16 » Aller Anfang ist schwer
N I A L L
Perth, Januar 2016
»«
Ich hätte Ed erschlagen können. Nicht nur, dass er anscheinend vergessen hatte das verfluchte Hotelzimmer für uns zu buchen, er hatte die Ruhe weg und steckte sich eine Zigarette nach der nächsten an, während Charlie sich durch die Gegend telefonierte und sich genervt durch das blonde Haar fuhr. Seit geschlagenen dreißig Minuten versuchte sie, ein Hotel zu finden, das in der Nähe war und noch ein Zimmer frei hatte.
Fehlanzeige.
Denn bis jetzt hatten wir keinen Erfolg. Mittlerweile war das Taxi angekommen und wartete geduldig am Straßenrand. Der Fahrer ließ es sich allerdings nicht nehmen, das Taxameter schon jetzt anzustellen. Mein Geldbeutel konnte das zum Glück verkraften und ich war froh, dass es hier so leer war.
Wenn Ed und mich hier jemand erkannte, dann war es vorbei mit der Ruhe. So konnten wir immerhin noch schnell ins Taxi springen und verschwinden. Ich zumindest saß auf heißen Kohlen und wollte so schnell wie möglich hier weg. Je mehr Zeit verstrich, desto heikler wurde die ganze Situation. Ich war nicht gerade scharf darauf, dass ein paar Aasgeier mit Kameras hier auftauchten und Charlie und Hannah im Endeffekt darunter leiden mussten, weil wir in der Klatschpresse landeten. Auch, wenn Charlie ziemlich locker war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie das auf die leichte Schulter nehmen würde. Im Mittelpunkt zu stehen, war nicht gerade ihre Stärke, das wusste ich bereits.
Hannah wurde von Minute zu Minute immer blasser und vegetierte vor sich hin. Sie hatte beinahe den gesamten Flug verschlafen und kämpfte immer noch mit Übelkeit. Sie war blass und sah aus, als müsste sie sich jeden Augenblick übergeben. Da fing der Urlaub ja schon mal vielversprechend an.
„Ich werd' noch wahnsinnig", fluchte Charlie und drückte auf Eds Handy herum. Immer wieder raufte sie sich die Haare und hielt sich das Handy anschließend wieder ans Ohr. Das Hotel, bei dem Ed eigentlich unsere Zimmer reservieren wollte, war schon seit einer Woche restlos ausgebucht. Es war wie verflucht.
Kurz entschlossen machte ich mich auf den Weg zum Infostand in der Ankunftshalle und fragte höflich nach einigen Broschüren und Flyern. Wenn wir nicht schnellstens ein Zimmer fanden, konnten wir auch gleich einen auf Tom Hanks machen und am Terminal übernachten. Darauf konnte ich jedoch verzichten.
Als ich wieder zu den anderen stieß, zwang ich Ed dazu mit mir die Flyer zu durchforsten, während Charlie sich immer noch die Finger wund telefonierte und Hannah wie ein Schluck Wasser auf ihrem Koffer saß.
Als hätte er alle Zeit der Welt, steckte sich Ed die nächste Kippe an und blätterte in aller Seelenruhe durch die Broschüren. Seine Gelassenheit brachte mich zur Weißglut und ich konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum ich der einzige war, der Ed am liebsten auf dem schnellsten Weg wieder in den nächsten Flieger gesetzt hätte. Mich machte es absolut wahnsinnig, dass er vor einigen Wochen geradezu darauf bestanden hatte, die scheiß Zimmer zu buchen und im Endeffekt einfach nichts auf die Reihe bekommen hatte. Ein Wunder, dass wir überhaupt an unserem Ziel angekommen waren und nicht irgendwo in der Pampa gelandet waren.
Es dauerte weitere dreißig Minuten, bis ich einen Flyer einer kleinen Pension in der Hand hielt und Charlie die Nummer diktierte. Tatsächlich hatten sie noch zwei Zimmer frei und mir fiel ein riesen Stein vom Herzen, als wir dem Taxifahrer die Adresse nannten.
Charlie quetschte sich zwischen Ed und mich auf die Rückbank und wir verfrachteten Hannah auf den Beifahrersitz. Bevor der Fahrer allerdings losfuhr, betrachtete er die Braunhaarige skeptisch und drückte ihr vorsichtshalber eine Tüte in die Hand. „Sicher ist sicher", war sein Kommentar dazu.
Während der Fahrt las Charlie sich den Flyer durch und redete mit Ed. Mir war es ein Rätsel, wie sie ihm gegenüber so gelassen sein konnte. Er hatte sie schließlich in den letzten Monaten oft genug hängen lassen und sie hatten genügend Gründe, ihn zum Mond zu schießen. Aber im Gegensatz zu mir war bei ihr kein Fünkchen Wut zu sehen, sie ließ die kleine Katastrophe einfach über sich ergehen. Wäre ich sie, wäre mir schon längst der Kragen geplatzt.
