte ich es zu gleichen Teilen auch gar nicht so genau wissen. Es bestand ein durchaus nicht geringes Risiko, dass mir die Antworten nicht gefallen würden. Langsam hob ich meinen Kopf wieder an, um seinen Blick zu suchen und mit großer Genugtuung stellte ich fest, dass auch ihm die Angst und Sorge darin eingebrannt war.
„Okay", sagte ich mit fester Stimme, stand dann auf, ging zur Balkontür und öffnete diese – ich brauchte dringend frische Luft. Eine kalte Brise fuhr durch meine Kleidung und ich legte mir fröstelnd die Arme um den Körper – wie sehr ich mir doch wünschte, dass es Bens Arme wären.
„Es tut mir leid, Yasi. Ich hoffe, dass du aber weißt, dass das nichts zwischen uns ändert!", beharrte er und ich hörte wie er aufstand, sich in Bewegung setzte und unmittelbar hinter mir zum Stehen kam. Ich spürte bereits die Wärme, die von seinem so nahen und doch so fernen Körper ausging, doch er blieb wo er war, auch wenn er mit dem Gedanken gespielt haben musste, mich von hinten in den Arm zu nehmen.
„Tut es das nicht?", sagte ich leise, während ein trauriges Lächeln meine Lippen umspielte und ich spürte eine gewisse Leere und Müdigkeit, die mich plötzlich völlig einlullte.
„Yasi...", flehte Ben verletzt, doch ich schüttelte nur den Kopf, spürte wie stumme Tränen anfingen meine Wangen zu benetzen, die er jedoch glücklicherweise nicht sah, da ich immer noch mit dem Rücken zu ihm stand – den Blick in die durch den Vollmond beleuchtete Nacht gerichtet.
„Bitte geh jetzt, Ben. Ich möchte allein sein", murmelte ich, woraufhin ein herzzerreißendes Seufzen an meine Ohren drang und Benedict seine Hand vorsichtig auf meine Schulter legte. „Nicht", sagte ich hastig, schüttelte seine Hand entschieden ab und schüttelte den Kopf. „Nicht", wiederholte ich meine Aussage und er schien zu verstehen, entschied sich wohl dafür, mich fürs Erste wohl besser in Ruhe zu lassen.
„Bis morgen, Yasi", sagte er irgendwann und ich hörte, wie er sich erneut in Bewegung setzte, darauf wartete, dass ich etwas erwiderte, doch erst als ich draußen im Flur die Tür sich schließen hörte wagte ich es, meine Stimme wieder zu benutzen.
„Bis morgen, Ben", krächzte ich erschöpft und sank dann leise weinend auf den Teppichboden.
~~~*~~~
Trotz Bens kurzer Nachricht am nächsten Morgen entschied ich mich dafür mit einem Taxi zum Studio zu fahren und ihn zu ignorieren. Je weniger Zeit ich momentan mit ihm verbringen musste, desto besser. Vielleicht würde ihm das endlich bewusstmachen, dass ich nicht bereit war mich noch länger so hinhalten zu lassen. Ich konnte durchaus verstehen, dass er das mit Kate klären wollte und offensichtlich hatte er ihr auch von mir erzählt, aber dennoch versetzte mich all das in einen unbeschreiblichen Zustand der Ungewissheit, der mich drohte wahnsinnig zu machen. Manchmal war ich einfach ein viel zu gutherziger Mensch und verfluchte mich selbst dafür.
Glücklicherweise war der erste Tag im Studio aber so dermaßen vollgepackt, dass mir wenig Zeit blieb meinen trüben Gedanken nachzuhängen. Die Kulissen die dort aufgebaut worden waren, sahen absolut fantastisch aus und ich war fasziniert von der Liebe zum Detail, um die sich Mark und Steven permanent kümmerten. Ich war bisher noch nie in einem Filmstudio gewesen und obwohl es nur das Studio der BBC war, zog es mich schon absolut in seinen Bann. Den ganzen Tag hetzte ich hin und her, tat alles was mir aufgetragen wurde mehr als nur gewissenhaft und stürzte mich mit vollem Einsatz in die Arbeit. Natürlich entging mir nicht, wie vor allem Mark mich immer wieder prüfend musterte. Er wusste ganz genau, dass sich seit gestern Abend etwas ganz gravierend verändert hatte, aber noch sprach er mich nicht darauf an, was ich sehr zu schätzen wusste. Aktuell wollte ich wirklich nicht darüber sprechen. Vom Cast waren heute nur Ben, Martin und Amanda hier, alle anderen hatten einen freien Tag. Das war aber auch ausreichend, denn ich hatte wirklich keine Lust von noch mehr Augenpaare immer wieder besorgt beobachtet zu werden. Ben versuchte öfters verunsichert zu mir zu kommen und ein Gespräch mit zu führen, welches ich aber immer umgehend wieder abblockte, indem ich ihn einfach stehenließ.
