12 » Ein Ruderboot zum Mitnehmen, bitte
N I A L L
London, September 2015
»«
Es dauerte keine fünf Minuten, da hatte ich schon den ersten Drink in der Hand. Ich bereute es bereits jetzt, dass Ed uns in den gleichen Club mitgeschleppt hatte, in dem Harry, Liam und ich letztes Jahr kurz vor Weihnachten gelandet waren. Seit dem Tag habe ich keinen Fuß mehr in den Schuppen gesetzt und ich hatte eigentlich nicht geplant, nochmal hier aufzutauchen.
Da hatte ich die Rechnung leider ohne Ed gemacht, der mir freudestrahlend ein Glas Whiskey-Cola vor die Nase hielt und sich anschließend gut gelaunt in der Menge umschaute. Charlies Freundin Hannah passte perfekt hier rein. Nicht nur, dass ihr auffälliges Kleid wie eine Discokugel das schwache Licht reflektierte, sie fühlte sich sichtlich wohl und flirtete mit dem Adonis von Barkeeper, der ihr ohne mit der Wimper zu zucken einen Caipirinha auf die Theke knallte. Dabei pustete sie so elegant ihre kurzen braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht, als würde sie für Shampoo werben. Allgemein sah sie aus, wie eine noch zierlichere Version von Halle Berry aus den Zweitausendern, nur dass ihre Haare nicht so raspelkurz waren und ihr einiges an Bräune fehlte.
Charlie selbst stand völlig überfordert neben mir und ließ ihren Blick durch die Gegend schweifen. Im Kontrast zu Hannah, sah sie vollkommen unscheinbar aus. In der schlichten Jeans und dem Shirt sah sie eher aus, als hätte man sie gezwungen hier her zu kommen. Was eigentlich ja auch stimmte. Trotzdem glaubte ich fest daran, dass sie sich ein bisschen freute, mal rauszukommen.
Als Ed sich einige Meter weiter weg bereits auf der Tanzfläche zum Affen machte, musterte ich Charlies leere Hände und hielt ihr mein Glas hin. Langsam schüttelte sie den Kopf: „Nein danke, ich lass es langsam angehen. Aber ich hole mir mal 'ne Cola."
Grinsend spazierte sie zur Bar, an der Hannah immer noch stand und sich mit dem Barkeeper unterhielt. Hinter ihr bildete sich bereits eine Schlange und es schien, als würde sie gebannt an seinen Lippen hängen und gar nicht mehr von der Bar weg wollen. Ihn schien der Andrang nicht zu interessieren, denn er legte sich ins Zeug und zwinkerte ihr unzählige Male auffällig zu.
Kurz entschlossen leerte ich das erste Glas und ging auf Charlie zu, die vor einem nicht weniger attraktiven Barkeeper stand und sich über die Theke lehnte, damit sie sich verstehen konnten.
„Acht Pfund für 'ne Cola?", fuhr sie ihn an. „Wird der mit Blattgold serviert?"
Schmunzelt gesellte ich mich dazu und schob dem Barkeeper mein leeres Glas zu. Vor Charlie stand eine mickrige Flasche Cola und sie kramte genervt in ihrer Tasche herum. Grinsend schob ich eine zwanzig Pfundschein über das dunkle Holz und Charlie schaute mich ungläubig an.
„Ich zahle, ist ja schließlich dein Geburtstag", sagte ich grinsend und bestellte mir ein weiteres Glas Whiskey-Cola. Dankbar schob sie ihr Portemonnaie wieder in die Tasche zurück und wir wanderten wieder zu Ed, der sich bereits mit einem neuen Bier die Seele aus dem Leib zappelte. Woher er die neue Flasche so plötzlich hatte, wusste ich nicht.
„Mal abgesehen davon, dass du gerade zwanzig Pfund für zwei Drinks hingeblättert hast, ist es ganz schön laut und dunkel hier. Ist das normal?", sprach Charlie mir aus der Seele und leerte mit einem Zug die halbe Flasche.
„Ich find' es auch nicht sonderlich toll hier", entgegnete ich brüllend um gegen den Lautstärkepegel anzukommen und setzte das Glas an meine Lippen.
Sie war gut einen halben Kopf kleiner als ich und stellte sich auf die Zehenspitzen, um mir zu antworten. Ihre Augenbrauen zuckten in die Höhe und sie schaute mich grinsend an: „Tut mir leid, wenn ich dir das nicht glaube."
„Warum? Wegen den leicht bekleideten Frauen, die sich mir an den Hals schmeißen?", erwiderte ich sarkastisch und blickte mich um.
Es war schon immer so gewesen. Ich leugnete nicht, dass ich keinen Erfolg bei Frauen hatte, aber wäre ich nicht Niall von One Direction, dann würde ich meine Flirts in den letzten Jahren an einer Hand abzählen können. Auf Dauer zerrte das einfach an den Nerven und ich konnte mir nie sicher sein, ob eine Frau mit mir redete, weil sie mich tatsächlich mochte, oder weil ich einen Haufen Kohle auf der Bank liegen hatte.
„Ach komm schon, Niall. Du willst mir doch jetzt nicht erzählen, dass du heute Nacht alleine schlafen wirst", sagte sie dreist und grinste so herausfordernd, dass sich kleine Grübchen auf die ihren Wangen abzeichneten.
Ich wusste genau, dass sie mich nur provozieren wollte und irgendwie mochte ich das an ihr. Lässig zuckte ich mit den Schultern und steckte meine rechte Hand in die Hosentasche: „Weißt du, vielleicht nehme ich auch einfach deine Freundin mit nach Hause."
