18 » Familienausflug
C H A R L I E
Perth, Januar 2016
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Ich konnte mich nicht daran erinnern, ob ich mich in den letzten dreieinhalb Jahren so Zuhause gefühlt hatte, wie ich es bei Luke tat. Womöglich lag es bloß daran, dass ich aus dem Alltags-Trott heraus war und mich endlich dazu entschloss, diesen Trip zu genießen.
Luke hatte uns, ohne mit der Wimper zu zucken, dazu eingeladen, für ein paar Tage bei ihm, Ella und Riley im Haus zu übernachten. Nachdem Niall meinem Onkel erzählt hatte, dass die Pension, in der wir untergekommen waren, einer halben Katastrophe glich, drückte er mir kurzerhand die Autoschlüssel in die Hand und ich fuhr mit meinen Freunden zur Pension. Dankbar stiefelten wir ein letztes Mal in die ungemütliche Unterkunft, packten hastig unsere Sachen und verschwanden auf nimmer Wiedersehen.
An diesem Tag blieb es allerdings nicht nur beim gemeinsamen Mittagessen. Da Niall anscheinend der Ansicht war, dass ich in meinem Leben viel zu viel zu verpasst hatte, schleifte Luke mich und Niall mit hinter das Haus, wo tatsächlich eine kleine Scheune stand. Nachdem Luke uns erzählt hatte, dass in eben dieser Scheune vier Pferde standen und ich leichtsinnig erwähnt hatte, dass ich noch nie im Leben auf einem Pferd gesessen hatte, erntete ich ungläubige Blicke und Erstaunen, das war Grund genug für Niall, mich zu meinem Glück zu zwingen. Einzig allein Ed schmunzelte und grinste dämlich über seinem Tassenrand hervor. Er war es dann auch, der mir die Misere einbrockte und mich aufforderte, dass das nun die perfekte Gelegenheit dazu war. Niall war es dann schließlich, der mich energisch vom Sofa zog und mich überredete.
Dass ich mich so leicht dazu überreden lassen hatte, bereute ich spätestens, als ich hinter meinem Onkel auf diesem Monstrum von Tier saß und mich krampfhaft an seinem Shirt festkrallte. Während Niall auf dem anderen Gaul saß, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht, kniff ich die Augen zu und vertraute meinem Onkel. Der fand es allen Anschein nach unglaublich witzig, einen Zahn zuzulegen und mir einen halben Herzinfarkt zu bescheren.
Niall, der währenddessen die ganze Sache etwas langsamer anging, vom Pferd abstieg und das Treiben von weiter weg beobachtete, hörte ich immer wieder lauthals drauf loslachen. Als ich es irgendwann wagte, die Augen zu öffnen, da sah ich den Blonden auf dem Schotter stehen. Niall hatte anscheinend schon genug und hatte das Bedürfnis mich genauestens dabei zu beobachten, wie ich versuchte, nicht den Halt zu verlieren. Er musste sich so krampfhaft das Lachen verkneifen, dass er sich von uns abwenden musste. Das konnte ich sogar auf die Entfernung sehen.
Was am Abend folgte, waren eine Menge Wortwitze seinerseits, mit denen er versuchte mich auf die Palme zu bringen. 'Einem geschenkten Maul, schaut man nicht ins Gaul' und 'Ruhig Brauner' waren erst der Anfang. Selbst Riley stachelte er dazu an, der wie selbstverständlich mit zog und anscheinend in Niall seinen neuen besten Freund gefunden zu haben. Erst als Riley uns zu einer Runde Cluedo aufforderte und ich dreimal gewann, gab Niall Ruhe und schmollte theatralisch vor sich hin.
Obwohl ich auf dem Pferd keine wirklich gute Figur gemacht hatte und Luke mich dazu zwang, es in ein paar Tagen nochmal zu versuchen, war allein der erste Tag bei meinem Onkel ein voller Erfolg. Er hatte sich in der Zeit kaum verändert, jedoch kam es mir so vor, als wären einige seiner Falten auf der Stirn verschwunden. Ella machte Luke unheimlich glücklich, das sah ich. Jedesmal wenn ihre Blicke sich trafen, strahlten die beiden über das ganze Gesicht. Sie waren wie frisch verliebte Teenager, die die Finger einfach nicht voneinander lassen konnten. Normalerweise nervte das auf Dauer, aber den beiden hätte ich ewig dabei zuschauen können.
