4 » Reden ist silber
C H A R L I E
London, Januar 2015
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„Und da fällt dein alter Grandpa gerade über das Buffet her. Er konnte gar nicht genug von dem herrlich gedünsteten Fisch bekommen. Ich wette, er hat ein paar Pfund zugenommen, aber das kann man im Alter verschmerzen."
Seit zwei Stunden saß ich auf dem Sofa und musste mir die Bilder von den Bahamas angucken. Grandma erzählte so euphorisch von ihrem Urlaub mit Grandpa, dass mir beinahe die Ohren abfielen. Das Foto von Grandpa am Buffet war eines der wenigen gewesen, auf dem einer von ihnen abgebildet war, der Rest war erschreckend öde.
Sand, Sonnenuntergänge, Sonnenaufgänge, Wellen, Sand, Schildkröten, Kokosnüsse und Sand.
Und als wäre das nicht schon genug um einen quälend langsam einzuschläfern, waren die Fotos nicht einmal sonderlich gut. Bei manchen Motiven hatte Grandma einfach viel zu nah rangezoomt, ein anderes Mal hatte sie so schief fotografiert, dass wir alle verkrampft die Köpfe neigen mussten. Einige Fotos waren so furchtbar verwackelt, das hätte alles sein können.
„Eurem Vater hätte das sicher gefallen", warf mein Grandpa dazwischen und schwelgte für einen Moment in alten Erinnerungen.
Grandpas Sohn war genau so ein Weltenbummler wie sein Vater selbst gewesen und hatte sich für eines seiner Kinder immer das gleiche gewünscht. Dads Abenteuer hatten mich schon als Kind gereizt, ich hätte jedoch nie den Mut meines Vaters einfach so für eine Weile zu verschwinden und blieb lieber da, wo ich hin gehörte.
Neben mir auf dem Sofa kauerte Amy, die hartnäckig versuchte sich wach zu halten und dabei gähnte, als gäbe es kein Morgen mehr. Ihr Geburtstag, den wir heute feierten, war bei den ganzen Reiseberichten in den Hintergrund gerückt. Alle warteten ungeduldig auf den letzten Gast, damit Amy endlich ihre Geschenke auspacken konnte und wir Grandma so viel Kuchen in den Hals stopfen konnten, dass sie für fünf Minuten die Klappe hielt.
Mason hatte es selbst nach einem Monat nicht aufgegeben und zupfte ausgelassen auf seiner Gitarre herum. Wir hatten ihn allerdings dazu gezwungen den Verstärker auszustöpseln, damit wir uns in normaler Lautstärke unterhalten konnten. Andererseits zog ich das unkoordinierte Geklimper von Mason dem Urlaubsbericht meiner Großeltern alle male vor, aber daran führte kein Weg vorbei. Nun saß mein kleiner Bruder auf einem Stuhl in der Ecke und streckte konzentriert die Zunge raus.
„Oft weiß man ja viel zu wenig über all die verschiedenen Essensgewohnheiten des Ortes den man besucht. Ich kann euch sagen, das Essen dort war ganz nach meinem Geschmack; raffiniert, würzig; einfach traumhaft. Wusstet ihr, dass-"
„Ich denke, wir sollten einfach ohne Nathan anfangen. Wenn wir noch länger warten, wird der Tee kalt", unterbrach Mum das Gequassel und stand entschlossen auf.
„Ich helfe dir!" Amy war auf einen Schlag wieder hellwach und sprang ungehalten vom Sofa auf. Die Chance, das Wohnzimmer zu verlassen ließ ich mir jedoch nicht nehmen. So stand ich selbst auf und wandte mich gespielt fürsorglich an meine Schwester: „Schon okay, ich mach das schon, du hast doch Geburtstag." Entgeistert zog sie ihre Augenbrauen zusammen und ich verschwand mit einem zuckersüßen Lächeln in der Küche.
„Wenn ich mir noch ein bescheuertes Schildkrötenfoto angucken muss, dann pack ich meine Koffer und bin weg." Seufzend holte ich die Kuchengabeln aus der Schublade und legte sie anschließend unsanft auf die gestapelten Teller. "Und ich dachte schon, die Fotos von ihrer Italienreise wären die Krönung gewesen. Aber das übertrifft wirklich alles."