„Ich glaube, sie geht schon mit jemand anderem nach Hause", entgegnete sie grinsend und zeigte Richtung Bar. Hannah lehnte an der Theke und streckte dem Adonis gekonnt ihren tiefen Ausschnitt entgegen. Immer wieder kicherte sie und tätschelte ihm beiläufig die Schulter. Als hätte sie unsere Blicke gespürt, drehte sie elegant ihren Kopf zur Seite, lächelte uns an und ließ den Barkeeper hinter der Theke zurück. Schnellen Schrittes kam sie auf ihren mörderisch hohen Absätzen zu uns gestöckelt und stellte sich gut gelaunt zu ihrer besten Freundin.
„Der Club ist der Wahnsinn. Danke, dass ihr uns mitgenommen habt, ohne dich und Ed wären wir ja niemals hier rein gekommen", sagte sie erfreut. Auf diesen Stelzen war sie fast mit mir auf Augenhöhe und überragte Charlie um ein paar Zentimeter. Das ganze schien auch Charlie zu irritieren, denn ich war mir sicher, dass Hannah sogar ein bisschen kleiner war als sie. „Wie sieht's aus, wollen wir tanzen, Charlie?"
Charlie schnaubte verächtlich neben mir und schaute sie an: „Du müsstest mich eigentlich besser kennen."
„In Cardiff hast du auch getanzt", entgegnete Hannah amüsiert und Charlies Wangen nahmen sofort einen rosa Ton an bevor sie sich rechtfertigte: „Da waren ja auch ungefähr tausend andere, die sich zum Vollpfosten gemacht haben."
„Du könntest dich wirklich mal locker machen", kommentierte Hannah. „Vielleicht solltest du dir einen Cocktail bestellen, wir stoßen an und hoffen, dass du auch mal wieder einen abkriegst. Wie lange ist es her, Charlie? Hast du ein Gelübde abgelegt?"
„Ja, Charlie, wie lang ist es her?", mischte ich mich dreist ein und musterte sie frech grinsend.
„Ich kann euch beide gerade wirklich nicht leiden", erwiderte sie trocken und leerte ihre Cola. Hannah zuckte desinteressiert mit den Schultern und steuerte dann Ed an, der sich mittlerweile zur Bar vorgearbeitet hatte und versuchte die Aufmerksamkeit des Barkeepers zu erhaschen.
Aufmerksam musterte ich Charlie, die ihren Blick durch den Club schweifen ließ. Als auch ich mein spärlich gefülltes Glas geleert hatte, sprach ich grinsend: „Sensibles Thema? Muss ich jemanden verprügeln? Wo wohnt er, wie heißt er?"
„Die Identität dieser Person ist nicht von Bedeutung", sagte sie abgeklärt und stellte die leere Flasche auf einen der wackeligen Stehtische. „Also, Niall, wo waren wir stehen geblieben?"
„Dabei, dass ich heute Abend genau so wenig jemanden mit nach Hause nehme, wie du."
„Du bist so optimistisch", erwiderte sie grinsend. „Ist vielleicht besser so. Wenn ich mir Hannah so angucke, dann bin ich ziemlich froh darüber."
Mein Blick wanderte wieder zur Theke, an der Hannah stand und flirtete, als gäbe es kein Morgen mehr. Was sie an dem schmierigen Typen mit den zurück gegelten pechschwarzen Haaren fand, konnte ich mir nicht erklären. Alles im allen sah er aus, als würde er länger im Bad brauchen als Louis, der jedes mal zig mal versuchte seine Haare in Ordnung zu bringen. Ohne Erfolg wohl gemerkt.
Bestimmend schob sie mich Richtung Tanzfläche, auf der die verschwitze Menge mittlerweile zu Lady Gagas Just Dance abzappelte und die mehr enthusiastischen Menschen ihre Körper aneinander rieben.
„Du hast Spaß und ich versuche Hannah vor einem riesigen Fehler zu bewahren", sagte Charlie lächelnd und ließ mich dort stehen. Als ich ihr gerade hinterher rufen wollte, dass ich auch so Spaß hatte, war sie schon Richtung Bar verschwunden.
Kurz überlegte ich ihr zu folgen, doch da packte mich jemand entschlossen am Arm und zerrte mich in die tanzende Meute. Vor mir hampelte Ed herum und reichte mir ein Bier.
„Ist sie noch sauer auf mich?", brüllte Ed gegen den Bass an und schüttelte sein Bier beim tanzen so heftig hin und her, dass ich befürchte, es würde jeden Moment über seine Hand laufen.
Unwissend zuckte ich mit den „Ich weiß nicht, kann sie überhaupt richtig wütend werden?"
„Glaub mir, das kann sie, wenn sie einen Grund hat", verkündete er.
„Ich glaube einfach, du hast sie überrumpelt", ließ ich ihn wissen. „Und deine Wahl, in diesem grauenhaften Getümmel ihren Geburtstag zu verbringen, ist wirklich beschissen."
„Ich weiß gar nicht, was du gegen diesen Club hast", erwiderte er, „Harry hat es schließlich auch gefallen."
Kein Wunder. Harry ließ keine Gelegenheit aus, ordentlich einen zu kippen und die Welt um sich herum zu vergessen. Es war eben nicht immer leicht Harry Styles zu sein, vor allem nicht in letzter Zeit.
Seitdem wir die Auszeit verkündet hatten, hatte es den Anschein, die Presse hätte noch weitaus mehr Interesse an uns, als anfangs gedacht. Ständig kamen neue Trennungsgerüchte auf, Klatschblätter berichteten über angebliche Streiterein oder saugten sich Gründe aus den Fingern, um alles möglichst dramatisch aussehen zu lassen.