Eine dreiviertel Stunde später erreichten wir die kleine Pension. Sie war weit ab vom Schuss und es würde mich nicht wundern, wenn hier die Bordsteine schon spät nachmittags hochgeklappt wurden. Jedoch gefiel mir die Tatsache, dass hier anscheinend so gut wie nichts los war, sehr gut. Dann konnte ich mich immerhin ganz in Ruhe morgens am Frühstücks-Buffet zu schaffen machen, ohne dass uns ein paar neugierige Augenpaare beobachteten.
Das alte Landhaus stand inmitten mehrerer Einfamilienhäuser. Auf der anderen Straßenseite ging eine ältere Dame mit ihrem Hund Gassi und beäugte uns eingehend. Anscheinend verliefen sich normalerweise keine jungen Leute hier her, denn so, wie es hier aussah, waren wir eher in einem Senioren-Resort gelandet. Mir konnte das jedoch egal sein, hauptsache, ich konnte gleich ins Bett und ich bekam eine Mütze Schlaf.
Für die Taxifahrt musste ich knapp hundertfünfzig Kröten latzen. Glücklicherweise hatte ich mitgedacht und hatte erst vor wenigen Tagen ein bisschen Kleingeld in australische Dollar umgetauscht. Man wusste ja nie. Charlie hatte drauf bestanden, dass wir uns die Taxifahrt teilten, denn weder Ed, noch Hannah hatten sich angeboten, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Jedoch hatte ich nicht vor, Geld von Charlie anzunehmen und höflich wie ich war, winkte ich lässig ab und bezahlte den Fahrer, der kurz darauf in der Dunkelheit verschwand.
Hannah lehnte sich an Charlies Schulter, als wir die Rezeption erreichten. Ich hievte ihren Koffer durch den Eingang und hielt mich mit Ed im Hintergrund. Allerdings schien es den Typen an der Rezeption nicht wirklich zu jucken, dass wir den kleinen Eingangsbereich betraten. Gelassen blätterte in einer Zeitschrift und hatte die Füße auf den Tresen gelegt, neben ihm auf einem Beistelltisch lief ein kleiner Röhrenfernseher. Er hob nicht einmal den Kopf, als Charlie freundlich auf den Tresen klopfte und ihn höflich begrüßte.
Der Eingangsbereich war ziemlich klein und beklemmend. Eine kleine Funzel brannte in der Ecke des kleinen Raums und das, was ich an Möbeln erkennen konnte, sah aus wie aus den Siebzigern.
„Ich hatte vor circa einer Stunde zwei Zimmer bei Ihnen reserviert", verkündete Charlie und schaute den Typen mit den fettigen dunklen Haaren abwartend an.
Nicht einmal jetzt ließ er sich dazu herab, sie anzusehen und blätterte unbekümmert die Seiten seiner Zeitschrift um. Alles, was er zustande brachte, war ein genervtes: „Name?"
Ich verlor langsam die Geduld und war kurz davor, über den Tresen zu hüpfen und ihm an die Gurgel zu springen. Von Kundenfreundlichkeit hatte er anscheinend noch nie etwas gehört.
„Harris", sagte Charlie und tippelte mit ihren Fingerspitzen ungeduldig auf dem Holz herum. Schwer atmend bewegte sich der Typ von seinem Schreibtischstuhl und kramte gelassen in den Fächern hinter sich, bis er zwei Schlüssel auf den Tresen knallte.
„Zimmer neun und elf. Ich brauch' noch 'nen Ausweis, können 'se sich morgen früh wieder abholen. Angenehme Nachtruhe wünsche ich", ratterte er herunter, als würde er eine Ansprache für den Anrufbeantworter aufsagen.
Erleichtert folgte ich Charlie, die Hannah stützte und wir schleppten uns zu viert durch die engen Gänge der Pension. An der schmalen Treppe wäre ich beinahe mit den zwei Koffern hängengeblieben, netterweise schob Ed mich von hinten an und wir gelangten mehr schlecht als recht in die erste Etage.
Der Teppich im Flur hatte definitiv schon die besten Jahre hinter sich. Das Grün, war nur an den Fußleisten als Grün identifizierbar, der Rest war war braun-gräulich. Allgemein konnte diese Hütte mal einen neuen Anstrich gebrauchen.