Gerade startete er den nächsten Versuch, traute sich auf mich zuzugehen, doch ich entfernte mich sofort schnell von ihm und bedeutete Mark, dass ich dringend eine kurze Pause an der frischen Luft brauchte. Dieser nickte nur und sah mich traurig lächelnd an. So schnell ich konnte hetzte ich nach draußen, lehnte mich unmittelbar neben der Tür an die Wand und holte erst einmal tief Luft. Verdammt, wieso konnte er nicht einfach mal auf Abstand bleiben? Wieso musste er das alles für mich nun wieder so schwermachen? Womit hatte ich all das bloß verdient?
„Sag mal, weißt du was mit den Beiden schon wieder los ist?", hörte ich plötzlich jemand fragen und als ich mich suchend umsah, konnte ich diese Stimme sofort Amanda zuordnen.
Sie saß mit Martin auf einer Bank unweit vom Studioausgang. Ich hatte sie dort gar nicht bemerkt und sie mich wohl auch nicht. Scheinbar hatten auch sie eine kleine Pause gebraucht. Genüsslich reckten beide ihre Köpfe den wenigen wärmenden Sonnenstrahlen entgegen, die uns gerade geschenkt wurden.
„Ich habe absolut keine Ahnung. Bis gestern Abend im Pub wirkten sie auf mich... glücklich", entgegnete Martin und ich hielt beinahe die Luft an, weil ich nicht wollte, dass sie mich bemerkten. „Und ich sagte noch zu Ben, dass er es nicht verbocken soll. Elender Vollidiot."
„Ja, das stimmt... Ich hatte gehofft, dass er endlich mal wieder jemanden in sein Leben lassen würde, er hätte es wirklich bitter nötig. Er braucht jemanden, der für ihn da ist – auf diese Art und Weise", sagte Amanda nachdenklich und anhand ihren Schultern sah ich, dass sie seufzte. „Yasmin wäre perfekt für ihn. Sie könnte ihn... erden."
„Das könnte sie, ja. Er ist sowieso schon hoffnungslos in sie verliebt, ich weiß gar nicht, wo hier eigentlich das Problem liegt. Er kann doch nicht ewig wegen Kate diese Nummer abziehen", entgegnete Martin. Scheinbar wusste Bens Freund noch nicht, dass Kate wieder da war.
„Meinst du?"
„Meine ich was?", fragte Martin zurück, schob sich die Sonnenbrille etwas von der Nase und sah zu Amanda rüber.
„Dass Ben in sie verliebt ist."
„Natürlich ist er das", sagte Martin herzhaft lachend. „Komm schon, sag mir nicht dir sind diese Blicke entgangen! Ich dachte ihr Frauen hättet bei so etwas immer die bessere Intention."
„Mhm, du hast wohl recht", murmelte Amanda nachdenklich. „Yasmin liebt ihn auch, das habe ich sofort gesehen und dennoch gehen sie sich heute wieder aus dem Weg. Ich befürchte wirklich, dass das nicht gut ausgehen wird. Wenn es stimmt was du sagst, wird ihn das wieder brechen und dieses Mal mit großer Wahrscheinlichkeit sogar schlimmer als damals bei Kate."
„Das glaube ich auch. Er wird aber nicht der Einzige sein, dem es das Herz brechen wird. Ganz sicher nicht, aber darauf wird es wohl hinauslaufen. Er lässt mich nicht mit ihm reden und Yasi... sie wäre dumm, dieses Spiel auf lange Sicht mitzuspielen. Sie ist eine starke Frau und wird das nicht mehr mitmachen", sinnierte Martin ernst und ich sah Amanda erneut nicken.
„Es ist wirklich eine Schande...", bestätigte Amanda und ich hörte noch, wie sie weitersprach, verstand aber ihre Worte längst nicht mehr.