Dabei hatten wir alle einfach eine Pause verdient und vor allem bitter nötig. Ich konnte es gar nicht erwarten meinen Rucksack zu packen und einfach dort hin zu gehen, wo der Wind mich hin trieb. Ich dachte daran wie schön es sein musste einfach unter den Sternen zu schlafen, zu zelten, neue Orte zu entdecken und einfach für einen Moment wieder normal zu sein. Keine Paparazzi, keine Interviews, Ausschlafen solange man wollte.
All die Sachen die mich erwarteten linderten leider nicht die grauenhaften Magenschmerzen, die ich schon seit Wochen hatte. Auch wenn ich mich darauf freute alles für eine Zeit zurück zu lassen, so wusste ich, dass mir mein hektischer Alltag fehlen würde. Ich genoss es durch die Welt zu touren und mit meinen besten Freunden den Traum zu leben. Und ich wusste genau, dass sich unsere Wege für eine Weile trennen würden.
Louis verbrachte garantiert eine Zeit in Los Angeles bei Briana und ging voll in seiner Vaterrolle auf. Er freute sich wahnsinnig und es hatte den Anschein, als würde er sich nach all den langen Partynächten und Eskapaden endlich wieder fangen. Ich war mir sicher, dass Brianas Schwangerschaft ihm in gewisser Weise die Augen geöffnet hatte.
Ich dachte daran, dass Harry uns vor einer Zeit verklickert hatte, dass er eine Rolle in einem Kriegs-Drama von Christopher Nolan ergattert hatte und fing unwillkürlich an zu schmunzeln. Das einzige Drama daran war, dass Harrys Schuspielkünste zu wünschen übrig ließen und ich ihn mir beim besten Willen nicht als Soldat vorstellen konnte. Trotzdem unterstützten wir ihn und belächelten sein Vorhaben, denn er schien Feuer und Flamme dafür zu sein.
Bei Liam und Sophia hingegen kriselte es gewaltig. Erst vorgestern stand Liam mit Sack und Pack vor meiner Tür und erzählte mir, er wäre geflüchtet, weil bei ihm Zuhause buchstäblich die Fetzen flogen.
Als Ed schon der Schweiß auf der Stirn stand und meine Ohren unter der Musik litten, bahnte sich Charlie ihren Weg durch die Menge zu uns. Sie verzog entgeistert das Gesicht und versuchte sich zwischen zwei wild knutschenden Pärchen durchzuquetchen, die sie stürmisch anrempelten und sie ihre halbe Cola auf der Tanzfläche verteilte. Lachend ging ich einige Schritte auf sie zu und zog sie am Arm aus dem menschlichen Getümmel.
„Danke, ich hab fast keine Luft mehr gekriegt", sagte sie lachend und strich die Falten ihres Shirts glatt. „Ich glaube, ich hau ab. Aber ich lass euch Hannah hier."
„Du willst doch jetzt nicht gehen", sagte ich schon fast entsetzt. Immerhin war es Charlies Geburtstag den wir heute feiern wollten.
„Nimm es mir nicht übel, aber ich passe hier einfach nicht rein", entgegnete sie.
„Wie wäre es mit einem Kompromiss", schlug ich vor. Sie musterte mich interessiert und kurz darauf gesellte sich Ed zu uns und legte den Arm um Charlies Schulter. „Wir gehen woanders hin und niemand geht nach Hause", fuhr ich mein Angebot fort.
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass Charlie sich zurück hielt und ich wollte unbedingt herausfinden, was alles in ihr steckte. Und wenn ich sie erst abfüllen musste.
„Wir könnten in die Kneipe von deinem Dad", schlug Ed vor und lächelte sie an. „Da war ich eine Ewigkeit nicht mehr."
Einen Moment lang schien sie nachzudenken, dann verzog sie missmutig das Gesicht: „Ich weiß nicht. Nachher werde ich wieder zum Kellner degradiert und muss euch bedienen."
Schmunzelnd schob ich eine Hand in die Hosentaschen und grinste sie an: „Fände ich gar nicht mal so schlecht."
„Das würde dir so passen", grinste sie und wandte sich anschließend an Ed. „Aber nur, wenn du nicht wieder zu Let's Twist Again tanzt, Ed. Das tue ich mir nicht nochmal an. Letztes Mal hast du fast die halbe Theke im Suff zu Kleinholz verarbeitet."
Bei der Vorstellung wie Ed ausgelassen die Beine schwang, musste ich ungehalten losprusten. Niedergeschlagen nickte der Rotschopf und Charlie nahm ihm das Versprechen ab, dass er seine Füße stillhalten würde.
Kurz darauf holte Ed unsere Jacken und Charlie versuchte, ihre beste Freundin von dem Adonis loszureißen. Ich sah ihr aus der Ferne dabei zu, wie sie mit Hannah diskutierte und sie dann kurzerhand kopfschüttelnd zurück ließ. Charlie erklärte uns, dass es wohl kein Sinn hatte sie mitzunehmen, denn sie würde definitiv nicht mitkommen, so sehr hatte ihr der Barkeeper den Kopf verdreht.
Als die Frage aufkam, ob wir uns nun ein Taxi rufen würden, weil ich nach zwei Whiskey-Cola sicherlich nicht mehr fahren könnte, hielt ich Charlie grinsend die Autoschlüssel vor die Nase. Sie war die einzige, die bis jetzt nichts getrunken hatte, somit bot ich ihr an, meinen Wagen zu fahren. Für einen Moment bildete ich mir ein, ihre blauen Augen würden vor Freude aufleuchten und sie schnappte sich die Schlüssel und stolzierte freudig Richtung Hinterausgang.
