20 » Freier Fall
N I A L L
Sydney, Januar 2016
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Ich hatte mich definitiv geirrt, als ich sagte, dass ich mich darauf freuen würde in meiner freien Zeit mal ordentlich zu entspannen und jeden Tag bis mindestens zwei Uhr zu schlafen. Im Endeffekt stand ich jeden morgen um spätestens zehn auf und startete gut gelaunt in den Tag.
Bei Luke war es wahnsinnig schön und er machte uns einen Vorschlag, den wir einfach nicht abschlagen konnten. Am Abend vor einer Woche im 'Tipsy Koala', nachdem Luke fröhlich ein Bier nach dem anderen spendiert hatte, schlug er uns vor, dass wir gemeinsam nach Sydney aufbrachen. Ellas Familie wohnte dort und da wir sowieso vorhatten, dort als nächstes aufzuschlagen, kam uns sein Angebot gerade gelegen. Wir fackelten nicht lange, holten uns noch ein paar Tipps von Yorick, dem Besitzer der alten Kneipe, packten drei Tage später unsere Sachen und brachen auf.
Der alte Yorick führte tatsächlich noch die Bar und konnte sich sogar an William erinnern. Er redete geschlagene zwei Stunden mit Charlie und sie hörte sich glücklich alles an, was er oder Luke über ihren Vater erzählten. Ich freute mich für Charlie, denn das schien genau das zu sein, was sie gebraucht hatte. Yoricks gesprächsfreudige Enkelin, die ihrem Grandpa am Wochenende aushalf, legte uns ans Herz, dass wir in Sydney unbedingt der 'Soda Factory' einen Besuch abstatten sollten. Dort verkauften sie angeblich die besten Hot Dogs, die es gab. Jeden Dienstag sollte dort eine Jamsession stattfinden und die Hot Dogs nur einen Dollar kosten.
Als wir nach Sydney aufbrachen, wurde Hannah vor dem Flug wieder nervös und das Ganze Prozedere ging von vorne los. Jedoch saß ich dieses Mal nicht neben Charlie, denn die versuchte ihre beste Freundin zu beruhigen. Ella, Riley und Luke hatten den Hin- und Rückflug gebucht, im Gegensatz zu uns, denn wir hatten den Plan ein paar Tage dort zu bleiben und dann nach Melbourne weiter zu ziehen. Dankbar machten wir uns zu siebt auf den Weg und ich holte auf dem vierstündigen Flug eine Mütze Schlaf nach.
Dort angekommen bezogen Ed, Charlie Hannah und ich eine kleine Suite in einem Hotel, was besonders Hannah zu gefallen schien. Dieses Mal überredeten wir auch Charlie dazu, sich nicht aufzuregen, dass Ed und ich bezahlten und sie fand sich damit ab. Wir hatten ein gemeinsames Wohnzimmer, einen langen Flur, zwei Schlafzimmer und ein gemeinsames Bad. Es war bei weitem nicht so protzig, wie Charlie es sich anfangs vorgestellt hatte.
Obwohl sowohl Ed, als auch ich einen auf normalen Reisenden machen wollten, hauten wir ordentlich auf die Kacke und ließen direkt am ersten Abend den Zimmerservice kommen. Luke wohnte während dem Aufenthalt mit seiner Zukünftigen und dem Kurzen bei Ellas Familie.
In einer freien Minute skypte ich mit Louis, der vor ein paar Tagen eine aufgeregte Nachricht geschickt hatte, weil sein Sohn das Licht der Welt erblickt hatte. Zwar hatte er mit Briana, der Mutter, nicht mehr viel am Hut, doch sie kamen gut miteinander zurecht. Allerdings hatte er erst jetzt Zeit, sich durch die Gegend zu telefonieren und die fröhliche Nachricht zu überbringen. Mutter und Kind waren wohlauf und Louis war so aufgeregt wie noch nie. Er strahlte bis über beide Ohren ins Handy und plapperte munter drauf los.
Heute jedoch überredete ich Charlie zu einem Mittagessen in einem Lokal, von dem mein Cousin schwärmte. Er war einige Male dort gewesen und erzählte mir immer wieder von den ungewöhnlichen Gerichten.
Als Charlie und ich allerdings einen Burger mit Quinoa-Brot und eigenartig aussehendem Salat vor uns stehen hatten, bereute ich es, den Insidertipp meines Cousins glauben geschenkt zu haben.