In meinen Ohren rauschte das Blut so laut, dass es alles andere übertönte. Mir wurde schwindelig und schlecht, aber dennoch versuchte ich schnellstmöglich und trotzdem so leise wie möglich nach drinnen zu torkeln. Es war zu viel, alles drohte über mir einzustürzen. Das was sie gesagt hatten war wohl nichts Neues für mich, aber dennoch hatte es mich erschrocken. Gleichzeitig wusste ich auch, dass sie recht hatten.
~~~*~~~
Sobald Mark gemeint hatte, dass er mich nicht mehr brauchte, floh ich förmlich aus dem Studio, so sehr es mir auch dort gefiel. Was mir gar nicht gefiel, war Bens Anwesenheit. Ich für meinen Teil war der Meinung, dass ich mich deutlich besser geschlagen hatte als das letzte Mal, nachdem mich Ben so aus dem Konzept gebracht hatte. Auch Ben hatte relativ konzentriert, wenn auch abwesend gewirkt. Naja, zumindest schränkte uns das alles nicht zu sehr bezüglich unserer Arbeit ein. Das Gespräch, was ich zwischen Amanda und Martin mitbekommen hatte, setzte mir allerdings immer noch ziemlich zu.
Den Rest des Abends verkroch ich mich in meinem Zimmer, plünderte die Snackbar und trank literweise Tee, während ich mich unter meiner Bettdecke verkrümelte und an die Decke starrte. Ich versuchte es tunlichst zu vermeiden an Ben zu denken, der vor wenigen Stunden noch hier neben mir gelegen hatte. Ich versuchte auch seinen männlich herben Geruch auszublenden, der immer noch im Laken hing. Frustriert stöhnend rollte ich mich auf den Bauch und schloss die Augen. Wohin sollte all das bloß noch führen, fragte ich mich bestimmt schon zum hundertsten Mal an diesem Tag.
Ein unscheinbares Geräusch ließ mich aus meinem Selbstmitleid etwas hochschrecken. Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte ich mich laut raschelnd wieder auf die Seite, lauschte in die absolute Stille meines Zimmers und hatte gerade gedacht, dass dieses Geräusch nur in meiner Einbildung da gewesen war, doch dann ertönte es wieder und ich ordnete es klar als zaghaftes, leises Klopfen an meiner Zimmertür zu. Irritiert blickte ich auf die Uhr. Es war bereits mitten in der Nacht. Es gab nur eine Möglichkeit, wer das dort vor der Tür sein könnte und das war die mit Abstand letzte Person, die ich gerade eigentlich sehen wollte.
Trotzdem quälte ich mich aus dem Bett, ging auf Zehenspitzen zur Tür und ließ mich so leise ich konnte an der Wand unmittelbar neben der Tür herabsinken, zog meine Beine an die Brust und bettete meinen Kopf auf die Knie. Meine Augen brannten wie Feuer, nicht nur von der mich schier überwältigenden Müdigkeit, sondern viel mehr von den unzähligen Tränen, aber trotzdem war an Schlaf nicht zu denken.
„Yasi, ich weiß, dass du da bist", drang Bens Stimme gedämpft durch die Tür an meine Ohren, doch ich rührte mich nicht, sondern wartete. „Du schläfst nicht, ich spüre es. Bitte mach auf", hielt er stand und klopfte wieder vorsichtig gegen die Tür. „Ich werde hier nicht weggehen, bevor du aufmachst." Ich seufzte entnervt, denn ich wusste, dass er das in der Tat machen würde.
„Was willst du?", rief ich also mit einer zitternden Stimme, die ich leider nicht vermeiden konnte.
„Mit dir reden. Mach auf, Yasi", kam es sofort wieder von Ben und mir entging nicht die leichte Veränderung seiner Stimme, nachdem ich mich endlich zu Wort gemeldet hatte. „Bitte, Yasi. Komm schon, mach die Tür auf. Ich halte das nicht mehr aus, es ist zu viel."
„Ach, dir ist es zu viel? Und was ist mit mir, hm? Was glaubst du denn, wie es mir damit geht?", schrie ich giftig, wischte mir mit einer aggressiven Handbewegung die schon wieder aufwallenden dämlichen Tränen aus den Augenwinkeln.
„Ich war bis eben bei Kate", sagte Ben nach einem Augenblick der Stille und ich wurde umgehend hellhörig, beruhigte meine hektische Atmung wieder etwas. Elender Bastard, er wusste genau, dass er damit meine volle Aufmerksamkeit hatte.
„Und war es schön? Habt ihr die alten Zeiten wieder aufleben lassen?", fauchte ich wütend, doch Ben blieb ruhig.