Da wir ein paar Straßen weiter geparkt hatten, um den neugierigen Blicken zu entkommen, zog ich den Reißverschluss meiner Jacke bis oben hin und wir liefen im Schnellschritt durch die kleinen Seitenstraßen.
Draußen tobte der Wind und die angehende Herbstzeit war schon deutlich bemerkbar. Die leichte Kälte kroch durch den dünnen Stoff meiner Jacke und vereinzelnd fielen dicke Tropfen vom Himmel. Während ich versuchte meine Hände warm zu halten, summte Ed gut gelaunt ein paar Lieder vor sich hin und Charlie drückte freudestrahlend auf die Entriegelung meines Autos.
Ich hätte nicht jedem meinen Wagen anvertraut, doch aus irgendeinem Grund war mir das heute egal. Und als Charlie das Auto sicher durch die diesigen Straßen lenkte, wusste ich, dass ich meine Entscheidung nicht bereuen würde.
Sie grinste bis über beide Ohren als sie sachte auf das Gaspedal trat, ihre Finger strichen leicht über das Lenkrad und die Freude stand ihr förmlich auf der Stirn geschrieben. Viel zu schnell verging die Zeit, denn eigenartigerweise mochte ich es, wenn sie mal nicht nachdachte und einfach das tat, was ihr Spaß machte.
Zufrieden schloss ich mich ihrer guten Laune an und drehte die Heizung höher um meine Finger aufzutauen. Ein Möchtegern-Komiker brabbelte im Radio und ich beobachtete gespannt, wie Charlie grinsend durch die Straßen fuhr.
Charlie parkte mein Auto behutsam am Straßenrand und drückte mir den Schlüssel in die Hand, bevor sie aus dem Auto stieg. Vor mir lag ein altes Backsteingebäude, alt und herunter gekommen, aber aus dem Inneren schallte bereits Johnny Cash und ich konnte es kaum erwarten, die kleine Bar zu betreten. Nichts ließ darauf schließen, dass es sich um eine Kneipe handelte. Draußen blinkte nur ein kleines Schild mit der Aufschrift, dass es hier Guinness geben würde und ich fühlte mich prompt willkommen.
Charlie schritt leichtfüßig zum Eingang und öffnete die massive Holztür. Wir wurden empfangen von starkem Nikotingeruch und einer leichten Rauchschwade. Für einen Moment war es still im Raum, nur die alte Musik dröhnte aus den Boxen und man musterte uns eindringlich. An der Bar ließ ein Mann Mitte vierzig seinen Spüllappen sinken und ließ seinen Blick aufmerksam zwischen Charlie, Ed und mir hin und her schweifen, bevor er alles stehen und liegen ließ und lächelnd zu uns schreitete.
Liebevoll schloss er Charlie in die Arme und widmete sich anschließend Ed: „Dass du nochmal hier auftauchst, hätte ich wirklich nicht gedacht."
„Ich muss dich wenigstens mal nach dem Rechten sehen", antworte Ed lässig und boxte dem kleinen Mann spielerisch auf die Schulter. Als er mich genauer ansah, da klickte es bei ihm und er schaute mich ungläubig an.
„Was verschlägt denn jemanden wie dich in so eine Gegend? Lassen dich die glamourösen Clubs nicht rein, weil du den Champagner leer getrunken hast?" Seine Lippen umspielte ein leichtes Grinsen und er hielt mir freundlich die Hand hin.
„So nett wurde ich lange nicht begrüßt", erwiderte ich sarkastisch und schüttelte seine Hand. Charlie funkelte den Kerl an und warf mir anschließend einen entschuldigenden Blick zu.
An der Bar drehten sich zwei bärtige Männer um, die ohne Zweifel in einer Motorradgang hätten sein können. Eingehend musterten sie mich von Kopf bis Fuß und drehten sich dann desinteressiert wieder zu ihrem Bier, das auf der Theke stand.
Die Bar hatte Ähnlichkeit mit einem Pub, in dem sich alte Freunde trafen, um sich nach einem langen Arbeitstag über ihre Frauen zu beschweren. Der Altersdurchschnitt lag weit über unserem, aber das Tat der Sache keinen Abriss, denn verquerter weise fühlte ich mich wohl. Das alte Mobiliar passte perfekt in den mitgenommenen Schuppen, die olivgrünen Wände waren trist. Doch das störte mich nicht.
Nachdem der Typ sich als Tom vorstellte und fertig damit war, Witze über verwöhnte Popstars zu machen, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er gratulierte Charlie überschwänglich zum Geburtstag. Schnell hastete er hinter die Theke und hantierte mit den Flaschen. Charlie schmiss ihre Jacke achtlos auf einen der Barhocker und begrüßte die bärtigen Rocker an der Theke. Sowieso schien sie mit jedem in diesem Raum per Du zu sein und es machte den Anschein, als würde sie sich hier sichtlich wohler fühlen, als in dem überfüllten Club von vorhin.
In einer hinteren Ecke saßen drei Männer am Tisch und fluchten über den Vierten im Bunde, der breit grinsend einen Straight Flush auf den Tisch pfefferte. Einer von ihnen paffte an einer dicken Zigarre und schielte zu Ed und mir herüber: „Hat einer von euch Milchbubis Lust 'nen Haufen Geld hier zu lassen? Oder scheißt ihr euch dann ein?"
Ed winkte ab und nahm von Tom einen Whiskey-Cola entgegen. Anschließend ging er rüber zu einer in die Jahre gekommenen Jukebox und wühlte nach Kleingeld in seiner Hosentasche.