Ella hatte nicht übertrieben, als sie erzählte, dass Luke und Riley nach einem Jahr ihrer Beziehung wirklich wunderbar miteinander auskamen. Am gestrigen Abend hatte ich Luke dabei beobachtet, wie er an seinem Auto das Öl wechselte und Riley freudestrahlend an seiner Seite stand und ihm behilflich war. Ich stand zu diesem Zeitpunkt am Fenster und beobachtete das Treiben. Ich musste lächeln, als ich sah, wie liebevoll mein Onkel mit dem kleinen Knirps umging. Ich hatte mir gewünscht, ich hätte eher davon erfahren. Und einmal mehr wünschte ich mir, Luke würde nicht am anderen Ende der Welt wohnen und ich hätte ihn so oft besuchen können, wie es eben ging.
Am späten Abend hatte ich ein langes Gespräch mit ihm. Ich erzählte von Zuhause und er erzählte von Ella, als wäre sie alles, auf das er jemals gewartet hatte. Ich musste mich wirklich bemühen, die Tränen zurückzuhalten, als er von Dad erzählte und mir viel wieder einmal auf, wie unglaublich ähnlich sie sich waren. Auch Luke hatte es schwer. Mit jedem wehmütigen Lächeln sah ich, wie sehr ihm sein kleiner Bruder fehlte. Als er jedoch dann darüber sprach, dass mein Dad dieses Jahr seinen Fünfzigsten gefeiert hätte, da war es vorbei und ihm kullerten kleine Tränen die Wangen hinunter. Luke selbst war nur zwei Jahre älter als mein Dad, trotzdem hatte er sich unglaublich gut gehalten und machte neben seiner zehn Jahre jüngeren Verlobten eine gute Figur.
Mein Onkel schwelgte in Erinnerungen und musste sich mehrmals mit dem Handrücken die Tränen wegwischen. Ella bemerkte das sofort und schmiegte sich liebevoll an ihn. Neben meinem hochgewachsenen Onkel, sah sie noch zierlicher aus. Spätestens als sie einen sanften Kuss auf seiner Schläfe platzierte, war ich mir absolut sicher, dass die Verlobung der beiden keineswegs zu überstürzt war. Wir waren nicht einmal vierundzwanzig Stunden hier, aber das Gefühl, dass Ella und Luke mir gaben, war unbeschreiblich.
Nicht nur ich schien mich ihr unglaublich wohl zu fühlen, auch Hannah blühte wieder auf und wurde langsam aber sicher wieder die Alte. Freudestrahlend half sie Ella dabei die Pflanzen auf der hinteren Veranda umzutopfen und unterhielt sich mit ihr über die neue Staffel Grey's Anatomy. Ed skypte in der Zeit mit Stuart und Niall wühlte sich gemeinsam mit Riley durch den großen Schrank, der bis oben hin voll war mit gefühlt jedem Gesellschaftsspiel dieses Universums.
Bis wir alle geschafft ins Bett fielen, war es erschreckender weise wie ein ganz normaler Familientag. Abgesehen davon, dass ich meinen Onkel eine halbe Ewigkeit nicht gesehen hatte, ich von meiner besten Freundin in unserem Urlaub noch nicht viel gehabt hatte und ich mit Ed hier in Australien nicht viel geredet hatte, weil ich lieber aus dem Weg ging, als mit anzusehen, wie er den Tag verschlief. Noch dazu kam, dass ich die Zeit, die ich mit Niall verbracht hatte schon nach einem Tag vermisste. Insgeheim hoffte ich, dass es nicht das letzte mal war, dass er morgens mit einem Kaffee vor der Tür stand und mich fröhlich anlächelte.