Die zwei Zimmer lagen sich im schmalen Gang gegenüber und auch die Türen machten keinen besonders vertrauenserweckenden Eindruck. Bei der einen Tür war noch nicht einmal die Zimmernummer erkennbar und wir hätten die Türen wahrscheinlich auch ohne Schlüssel problemlos aufbekommen. Als Charlie mir den Schlüssel für Ed und mein Zimmer in die Hand drückte und ich an der Türklinke rüttelte, öffnete sie sich mit einem lauten Knarzen und offenbarte das kleine Zimmer in dem wir die Nacht verbringen sollten.
„Ach du scheiße, das ist ja schlimmer als erwartet", hörte ich Charlie hinter mir sagen, die zeitgleich mit mir die gegenüberliegende Tür geöffnet hatte. „In der Broschüre sah das aber anders aus."
Neben mir quetschte sich Ed durch die Tür, schaltete das Licht an und verfrachtete seinen Koffer auf dem winzigen Bett. Ein Blick zu Charlie, verriet mir, dass sie genau so wenig begeistert von unserer Unterkunft war, wie ich. Mit einem gezwungenen Lächeln schauten wir uns an und es war fast so, als würde sie mir telepathisch mitteilen wollen, dass sie hier keine Minute länger sein wollte, als geplant.
„Für die Nacht wird's wohl gehen, oder?", sprach ich ihr Mut zu und sie nickte kaum merklich. Dann winkte sie zögerlich, nahm ein paar Schritte rückwärts und schloss die Tür mit einem leisen:„Gute Nacht, Niall."
Auch ich schloss die Tür hinter mir und verfrachtete meinen Koffer neben dem Bett. Das Zimmer war wirklich winzig. Ich konnte mich gerade mal um die eigene Achse drehen, ohne überall anzuecken, Im Raum stand außer dem Bett nur eine alte Kommode und ein runder Tisch mit zwei Stühlen.
Als ich durch die schmale Tür ins Bad gelang, sank meine Laune ins Unermessliche. Gut zwei Quadratmeter waren es, ohne Fenster, nur eine laut surrende Lüftung war vorhanden. Das Bad war zwar relativ sauber, jedoch war ich mir ziemlich sicher, dass der Duschvorhang in seinen Glanzzeiten keine dunkeln Ränder besessen hatte.
Ich war wirklich nicht verwöhnt, aber das grenzte schon fast an ein halbes Desaster. Ich traute mich nicht mal, die Schuhe auszuziehen, weil der Teppich aussah, als hätte hier ein Kampf stattgefunden. Ed ignorierte die ganze Misere, streifte sich die Schuhe von den Knöcheln und schmiss sich laut stöhnend auf das Bett. Ich verspürte nicht gerade das Bedürfnis mit ihm reden zu wollen, denn im Gegensatz zu Charlie, war ich sehr wohl wütend auf ihn. Die ganze Sache hätte auch verdammt schief gehen können und wir hätten schon längst mit irgendwelchen Fotos im Internet landen können.
Um so glücklicher war ich, als er nach fünf Minuten vor sich hinschnarchte. Herr Gott, wie konnte man nur so viel schlafen?
Kurze Zeit später ließ auch ich mich auf die unbequeme Matratze fallen und machte es mir auf den restlichen Zentimetern des gut eins zwanzig großen Bett so gut es ging gemütlich. Mittlerweile war es zwei Uhr nachts und ich war hundemüde. Ich ignorierte den muffigen Geruch, der mich umgab und zog mir die Decke über die Ohren. Irgendwann wurden meine Augen so schwer, dass ich binnen weniger Sekunden einschlief.
Am nächsten Morgen wurde ich von einer nervenden Mücke geweckt. Hartnäckig schwirrte sie herum und ließ sich nicht von meinen Armen vertreiben, die ich unkoordiniert durch die Gegend warf. Als ich es aufgab, erhob ich mich vom Bett und blickte auf mein Handy. Neun Uhr zeigte mir die Uhr auf dem Display an und Ed schnarchte fröhlich vor sich hin. Mutig wagte ich mich unter die Dusche und war froh, meine Flip Flops von der letzten Tour mitgenommen zu haben. Das letzte mal hatten sich Louis und ich uns die Füße im heißen Sand in Los Angeles verbrannt und jetzt gerade war ich wirklich froh, dass ich mir die Teile gekauft hatte. Ich war also dieses Mal bestens vorbereitet.
Nachdem ich mit einem Handtuch bekleidet wieder ins Zimmer kam, hatte Ed die Decke gänzlich über sich geworfen und man hörte sein Schnarchen sogar durch den dicken Stoff. Ich hielt es keine Minute länger hier aus und wollte so schnell wie möglich aus der Bruchbude raus.