„Ich wette, Niall macht euch alle fertig", grinste Charlie und nickte mir zu. Irritiert schaute ich sie an. Es war schon eine ganze Zeit her, dass ich gepokert hatte und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich überhaupt eine Runde zwischen diesen gestandenen Männern durch hielt.
Vom Tisch in der Ecke schallte Gelächter zu mir herüber und ein Typ mit einem einschüchternden Vollbart pfiff in meine Richtung: „Dann zeig mal was du drauf hast, Blondie. Im Pott liegen ein Ruderboot und ein Grill."
Verunsichert lief ich wie in Zeitlupe zum runden Tisch und nahm zwischen dem Bärtigen und einem Kerl mit zerknitterter Krawatte platz. Der alte Holzstuhl knarrte verdächtig, als ich mich fallen ließ. Mir gegenüber saßen zwei, die aussahen wie Dick und Doof und sie schauten konzentriert auf die Einsätze. Nachdem ich mich dazu entschieden hatte meine Armbanduhr zu setzen, teilte der Pfundskerl neben mir mit unbewegter Miene die ersten Karten aus. Die Uhr war mir nicht wichtig. Sie war kein Erbstück oder Geschenk und so legte ich sie einfach geistesgegenwärtig in die Mitte des Tisches.
Die ersten Runden verliefen schleppend. Nach einer ganzen Stunde war ich so tief ins Geschehen verwickelt, dass ich erst gar nicht wahr nahm, dass Charlie mir ein Glas vor die Nase setzte und mir Mut zu sprach. Nachdem ich nach gefühlten Stunden die ersten guten Karten auf den Tisch knallte, stöhnten Dick und Doof am anderen Ende des Tisches und Doof leerte beherzt seine Flasche Bier.
Als ich mein Blick zur Theke wandern ließ, sah ich Charlie die sich amüsiert mit Tom unterhielt und einen Schluck von ihrem Glas trank. Lächelnd widmete ich mich wieder den lausigen Karten auf meiner Hand und freute mich darauf, Charlie später aus der Reserve zu locken. Ich wollte unbedingt wissen, was es mit den Postkarten ihres Vaters auf sich hatte. Ed hatte mir zwar ein bisschen was davon erzählt, doch wirklich schlau wurde ich aus der ganzen Sache nicht.
Als mir der Typ mit der knitterigen Krawatte mir leicht ans Ohr schnippte und mich in die Realität zurück holte, ließ ich meinen Blick über den Tisch wandern. Dick und Doof waren mittlerweile ausgestiegen und somit hatte der bärtige Pfundskerl größere Chancen seinen geliebten Grill wieder zurück zu spielen.
Drei Whiskey-Cola später war ich umgeben von einer dicken Rauchschwade. Die Zigarren meiner Mitspieler verglühten im Aschenbecher und der dicke Rauch trieb mir die Tränen in die Augen.
„Nicht weinen, Prinzessin", sprach der breite Kerl neben mir. „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen." Mit diesen Worten schmiss er seine Karten auf den Tisch, die sich als Royal Flush entpuppten. Somit war ich ein für alle male raus und erhob mich vom Tisch.
Ich hatte das Zeitgefühl völlig verloren, aber so verkrampft wie mein Rücken war, musste ich eine Ewigkeit dort gesessen haben. Led Zeppelin schallte aus den Boxen und ich beobachtete Ed dabei, wie er sich abermals an der Jukebox zu schaffen machte. Ich ging Richtung Bar, wo Charlie mir vergnügt entgegen grinste und anschließend schmunzelnd an ihrem Strohalm nuckelte.
Hinter der Theke stand Tom, der ebenfalls verdächtig breit grinste und mir freundlicherweise ein neues Glas rüber reichte.
„Hast ganz schön lange durchgehalten. Dass Big Fred dich nicht in den ersten Runden platt gemacht hat, wundert mich," sprach Tom gelassen und machte sich daran, ein paar Gläser zu spülen.
Ich ging davon aus, dass Fred der bärtige Kerl neben mir gewesen sein musste, denn der Typ mit der komischen Krawatte sah nicht ganz danach aus, als würde er Big Fred heißen, so schmächtig war er.
„Ich gebe dir 'nen Tipp, Niall", fügte Tom grinsend hinzu, „Spendier' die nächste Runde für alle und du hast ein paar Freunde für's Leben."
Schulterzuckend schloss ich mich seiner Idee an und schon machte sich Tom daran, eine Runde Bier für jeden zu zapfen. Neben den zwei Rockern an der Bar und meinen vier Mitspielern beim Pokern, waren nur noch drei weitere Männer da, die in der hintersten Ecke an einem Tisch saßen und angetrunken zu den Liedern die gespielt wurden mit sangen. Tom stellte das Bier auf ein Tablett und stellte die gleiche Anzahl an Pinnchen dazwischen, gefüllt mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit. Während sich der Herr des Hauses an die Arbeit machte und bei den gröhlenden Kerlen in der Ecke anfing, die Biere zu verteilen, musterte mich Charlie gespannt.
„Hast du deine Uhr wieder?", fragte sie neugierig.
„Nein, aber man hat mir aus Mitleid das Ruderboot als Trostpreis angeboten. Vielleicht stell ich das als Dekoration in den Garten", erwiderte ich. Prompt fing sie an zu prusten und strich sich eine blonde Strähne hinters Ohr.