Die obere Etage des Hauses hatte den gleichen Stil wie die untere. Ellas kreative Handschrift war auch hier unverkennbar. Helle Möbel, unzählige Fotos an den Wänden und liebevoll dekorierte Regale erwarteten uns. Während ich mit meiner besten Freundin das Gästezimmer bezog, machten es sich Ed und Niall in Lukes Arbeitszimmer auf der ausziehbaren Couch gemütlich. Als Hannah und ich am späten Abend ins Bett fielen, versorgte uns Ella mit frischen Handtüchern. Nochmals versicherte sie uns, dass wir uns wie Zuhause fühlen sollten und uns überall bedienen konnten. Dann verschwand sie grinsend. Aber nicht, ohne uns mitzuteilen, dass der erste der wach war, den Kaffeedienst übernehmen musste.
Da ich am nächsten Morgen bereits um sieben Uhr kerzengerade im Bett stand, weil Hannah mir versehentlich mit der Hand ins Gesicht geschlagen hatte, begann ich den Tag damit, die Kaffeemaschine anzuschmeißen. Gut gelaunt und halbwegs erholt setzte ich mich auf die Veranda und genoss stumm den Ausblick auf das Grundstück. Nachdem sich im Haus um kurz vor neun immer noch nichts regte, schnappte ich mir die Postkarten meines Vaters und ein großes Notizbuch, das ich mir vor zwei Tagen in einem Schreibwarengeschäft bei einem Spaziergang mit Niall gekauft hatte.
In der Zwischenzeit gesellte sich Ella zu mir, die mich neugierig ausfragte und gespannt an ihrem Kaffee nippte, als sie sich einige der Postkarten durchlas. Irgendwann stolperten Riley und Luke an uns vorbei, die sich um die Pferde kümmerten und sich anschließend mit Ella daran machten, das Frühstück für alle herzurichten. Einige Meter weiter lungerte Ed auf einem der Holzliegen und hatte die Augen geschlossen, mehr als ein müdes 'Morgen', brachte er nicht über seine Lippen.
„Was genau tust du da eigentlich schon den ganzen Morgen?" Nialls Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Körper und ich fuhr erschrocken zusammen. Ich hatte den Blick starr auf den Tisch gerichtet und verkrampfte, als über meine Schulter lugte. Sein herbes Aftershave kroch mir in die Nase, ein Geruch, der mir schon nach so kurzer Zeit sehr vertraut war. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und ich fühlte mich eigenartig nervös.
„Ich-", versuchte ich zu sagen, musste mich allerdings räuspern, um meine Stimme wiederzufinden. „Ich übertrage die Koordinaten von den Postkarten."
„Du kannst Koordinaten lesen?", fragte er verwundert. Er bewegte sich keinen Millimeter und mir viel es schwer mich zu konzentrieren. Ob es daran lag, dass es Niall war, oder einfach, weil ich es komisch fand, wenn mir jemand so nah kam, das konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.
„Jeder, der in Mathe ein bisschen aufgepasst hat, weiß wie das geht. So schwer ist das gar nicht."
„Da hab' ich dann wohl geschlafen", murmelte er. Schnell hatte er sich neben mich gesetzt und klammheimlich wünschte ich mir, er würde mir wieder über die Schulter gucken. „Erklär's mir", fügte er hinzu und starrte konzentriert auf die Postkarte die vor ihm lag.
Anfangs schlug er sich relativ gut. Grübelnd starrte er auf die vielen Zahlen und hörte mir zu. Als ich ihm allerdings erklärte wofür die vielen Zahlen nach dem Komma standen, gab er es auf und schaute mir einfach aufmerksam zu.
Ich hatte mir vor ein paar Tagen nicht nur das Notizbuch zugelegt, sondern hatte mir zusätzlich in einem kleinen Antiquitätenladen für wenig Geld einen alten Atlas gekauft. Vorsichtig hatte ich die australische Karte heraus getrennt und sie sorgfältig auf die erste Doppelseite im Notizbuch geklebt. Mit einem roten Stift markierte ich die Orte, an denen mein Vater gewesen war, mit einem blauen die, an denen ich Halt machte. Anschließend verband ich die roten Punkte mit einer dünnen Linie. Bisher hielten sich die Markierungen mit der blauen Farbe allerdings in Grenzen. Was kein Wunder war, denn raus aus Perth hatten wir es bis jetzt nicht geschafft.