„Du weißt schon, dass wenn Nathan hier auftaucht, sie die ganzen Fotos nochmal zeigen wird, oder?", zerstörte meine Mutter die Hoffnung auf einen entspannten Nachmittag und holte einige Tassen aus dem Schrank. „Du kannst deinem Bruder übrigens ausrichten, dass er gerne in Zukunft an solchen Veranstaltungen teilnehmen darf, wenn es seine kostbare Zeit zulässt. Ich glaube ja nicht mehr daran, dass er hier auftaucht."
„Du tust gerade so, als würde sich bei mir eher melden als bei dir."
In einem hatte sie allerdings Recht. Seitdem Nathan in seinem öden Bürojob am anderen Ende der Stadt versauerte und mit seiner grässlichen Freundin zusammen wohnte, ließ er sich immer seltener bei uns blicken. Als ich ihn das letzte Mal sah, hatte er seine Auserwählte dabei gehabt und sie turtelten was das Zeug hielt. Sie waren seit knapp zwei Jahren zusammen und wenn es nach mir ging, war das schon viel zu lang.
Sie war furchtbar.
Meine Mum hatte sich für ihren Sohn immer jemanden gewünscht, der ihn aus dem Haus holte. Stattdessen ließ sie sich von ihm bedienen und Nathan war verliebt genug, um ihr nach einem langen Arbeitstag jeden Wunsch von den Lippen abzulesen; die rosarote Brille hatte ihm völlig den Verstand vernebelt. Doch da er allen Anschein nach mit ihr glücklich war, hielten wir die Klappe. Ganz nach dem Motto: Leben und leben lassen.
„Ich verstehe immer noch nicht, warum du in diesem entsetzlichen Cafe arbeitest, Charlotte." Grandma nahm ein weiteres Stück von meiner selbst gebackenen Torte und verdrehte genüsslich die Augen. „Du vergeudest dein ganzes Potenzial."
Mir huschte ein großes Lächeln über die Lippen und auch wenn Eigenlob stank, mit der dreistöckigen Torte in Amys Lieblingsfarben hatte ich mich wirklich selbst übertroffen. Kleine weiße Blüten verzierten das pastelrosane Gebäck und eine große Vierzehn oben drauf rundete das Ganze ab.
Wir gaben die Hoffnung auf, dass Nathan tatsächlich noch auftauchte und Amy stürzte sich freudestrahlend auf ihre Geschenke. Neben Gutscheinen und Klamotten war allerdings das Geschenk meiner Großeltern der große Star. Amy brach fast in Tränen aus als sie hastig den schlichten Umschlag aufgerissen hatte.
Ich saß am anderen Ende des Sofas und verstand die ganze Freude nicht. Stattdessen nahm ich gelangweilt einen Schluck von meinem Tee und beobachtete das Treiben, bis sie Grandma und Grandpa schließlich überschwänglich umarmte und mir anschließend mit ihrem Geschenk vor der Nase rumfuchtelte. Wirklich erkennen konnte ich jedoch immer noch nichts; meine Schwester war viel zu aufgeregt und tanzte ungehalten im Wohnzimmer herum.
„Ihr seid die aller-, allerbesten", quiekte sie und kreischte so laut, dass mir fast das Trommelfell platzte.
„Ich erwarte natürlich, dass du deine Schwester begleitest, Charlotte." Grandma schaute mich auffordernd an und ich blickte mich ratlos um: „Zu was begleiten?"
Amy kam auf mich zu gerannt und haute mir vor lauter Euphorie fast die Tasse aus der Hand. Sie hielt mir die bunten Papierstreifen vor das Gesicht und hatte ein breites Grinsen auf den Lippen: „One Direction-Konzertkarten!"
Ich verschluckte mich an dem Rest Tee, den ich mir gerade erst in den Mund geschüttet hatte und hustete ungeniert in meine Tasse.