Der Nachmittag verlief wesentlich besser. Wir hatten den Plan gemacht heute Abend auf eine Art Strandparty zu gehen. Luke hatte uns davon erzählt.
Davor machten Charlie und ich uns mit Ed und Hannah auf den Weg zu einem kleinen See, dreißig Kilometer nördlich von Sydney. Das war ein weiterer Ort auf der imaginären Liste von Charlies Vater und auf einer seiner Postkarten geriet er ins Schwärmen. Seinen Worten zufolge, waren er und sein Bruder dort gewesen und hatten einen wunderbaren Tag gehabt. Charlies Onkel verriet, dass es sogar sein könnte, dass dort an einem Baum noch ein Seil hing, an dem man sich über den See schwingen konnte.
Luke lieh uns seinen Mietwagen und ich studierte eingehend die Karte. Charlie fuhr den Geländewagen und drückte ordentlich aufs Gaspedal. Vorher hatte uns Luke allerdings noch davor gewarnt, dass wir auf dem Weg durch den Wald, bis hin zum See, vorsichtig sein sollten. Denn wir befanden uns immerhin in den Wäldern Australiens und man wusste nie, welchen Tieren man über den Weg lief. Außerdem sollten wir uns vor den Park-Rangern in Acht nehmen, die dort herumliefen und ab und zu nach dem Rechten sahen.
William hatte auf seiner Postkarte bei weitem nicht übertrieben. Als wir nach zwanzig Minuten den See erreichten, standen wir erstaunt am Ufer und betrachteten die Gegend. Der See war umgeben von hohen Felsen und Abhängen. Ein riesiger Baum stand ein paar Meter weiter und wenn ich daran zurück dachte, wie Luke den Baum beschrieb, dann war ich mir sicher, dass ich mich sofort auf die Suche nach dem besagten Seil machen musste.
Hannah legte sich einige Meter weiter weg und schloss die Augen, während Charlie und ich eine Runde um den kleinen See machten, um alles genau unter die Lupe zu nehmen. Ed tastete sich langsam vor und stand irgendwann bis zu den Knien im klaren Wasser.
Tatsächlich entdeckte ich am Ende unseres Rundgang ein Seil in der Baumkrone. Es war drei mal um den dicken Ast, der es trug herum gewickelt und ich versuchte es konzentriert mit einem langen Stock herunter zu bekommen. Nach mehreren Versuchen gelang es mir endlich und ich hielt das Seil fest in meiner rechten Hand. Mit der anderen Hand versuchte ich umständlich, mir das Shirt vom Kopf zu ziehen, damit ich mich direkt ans Seil hängen konnte, um mich kurz daruf ins Wasser fallen zu lassen.
„Wer sagt, dass du als erstes darfst?", sagte Charlie frech und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du traust dich?" entgegnete ich irritiert und hielt ihr auffordernd das Seil hin. „Ladies first."
Für einen kurzen Moment schien sie zu zögern, doch dann streifte sie sich das Shirt und die Shorts vom Körper. Unweigerlich musste ich grinsen. Sie hatte wirklich eine gute Figur, die man unter ihren Klamotten so nie vermutet hätte. Der schwarze Bikini stand ihr unheimlich gut und ich wagte es sie genauestens zu betrachten.
Als ihr Blick meinen traf wendete ich mich ab und ließ ihr den Vortritt. Motiviert kletterte sich auf den letzten Felsen vor dem Abhang und setzte sich elegant auf den großen Knoten am Ende des Seils.
Ganz der Gentleman hielt ich das Seil mit beiden Händen fest, bis sie bereit war. Doch als Charlie nach unten blickte und realisierte, dass gut zehn Meter unter ihr nichts als Felsen waren, wurde sie unruhig.
„Ich warne dich, Horan, lass bloß nicht los!", zischte sie. Charlie umklammerte krampfhaft das Seil und blickte immer wieder nervös hoch zu dem dicken Ast, an dem das Seil befestigt war.
„Der Ast könnte einen Panzer tragen. Entspann' dich einfach, mach die Augen zu und los geht's", ermutigte ich sie. „Und vergiss nicht loszulassen, sonst baumelst du zurück und knallst gegen die Felsmauer."
„Danke, das beruhigt mich", entgegnete sie sarkastisch und rollte theatralisch mit den Augen.