An der Jukebox nahm Ed dankend sein Bier entgegen und Tom schritt anschließend zu Charlie und mir und wir nahmen die letzten Drinks vom Tablett. Aus der Ecke prostete mir Big Fred zu und ich tat es ihm gleich. Charlie roch an ihrem Schnaps und verzog angewidert das Gesicht: „Das riecht wie der schreckliche Kräutertee meiner Grandma."
Sowohl ich als auch Charlie rümpften die Nase, stießen an und kippten uns das stark riechende Zeug in den Rachen. Es roch nicht nur wie schrecklicher Kräutertee, es schmeckte auch so. Jedoch, als hätte es jemand mit Ahornsirup und Hustensaft geschreckt. Neben mir schüttelte sich Charlie kräftig und fuhr erschrocken zusammen, als der nächste Song in voller Lautstärke aus der Jukebox dröhnte.
Während Charlie die Euphorie ihres besten Freund mit einem Augenrollen quittierte, dauerte es einen Moment, bis ich realisierte, dass Ed Let's Twist Again angemacht hatte.
Der Rothaarige kam freudestrahlend auf uns zu und hielt Charlie eine Hand hin. Die wehrte sich strickt gegen Eds Angebot und krallte sich krampfhaft an das dunkle Holz der Theke. Jedoch machte Ed ihr eine Strich durch die Rechnung und warf sie einfach kurzerhand über die Schulter und ließ sie erst wieder runter, als er einen Platz gefunden hatte, an dem keine Stühle im Weg standen. Charlie vergrub ihr Gesicht in den Händen und ich schnappte mir mein Bier und tat es Ed gleich, der bereits mächtig angetrunken um sie herum tanzte.
Gut gelaunt tippte ich ihr mit dem Zeigefinger auf den Kopf und zwang sie zu einer Pirouette: „Tanz mit uns, Charlie. Du musst es fühlen", forderte ich sie lachend auf. „Fühlst du es?"
„Ich fühle mich wie der letzte Vollidiot", entgegnete sie lachend und ließ sich von mir und Ed durch die Gegend wirbeln. Jedoch nicht, ohne auszusehen, als hätte sie einen Stock im Arsch. In diesem Moment wünschte, ich mir der widerliche Kräuterschnaps würde schneller wirken, denn das kleine Schmunzeln auf ihren Lippen verriet sie. Sie hatte sehr wohl Spaß, nur zeigte sie das nicht und zierte sich unwahrscheinlich, einfach mal nicht nachzudenken und einfach zu machen.
Nachdem das Lied vorbei war und danach Jail House Rock von Elvis ertönte, war Ed nicht mehr zu stoppen. Überschwänglich hüpfte er über das alte Parkett und drehte sich unkoordiniert um die eigene Achse. Ich hakte mich bei Charlie ein und versuchte einige Male sie zum Tanzen zu bewegen, jedoch ohne Erfolg. Trotzdem beobachtete sie köstlich mich und Ed dabei, wie wir uns zu den alten Songs zum Affen machten.
Langsam stieg mir der Alkohol gewaltig zu Kopf und die frische Luft die vom Fenster zu uns wehte, das Tom gerade geöffnet hatte, traf mich wie der Schlag. Ed schien es da nicht anders zu gehen, denn als die ersten Takte von Rock Around The Clock ertönten, verlor er das Gleichgewicht und segelte der massiven Holzbar entgegen.
Im letzten Moment schnellte Charlies Arm unter seinen Oberkörper um das Schlimmste zu verhindert. Behutsam setzte sie ihn auf einen der Barhocker und sprach: „Sollen wir für heute lieber aufhören und den Heimweg antreten?"
Mein Gehirn fühlte sich langsam an wie Wackelpudding und ich setzte mich neben Ed, um nicht auch noch einen epischen Abgang zu machen. Ed jedoch hatte nicht im Sinn, so bald zu verschwinden, er stützte seinen Kopf auf die Arme: „Nein, kommt gar nicht in Frage. Gebt mir zehn Minuten, dann kann's weiter gehen."
Charlie unterdrückte ein Lachen und seufzte dann vor sich hin: „Ich hab Hunger."
Fast zeitgleich meldete sich mein Magen: „Ich auch."
Tom, der amüsiert zu sein schien, dass Ed wie ein Schluck Wasser auf dem Barhocker hing, wandte sich an Charlie: „Du weißt ja, wo der Vorratsraum ist."
Euphorisch sprang Charlie auf und schaute mich auffordernd an: „Worauf wartest du?" Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und stolperte ihr hinterher. Sie führte uns durch einen schmalen Flur hinter der Bar und riss anschließend eine der Türen auf.
Vor mir offenbarte sich das Paradies. Getränkevorräte soweit das Auge reichte, Massen an Snacks und Leckerein. Entschlossen ging Charlie auf den Kühlschrank zu und öffnete schwungvoll die Tür. Erschöpf ließ ich mich auf den kalten Fußboden sinken und sah Charlie dabei zu, wie sie Frischhaltefolie von einem Teller entfernte und sich anschließend im Schneidersitz zu mir gesellte. Strahlend hielt sie mir den Teller entgegen und ich nahm mir wahllos eines der Sandwiches.
„Du lässt mir keine Ruhe, Charlie", sagte ich angesäuselt, biss vom Brot ab und musterte sie aufmerksam.
Irritiert hob sie ihren Kopf und schaute mich stirnrunzelnd an: „Was meinst du damit? Ich hab doch gar nichts gemacht."
„Das ist es ja", seufzte ich, „Du hast nichts gemacht und trotzdem würde ich gerne wissen, wie du wirklich bist."
„Das verstehe ich nicht", entgegnete sie und biss beherzt in ihr Sandwich.
Mühsam versuchte ich das große Gurkenstück in meinem Mund runterzuschlucken und erwiderte: „Als Ed und ich dich besucht haben, da warst du wie ausgewechselt. Da hattest du Spaß und du hast sogar gelacht. Ich wünschte, du wärst öfter so ausgelassen."
Selbst ich merkte, wie dämlich ich mich anhören musste. Doch Charlie schaute mich gespannt an, bevor ich weiter sprach: „Warum nimmst du Eds Angebot nicht an und verschwindest einfach eine Weile mit ihm?"
Schon fast genervt ließ Charlie den Kopf sinken und seufzte geräuschvoll: „Weil ich mich nicht traue."
„Warum?", fragte ich direkt und sie schaute mir in die Augen.
Es schien fast so, als wäre sie traurig, als sie mir antwortete: „Weil ich dafür nicht genügend Mut habe. Ich mag Ed, aber ich glaube wenn wir zu zweit verreisen, dann werde ich früher oder später allein da stehen. Du hast doch gesehen, wie oft er mich versetzt."
„Und wenn ich euch einfach begleite?", sprach ich blauäugig drauf los, ohne vorher auch nur ansatzweise darüber nachzudenken.
Ungläubig starrte Charlie mich an und schmunzelte: „Du willst mit Ed und mir durch die Weltgeschichte reisen? Hast du nichts Spannenderes zutun? Hast du nicht fast jedes Fleckchen dieser Erde schon mal gesehen?"
„Nein", entgegnete ich schulterzuckend, „Du glaubst gar nicht, wie wenig ich gesehen habe. Es ist ein einziges Hin und Her. Raus und rein in den Tourbus, ständig geben wir irgendwo Interviews oder geben Konzerte. Da bleibt einem keine Zeit, einen auf Tourie zu machen."
„Das ist verrückt, Niall. Du kannst doch nicht einfach so mitkommen."
„Wie lange ist es her, dass du das letzte mal etwas Verrücktes gemacht hast?", fragte ich sie neugierig. Sie schien wirklich darüber nachzudenken und schaute konzentriert auf ihr Sandwich. „Wann warst du das letzte mal richtig glücklich, Charlie?", fügte ich hinzu.
Von draußen dröhnte dumpf die Musik zu uns und wir saßen schweigend auf dem Steinfußboden. Sie antwortete mir nicht, sondern starrte stumm auf den fast leeren Teller. Mutig fragte ich nach den Postkarten ihres Dads und sie erzählte mir, was es damit auf sich hatte.
Immer wieder lächelte sie halbherzig und man sah ihr an, dass sie versuchte den dicken Kloß in ihrem Hals runterzuschlucken. Ich fand, dass Charlie keineswegs Angst vor der Reise an sich hatte. Viel mehr lag es daran, dass sie sich zu wenig zutraute und Angst vor Veränderungen hatte. Aber als sie von den Postkarten erzählte und über die unzähligen Berichten ihres Vaters berichtete, da funkelten ihre blauen Augen. Und das war es, dass mich wissen ließ, dass Eds Vorhaben genau das Richtige war. Charlie musste einfach hier raus, und zwar für eine ganze Weile.
Du musst dir ja nicht zu viel vornehmen. Aber ich bin sicher, dass du als ein ganz anderer Mensch zurück kehrst. Und selbst wenn es nicht klappt, dann packst du deine Sachen und setzt dich in den nächsten Flieger nach Hause. Du kannst nichts falsch machen, außer, dass du es nicht versuchst. Dann wirst du dich immer fragen, was alles hätte passieren können, wenn du es getan hättest. Vielleicht kriegst du nie wieder so eine Gelegenheit und vielleicht bringt es dir viel mehr als du glaubst", sprach ich ruhig. „Ed wird dich begleiten und Hannah hat sich auch angeboten. Was gibt es denn besseres, als mit seinen besten Freunden die Welt zu erkunden? Stell dir mal vor, was du alles erleben könntest. Und ich bin mir ganz sicher, dass dein Vater dir in den Arsch getreten hätte, damit du das machst."
„Und was ist, wenn-", fing sie an sich zu rechtfertigen, doch mich packte der Mut und ich schnürte ihr das Wort ab: „Sag einfach Ja. Ich begleite euch, wir machen fremde Länder unsicher und du wirst verstehen, warum dein Dad dir die Postkarten hinterlassen hat."
„Du willst echt mit?", fragte sie erschrocken. „Mit uns? Mit Ed, der hysterischen Hannah und mir Langweilerin?"
„Du bist gar nicht so langweilig, wie du denkst. Sag Ja und ich zeig es dir", sagte ich mit fester Stimme.
Charlie schmunzelte kurz und richtete sich auf, um den Teller zurück in den Kühlschrank zu stellen. Ihr kleines Lächeln auf den Lippen verriet mir, dass nicht mehr viel zu ihrer Zustimmung fehlte und ich nahm mir vor, dass ich dieses Zögern in ein Ja verwandeln würde.
Ich mochte sie. Sie schien mehr mit Ed gemeinsam zu haben, als sie vielleicht dachte. Beide hatten eine wunderbar ehrliche und lockere Art an sich, außerdem mochte ich Menschen mit solch einem trockenen Humor. Auch wenn ich sie nur flüchtig kannte, bereute ich mein Angebot nicht. Alles was ich in der Pause vorhatte war nicht relevant. Ich wollte ein bisschen Golf spielen, die Familie in Irland besuchen. So ein Abenteuer kam mir gerade recht. Ich hatte sowieso mit dem Gedanken gespielt, mir einfach meinen Rucksack zu packen und ziellos durch die Welt zu reisen. Einfach, um ein bisschen Kraft zu tanken und sich halbwegs normal zu fühlen.
Wenn Charlie dachte das Thema wäre beendet, dann hatte sie sich geschnitten. Diese stand nämlich nun dort und hielt mir die Tür auf. Schwerfällig richtete ich mich auf und folgte ihr zurück zur Bar, an der Ed immer noch wie ein nasser Sack hing.
Freudig und sichtlich angeheitert begrüßte mich Big Fred von vorhin und schliff mich mit zum Pokertisch, der in der Zwischenzeit anscheinend zur Altglassammlung umfunktioniert wurde. Der überfüllte Aschenbecher qualmte vor sich hin und die Oberfläche des Tisches war übersät mit Bierflaschen. Entschlossen schubste er mich auf den Stuhl auf dem ich vorhin schon saß und legte herzlich einen Arm um mich: „Mal sehen, ob du wenigstens beim Würfeln ein goldenes Händchen hast, Prinzessin."
Und mit diesen Worten verteilte er die Würfel und Kniffelbecher, nur dass es ganz sicher kein Kniffel war, dass was sie hier spielten. Es brauchte eine ganze halbe Stunde, inklusive zwei Bier, bis ich endlich halbwegs verstand, wie das Spiel überhaupt funktionierte. Doch ich schien auch beim Würfelspiel kein goldenes Händchen zu haben. Ich verstand die Welt nicht mehr, als Dick und Doof mir nochmals die Regeln erklärten.
„Bist du eigentlich so blond oder tust du nur so?", „Eine Straße macht man nicht kaputt", „Er tut doch nicht gerade wirklich die zwei Sechsen wieder in den Becher zurück, ich werd' verrückt", „Fred, bei dem ist Hopfen und Malz verloren."
Ich verlor haushoch.
Als ich nach meiner Niederlage zu Charlie und Ed an die Bar zurück kehrte, musste ich mich gewaltig konzentrieren um gerade zu laufen. Nicht nur, dass Fred uns immer wieder neues Bier bestellt hatte, nein, ein paar Kräuterschnäpse durften natürlich bei so einer Männerrunde nicht fehlen.
Grinsend empfing Charlie mich an der Theke und Ed grummelte irgendwas unverständliches vor sich hin und verfiel dann in eine Art Schnarchen. Ich setzte mich stöhnend auf den Barhocker links neben Ed, sodass er zwischen Charlie und mir hing. Sie hatte eine kleine Schüssel Erdnüsse in der Hand und warf sich mit der anderen Hand eine Portion Nüsse in den Mund.
„Sag Ja, Charlie", plapperte ich vor mich hin und gab mein bestes, die Worte so deutlich auszusprechen wie möglich. Was mir wegen des enormen Alkoholpegels jedoch sichtlich schwer fiel.
„Warum willst du unbedingt, dass ich das tue?", fragte sie. Auch sie schien mittlerweile einen im Tee zu haben, denn ihr Gesicht war mit einer leichten Röte überzogen und sie sprach viel langsamer als sonst.
„Weil...", fing ich an und unterdrückte ein Aufstoßen. Das ekelhafte Kräuterzeug lag einem wirklich schwer im Magen. „Weil du gar nicht weiß, was du alles kannst, wenn du mal an dich glaubst."
Beduselt riss ich ihr überschwänglich die Schüssel aus der Hand und bediente mich. Dann kam mir im betrunkenen Kopf eine wahnsinnig tolle Idee und ich zeigte auf Ed: „Fünfzig Punkte für einen Treffer in seine Kapuze und hundert Punkte, wenn sie in seinen Haaren landen. Wir haben fünf Würfe. Wenn ich gewinne, dann ziehen wir das zusammen durch. Wenn du gewinnst, dann darfst du dir eine Bestrafung für mich ausdenken."
Irritiert schaute Charlie mich an, doch dann brach sie in schallendes Gelächter aus: „Egal welche Bestrafung?" Nickend bejahte ich und Charlie warf siegessicher die erste Nuss.
Prompt landete diese in Eds Kapuze. Dieser schien sich so sehr abgeschossen zu haben, dass er von all dem nichts mitbekam. Gut gelaunt bewarfen wir den Rotschopf mit Nüssen und Tom, der hinter der Theke an der Zapfsäule stand, amüsierte sich prächtig.
Vor unseren letzten Würfen war Gleichstand und Charlies letzter Wurf prallte an Eds Hinterkopf ab und landete auf dem Boden.
„Ich mache meine Zukunftspläne doch nicht von so einer dummen Nuss abhängig", fluchte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
Lässig setzte ich zum letzten Wurf an und traf zielsicher in Eds feuerrote Haare. Jubelnd warf ich meine Hände in die Luft, stand vom Stuhl auf und legte einen Arm um Charlies Schulter: „Überleg schon mal, was du alles mitnehmen willst. Das Abenteuer ruft."
„Du kannst dich morgen eh nicht mehr daran erinnern", sprach sie hoffend und blickte zu mir hoch.
„Und wie ich das kann. Sowas vergesse ich doch nicht", sagte ich kopfschüttelnd und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Und bevor wir von hier verschwinden, tanzt du mit mir." Damit schubste ich sie vom Hocker und zog sie hinter mir her.
Insgeheim freute ich mich mehr auf die Reise, als auf alles andere. Ich konnte es kaum erwarten, all die Orte zu bereisen, die Charlies Dad gesehen hatte. All die kleinen Geheimtipps. Alles was ich wollte, war eine schöne Zeit zu haben, fernab von all der Hektik und dem Trubel.
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