Langsam ließ ich meine Finger über das alte Papier wandern. Fünf Orte waren es in Australien, aus denen mein Dad Postkarten nach Hause geschickt hatte. Ich zwang mich allerdings seit geraumer Zeit dazu, mir nicht jede Postkarte durchzulesen und es erst dann zu tun, wenn ich auch wirklich dort war. Meine Blicke beschränkten sich einzig und allein auf die Koordinaten, die er in die obersten Ecken geschrieben hatte.
Als ich mir die Postkarte ansah, auf der Lukes alte Adresse stand, musste ich jedoch feststellen, das diese relativ unspektakulär war. Auf der Rückseite erkannte ich den langen Strand in Cottesloe, an dem ich auch vor ein paar Tagen mit Niall war. Die lange Küste hatte über die Jahre anscheinend nichts von seinem Charme verloren. Weißer Sand soweit das Auge reichte, das klare Wasser und der wolkenlose Himmel luden zum Träumen ein. Der Text, den mein Vater in kleiner Schrift auf die Vorderseite geschrieben hatte, brachte mich zum schmunzeln:
❝Fünf Monate musste ich sparen, um Luke in Australien zu besuchen. Seit einem Jahr wohnt er nun in Perth und wenn Mum seine unordentliche Bude hier sehen würde, dann wäre sie sicher aus allen Wolken gefallen und hätte ihn an den Ohren postwendend zurück nach London gezogen. Luke hat mich gestern zu einem Pub-Crawl überredet. Ein Bier pro Kneipe ist dabei ein Muss, bevor man die nächste ansteuert. In einer kleinen Gaststätte namens 'Tipsy Koala' trafen wir Yorick, dem der Laden gehört. Ein wirklich netter Typ, der mir und Luke ein paar waschechte Insidertipps verraten hat. Wenn ich wieder einmal in Perth lande, muss ich Yorick nochmal einen Besuch abstatten. Das habe ich ihm hoch und heilig versprochen. Nun kann ich es kaum erwarten mich mit Luke hinters Steuer zu setzen und jeden Winkel dieses atemberaubenden Landes genau unter die Lupe zu nehmen.❞
Ich fragte mich, ob Yorick mittlerweile noch unter uns weihte und wie alt er wohl damals schon gewesen sein muss. Viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Ich wollte unbedingt wissen, ob mein Dad irgendwann nochmal in der Kneipe war, oder zumindest Luke.
Niall beugte sich neugierig über den Tisch und studierte die Karte: „Sieht so aus, als würden wir durch die Bars ziehen."
Ein Lächeln zierte sein Gesicht und ich tat es ihm gleich: „Vielleicht Morgen. Ich habe Hannah versprochen, dass wir heute einen Mädelstag machen."
„Kann ich mitkommen?", fragte er erwartungsvoll.
Irritiert runzelte ich die Stirn, klappte anschließend mein Notizbuch zu und suchte meine Sachen zusammen. „Ich weiß ja nicht was du unter Mädelstag verstehst", sagte ich, „Aber wenn du dir eine Perücke aufsetzt und dir ein paar Brüste wachsen lässt, bist du dabei.
Niall versuchte sich ein Lachen zu verkneifen. Allerdings versuchte er gleichzeitig zu schmollen und sah dabei so dämlich aus, dass ich nun diejenige war, die ihr Lachen nicht mehr zurückhalten konnte.
„Du stehst auf alte Sachen, oder?", fragte er mich plötzlich und mein Lachen verstummte. „Naja, ich meine wegen dem Atlas, der Teekanne für deine Grandma und die Tatsache, dass du jeden Song von Elvis mitsingen kannst."
Grinsend erwiderte ich: „Ich war mit meinem Dad früher oft in seiner Kneipe. Er war ein riesen Fan der fünfziger Jahre und ich bin so groß geworden. Denk nicht, dass Elvis schon alles ist was ich drauf habe."
„Du gefällst mir immer besser", sagte er und zwinkerte mir zu. Immer wenn Niall zwinkerte, bildeten sich kleine Falten um seine Augen, genau das gleiche passierte, wenn er von ganzem Herzen lachte. „Wie steht's mit Buddy Holly?"
„Ja, da hab ich auch einiges auf Lager", sagte ich gut gelaunt. Lächelnd erhob ich mich vom Tisch und Niall half mir meine Sachen ins Haus zu tragen. Währenddessen löcherte er mich weiter mit Fragen und stupste mir immer wieder in die Seite. Er hörte erst damit auf, als wir uns zu den anderen an den großen Esstisch setzten.
Luke und Ella hatten dafür gesorgt, dass es uns an nichts fehlte. In der Mitte des Tisches stand eine große Pfanne mit Eiern, daneben lagen verschiedene Sorten Brot, Marmelade und alles, was das Herz begehrte. Dankbar griffen wir zu und schlugen uns die Bäuche voll. Ella schenkte immer wieder neuen Kaffee ein, wenn mal eine Tasse geleert war. Sie hatte sogar zusätzlich eine Kanne frischen Tee aufgebrüht, worüber sich besonders Hannah freute. Ed hatte das Nickerchen auf der Veranda wohl zu neuer Lebenskraft geholfen, denn er strahlte über das ganze Gesicht, als Luke und er über alte Zeiten redeten.
Niall schlug den anderen am Tisch einen Männertag vor und lugte grinsend zu mir herüber, bis Luke dem ganzen zustimmte vorschlug, dass sie mit Riley in den Wildlife-Park gehen konnten.
„Nein", rief ich beinahe empört über den Tisch und schlagartig war es still. „Ihr könnt doch nicht alleine dahin, ich will mit, das ist nicht fair."
Niall kaute genüsslich auf seinem Brot herum und schluckte es umständlich herunter, bevor er was erwiderte: „Du nimmst mich auch nicht mit zum Mädelstag, also ist das sehr wohl fair."
„Geh mit deinem eigenen Onkel in den Wildlife-Park", zog ich ihn auf. Mit vollem Mund grinste er zu mir herüber und wollte gerade ansetzen etwas zu sagen, als Ella sich zu Wort meldete: „Ich habe nicht vor, euch so bald wieder wegzuschicken, deshalb denke ich, dass es schöner ist, wenn wir heute alle was zusammen machen würden. Für den anderen Kram bleibt uns noch genug Zeit. Also hört auf euch zu zanken, macht euch fertig und wir fahren alle zusammen in den Wildlife-Park."
Riley war völlig aus dem Häuschen und trampelte nach dem Frühstück in sein Zimmer. Eine halbe Stunde später trafen wir uns wieder im Wohnzimmer. Egal wie oft ich Hannah sagte, dass sie mit ihrem komischen Hut aussah wie Miss Marple, ihr war es egal, denn sie ließ ihn trotzdem auf. Niall hatte zur Abwechslung eine Kappe, anstatt seiner Ballonmütze auf dem Kopf, genauso wie Ed. Wenn man die beiden so ansah, mit ihren Sonnenbrillen auf der Nase und den Kappen tief im Gesicht, dann musste man wirklich genauer hingucken um sie zu erkennen. Unter Eds Kappe waren seine roten Haare fast vollständig versteckt und Nialls Haaransatz war so dunkel, dass seine blonden Haare nicht zu sehen waren. Obwohl Ed sich eine kurze Hose angezogen hatte, hatte er eine blaue Sweatshirt-Jacke über seinem Tshirt an, um seine Tattoos zu verstecken. Man wusste ja schließlich nie, wem man begegnete. Seine Beine sahen unglaublich käsig aus. Aber auch Niall sah neben meinem Onkel, der eine gesunde Bräune hatte, recht blass aus.
Ich überredete Luke dazu, auf der dreißig minütigen Fahrt bei ihm mitzufahren und so landete ich gemeinsam mit Riley, Ed und Niall im alten Pick Up meines Onkels. Ella und Hannah schienen einen ganz besonderen Draht zueinander zu haben und ich war froh, dass ich nicht bei ihnen mitgefahren war. Bei dem Klatsch und Tratsch, den die beiden austauschten, konnte ich ohnehin nicht mithalten. Stattdessen hatte ich den Spaß meines Lebens, als Luke über die Landstraßen bretterte und das Radio auf volle Lautstärke drehte.