Ich wusste, dass ich dem Drang, sie loszulassen, nicht mehr lange standhalten konnte. Viel zu sehr freute ich mich eigenartigerweise darauf, ihr erschrockenes Gesicht zu sehen, wenn ich meine Hände vom Seil entfernte.
„Ich hab's mir anders überlegt," murmelte sie, „Hilf mir runter."
Gelassen zuckte ich mit den Schultern und grinste sie amüsiert an: „Nichts da, ich lass jetzt los."
Während Hannah, die weiter unten stand, ihre Handykamera in unsere Richtung hielt, riss Charlie fassungslos die Augen auf und schüttelte hektisch mit dem Kopf. Ihre Empörung wurde noch größer, als ich eine Hand vom Seil nahm. Viel länger hätte ich sie sowieso nicht mehr halten können. Ich veränderte meine Position, damit ich sie halten konnte und bevor ich meine andere Hand wegnahm, zischte sie: „Tu' das nicht."
Ein letztes Mal grinste ich und zwinkerte ihr zu. Dann ließ ich los und ich sah, wie Charlie die Augen schloss und sich mit aller Kraft an das Seil klammerte.
Ein schriller Schrei entfuhr ihr, sie brauste mit einer sagenhaften Geschwindigkeit auf den See zu. Als ihre Schreie verstummten, war sie bereits über dem See und ich hoffte, dass sie einfach los ließ. Ich bildete mir ein, ein panisches 'Oh Gott' zu hören und ich rief ihr zu, dass sie abspringen musste.
Sofort streckte sie alle Viere von sich und fiel die gut drei Meter nach unten, bevor sie sich blitzschnell anspannte und kerzengerade ins Wasser tauchte.
Als sie wieder auftauchte, fingen Hannah und Ed am Ufer begeistert an zu klatschen, worüber sich Charlie gespielt aufregte und sie verfluchte.
„Das kriegst du zurück", rief sie zu mir hoch und ich entschloss mich kurzerhand ebenfalls den Sprung zu wagen. Also sprintete ich die kleinen Felsen herunter, um mir das Seil mit dem Stock zu angeln und hüpfte, oben wieder angekommen, auf den Knoten.
Zugegeben war es schon ein ziemlicher Adrenalinschub, als ich mich für einen Moment im freien Fall befand. Der Wind flog nur so an meinen Ohren vorbei und wenn man nicht im richtigen Augenblick los ließ, dann konnte das ganze auch ganz schön in die Hose gehen. Aber ich mochte dieses kurze Gefühl, das ich nicht kontrollieren konnte, wenn das Herz für einen Moment aussetzte und dann anfing wie wild drauf loszurasen. Als ich ins Wasser eintauchte, war ich plötzlich hellwach und ich kämpfte mich an die Oberfläche an der ich auf Charlie traf, die einige Meter weiter im Wasser vor sich hin trieb und versuchte ihr Grinsen zu unterdrücken.
„Also für das Rumgehampel gerade kriegst du höchstens eine Acht komma Fünf", zog ich sie auf, was sie prompt damit quittierte, indem sie mir mit der flachen Hand einen Schwung Wasser ins Gesicht spritzte. Als Antwort darauf zog ich sie am Arm zu mir, legte meinen Arm um ihre Taille und zog sie ohne lange zu zögern mit mir unter Wasser.
Charlie strampelte um sich und war als erstes wieder an der Oberfläche. Als ihr ich Lächeln sah, war ich mir sicher, dass sie Spaß hatte, auch wenn sie sich so oft dagegen wehrte. Das Funkeln in ihren Augen verriet sie und wenn sie so gelassen war, brachte mich das unweigerlich auch dazu. Ich sah mich bestätigt darin, dass sie von Tag zu Tag mehr lachte und in gewisser Weise mehr und mehr aufblühte. Was mir allerdings nach wie vor am besten an ihr Gefiel, war ihr trockener Humor. Ich hatte in den letzten drei Wochen so viel gelacht, dass ich mich teilweise nicht mehr einkriegte und mir krampfhaft den Bauch vor Schmerzen hielt.