„Sei bitte... nicht albern", entgegnete er etwas aufgebracht, seufzte dann aber wieder hörbar – wohl um sich wieder zu beruhigen. „Mach auf, Yasi. Ich werde dir alles erzählen."
Irgendetwas in der Art wie er es dieses Mal sagte, ließ mich doch tatsächlich weich werden. Zugegebenermaßen packte mich auch die Neugier. Ich zögerte noch ein letztes Mal, rappelte mich dann jedoch auf und öffnete ohne weitere Umschweife und ohne einen weiteren unfreundlichen Kommentar die Tür. Ben hatte sich mit beiden Armen am Türrahmen abgestützt und sah nun überrascht, aber auch erleichtert zu mir. Wortlos trat ich einen Schritt zur Seite und er betrat mein Hotelzimmer.
„Also?", fragte ich skeptisch, verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
„Wir haben lange geredet, Kate und ich", begann er, sah mir direkt in die Augen. „Es wurde alles aus der Welt geschafft und wir haben uns nun darauf geeinigt Freunde zu bleiben."
„Freunde? Dein Ernst?", hinterfragte ich schnaubend, doch Ben nickte nur.
„Ja, Freunde. Vermutlich werden wir uns sowieso nicht mehr oft sehen, schließlich hat sie ihr Leben hier in Cardiff und ich meines in London mit... dir", sagte er vorsichtig, musterte mich abwartend, doch ich schüttelte nur ungläubig den Kopf.
Das konnte er doch nicht ernst meinen! Und auch wenn er es ernst meinte: Wie würde das nun für uns weitergehen? Würden wir es endlich betiteln? Das was nun schon seit geraumer Weile wie ein Elefant im Porzellanladen zwischen uns war? Wenn nicht machte doch all das hier überhaupt keinen Sinn! Er müsste sich nicht rechtfertigen oder auch nur befreundet mit ihr bleiben.
„Aha, okay. Lass uns erstmal setzen, ich habe keine Lust hier im dunklen Flur zu stehen", meinte ich nur, ging ins Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. „Möchtest du...", begann ich ihn zu fragen, drehte mich dabei um und sah, dass er mir gefolgt war, als mein Blick an seinem Hemdkragen hängenblieb. Wenn es biologisch irgendwie möglich wäre, wären mir mit Sicherheit die Augen aus dem Kopf gefallen.
„Nur Freunde also, ja?! Und wie kommt dann dieser grässlich rote Lippenstift an dein Hemd?", brüllte ich ihn jetzt völlig außer mir an und bemerkte den erschrockenen Gesichtsausdruck, der sich sofort auf Bens Züge stahl und er prüfend an sich herabsah – er sah mehr als ertappt aus.
„Yasi, nein! Ich kann das erklären!", flehte er sofort, doch ich war schon bei ihm und schob ihn so fest ich nur konnte zurück in den Flur – eine schier unstillbare Wut kämpfte sich an die Oberfläche.
„Nicht nötig, ich will nichts davon hören. Verschwinde!", schrie ich ihn an und Ben schien so perplex zu sein, dass er ohne jeglichen Widerstand vor mir her stolperte, bis er jedoch die Kontrolle über seinen Körper zurück zu erlangen schien.
„Warte, zieh bitte keine voreiligen Schlüsse! Es ist wirklich nicht das wonach es aussieht!", flehte er und da war dieser unleidige Satz, bei dem ich gehofft hatte, er würde darauf verzichten. Ich konnte nicht mehr an mich halten und schlug einfach zu. Erst traf meine flache Hand seine linke Wange, danach seine rechte.
„Wie kannst du es eigentlich wagen, Ben?! Nach alle... dem hier! Ich weiß, dass wir es nie betitelt haben, vor allem aus Rücksicht auf dich, aber was glaubst du denn eigentlich wieso ich mit dir geschlafen habe? Wieso du mich zum Weinen bringst, abgesehen von der Tatsache, dass du das größte und ignoranteste Arschloch auf diesem gesamten Planeten bist, hm?!", klatschte ihm ihn nun hysterisch kreischend an den Kopf und wusste, dass er bei mir nun einen Schalter umgelegt hatte, der nicht oft umgelegt wurde.
Eigentlich war ich eine sehr friedliebende Person, aber wenn man mich zu sehr provozierte oder in die Enge trieb, konnte das schon einmal ins Gegenteil umschlagen. Ben sah mich verdattert an, rieb sich intuitiv mit der Hand über die linke Wange und öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Ich liebe dich, verdammt! Ich habe mich in dich verliebt! Ausgerechnet in dich! Wieso zur Hölle musste das passieren?", sprach ich endlich das aus, was mir schon so lange auf dem Herzen lag, während erneut heiße, salzige Tränen mein Gesicht benetzte. „Und was machst du? Du fängst an mir ein gutes Gefühl zu geben und dann machst du mit deiner Ex wieder rum! Ich verfluche dich, Ben! Ich wünschte ich hätte dich nie kennengelernt!", führte ich meine Schimpftirade wild gestikulierend fort und spürte, wie die Wut, die sich in meinem Bauch bildete immer überwältigender wurde. Als ich hysterisch auflachte sah Ben mich vollends entgeistert an. „Soll ich dir mal was sagen? Du bist kein Gramm besser als dein Alter Ego Sherlock. Du hast keine Ahnung, wie man sich anderen Menschen gegenüber verhält! Vor allem denen gegenüber, die dich offensichtlich lieben. Vermutlich kann das sogar Sherlock noch besser als du und das obwohl er einen Grund hat so zu sein im Gegensatz zu dir!"
Ich ließ alles raus, ließ die Worte nur so aus meinem Mund sprudeln, es hätte mir nicht unwichtiger sein können, wie sehr in das nun traf und das tat es gerade mehr als deutlich. Gut so. Sollte er sich ruhig mal so fühlen wie ich es gerade tat, auch wenn ich trotz allem wohl als Verlierer aus dieser Sache hervorgehen würde.
„Lass mich doch bitte...", versuchte er es erneut mit brechender Stimme, blinzelte ein paar Mal überrumpelt, jedoch ließ ich ihn nicht zum Zug kommen.
„Nein, Ben! Heute nicht! Überhaupt nicht mehr! Sag mir nur eins: Liebst du sie noch? Liebst du Kate?", unterbrach ich ihn barsch und das kurze Zögern was er an den Tag legte, kombiniert mit dem seltsamen Ausdruck in seinen Augen und der Versuch zögernd den Mund zu öffnen war genug für mich. Er brauchte nichts mehr zu sagen, ich hatte meine Antwort. „Ich verstehe. Dann war das alles hier also völlig bedeutungslos für dich. Okay", zwang ich mich zu sagen, Ben schüttelte empört den Kopf und er öffnete wieder den Mund, um etwas zu sagen, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Dann freut es dich sicher zu hören, dass ich ab Mittwoch sowieso erst einmal für zwei Wochen in Deutschland bin. Dann kannst du dich in aller Ruhe mit deiner Kate beschäftigen, ohne dass dir jemand in die Quere kommt. Jemand, der dumm genug war sich in dich Dreckskerl zu verlieben."
„Was? Du gehst nach..."
„Ja, das war schon von Anfang an so mit Mark abgesprochen. Ich muss für eine Zwischenklausur zurück. Freust du dich?"
„Yasi, sei doch nicht so! Du weißt, dass..."
„Oh, ich weiß längst nichts mehr. Rein gar nichts, vor allem wenn es um dich geht und jetzt verschwinde!", fuhr ich ihn mit wild pochendem Herzen an, als er immer noch wie angewurzelt in meinem Zimmerflur stand und verwirrt blinzelte. „Hörst du schlecht? Geh endlich! Raus aus meinem Zimmer!", wiederholte ich meine Aufforderung, schubste ihn mit beiden Händen grob nach vorne, woraufhin er ein ganzes Stück nach hinten taumelte. Eilig öffnete ich schonmal die Tür und schob ihn dann mit aller Kraft auf sie zu.
Ben schien so von der Situation überfordert, dass er es nun mehr oder weniger zuließ und ich schaffte es schließlich ihn vor die Tür zu setzen. Ein letztes Mal begegnete ich seinen dunklen Augen und im nächsten Moment hatte ich ihm auch schon die Tür vor der Nase zugeknallt. Verdammt war ich gerade froh, dass wir getrennte Zimmer hatten. Ich schaffte es nicht länger mich einigermaßen am Riemen zu reißen und sank schließlich laut schluchzend an der Zimmertür hinab auf den Boden. Wie ein Häufchen Elend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen und heulte wie ein Schlosshund. Von Benedict hörte ich nichts mehr, aber es war mir auch egal, ob er nun noch vor meiner Tür stand oder nicht. Alles was mit ihm zu tun hatte, war mir gänzlich egal. Sollte er doch zur Hölle fahren!
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