Da ich nicht davon ausging, dass Ed sobald von den Toten auferstehen würde, nahm ich mir vor zu frühstücken und mir die Mädels zu schnappen. Wir würden schon irgendwie aus dieser Gegend raus kommen. Außerdem wollte Charlie ihren Onkel besuchen, das war Abwechslung genug. Es war ehrlich gesagt alles besser, als noch länger hier zu bleiben.
Motiviert nahm ich mir die erstbesten Klamotten aus meinem Koffer und setzte mir eine Sonnenbrille auf die Nase. Ich bemühte mich erst gar nicht, leise zu sein. Ed hatte von uns allem am meisten Schlaf abgekriegt, der sollte sich also gar nicht erst anstellen. Wenn ich schon derjenige war, der sich von uns beiden als erstes bei Tageslicht aus der Pension wagte, dann musste ich nicht unbedingt erkannt werden. Wäre Basil bei mir, wäre ich sicherlich in den ersten fünf Minuten aufgeflogen, denn der war mittlerweile unter den Fans bekannt wie ein bunter Hund.
Ich war vor einiger Zeit mal mit Basil zusammen zu einem Bummel in New York aufgebrochen. Nach gerade mal dreißig Minuten mussten wir flüchten und sind wieder ins Hotel abgezogen. Sobald eine einzige Person davon Wind bekam, dauerte es keine fünf Minuten und ich war Umgeben von einer kreischenden Menge. Darauf konnte ich zumindest heute herzlich verzichten.
Natürlich war es sicherer für mich, nicht allein durch die Gegend zu schleichen, aber hätte ich Basil dabei, dann würde ich nicht nur schneller auffallen, sondern konnte es mir gänzlich abschreiben irgendetwas im Alleingang zu entscheiden. Ich konnte ihn wirklich gut leiden, er sorgte sich nicht nur um meine Sicherheit, sondern hatte stets ein offenes Ohr, wenn mir etwas auf dem Herzen lag. Außerdem verstand er sein Handwerk und mir war in seiner Gegenwart noch nie etwas passiert, jedoch fand ich es zugegeben sehr spannend, mich allein durchzuschlagen. Außerdem waren zumindest heute Charlie und Hannah dabei. Zumindest hoffte ich das. Was ich machen sollte, wenn die beiden auch noch schliefen, wusste ich nicht.
„Wo willst du hin?", nuschelte Ed hinter mir in sein Kissen.
„Ich hocke sicherlich nicht weiter in diesem Loch hier", zischte ich. Der Morgen hatte noch nicht einmal angefangen und er ging mir jetzt schon auf den Geist. Einfach, weil er den Tag verschlief und seine beste Freundin schon am allerersten Tag im Stich ließ. „Hier fällt einem spätestens nach dieser Nacht schon die Decke auf den Kopf."
„Viel Spaß", murrte er und drehte sich auf die andere Seite.
Geladen runzelte ich die Stirn und zischte ihn an:„Du solltest deinen faulen Arsch vielleicht auch aus dem Bett bewegen."
„Ich hab Urlaub", war sein Kommentar und er winkte lässig ab.
Da ich sowieso nicht scharf darauf war, weiter zu diskutieren, setzte ich mir meine Ballonmütze auf, schnappte mir mein Handy und das Portemonnaie und zog geräuschvoll die Tür hinter mir zu. Erleichtert atmete ich auf und verfluchte ihn durch die Wand, bevor ich entschlossen den Gang entlang lief, um zu frühstücken.
Ich fragte mich, ob Charlie die gleiche Idee wie ich hatte und ich sie dort antreffen würde. Auf dem Weg in die untere Etage begegnete ich mehreren Leuten, jedoch lag der Altersdurchschnitt weit über fünfzig und ich grüßte freundlich zurück, als sie mir einen guten Morgen wünschten.
Als ich den spärlich möblierten Frühstücksraum allerdings fand, war weder Charlie zu sehen, noch hatte ich wirklich Lust hier zu essen. An den kleinen Tischen saßen vereinzelnd ältere Pärchen, die an ihren Broten nuckelten. Das sogenannte Buffet, das noch in der Broschüre so hoch angepriesen wurde, sah aus, als würde es schon seit letzter Woche dort liegen.
Ich war in der Hölle gelandet.
Zeitgleich knurrte mein Magen und ich machte auf dem Absatz kehrt. Ich atmete tief durch und unterdrückte das Gefühl, einfach den nächstbesten Flug zurück nach London zu buchen. Entschlossen und halbwegs motiviert noch das beste aus diesem Tag zu machen, ging ich nach draußen und wurde empfangen von der Hitze Australiens. Ich hätte anstelle der langen Jeans vielleicht lieber meine kurzen Shorts angezogen. Für mich war es auch nach all den Malen, in denen ich mit den Jungs in Australien war, komisch, dass es hier Sommer war, wenn in London gerade eisige Minustemperaturen herrschten. Das war eine Sache, an die würde ich mich wohl nie gewöhnen.