Das konnte doch wirklich nicht Grandmas Ernst sein. Dass sie überhaupt wusste, dass Amy eine Boyband anhimmelte und sich den Namen gemerkt hatte, war schon kurios genug. Aber die Vorstellung, dass meine Großeltern auch noch entschlossen an eine der Vorverkaufsstellen gerannt waren und Karten besorgt hatten, gab mir den Rest.
Ich dachte daran, wie ich vor einem Monat Stuarts Haus verlassen hatte und einen von Amys Idolen verkatert auf dem Sofa zurück ließ. Wenn Grandma wüsste, wie beduselt mich Harry an der Haustür empfangen hatte, hätte sie Amy definitiv ein anderes Geschenk gemacht und die Milchbubis verflucht.
„Das ist meine Bedingung", riss Grandma mich aus meinen Gedanken. „Das ist eine ganze Ecke weg, schafft deine alte Karre das denn noch?" Ich riss Amy die Karten aus der Hand und las sie mir durch.
Nach Cardiff waren es von hier aus gut drei Stunden und ich bereute schon jetzt meine Antwort, denn ich wusste, dass meine Schwester die gesamte Fahrt über sämtliche CDs ins Radio schmiss und lauthals mit sang.
„Das wird schon gehen", meinte ich. Amy fiel mir um den Hals und bedankte sich daraufhin gefühlte zweihundert mal bei unseren Großeltern.
Als Grandma zum Abend hin ihren Urlaubsbericht fortsetzte, schnappte ich mir mein Handy und tippte eine Nachricht an Ed, in der ich ihn bat mich aus dieser Hölle rauszuholen, damit er mich anrief und ich unter einem Vorwand das Wohnzimmer verlassen konnte.
Keine Minute zu spät ertönte mein Klingelton und ich spielte überrascht, entschuldigte mich und verließ den Raum.
„Du bist der Retter in der Not", platzte es aus mir heraus und ich hörte Ed am anderen Ende der Leitung lachen.
„Was ist passiert? Hat deine Granny dich wieder in Grund und Boden gequasselt?", fragte er amüsiert.
„Du hast ja keine Ahnung. Grandma zeigt uns Urlaubsfotos und beschreibt detailliert jeden einzelnen Sandkorn." Stöhnend ließ ich mich auf die Treppe im Flur fallen und lehnte meinen Kopf ans Geländer: „Danke, dass du angerufen hast. Jetzt kann ich wenigstens sagen ich hätte einen wichtigen Anruf gekriegt und kann verschwinden, weil es irgendeinen Notfall gibt."
„Das heißt, du hast für heute nichts mehr geplant?"
„Nein, habe ich nicht. Warum fragst du?" Ich legte meine Stirn in Falten und wartete geduldig auf Eds Antwort.
„Das trifft sich gut", sprach er gut gelaunt, „Dann kommst du mit mir auf eine Party. Ich nehme dich einfach mit."
„Was für eine Party? Du weißt, dass ich nicht unbedingt der größte Party-Gänger unter der Sonne bin, oder?" Schon bereute ich es ihn angerufen zu haben. Lieber wollte ich eine Weile in der Gegend rumfahren, mir irgendwo einen pappigen Cheeseburger holen und erst wieder nach Hause kommen, wenn meine Großeltern weg waren.
„Harry schmeißt bei sich Zuhause eine Party. Die Jungs gehen in ein paar Tagen auf Tour und er verschwindet übermorgen nach Los Angeles. Davor will er nochmal richtig die Sau rauslassen."
Er hatte sie doch nicht mehr alle. Als hätte ich für heute nicht schon genug One Direction gehabt, wollte Ed mich zu einer übertriebenen Promi-Party mitnehmen? Mal abgesehen davon, dass ich noch nie auf solch einer Party war, kam ich mir sicher furchtbar fehl am Platz vor.
„Vergiss es. Du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank", fuhr ich ihn an und schnaufte verächtlich ins Handy.
„Du willst also lieber mit deiner Familie im Wohnzimmer sitzen und die schlechteste Diashow der Welt über dich ergehen lassen? Dabei könntest du Gratisgetränke abstauben und dich mit mir über diverse aufgeblasene Vollidioten lustig machen."