Außerdem mochte ich die Tatsache, dass es so wenig brauchte, um sie für einen Moment zum Lächeln zu bringen. Sei es die Postkarten ihres Dads oder ein altes Lied, das sie an etwas erinnerte. Ich mochte es, dass ihr völlig egal war, was andere von ihr dachten und dass sie im Gegensatz dazu immer wieder darüber nachdachte, was die, die ihr nahe standen von ihr hielten. Es war leicht für mich sie zu mögen und eigenartigerweise gefiel es mir, dass sie oft über so viele Dinge grübelte, denn wenn sie sich für einen Augenblick keine Gedanken machte, dann strahlte sie über das ganze Gesicht.
„Ich hätte sterben könnten." Charlies Gesichtszüge änderten sich von amüsiert zu empört, doch das kleine Schmunzeln verriet mir, dass sie es sehr wohl genoss. Ihre hellblonden Haare hingen klitschnass an ihrem Kopf und in der untergehenden Sonne sahen ihre hellen Augen dunkler aus als sonst. Einige Strähnen hatten sich verirrt und hingen nun wirsch an ihrer Stirn.
Charlie war wirklich hübsch, selbst wenn sie gerade aussah, als wäre sie durch einen Monsun gestiefelt. Für einen Augenblick schaute ich sie an und musterte sie neugierig. Ein Glücksgefühl überkam mich, als sich ihre Lippen zu einem weiterem Lächeln formten.
„Hey!"
Die Stille wurde durch eine tiefe Stimme durchbrochen. Mein Kopf schnellte zur Seite und ich sah einen älteren Mann in Uniform am anderen Ufer stehen. Er trug diesen typischen beigen Hut, den Park-Ranger trugen, dazu eine olivgrüne Weste und dicke Stiefel. Gut zwanzig Meter von uns entfernt stand er und winkte aufgeregt mit den Armen. Dann rief er verärgert: „Ihr könnt hier nicht schwimmen, das ist ein Naturschutzgebiet."
Geistesgegenwärtig schwammen Charlie und ich zum Ufer und schlüpften in unsere Turnschuhe, während Hannah und Ed hastig alles in die Rucksäcke stopften und wir uns anschließend vom Acker machten.
Es war mittlerweile so duster im Wald, dass wir Probleme damit hatten, nicht über jede Wurzel zu stolpern, die uns in die Quere kam. Außerdem brachen wir, während wir einen neuen Rekord im Sprinten aufstellten, immer wieder in schallendes Gelächter aus, sodass es uns schwer fiel, gleichmäßig zu atmen. Am schwersten von uns hatte es Ed, aber er war auch der einzige von uns, der täglich eine halbe Schachtel Kippen inhalierte. Kein Wunder also, dass er hinterher hing, während wir einen Vorsprung hatten und beim Rennen darüber diskutierten aus welcher Richtung wir denn nun gekommen waren.
Neben mir wurde Charlie immer langsamer und auch ich hatte über die letzten Wochen einiges an Ausdauer verloren. Zuhause ging ich mindestens vier mal die Woche morgens laufen, ganz zu schweigen von den Zeiten, in denen wir auf Tour waren und Mark uns ans Limit brachte. Allerdings war Mark, unser Personal-Trainer, auch einige Male mit mir zum Golfen gegangen, wobei er anfangs ins Schwitzen geriet, weil er mehr der Mann fürs Grobe war. Jedoch schlug er sich nach einer Weile ziemlich gut.
„Wartet, wartet, wartet", sagte Hannah schwer atmend und wir kam mitten im Nirgendwo zum Stehen. Auch Ed hatte wieder einiges an Distanz aufgeholt und nun standen wir zu viert auf dem weichen Waldboden und stützten die Arme auf die Knie.
Niemand von uns hatte eine Ahnung, wo wir uns eigentlich befanden. Hannah stand die blanke Panik auf der Stirn und wiederholte immer wieder Lukes Aussagen bezüglich des Waldes und den Tieren, ganz so, als würde sie ein Mantra vor sich her murmeln. Auch wenn sie wenig begeistert davon war, dass wir uns verlaufen hatten, konnte ich einfach nicht anders als zu lachen, was Charlie mir gleich tat. Selbst Ed schmunzelte vor sich hin und musste sich sogar umdrehen, als er in Hannahs aufgebrachtes Gesicht blickte.
Charlie redete immer beruhigend auf Hannah ein, was sie wirklich zu besänftigen schien. Bevor wir allerdings weiter nach der Straße suchten, von der wir gekommen waren, zogen wir uns hastig unsere Klamotten über. Da Ed nur bis zu den Knien im Wasser stand und Hannah nur auf ihrem Handtuch lag, war Charlie die einzige deren Klamotten pitschnass waren, weil der Bikini, den sie drunter trug, trotz der Hitze immer noch nass war.
Hier draußen gab es keinerlei Signal und so konnten wir nicht einmal Luke anrufen, um ihn zu fragen, ob er uns hier raus lotsen konnte. Uns blieb nichts anderes übrig, uns darauf zu verlassen, dass Charlie etwas davon faselte, in welcher Richtung die Sonne nun fast gänzlich untergegangen war und wie die Sonne stand, als wir hier her gekommen waren. Ich hatte erst nicht daran geglaubt, dass uns das irgendwas brachte, jedoch war ich wirklich beeindruckt, als wir nach einer halben Stunde endlich an der Straße ankamen, von der wir gekommen waren.
Erleichtert setzte ich mich dieses Mal hinters Steuer und fuhr den Weg zurück, durch die Pampa. Auf der Rückbank sank Hannah aufatmend in den Sitz und lehnte ihren Kopf erschöpft auf Charlies Schulter. Neben mir auf dem Beifahrersitz hatte Ed platz genommen, der eingehend die Karte studierte und mir den Weg beschrieb. Eingehend beobachtete ich Charlie immer wieder durch den Rückspiegel. Sie starrte lächelnd aus dem Fenster und schien nur die Natur, die uns umgab, genauer zu beobachten, als auf der Hinfahrt.
Am Hotel angekommen kämpften wir darum, wer zuerst unter die Dusche durfte. Während wir diskutierten, ergriff Hannah die Chance und zog kurzerhand die Badezimmertür hinter sich zu.
Unser Vorhaben, zum Strand zu laufen und den Abend ausklingen zu lassen, stand immer noch und so dauerte es geschlagene zwei Stunden bis wir alle fertig waren. In gewisser Weise freute ich mich, dass sowohl Hannah als auch Ed mitkamen und wir endlich einen Abend zu viert verbrachten. Andererseits hatte ich mich so daran gewöhnt mit Charlie allein zu sein, dass ich unseren Vorhaben etwas wehmütig gegenüber stand.
Da es derweil stockduster draußen war und ich mir nicht vorstellen konnte, dass mich jemand im leichten Schein des Lagerfeuers erkennen würde, verzichtete ich dieses Mal auf meine Tarnung und ließ die Mütze und meine Sonnenbrille im Koffer. Im kleinen Flur warteten Charlie und ich auf die anderen beiden. Hannah brauchte länger im Bad als wir alle zusammen und nachdem sie schon die Dusche als erstes in Beschlag genommen hatte, brauchte sie hinterher nochmal eine halbe Ewigkeit, um sich die Haare zu machen. Ed kramte währenddessen noch in seinem Koffer und suchte nach seiner Mütze. Im Gegensatz zu mir, fiel er mit seinen feuerroten Haaren schneller auf, als ich.
Vor mir stand Charlie und zupfte an ihrem Cardigan herum. Sie trug ein schwarzes Top und nicht anders, als vorhin, als sie im Bikini vor mir stand, musste ich mich für einen Moment zusammenreißen und meinen Blick abwenden.
„Was ist?", sagte sie plötzlich amüsiert und ich schaute sie fragend an. „Nimmst du mich so nicht mit, oder warum guckst du so?"
Sie versuchte mich zu provozieren und so spielte ich ihr Spiel einfach mit. „Du kannst die Jacke auch weglassen, vielleicht kriegen wir dann ein paar Drinks umsonst", erwiderte ich zwinkernd und schaute absichtlich auf ihr Dekolleté. Dafür dass Charlie sonst Shirts trug, bei denen der Kragen so hochgeschlossen war, dass es keinerlei Aufschluss darüber gab, wie sie unter ihrer Kleidung aussah, lief sie heute relativ freizügig rum. Das Ganze tat der Sache allerdings keinen Abriss, denn sie musste sich wirklich nicht verstecken.
Für einen Moment schien sie auf meine Aussage perplex zu reagieren und schaute skeptisch an sich herunter. Bevor sie sich allerdings wieder zu viele Gedanken darüber machen konnte, platzte Ed in den Flur. Verlegen wich Charlie meinen Blicken aus und forderte Hannah dazu auf, ihren Arsch zu bewegen, indem sie laut durch den Flur rief. Ihre Verlegenheit amüsierte mich und ich bildete mir ein, sie hatte gesagt ich solle die Klappe halten, als sich unsere Blicke wieder kreuzten.
Schmunzelnd verschloss ich die Tür hinter mir und folgte den anderen zum Aufzug. Ed sah aus wie immer, hatte sich die Mütze weit über die Stirn gezogen und lehnte lässig an der Wand, während wir auf den Aufzug warteten. Die Einzige von uns die aussah, als hätte sie einen größeren Plan für heute Abend, war Hannah. Sie hatte sich wirklich in Schale geschmissen, gegen ihren Ausschnitt sah Charlies Top aus, als würde sie in die Kirche gehen. Hannahs kurze Haare lagen wild durcheinander, trotzdem stand es ihr unheimlich gut. Für einen gemütlichen Abend am Strand hatte sie sich allerdings ganz schön viel Make Up aufgetragen. Konzentriert kramte sie in ihrer Handtasche herum, der Rest von uns tat sich mit Hosentaschen zufrieden, in welche wir das Wichtigste reinpackten. Ich verstand sowieso nicht, warum die meisten Frauen zu jeder Gelegenheit eine Handtasche mit sich schleppten, so als wären sie für alles gewappnet. Viel mehr als das eigene Handy, die Schlüsselkarte des Hotels und ein bisschen Kleingeld, brauchte man eh nicht.
Und trotz ihrem gewagten Outfit, war es Charlie auf die meine Blicke fielen. Sie wich mir aus, was mich immer wieder zum Grinsen veranlasste.
„Willst du abreisen?", fragte Ed unverblümt. Hannah riss den Kopf in die Höhe und schaute ihn verwirrt an, bevor sie ihm antwortete: „Man kann ja nie wissen. Vielleicht komme ich heute Nacht ja gar nicht erst ins Hotel zurück. Man muss immer auf alles vorbereitet sein."
„Und deshalb schleppst du den halben Inhalt deines Koffers mit dir mit?" Ed runzelte irritiert die Stirn. Er schaute sie an, als hätte man ihm gerade erzählt, auf dem Dach wäre ein Ufo gelandet.
„Ich habe nur das Nötigste dabei", entgegnete sie augenrollend. „Zahnbürste, Deo, Kopfschmerztabletten..." Ed schien wirklich interessiert daran zu sein, unterdessen fuhr Hannah mit ihrer Liste fort und ich schaltete meine Ohren auf Durchzug.
Auf dem Weg zum Strand diskutierten Ed und Hannah darüber, warum man denn nun einen halben Friseur-Laden in seiner Tasche mit sich herum trug. Immerhin teilte Ed meine Meinung, dass in Hannahs Handtasche alle Utensilien Platz fanden, mit denen man problemlos auf der Stelle das Land verlassen könnte.
An der kleinen Strandbar angekommen, bestellten Ed und ich ein Bier und brachten Hannah und Charlie einen Cocktail mit. Ich erinnerte mich daran, dass Charlie einmal erwähnt hatte, dass sie lange keinen Pina Colada mehr getrunken hatte und aufmerksam wie ich eben war, drückte ich ihr prompt einen in die Hand.
Die Promenade war mit vielen Lichtern und Lampions erhellt, die Stimmung war ausgelassen und ein paar Meter weiter hatte sich bereits eine Traube um das Lagerfeuer gebildet. Es war wirklich wunderschön dort. Überall tanzten Menschen miteinander, ein Typ mit längeren Haaren hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Leute mit Liedern auf seiner Gitarre zu beglücken.
Ich vermisste es auf meiner Gitarre zu spielen und als ich sah, wie selig der Typ dabei aussah, bereute ich es, meine Gitarre nicht mitgenommen zu haben. Jedoch war es mir bevor wir in London losgeflogen waren einfach zu unsicher, sie mitzunehmen. Womöglich hätte irgendjemand das gute Teil noch zu unsanft angefasst, wir waren eben nicht mit dem Privatjet unterwegs. Eds Blick fiel in die gleiche Richtung und ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass es ihm genau so ging wie mir.
Nichtsdestotrotz hatten wir unglaublich viel Spaß zu viert. Ed kam mir zwar immer noch etwas merkwürdig vor, aber er riss sich zusammen. Charlie merkte das und kostete seine gute Laune voll aus. Die beiden warfen mit spitzen Bemerkungen um sich, ärgerten sich freundschaftlich und ließen sich irgendwann lachend in den Sand fallen.
Hannah gab alles und orderte für sich und Charlie neue Drinks, wenn ihre Gläser leer waren. Außerdem gab sie im Laufe des Abends ihre Flirtkünste zum besten und unterhielt sich heiter mit einem Kerl, der anscheinend mit seinen Freunden dort war. Für den Rest des Abends blieben wir also zu dritt, denn Hannah verabschiedete sich gegen Mitternacht und ging mit dem Kerl mit. Vorher versicherte sie ihrer besten Freundin allerdings, dass es ihr gut gehen würde und sie im gleichen Hotel wie wir die Nacht verbringen würde.
Als Hannah dem braun gebrannten Kerl hinterher spazierte, lachte Charlie: „Wie macht sie das bloß?"
„Mit dem was sie anhat ist das keine große Kunst", sagte Ed schlicht und nahm einen weitern Schluck von seinem Bier.
„Ach, also setzt eurer Gehirn aus und ihr lasst einfach alles stehen und liegen?"
„Wenn man darauf steht", mischte ich mich ein und zuckte mit den Schultern. Natürlich war es reizvoll, wenn eine hübsche Frau so tief blicken ließ, jedoch wurde das auf Dauer langweilig und ich zog andere Dinge einem reizvollen Auftreten vor.
Langsam leerte sich die Promenade und auch um das Lagerfeuer war es fast wie ausgestorben. Jedoch klimperte der Typ immer noch auf seiner Gitarre herum und als er ein Lied von Ed anstimmte, entschuldigte sich der Rotschopf und lauschte gespannt.
Ich hingegen begleitete Charlie, die sich ein wenig die Beine vertreten wollte. Im seichten Licht sah ich, dass ihre Wangen gerötet waren. Ich war also nicht der einzige der bei den Drinks zugelangt hatte.
„Sowas wie heute sollten wir öfter machen", sprach ich, als wir am Wasser entlang gingen. Charlie hatte sich ihre Chucks ausgezogen, ging einige Schritte vor und stand anschließend bis zu den Knöcheln im Wasser.
Lächelnd drehte sie sich zu mir um: „Meinst das grässliche Mittagessen oder den Todessprung von den Felsen?"
„Beides." Belustigt schaute ich sie an. „Tu' nicht so, als hätte es dir nicht gefallen."
Sie quittierte meine Provokation mit einem Lachen: „Vielleicht lasse ich mich ja noch mal breit schlagen."
„Warum sträubst du dich so sehr dagegen, etwas zu machen, wovor du Angst hast?", fragte ich sie schlicht. Charlies Gesichtszüge wurden ernster und ich hätte mich selbst für diese Frage ohrfeigen können. Sie war heute so gelassen, dass ich mir die Frage lieber hätte verkneifen sollen, denn jetzt schien sie sich Gedanken zu machen. Doch zu meiner Verwunderung kehrte das hübsche Lächeln von vorhin zurück.
„Manchmal habe ich das Gefühl, dass das alles nichts für Menschen wie mich ist. Weißt du, Niall", fuhr sie fort, „Dir liegt die Welt zu Füßen, du hast so viel Energie, dass du dir selbst nie die Frage stellen würdest, ob es richtig ist, was du tust. Und ich denke immer, meine Bestimmung wäre es, einen gut bezahlten Job zu haben und meine Familie zusammen zu halten. Und ich weiß, dass ich mir nicht viel zutraue, aber seitdem wir bei meinem Onkel sind, zwinge ich mich dazu, etwas zu tun, worüber ich sonst nie nachgedacht habe."
„Dir kann doch nichts passieren", entgegnete ich.
„Das weiß ich", sagte Charlie, „Aber es ist alles neu für mich und ich brauche immer mehr Zeit zum Auftauen wie andere. Wir leben in verschiedenen Welten, Niall."
Der Mut packte mich und ich strich ihr sanft eine blonde Haarsträhne von der Stirn: „Wir sind gar nicht so verschieden, wie du vielleicht denkst, Charlie. Das war mein Ernst, als ich dir gesagt habe, dass du nicht langweilig bist, auch wenn du das manchmal denkst. Denk mal zurück, was du bis jetzt alles erlebt hast. Hättest du dir das je zugetraut?"
Verunsichert schüttelte sie den Kopf: „Ich weiß gar nicht wonach ich hier eigentlich suche."
„Vielleicht suchst du einfach nach den falschen Dingen."
Ich hatte das Gefühl sie würde mir allmählich vertrauen und ich bereute es keine Sekunde mitgekommen zu sein. Es kam mir vor, als würde sie mir von Tag zu Tag mehr von ihr zeigen und sie würde sich immer weniger hinter ihrem Sarkasmus und der harten schale Verstecken. Ich begriff, warum sie so unsicher war und ich wünschte einmal mehr sie würde wissen, wie viel eigentlich in ihr steckte und was für ein einzigartiger Mensch sie war.
„Und wonach soll ich deiner Meinung nach sonst suchen?", fragte sie skeptisch. „Eigentlich bin ich doch nur aus einem Grund hier. Wegen den Postkarten. Weil ich hoffe, dass-"
„Du denkst zu viel", unterbrach ich sie. „Es geht um so viel mehr. Ich glaube nicht, dass du hier bist, wegen deinem Dad und das war auch ganz sicher nicht sein Anliegen. Ich glaube, dass sehr viel mehr dahinter steckt und ich wünschte du würdest einfach das tun, was du willst. Ohne dir ständig Gedanken zu machen. Und wer weiß, was am Ende dabei rauskommt."
Ihr ehrliches Lächeln sorgte dafür, dass mir die Worte fehlten und ich stand einfach stumm da und musterte ihr Gesicht.
Wenn ein Moment eine Ewigkeit dauern würde, dann würde ich genau diesen wählen. Ich fühlte mich unglaublich wohl, ich mochte sie und dabei hatte ich nie versucht sie zu mögen. Es passierte einfach so. Und es war so lächerlich einfach.
„Niall?"
„Ja?"
„Können wir gehen?"
Mit einem Lächeln beantwortete ich ihre Frage und wir gingen Richtung Lagerfeuer zurück, um Ed einzusammeln. Der schien allerdings nicht den Plan zu verfolgen so bald ins Bett zu fallen und blieb einfach dort. Mir sollte es recht sein, dann konnte ich wenigstens in Ruhe ins Reich der Träume sinken, bevor Ed mir wieder die Ohren vollschnarchte.
Schweigend liefen Charlie und ich nebeneinander her, bis wir im Hotelzimmer ankamen und wir uns im Flur zwischen den beiden Schlafzimmern voneinander verabschiedeten.
„Danke für den Tag", sprach ich sanft und sie verabschiedete sich mit einem: „Gute Nacht, Niall. Schlaf gut."
Als sie die Tür hinter sich schloss, starrte ich für einige Sekunden auf die Türklinke, bevor ich ein leises "Scheiß drauf!" vor mich hin murmelte und anschließend einfach hineinging.
Charlie drehte sich ruckartig um und schaute mich dann irritiert an, als die Tür sich mit einem Knarzen öffnete: „Hast du was vergessen?"
Mutig ging ich einige Schritte auf sie zu, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Ich spürte ihren Atem, der nun rascher wurde und sie blickte mich mit großen Augen an. Erneut strich ich ihr eine lose Haarsträhne hinter das Ohr: „Nicht nur du solltest öfter Dinge machen, die du dich vielleicht nicht traust."
„Niall, was-"
„Du redest zu viel", schnürte ich ihr abermals das Wort ab.
Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht lag es daran, dass sie so hübsch aussah, wenn sie verunsichert war. Ich nahm meinen letzten Mut zusammen, auch wenn es nach hinten losgehen würde und ich morgen meine Koffer packte. Bedacht verringerte ich die letzten Zentimeter zwischen uns und legte meine Lippen auf ihre.
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Hallo :) Also zuerst mal habe ich jetzt zum vierten Mal versucht habe, dieses doofe Kapitel hochzuladen. Ich hoffe immer noch, dass alles klappt und richtig angezeigt wird.
So, jetzt haben es Narlie mal endlich geschafft ;) Bin gespannt was ihr denkt.
Das nächste Kapitel kommt am Sonntag oder Montag. Drückt mir die Daumen
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