Ein paar Häuser weiter entdeckte ich eine kleine Bäckerei, kaufte ein paar belegte Sandwiches, zwei Kaffee zum Mitnehmen und einen Tee für Hannah. Wer wusste schon, wie es ihr ging und ob ihr Magen immer noch verrückt spielte. Da war Tee vielleicht die beste Wahl.
Schnurrstracks lief ich zur Pension zurück und wollte keine Zeit verlieren. Hastig klopfte ich an die Tür und wartete ungeduldig darauf, dass mir geöffnet wurde. Ich wollte einfach hier raus und was erleben. Und wenn ich meinen Tag im Park in der Sonne verbrachte. Alles war besser als dieser Saftladen hier.
Als Charlie die Tür endlich öffnete, redete ich einfach drauf los: „Guten Morgen. Schnappt euch eure Sachen und die erste Postkarte. Zieht euch bequeme Schuhe an und wir verschwinden hier. Kaffee?"
Grinsend hielt ich ihr den Becherhalter mit dem Kaffee unter die Nase. Charlie beäugte mich misstrauisch von oben bis unten und starrte dann stirnrunzelnd auf meine Mütze: „Machst du jetzt einen auf Oliver Twist, oder was?"
„Was? Die ist doch voll super", erwiderte ich etwas pikiert. Schmollend schob ich meine Unterlippe hervor und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein amüsiertes Grinsen schlich sich auf ihre Lippen, bevor sie die Tür komplett öffnete und mich in das kleine, dunkle Zimmer ließ.
„Hau rein, hier halt ich es nicht mehr länger aus", drängte ich sie und ging bedacht in das dustere Zimmer.
„Nichts lieber als das, aber ich glaube auf Hannah müssen wir verzichten", hörte ich Charlie sagen.
Die Vorhänge im Zimmer waren geschlossen und ich konnte nicht sehen, wo ich meine Füße hinsetzte. Als ich mit dem Fuß gegen etwas hartes stieß, unterdrückte ich ein Aufjaulen und tastete mich weiter voran. Als ich hörte wie Charlie sich wie selbstverständlich durch den kleinen Raum bewegte, versuchte ich ihr zu folgen und hielt mir die Hände vor die Augen, als sie die Vorhänge einen Spalt öffnete.
„Mach die scheiß Vorhänge wieder zu, Charlie", fluchte Hannah. Sie lag im winzigen Bett und hatte sich die Decke über die Augen gezogen. „Macht euer Kaffeekränzchen woanders."
"Entspann dich mal", erwiderte Charlie gereizt und dachte erst gar nicht dran, die Vorhänge wieder zu schließen. „Wie du siehst, ist Hannah immer noch nicht wieder auf dem Damm", fügte sie hinzu, schaute mich an und verdrehte die Augen.
Auch Charlie schien das ganze hier zu stinken. Sie zog sich in Sekundenschnelle ihre Chucks an und steckte sich ihr Portemonnaie in die Hosentasche. Dann nahm sie sich dankbar den Kaffee und ich stellte Hannah den Tee auf den Nachttisch.
„Wo ist Ed?" Charlie schloss die Tür, fragend schaute sie mich an und runzelte die Stirn.
„Drei mal darfst du raten", erwiderte ich und ich hätte schwören können, ihre Mundwinkel sanken in die Tiefe. Trotzdem ließ sie sich nichts anmerken und sie zuckte gleichgültig mit den Schultern.
Auch wenn sie sich nichts anmerken ließ, konnte ich mir vorstellen, wie es in ihr drin aussah. Ich erinnerte mich an den Tag zurück, als ich das erste Mal bei ihr war. Daran, dass sie mir erzählte, dass sie Angst hatte, dass Ed sich noch mehr von ihr entfernte.
Vielleicht war sie deshalb so gelassen und sah über seine Macken hinweg. Ich war mir sicher, dass die beiden eine innige Freundschaft verband. So wie ich Charlie im letzten Jahr kennengelernt hatte, war ich mir sicher, dass sie alles für Ed tun würde. Und es machte mich immer rasender, dass er das anscheinend nicht zu schätzen wusste und ihr gutes Herz ausnutzte. Ich wollte gar nicht wissen, wie oft sie ihn mitten in der Nacht irgendwo abgeholt hatte, nur weil er nichts auf die Reihe bekam, oder wie oft sie für ihn alles stehen und liegen ließ.
Meine Wut schluckte ich herunter, ich sollte mich da einfach nicht einmischen. Ich hoffte, dass Charlie ihm irgendwann die Meinung geigte, oder, dass Ed früher oder später wieder zur Vernunft kommen würde.