Mein Onkel forderte mich auf, eine Kassette aus dem Handschuhfach zu fischen und kurz darauf dröhnte Paul Anka aus den alten Boxen. Ich erinnerte mich an meinen Dad, der zu den Liedern durch seine Kneipe hüpfte und seinen Kunden gut gelaunt die nächsten Drinks an den Tisch brachte.
Im Rückspiegel sah ich Nialls breites Grinsen und ich wusste genau, dass er es sich verkneifen musste, ein Kommentar darüber abzugeben. Neben der Kassette, die nun im Radio steckte, lagen ein Dutzend andere im Handschuhfach. Niall beugte sich neugierig nach vorne und riss mir eine von ihnen aus der Hand.
„Ich wüsste nicht, wann ich das letzte Mal ein Mixtape in der Hand hatte", sagte er schließlich.
„Kann ich mir vorstellen", erwiderte ich, „Deine Promi-Karre spielt ja nicht mal CDs ab."
Auf dem Fahrersitz lachte mein Onkel lautlos vor sich hin und Niall beschwerte sich empört: „Das ist unkomplizierter, als nach zehn Liedern die Kassette umzudrehen. Außerdem kratzt das so komisch, wenn man ein Mixtape aufnimmt, oder Bandsalat hat."
„Das ist doch das schöne daran, du Kulturbanause", entgegnete ich. „Das ist fast so schön, wie das Kratzen einer Schallplatte."
Darauf sagte er nichts mehr und lächelte vor sich hin. Sorgfältig betrachtete er die Musiksammlung meines Onkels. Riley schien unsere Unterhaltung sichtlich wenig zu interessieren. Aufgeregt rutschte er auf seinem Sitz herum und starrte aus dem Fenster. Als der Pick Up auf einem Parkplatz zum Stehen kamen, sprang er ungehalten aus dem Auto. Seine Euphorie erinnerte mich an Amy, die mindestens genau so aufgeregt war, als wir auf dem Konzert von Niall und seinen Freunden waren.
Ich hielt normalerweise nicht viel von Tieren, die in Gefangenschaft lebten, aber der Caversham Wildlife-Park war eine Nummer für sich. Mitten umgeben von Feldern und Natur lag der große Park. Luke lud uns wie selbstverständlich ein und Riley lotste uns fast blind durch den Park. Neben den vielen Kängaroos, die man sogar streicheln konnte und den vielen verschiedenen Eidechsen, war vor allem der Wombat mein ganz persönliches Highlight. Einer der Pfleger hatte das gut dreißig Kilo schwere Tier auf dem Schoß und fütterte es mit Wurzeln und Pflanzen. Zufrieden gluckste das runde Tier vor sich hin. Die Geräusche, die es dabei machte, erinnerten an ein heiseren Grunzen.
„Man, ist das ein dickes Ding", sprach Niall mich von der Seite an, während ich den Pfleger aufmerksam dabei beobachtete, wie er den Wombat fütterte. Immer wieder stellten sich andere Zuschauer in den Weg, sodass es mir zeitweise unmöglich war, das ganze Spektakel mitzukriegen.
Etwas weiter abseits stand Ed im Schatten eines Baumes. Er schwitze furchtbar, das sah ich sogar von weitem. Ich hätte meine Hand dafür ins Feuer, dass er gerade bereute, sich all die Tattoos stechen gelassen zu haben. Es würde keine fünf Minuten dauern und er würde auffliegen. Tapfer wartete er im Schatten und rauchte dabei lässig eine Zigarette.
Neben mir stand mein Onkel mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Er hatte Riley auf den Schultern und als Niall nochmal erwähnte, wie breit und rund dieser Wombat war, da verbesserte ihn der kleine Junge: „Das ist kein Fett, das sind alles Muskeln."
Riley schien bestens über alles informiert zu sein, denn er schmiss mit so vielen Fakten um sich, dass Niall in der nächsten Stunde kaum zu Wort kam. Ich allerdings amüsierte mich prächtig und hörte dem Dunkelhaarigen aufmerksam zu. Immer wieder verbesserte er den Blonden und grinste dabei süffisant. Hannah und Ella machten währenddessen die Souvenirläden unsicher.
Bei den Schlangen hielt ich mich im Hintergrund und gesellte mich zu Ed auf eine kleine Mauer. Wir hatten immer noch nicht miteinander geredet, die Stille machte mich langsam aber sicher immer unruhiger. Bevor ich jedoch meinen Mund aufmachen konnte, setzte sich Luke neben Ed und reichte uns ein Sandwich aus seinem Rucksack. Mittlerweile war es Nachmittag und wie auf Kommando knurrte mein Magen. Wenige Minuten später stießen auch die anderen zu uns und Hannah setzte mir grinsend einen Hut auf.
„Bevor du in Flammen aufgehst und zu Asche zerfällst", war ihr Kommentar.
Misstrauisch nahm ich den Hut in die Hand und beäugte ihn, bevor ich ihn wieder auf meinen Kopf setzte: „Ich seh' bestimmt aus wie ein Möchtegern-Indiana Jones."
„Jetzt wo du es sagst", mischte Ella sich ein und grinste mich an. Mein Onkel lachte lauthals los und Ed schmunzelte vor sich hin.
Als Luke, Ella und Riley beschlossen, zu dritt zu den Reptilien zu gehen, blieb ich mit den anderen auf der Mauer sitzen und genoss den Schatten, in dem wir uns befanden. Einzig allein Hannah rückte ein paar Meter weiter, schloss die Augen und genoss die warme Sonne.
Unter dem dämlichen Hut wurde mir zunehmends wärmer und ich legte ihn kurzerhand auf meinen Schoß. Skeptisch beäugte Niall mich: „Setz den lieber wieder auf, du bist mindestens so blass wie Ed. Wenn du nicht aufpasst, stehst du wirklich in Flammen."
„Jetzt übertreib' mal nicht. So kalkig bin ich nun auch wieder nicht."
„Hey!", beschwerte Ed sich und funkelte mich an.
„Das Ding steht mir einfach nicht, außerdem ist es viel zu warm", sagte ich. Da hatte ich lieber einen Sonnenstich, als mich zu Tode zu schwitzen.
„Doch", entgegnete Niall lächelnd, „Glücklich sein steht dir sogar sehr gut."
Ich sah Eds verächtliches Augenrollen förmlich vor mir: „Schleimer."
„Hast du was gesagt?", fragte Niall, obwohl er ihn genau so gut verstanden hatte wie ich.
Während ich zwischen den beiden saß und sie mit spitzen Bemerkungen nur so um sich schmissen, schweifte mein Blick zu meiner besten Freundin, die ein paar Meter weiter weg saß. Ihre Stirn lag in Falten und ich folgte aufmerksam ihrem Blick.
Vor uns, nicht einmal zehn Schritte von uns entfernt, standen zwei Mädchen, ungefähr in Amys Alter, die aufgeregt miteinander redeten und immer wieder in unsere Richtung starrten. Ich sah, wie ihre Blicke zwischen Ed und Niall hin und her wanderten und wie sich sich gegenseitig ins Ohr flüsterten. In mir machte sich ein eigenartiges Gefühl breit und mir wurde plötzlich noch heißer als zuvor.
Irgendetwas stimmte hier nicht und bevor ich reagieren konnte, zückte eine der beiden schon ihr Handy und richtete die Kamera in unsere Richtung.
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Ich hoffe, ihr hattet alle ein schönes Wochenende und ihr konntet euch erholen.
Danke für die tollen Kommentare zum letzten Kapitel, es macht so viel Spaß das ganze Feedback zu lesen. Postcards hat seit ein paar Wochen so viele, neue Leser dazugewonnen, ihr wisst gar nicht, wie glücklich mich das macht.
Das nächste Update kommt am Sonntag, es sei denn, ich schaffe es dieses Mal früher. Habe nämlich das nächste Kapitel schon fast fertig :)
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