Mechanisch drehte ich meinen Kopf Richtung Wohnzimmer und hörte das Gerede meiner Grandma bis hier hin. Wenn ich mir noch ein Wort darüber anhören musste wie die Menschen auf den Bahamas ihre Kokosnüsse von den Bäumen holten, würde ich sicherlich durchdrehen.
„Schön!", gab ich schließlich seufzend nach und verdrehte die Augen, "Wann geht's los? Was zieht man da eigentlich an? Ich hab nichts Schickes oder so."
„Entspann dich, Charlie. Harry wird wahrscheinlich aussehen, als hätte er in der Altkleidersammlung gewühlt. Jeans und Tshirt tun es auch."
Ed nannte mir eine Adresse und bat mich, ihn vor dem Haus zu treffen. Danach legte ich auf, brachte meine Haare in Ordnung und bediente mich an der Wimperntusche meiner Mutter. Ich brezelte mich ganz sicher nicht auf, aber aussehen als wäre ich tot kam auch nicht in Frage. Ich zog wahllos ein Tshirt aus dem Schrank und quetschte mich in eine schwarze Jeans, stürmte dann nach unten und verkündete, dass ich dringend weg müsste.
Niemand fragte nach dem Grund, dabei hatte ich mir eine wirklich gute Ausrede parat gelegt und im Bad vor dem Spiegel meinen enttäuschten Gesichtsausdruck geübt.
Die einzige, die überhaupt darauf reagierte, war Amy: „Kannst du mich vielleicht zu Lauren bringen?"
„Zu wem?", fragte ich irritiert und warf mir meinen Mantel über.
„Lauren! Meine beste Freundin?", sagte sie, als wäre das offensichtlich. Dabei war es mir immer noch fremd, dass Amy in letzter Zeit so oft unterwegs war und plötzlich all den Teenie-Kram machte, der in ihrem Alter normal war.
Gut erzogen, wie wir nun einmal waren, verabschiedeten wir uns ausgiebig bei unseren Großeltern und machten uns anschließend blitzschnell vom Acker. Im Auto angekommen ließen wir uns erleichtert in den Sitz fallen und genossen die Ruhe.
„Du bist ein Genie, Charlie. Ich hab so sehr darauf gehofft, dass du dich aus dem Staub machst und ich einen Grund habe auch abzudampfen", sagte Amy. „Also... was machst du wirklich? Was ist der große Notfall?"
Nervös trommelte ich auf dem Lenkrad herum und biss mir auf die Zunge. Ich hasste es meine Schwester zu belügen, aber in diesem Fall war es einfach besser für sie nichts von all dem zu wissen. Auf jeden Fall war es besser für mich und schonte meine Nerven.
Wenn ich ihr erzählen würde, dass ich in nicht einmal mehr einer halben Stunde auf eine Party ging, die kein geringerer schmiss als Harry Styles, würde sie mir wahrscheinlich überschwänglich ins Steuer greifen und wir würden mit dem Auto in irgendeinem Vorgarten landen. So wollte ich wirklich nicht aus dem Leben scheiden.
„Ich hol mir was zu Essen, fahre ein paar mal um den Block und warte bis ich wieder das Haus betreten kann", flunkerte ich. Ich war erschrocken darüber wie leicht diese oscarreife Lüge über meine Lippen kam und fühlte mich prompt schuldig.
Die Stille im Auto machte mich eigenartig nervös und ich starrte konzentriert auf die Straße. Nicht anders als erwartet, durchbrach Amy kurzerhand unser Schweigen und brabbelte unaufhaltsam drauf los.
„Es ist so cool, dass du zu dem Konzert mitkommst", „Ich bin so aufgeregt", „Ich hoffe, sie spielen Steal My Girl", „Louis ist so süß", „Ich hoffe, wir stehen ganz weit vorne", „Nialls Augen sind so schön, hast du mal darauf geachtet? In seine Augen könnte man sich glatt verlieben."
So schön waren seine Augen nun auch wieder nicht. Ich hatte zwar nicht sonderlich darauf geachtet, als ich mich mit ihm in Stuarts Küche unterhalten hatte, aber Amys Schwärmerei fand ich dann doch etwas übertrieben.
Wenn ich an das bevorstehende Konzert und daran dachte, mit meiner Schwester in einer Traube hysterisch kreischender Fangirls zu stehen, bekam ich Kopfschmerzen und Beklemmungen. Ich stellte mir vor, wie alle um mich herum in Tränen ausbrachen und schluchzend zu herzzerreißenden Songs mit sangen. Zum Glück hatte ich noch gut vier Monate Zeit, um mich mental darauf vorzubereiten.
Amys Begeisterung ignorierte ich erfolgreich; bei ihrer Freundin angekommen schob ich sie aus dem Auto, verabschiedete mich und machte mit quietschenden Reifen die Fliege.
Als ich die Adresse die Ed mir durchgegeben hatte erreichte und aus dem Auto stieg, wurde ich von Schritt zu Schritt immer nervöser. Das große mehrstöckige Haus war umgeben von einer hohen Mauer und schüchterte mich wahnsinnig ein. Vereinzelt standen kleine Gruppen vor dem Haus und gingen anschließend zusammen hinein. Am Straßenrand standen teure Sportwagen und SUVs. Statussymbole waren hier wohl an der Tagesordnung. Es war immerhin nicht so schrecklich überfüllt, aber das beruhigte mich in keinster Weise. Um das Haus standen muskelbepackte Männer, die sich vermutlich darum kümmerten, dass keiner, der nicht auf der Gästeliste stand, ins Haus gelang.
Ich gehörte hier einhundert prozentig nicht hin.
Angespannt blieb ich auf der anderen Straßenseite stehen und beobachtete das Treiben. Ed war bereits zehn Minuten zu spät und mein Herz klopfte immer schneller in meiner Brust. Würde er in den nächsten zwanzig Minuten nicht hier auftauchen, würde ich das Weite suchen.
Eine viertel Stunde später stand ich verloren am Straßenrand und versuchte verzweifelt Ed zu erreichen. Von ihm jedoch kam kein Lebenszeichen und ich schob mein Handy fluchend in die Hosentasche zurück.
Es war stockdunkel und ich hatte mich extra nicht in den Schein der Laterne neben mir gestellt. Nicht, dass jemand auf die Idee kam mich anzusprechen. Das fehlte mir auch noch.
Vor mir am Straßenrand hielt ein schwarzer SUV und ich schaute unauffällig auf den Boden. Dann hörte ich wie die Tür zuknallte.
„Charlie?"
Sofort schoss mein Kopf in die Höhe und ich bereute es auf der Stelle, dass ich nicht schon vor fünf Minuten wieder gefahren war.
Vor mir stand Niall; mit einem riesen Lächeln auf den Lippen. Gott sei Dank war mir sein Name nicht wieder entfallen. Lässig kam er um den schwarzen Range Rover herumgelaufen und kam freudestrahlend auf mich zu: „So sieht man sich wieder. Was machst du denn hier?"
„Ich warte auf Ed, der hat mich sozusagen überredet mitzukommen", erwiderte ich.
Niall stemmte die Hände in die Hüften und schaute mich erwartend an: „Komm, ich nehm' dich mit rein."
„Schon okay, ich warte einfach bis Ed kommt, das kann ja nicht mehr solange dauern." Das freundliche Grinsen das ich aufgesetzt hatte schmerzte in meinen Wangen und ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst.
Doch er ließ sich nicht beirren und zog mich einfach mit sich: „Sei nicht albern, hier draußen frierst du dir noch den Arsch ab." Nachdem ich mich geschlagen gab, folgte ich ihm missmutig über die Straße und stolperte fast über meine eigenen Füße, so schnell war er.
Je näher wir dem Haus kamen, desto lauter wurde es. Widerwillig ging ich hinter Niall durch die große Doppelflügeltür und wurde empfangen von einer riesigen Hitzewelle. Es war furchtbar stickig. Das bunte Licht flackerte im Tackt zur Musik mit, unter mir bebte der Boden und überall tanzten Menschen wild durcheinander.
Niall begrüßte gefühlt jeden einzelnen Gast auf der Party, nur den eigentlichen Gastgeber sah man weit und breit nicht. Entweder verteilte Niall ein paar High Fives oder einer begrüßte den einen oder anderen mit einer kurzen Umarmung. Allgemein war er bester Laune und ließ sich nach nicht einmal zwei Minuten das erste Bier in die Hand drücken. Er führte mich in die offene Küche die an das Wohnzimmer grenzte und ich staunte nicht schlecht, als ich sah wie gut sie ausgestattet war.
Die Küchenzeile war in schlichtem schwarzen Hochglanz und hatte sogar einen Ofen auf Brusthöhe. Es war ein Traum. Ich fragte mich, ob Harry die Küche überhaupt nutzte, wenn sie nicht gerade mit Getränken und Snacks beladen war.
Niall entschuldigte sich kurz und ließ mich einfach allein in der Küche zurück. Ein Typ mit zurückgekämmten platinblonden Haaren, der mich an eine noch schmierigere Version von Draco Malfoy erinnerte, drückte mir einen Drink in die Hand, lächelte mich freundlich an und verschwand in der Menge. Ich würde einen Teufel tun und den trinken, wer wusste schon wo er den Drink her hatte. Stattdessen hielt ich den Becher krampfhaft fest, bediente mich an den Erdnüssen und lehnte mich an die Kochinsel.
Aufmerksam ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen und fühlte mich plötzlich schrecklich underdressed. Die meisten Frauen trugen kurze Kleider, die gerade mal die privatesten Stellen ihres Körpers bedeckten und waren aufgetakelt bis zum geht nicht mehr. Von wegen Jeans und Tshirt taten es auch.
Wo zur Hölle steckte Ed?
Mein Handy zeigte keine neue Nachricht an, auch wenn ich gehofft hatte, dass er mich wenigstens wissen ließ, dass er zu spät kam.
„Der kommt schon noch", ertönte Nialls Stimme hinter mir und ich drehte mich erschrocken um. „Und solange leiste ich dir einfach Gesellschaft."
Er setzte sich mir gegenüber auf die Marmoranrichte und führte sich seine Flasche an die Lippen. Was sollte ich nun darauf erwidern? Über was sollte ich mich überhaupt mit ihm unterhalten?
Wir lebten in völlig verschiedenen Welten. Was sollte ich also sagen, ohne dass ich ihn langweilte? Niall schien meine Unsicherheit zu bemerken: „Du bist dieses ganze Brimborium hier nicht gewohnt, stimmt's?"
„Eher weniger", gab ich zu. „Ehrlich gesagt zähle ich jede Sekunde bis die Party vorbei ist und ich wieder in meine geliebte Jogginghose schlüpfen kann."
Niall lachte ungehalten drauf los und zeigte anschließend auf den Becher in meiner Hand: „Du solltest was trinken. Dann lässt sich das Ganze hier besser ertragen."
„Den hat mir der Todesser für Arme da drüben in die Hand gedrückt", sagte ich und zeigte auf den Blonden von vorhin, der nun seine Tanzeinlagen zum Besten gab. „Da lass' ich lieber die Finger von."
Eines wurde mir an diesem Abend klar: Niall lachte einfach über alles. Entweder hatte er einen speziellen Humor, den ich absolut nicht verstand, oder er erfreute sich einfach an den kleinen Dingen des Lebens.
Ich schätze es sehr, dass er mich nicht einfach hier stehen ließ. Er reichte mir eine Cola, als er mich fragte ob ich etwas anderes trinken wollte und erzählte aufgeregt von der anstehenden Tour und dem Leben auf der Überholspur. Es machte den Anschein, als würde er es wirklich genießen in einer Boyband zu sein und jedem den er traf davon zu berichten.
Ich hatte immer geglaubt, Leute wie er waren froh, wenn sie ihre Ruhe hatten. Genossen es, nicht unterwegs zu sein und konnten einfach mal die Seele baumeln lassen.
Niall allerdings konnte es augenscheinlich gar nicht mehr erwarten, von hier weg zu kommen.
„Langweilt Niall dich mit öden Groupie-Geschichten?", unterbrach ihn kurzerhand jemand und ich drehte meinen Kopf zur Seite. Neben mir hatte sich Harry an die Kochinsel gelehnt und grinste seinen Bandkollegen angriffslustig an. Höflich stellte er sich mir vor und entschuldigte sich für den Abend, an dem er mich besäuselt an der Tür empfangen hatte. Ich war erstaunt, dass er sich an mich erinnerte.
Ed hatte nicht übertrieben als er sagte, Harry würde aussehen als hätte er sich in der Altkleidersammlung bedient. Er trug ein senfgelbes Hemd mit furchtbaren Mustern und kitschigen Blumen. Das wirklich unfaire daran war jedoch, dass es ihm unheimlich gut stand und er immer noch aussah wie aus dem Ei gepellt.
Niall schnaubte verächtlich: „Ich hab' Charlie nur ein bisschen vom Tour-Leben erzählt."
„Ich denke, ich werde bald selber in den Genuss kommen und euch auf der Bühne sehen", erwiderte ich darauf hin und warf mir eine Handvoll Erdnüsse in den Mund. Beide schauten mich ungläubig an und ich schmiss schnell hinterher: „Meine Schwester hat heute Konzertkarten für Cardiff geschenkt bekommen."
„Die Schwester mit den gruselig starrenden Postern?", zog Niall mich auf und er erklärte Harry was es damit auf sich hatte. Ich berichtete, dass Amy sich vor Freude buchstäblich über den Teppich gerollt hatte und während Harry das Ganze mit einem Lächeln quittierte, schien sich Niall über den Gefühlsausbruch meiner Schwester wirklich zu freuen.
„Würde sie sich über Meet and Greet-Tickets freuen?", warf Harry lässig ein und ich riss die Augen auf. Er schmunzelte vielversprechend und fügte hinzu: „Ich könnte euch welche zukommen lassen. So als Dankeschön für die Kopfschmerztabletten letztens."
„Ist das dein Ernst?", fragte ich zögernd.
Harry stützte sich lässig mit dem rechten Ellenbogen auf der Marmorplatte ab: „Klar, warum nicht? Wenn ich deiner Schwester damit eine Freunde machen kann." Er zwinkerte und kurz darauf verschwand Niall, um sich ein neues Bier zu besorgen und sich mit ein paar Leuten zu unterhalten. Vorher verdrehte er jedoch stöhnend die Augen und fluchte darüber, dass Harry den übertrieben freundlichen Gentleman gab.
„Wenn du dich immer so bedankst, dann mache ich sowas öfter."
„Das war erst der Anfang. Warte ab. Wenn du mir das nächste mal noch Frühstück machst, lass ich mir noch was besseres einfallen", sagte er und ich schnaubte amüsiert: „Da kannst du lange warten."
Bevor ich mich weiter mit Harry unterhalten konnte, vibrierte mein Handy in der Hosentasche und ich entsperrte den Bildschirm. Mir wurde eine neue Nachricht angezeigt und schlagartig sank meine Laune ins Unermessliche.
Ed:
Schaffe es nicht mehr zu kommen. Sorry, Charlie.
Das war alles. Keine Erklärung; nichts.
Ohne zu antworten schob ich das Handy zurück in die Hosentasche, beherrschte mich und verabschiedete mich höflich von Harry. Auch wenn der Abend halb so schlimm war wie erwartet, hatte ich keine Lust noch länger dort zu bleiben.
Er versicherte mir nochmals, dass er mir die Karten so bald wie möglich zukommen lassen würde und ich kritzelte ihm meine Adresse auf eine Serviette. Ich bezweifelte, dass sie die ganze Nacht in seiner knallengen Jeans überleben würde, aber dann konnte er sich ja immer noch an Ed wenden. Da hatte ich ja nicht mit zutun. Falls sich Harry überhaupt daran hielt oder sich in ein paar Tagen noch daran erinnerte.
Gerade hatte ich von Mr Ed Sheeran gestrichen die Nase voll.
Ein Gutes hatte der Abend jedoch: Meine kleine Schwester würde vor Freude ausflippen und auf ewig in meiner Schuld stehen. Vielleicht konnte ich sie ja für irgendwelche Notfallsituationen ausnutzen.
Sie könnte mir zum Beispiel ein Alibi verschaffen, wenn unsere Großeltern das nächste Mal zu Besuch kamen.
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