Der Tag wurde allerdings nicht wirklich besser.
Erst bekamen Charlie und ich kein Taxi, weil sich in dieser gottverdammten Gegend anscheinend niemand so schnell verlief. Es dauerte eine ganze Stunde, bis ein Wagen am Straßenrand hielt und ich war froh, dass der Fahrer die Klimaanlage an hatte. Fünf Minuten später und ich wäre sicherlich geschmolzen. Zum Glück hatten wir im Schatten eines Baumes auf das Taxi gewartet, denn einen Sonnenbrand hätte ich nicht auch noch gebrauchen können.
Als wir dann an der Adresse von Charlies Onkels ankamen, verfolgte uns die nächste Pechsträhne. Anstelle von ihrem Onkel Luke, öffnete eine ältere Dame die Tür und teilte uns mit, dass Luke überhaupt nicht mehr dort wohnte. Kurz sah ich Charlie schlucken und ihre Augen glänzten verdächtig. Wer konnte es ihr schon verübeln?
An ihrer Stelle wäre ich wahrscheinlich schon längst in Tränen ausgebrochen. Wir waren nicht einmal vierundzwanzig Stunden in Australien und nichts lief nach Plan. Anstatt mit ihren Freunden die Zeit zu genießen und den Spuren der Postkarten ihres Vaters zu folgen, ging alles schief. Nichts mit Welt erkunden.
Die Adresse war also nicht aktuell und Charlie hatte keinen blassen schimmer, wo ihr Onkel nun wohnte. Ich wunderte mich, wie lange sie wohl nicht mehr mit ihm geredet hatte, denn das Haus war seit fast einem Jahr wieder neu bewohnt.
Von Minute zu Minute wurde Charlie ruhiger und ich hätte Ed verfluchen können, dass er nicht hier war. Schweigsam liefen wir in den Straßen herum und ließen das alte Haus ihres Onkels hinter uns.
Je mehr wir uns entfernten, desto wahnsinniger machte mich die Stille. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte oder ob es überhaupt Sinn machte, dass wir weiter planlos durch die Gegend liefen.
An einem kleinen Park angekommen, hielt ich es nicht länger aus: „Sag doch was."
Abrupt blieb sie stehen und schaute mich an: „Ich will nach Hause."
Ihre sonst so freundlichen blauen Augen glänzten, die Schultern ließ sie kraftlos hängen. Für einen Moment fehlte mir der Atem, denn die Euphorie, die ich noch von wenigen Tagen verspürte, war wie weggeblasen, als ich sie anschaute.
Selbst nach den wenigen Malen, bei denen ich Charlie gesehen hatte, hatte ich sie ein wenig ins Herz geschlossen. Es tat gut, jemanden kennenzulernen, der einen nicht nur darauf reduzierte, dass man in der Öffentlichkeit stand. Obwohl sie so viele Witze darüber machte, aber das war einfach ihre Art. Für sie war ich einfach nur Niall und das tat mir unheimlich gut. Und genau deshalb war ich in diesem Augenblick unglaublich ratlos.
Ich wünschte, ich würde sie besser kennen und wüsste, was ich jetzt tun sollte. Ich wünschte Ed wäre hier und würde etwas tun, andererseits würde er es wahrscheinlich nicht einmal merken oder wissen, wie es in ihr aussah.
Außerdem wollte ein Teil von mir derjenige sein, der etwas unternahm. Immerhin war ich gerade der einzige, der bei ihr war. Alles was ich wusste war, dass sie Veränderungen hasste, dass sie sich unwohl fühlte, ganz allein am anderen Ende der Welt.
Aber sie war nicht allein.
Kurz entschlossen zog ich sie zu mir und umarmte sie. Sie zögerte für eine Sekunde, entspannte sich dann jedoch und legte ihre Arme um mich. Ihr Haar roch nach Apfel und Vanille, ihre blonden Strähnen kitzelten mich an der Wange und auch wenn es gefühlt fünfzig Grad im Schatten waren, störte mich ihre Nähe nicht im geringsten.
„Tut mir leid", murmelte sie in mein Hemd und ich hielt sie eine Armlänge von mir entfernt. Fragend schaute ich sie an, bevor sie weiter sprach: „Ich fühle mich total lächerlich. Ich will dich nicht langweilen."
„Charlie," sagte ich und lächelte sie an, „Sei nicht albern. Ich verbringe gerne Zeit mit dir. Auch wenn alles schief geht. Und wenn wir uns auf eine Parkbank setzen und die pappigen Sandwiches essen, die ich, nur so nebenbei gesagt, schon seit fast zwei Stunden durch die Gegend trage. Besser, als bei den Flachpfeifen im Senioren-Resort zu versauern."
Und tatsächlich verschwanden die nachdenklichen Falten auf ihrer Stirn und sie fing an zu lachen. Ihr Lachen war so ansteckend, dass ich es ihr gleich tat: „Siehst du, schon kannst du wieder lachen."
„Danke, Niall."
„Danke wofür?", fragte ich sie skeptisch und sie schenkte mir endlich ein ehrliches Lächeln.
„Dass du es mit mir aushälst", erwiderte sie. „Ich mag es ja selbst nicht, wenn ich so bin."
„Ach, Papperlapapp. Du bist mir um einiges lieber, als die Langweiler in der Pension", sagte ich. „Und jetzt lass uns nicht gleich den Teufel an die Wand malen, wir haben noch so viel vor. Denk an all die Dinge, die ich geplant habe."
Charlies Stirn lag in Falten:„Du meinst die lebensmüden Aktionen, die du rausgesucht hast? Oder die monströsen Riesen-Schaukeln über einer ewig tiefen Schlucht?"
„Unter anderem", sprach ich schulterzuckend und ließ mich einige Meter weiter auf einer Bank fallen. Charlie folgte mir und setzte sich daneben. Aus der Tüte, die ich mit mir herum getragen hatte, holte ich die mittlerweile aufgeweichten Sandwiches und reichte ihr eines davon.
„Wenn du immer noch denkst, dass ich diese ganzen bescheuerten Sachen mitmache, dann hast du dich geschnitten", sagte sie amüsiert und ich schubste sie mit meiner Schulter an: „Warte es ab, ich krieg dich noch dazu."
Zu meiner Erleichterung schien sie sich wirklich gefangen zu haben und ich war froh, sie lachen zu sehen. Es stand ihr sowieso viel besser, wenn sie so gelassen war und wenn sie sich nicht über alles ständig Gedanken machte.
Der Mittag war wegen den hohen Temperaturen kaum erträglich. Nicht nur ich schmolz fast dahin, auch Charlie hatte so ihre Probleme. Glücklicherweise machte es ihr nichts aus, dass wir uns größtenteils im Schatten aufhielten. Im Gegenteil, sie war recht froh darüber. Bei ihrer hellen Haut, wäre sie vermutlich genau so rot wie ich, wenn ich einen Sonnenbrand bekam.
Es machte ihr auch nichts aus, als ich sie hin und wieder zur Seite zog, als wir Richtung Strand gingen. Sobald ich jemanden mit einer Kamera sah, flüchtete ich in die nächste Ecke und zog Charlie erbarmungslos mit mir mit. Anstatt sich darüber aufzuregen, dass ich anscheinend paranoider war, als gedacht, lachte sie und gab ein paar sarkastische Kommentare darüber ab.
Als wir an der Promenade ankamen, kam mir eine Idee. An einer kleinen Hütte, an der auch Tretboote und Surfbretter ausgeliehen wurden, sah ich noch etwas anderes, das mein Interesse weckte.
Nicht einmal dreißig Minuten später hatte ich Charlie so weit und wir saßen auf zwei Quads. Der Surfer-Typ dem die Hütte gehörte, erklärte uns geduldig, wie man das Ding fuhr.
Vor uns lag ein langer Strandabschnitt, der nur darauf wartete, dass wir uns austobten. Der Typ mit den dunkelblonden Sunnyboy-Locken unterhielt sich für meinen Geschmack viel zu lange mit Charlie. Ich wollte endlich Gas geben, ich war hier schließlich nicht zum Kaffee-Klatsch angetreten.
Meine Zweifel, dass sie sich dagegen wehren würde, waren wie weggeblasen, als sie mich verschwörerisch angrinste und der Surfer-Typ endlich die Fliege machte.
„Bereit?", fragte ich sie frech grinsend und zwinkerte ihr anschließend zu.
Charlie schnaubte verächtlich:„Schluck meinen Staub, du Langweiler."
Sekunden später setzte sie sich den Helm auf, betätigte das Gas, als hätte sie nie etwas anderes gemacht und brauste davon. Beeindruckt starrte ich ihr hinterher, bevor ich mir den Helm ebenfalls aufsetzte und über den heißen Sand bretterte.
Mit mindestens fünfzig Sachen fuhr ich am Wasser entlang und es bereitete mir den heftigsten Adrenalinschub seit langem. Mein Atem beschleunigte sich und mein Puls raste unaufhaltsam. Ich spürte den frischen Wind an meinen Armen und wünschte, dieses Gefühl würde für immer anhalten.
Immer wieder rauschte Charlie an mir vorbei. Der knallblaue Helm, den sie trug, reflektierte das Sonnenlicht. Auch sie hatte anscheinend den Spaß ihres Lebens, denn ich hörte sie hin und wieder laut jubeln, sah wie sie noch mehr Gas gab. Sie hatte noch nicht einmal Scheu davor, scharf zu bremsen und eine hundert achtzig Grad Drehung auf dem Sand hinzulegen.
Ich fühlte mich frei und lebendig. Und am meisten freute es mich, dass ich das mit Charlie teilen konnte, dass sie sich darauf einließ und für einen Moment zu grübeln aufhörte.
Die halbe Stunde ging viel zu schnell um und sowohl Charlie, als auch ich waren unter den Helmen nass geschwitzt. Ihre blonden Haare klebten förmlich an ihrer Stirn und wir ließen uns für einen Moment atemlos in den Sand sinken.
Gegen Abend knurrten unsere Mägen und ich googelte was das Zeug hielt. Wenig später fand ich eine Empfehlung für ein Bistro ganz in der Nähe. Wenn man den Rezensionen des Internets Glauben schenkte, wurden dort die besten Burger in Perth serviert und als ich Charlie davon erzählte, war sie sofort begeistert und zog mich mit sich.
Das Bistro glich allerdings eher einer Disko. Überall flackerte grünlich-blaues Licht und aus den Boxen schallte elektronische Musik. Skeptisch beäugte Charlie den Schuppen, während ich mich vorsichtshalber im Hintergrund hielt und sie bat, uns etwas zum Mitnehmen zu bestellen.
Ich sollte recht behalten, denn keine fünf Minuten später ertönte der Klingelton eines Mädchens an einem der Tische. Sie war ungefähr in Amys Alter und obwohl es hier so laut war, würde ich diesen Song immer und überall erkennen. Die ersten Takte von What Makes You Beautiful ließen mich zusammenzucken und ich schaute mich panisch um. Gut gelaunt nahm das Mädchen ihren Anruf entgegen und ich zog mir die Mütze noch tiefer ins Gesicht. Ich versuchte einen Schritt zurück zu gehen, um im Schatten unterzutauchen und sendete ein Stoßgebet in den Himmel.
Ein Stein fiel mir vom Herzen, als Charlie mit unserem Essen auftauchte und zu mir stieß: „Gott, bei der Musik denkt man ja, die Enterprise landet hier gleich irgendwo."
Mein Lachen musste ich mir verkneifen und ich zog sie stumm aus dem Laden heraus. Charlie fragte erst gar nicht nach und ließ sich von mir durch die Gegend ziehen. Anstatt uns irgendwo hinzusetzen, aßen wir unsere Burger im Gehen. Und man hatte uns nicht zu viel versprochen; sie waren himmlisch. Genießerisch verdrehte ich die Augen und stillte meinen Hunger.
Als es dunkel wurde fanden wir recht schnell ein Taxi, das uns zurück zur Pension brachte. Mir graute es vor der nächsten Nacht auf der unbequemen Matratze. Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass Ed immer noch schlief und sich breit machte. Nächstes Mal würde ich mir auf jeden Fall ein Einzelzimmer nehmen; koste es was es wolle.
„Jetzt bin ich wirklich froh, dass du mitgekommen bist", sagte Charlie, als wir an unseren Zimmern ankamen. „Der Tag war wirklich schön, auch wenn es so ausgesehen hat, als würde er in einem völligen Desaster enden."
Das sanfte Lächeln auf ihren Lippen verriet, dass es ihr tatsächlich Spaß gemacht hatte und ich dachte sofort an ihre Begeisterung beim Quadfahren zurück.
„Morgen suchen wir nach der richtigen Adresse von Luke und dann wird schon alles glatt gehen. Ich lass' dich schon nicht hängen, wie gesagt, ich hab genug geplant, dass es für ein ganzes Jahre reichen würde", erwiderte ich zwinkernd.
„Ich werde mich trotzdem nicht mit dir in die Tiefe stürzen", entgegnete Charlie lachend.
„Irgendwann wirst du es tun und du wirst mir dafür danken."
»«
Nach fünfhundert Jahren kommt endlich das nächste Kapitel. Jetzt sind die ganzen Feiertage und dergleichen vorbei und es geht wieder richtig weiter.
Danke für die tollen Kommentare beim letzten Kapitel und danke, danke, danke für über 400 Votes. Ich bin völlig geplättet von dem ganzen lieben Feedback und eurer tollen Unterstützung.
Jedenfalls hoffe ich, dass ihr Ed jetzt nicht hasst, auch wenn er so ein riesen Vollidiot ist. Er kann auch anders, das verspreche ich euch.
Dieses Kapitel widme ich niallerseditor / Marioniguma die mir vor einer halben Ewigkeit dieses wundervolle Fan-Cover gemacht hat:
Das nächste Update kommt am Sonntag oder Montag :)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro