Kapitel 40
• T R A V I S •
"Ich bleibe die ganze Zeit an deiner Seite, Travis", versichert mir Josh, als er nach meiner Hand greift. Seufzend drücke ich seine und lasse meine Augen über den Friedhof wandern.
Es ist schon etwas länger her, dass ich hier war. Umgeben von den Grabsteinen fühle ich mich teilweise ziemlich bedrängt. Wer würde sich an solchen Orten schon wohlfühlen?
"Lass meine Hand nicht los", bitte ich ihn. "Am liebsten würde ich sofort wieder ins Auto steigen und wegfa..."
"Hey." Er stellt sich vor mich und legt seine freie Hand auf meine Wange. "Wir besuchen nur kurz deine Mutter und gehen danach wieder. Du musst deine Schwester gar nicht beachten, es ist aber auch Hudson sehr wichtig, weißt du? Er hätte dich gern dabei."
Ich lege meinen Arm um seine Hüfte und ziehe ihn näher an mich heran. "Dass du hier bei mir bist, gibt mir Kraft. Wirklich", sage ich leise und lehne meine Stirn gegen seine. Sein Daumen streicht sanft über meine Wange. "Ich werde dich nicht allein lassen, okay?"
Als ich nicke, wandert seine Hand in meinen Nacken und zieht mich weiter herunter. Mein Körper steht unter Strom, als wir uns küssen. Seine Lippen fahren über meine, während sich meine Hand unter sein Hemd schiebt. "Ich liebe dich", haucht er und löst sich dann widerwillig von mir. "Na los, wir sollten die beiden nicht länger warten lassen."
"Muss das sein?"
"Travis, komm schon", meint er schmunzelnd und zieht mich mit sich. "Wofür hast du denn sonst auch den Blumenstrauß gekauft?" Ich halte die Lieblingsblumen meiner Mutter hoch. "Schon gut. Dann bringen wir es hinter uns."
Schon von der Ferne entdecken wir die beiden. Hudson hat seinen Arm um Peyton gelegt, ihr Kopf ist auf seiner Schulter gelehnt. Sie wirken niedergeschlagen.
Mein Stiefvater entdeckt uns schließlich, als wir uns ihnen nähern, und löst sich von ihr, um uns zu begrüßen. "Es ist schön, dass du hier bist, mein Sohn", murmelt er, als wir uns umarmen. "Das bedeutet mir sehr viel." Auch Josh umarmt er kurz. "Wie geht es dir, Josh?" "Den Umständen entsprechend gut, Hudson. Danke", erwidert er lächelnd.
Mir fällt auf, dass er ein wenig blass um die Nase geworden ist. Anscheinend geht ihm das hier auch mehr an die Nieren, als er behauptet hat. Und trotzdem ist er an meiner Seite, um mich zu unterstützen.
"Was tut er hier?", fragt sogleich Peyton, die meinen Freund abstoßend mustert. Natürlich ist sie wenig begeistert, dass er bei mir ist. Es sollte mich also nicht wundern.
Sie ignorierend gehe ich auf den Grabstein unserer Mutter zu und lege den Blumenstrauß davor. Mir steigen heiße Tränen in die Augen, als ich über das Marmor streiche. Hinter mir unterhalten sich Hudson und Peyton leise, ich verstehe nicht, worüber, kann es mir aber schon denken. Dann grunzt sie irgendwann auf.
"Das ist doch lächerlich. Dieser Typ hat hier nichts zu suchen. Das ist eine Angelegenheit der Familie!", faucht sie. Augenverdrehend richte ich mich auf und wende mich ihnen zu, sie ist aber auf Josh fixiert. "Warum drängst du dich zwischen uns? Reicht es dir nicht, Travis' Leben schon genug durcheinander zu bringen? Du ziehst ihn doch nur ins Verderben, verdammt!"
"Peyton!"
"Nein Hudson, du bist doch genauso verblendet wie er!"
Die Wut brodelt in mir auf. Sie kann es nicht lassen, sich weiterhin so unfassbar aufzuspielen und selbst damit jeden um sich herum herunterzuziehen. Niemand anderes ist schuld daran, dass ich mich in einem tiefen Loch befand. Nur sie allein - meine eigene Schwester - hat dafür gesorgt.
"Ich verstehe nicht, wie du ihn mit offenen Armen empfangen kannst. Und das ausgerechnet hier! Am Grab meiner Mutter, mit der er nichts, aber rein gar nichts zu tun hatte!"
Ich mache Anstalten, auf sie loszugehen, aber Josh hält mich am Arm fest. Als ich ihn ansehe, schüttelt er den Kopf und stellt sich vor mich. Sein Blick ist starr auf die Afroamerikanerin geheftet. "Peyton, es ist mir relativ egal, was du von mir denkst. Du kennst mich nicht, kannst dir also nur irgendwas in deinem Kopf zurechtlegen, was sowieso nicht der Wahrheit entspricht."
Sie lacht wegen seiner Worte auf und verschränkt die Arme vor der Brust, sagt aber nichts dazu.
"Aber weißt du, was mich eher schockiert? Nicht, dass du deinen Bruder ganz offensichtlich nicht glücklich sehen kannst. Und das sollte dir eigentlich schon zu genüge zu bedenken geben..."
"Jetzt hör aber..."
"Nein, ich habe mir gerade eben auch den Müll angehört, der aus deinem Munde kam. Also hast du jetzt die Geduld, mir zuzuhören", unterbricht er sie sogleich. Erstaunt betrachte ich seine Rückenpartie. Er ist am ganzen Körper angespannt, seine Muskeln zittern schon. Und das vor Wut.
Ich fange den ebenfalls überraschten Blick von Hudson auf, den er mir zuwirft. Ich kann nicht anders, als mit den Achseln zu zucken, obwohl ich in diesem Moment Josh am liebsten küssen würde.
"Wenn du schon den Respekt deiner Familie nicht aufbringen kannst, dich gerade zu benehmen, dann zeige ihn doch wenigstens gegenüber eurer Mutter, indem du an ihrem Grab keinen Streit anfängst. Dieser Tag ist für jeden von euch schon anstrengend genug und dass die Emotionen überkochen, ist völlig normal. Das, was du hier aber tust, ist einfach nur abartig, wirklich."
"Was soll mich deine Meinung über mich interessieren?", fragt sie trotzig, doch wenn man sie besser kennt, merkt man ihr an, dass seine Worte sie treffen. Nur möchte sie es niemandem zeigen, vor allem ihrem Angreifer, in diesem Falle Josh, nicht. "Du bist ein Niemand für mich. Wer würde dich schon groß vermissen, wenn du eines Tages verschwinden würdest?" Ihm gegenüber hat sie eine Schutzmauer aufgebaut, die aber zu bröckeln droht.
"Glaub mir, um mich sorgen sich Menschen. Ich habe das Glück, eine Familie und einen Freundeskreis zu haben, die hinter mir stehen würden. Und weißt du?" Josh geht noch einen Schritt auf sie zu. "Ich würde mir eher eine Hand abschneiden, als es mit den Menschen zu verscherzen, die ich am meisten liebe. Denn irgendwann kommt immer ein Zeitpunkt, an dem man genau diese braucht, die einen unterstützen, auffangen. Kannst du von dir behaupten, solche Leute an deiner Seite zu haben?"
Peyton presst ihre Lippen aufeinander und weicht ihm aus. Hilfesuchend schaut sie zu unserem Vater, der sie daraufhin aber nur mit einem enttäuschten Blick bedenkt. "Es ist nicht fair, dass ich mir sowas anhören muss!", klagt sie, als sie Josh wieder ansieht. "Du nimmst dir das Recht, über mich zu urteilen..."
"Du tust es doch nicht anders, Peyton. Wirf zuerst einen Blick in den Spiegel, bevor du andere vors Gericht ziehen willst", erwidert Josh trocken. "Davon, was ich erfahren habe, hast du deiner Familie geschadet, indem du deinem eigenen Bruder Vorwürfe wegen eurer leidenden Mutter gemacht hast. Vielleicht wolltest du ihr selbst nur etwas Gutes tun, als du ihr die Möglichkeit gegeben hast, sich das Leben zu nehmen. Das lassen wir jetzt mal beiseitegestellt. Aber auch schon mit deinen Worten hast du Travis gebrochen. Seine Seele war danach nichts weiter als ein schwarzes Loch. Denkst du, das hätte Nicole, eure Mutter, gewollt? Wäre sie erfreut darüber, ihren Sohn so zu sehen? Ich denke, jede Mutter würde wollen, dass ihre Kinder glücklich sind. Und das ist er, wenn er bei mir ist. Ich unterstütze ihn, gebe ihm Halt, wenn er es braucht. Wo warst du in der schweren Zeit? Sollte eine Familie nicht zusammenhalten?"
Sie antwortet darauf nicht. Aus seiner Sicht ist wohl auch alles gesagt, denn Josh wendet sich von ihr ab und dreht sich zu mir um. Sein Gesicht ist angespannt, doch er lächelt mich beruhigend an. Wenn ich nicht schon verrückt nach diesem Mann wäre, hätte es mich jetzt auf jeden Fall überkommen.
Niemand ist bisher so für mich eingestanden, auch nicht Gavin. Aber Josh hat nicht einmal Bedenken, meine Schwester auf diese Art und Weise anzugreifen.
Ein tonlosen "Danke" kommt über meine Lippen, er aber umfasst nur meine Hand und lehnt sich an mich. Hudson beobachtet unser vertrautes Handeln. An seinem Blick bemerke ich, dass ihm diese ganze Situation selbst auch sehr nahe geht, nur scheint er auch überfordert. Als wir uns ansehen, lächle ich ein wenig, was er nach längerem Zögern kurz erwidert und sich dann um Peyton kümmert, die nun selbst am Boden zerstört zu sein scheint.
Er flüstert ihr etwas ins Ohr, sie schüttelt daraufhin den Kopf und macht Anstalten zu gehen. Sie wird von ihm am Arm festgehalten und sagt wieder etwas. Wenn ich mich nicht verhöre, fallen auch die Worte "Verhalten" und "enttäuscht". Ihr ist aber anzusehen, dass sie sich keiner Schuld bewusst ist. Hudson lässt es zu, dass sie sich aus seinem Griff befreit und an uns vorbeirauscht.
Wir machen uns nicht die Mühe, ihr hinterherzuschauen. Er aber tut es und seufzt gequält. "Es tut mir wahnsinnig leid, dass es so ausgeartet ist. Hätte ich gewusst, dass Peyton..."
"Du bist nicht daran schuld, Hudson", sagt Josh schnell. "Ich hätte mich wahrscheinlich nicht ihrer Provokation hingeben sollen, aber sie waren einfach..."
"Nein, schon gut. Dir mache ich keine Vorwürfe, Josh", beruhigt er ihn und müht sich ein Lächeln ab. Ihn so zu sehen, bricht mir das Herz. "Ich sollte ihr nachgehen, um sie nach Hause zu fahren. Also...ich bin noch ein paar Tage hier, es würde mich freuen, wenn wir uns nochmal sehen könnten, bevor ich fliege."
Ich löse mich von Josh, um meinen Vater in eine Umarmung zu ziehen. Wie vor ein paar Tagen in meinem Büro ist es nun er, der diesen Halt unbedingt braucht. "Ich danke dir trotzdem, dass du gekommen bist, Travis." "Ich...wollte irgendwie auch mal wieder Mom besuchen", gestehe ich leise und drücke ihn ein letztes Mal, bevor wir voneinander weichen.
Er verabschiedet sich auch von Josh, der ihm nochmal etwas ins Ohr flüstert, bevor er uns schließlich allein lässt.
Der Blondhaarige kommt auf mich zu und legt seinen Arm um mich, während ich dem Älteren hinterher schaue. "Er leidet", murmle ich. "Das hier hat es für ihn noch viel komplizierter gemacht, unsere Familie zusammen zu halten."
"Hudson wusste, dass es nicht leicht wird, wenn ihr aufeinandertrefft. Aber er wollte es wenigstens versuchen."
"Das hat ja fantastisch funktioniert", brumme ich und sehe hinab auf den Grabstein. Lese den Namen meiner Mutter. "Sie hätte dich gemocht, Josh. Nein, wahrscheinlich hätte sie dich vergöttert." Er lacht leise. "Wirklich! Du wärst ihr idealer Schwiegersohn gewesen." "Ach, da übertreffe ich also tatsächlich Gavin?", zieht er mich amüsiert auf.
Es ist klar, dass er das Thema absichtlich wechselt, aber dafür bin ich ihm auch dankbar.
"Du bist ein Idiot, wenn du dich mit ihm vergleichst. Ihr bedeutet mir beide sehr viel."
"Keine Sorge, ich weiß, dass mein Platz an deiner Seite ist", erwidert er und stellt sich auf die Zehenspitzen, um mir einen Kuss auf die Wange zu hauchen. "Möchtest du für einen Moment alleine mit ihr sein?", fragt Josh dann und deutet auf das Grab.
Er wartet meine Antwort nicht ab, sondern löst sich von mir und geht beiseite, um mir diesen Moment zu geben.
Ich gehe in die Hocke und befreie die gepflanzten Blumen von dem wenigen Unkraut. Als ich auf das Marmor blicke, sehe ich das Gesicht meiner Mutter vor mir. Sie lächelt mich liebevoll an.
"Mom, wie geht es dir? Wir haben lange nicht mehr miteinander gesprochen", sage ich und kämpfe gegen die aufkommenden Tränen an. "Es tut mir leid, dass du das mitbekommen hast. Das wollte ich nicht. Es sollte nicht so eskalieren. Naja, deshalb wollte ich eigentlich auch nicht herkommen, wenn Peyton hier ist.
Aber über sie möchte ich auch nicht reden. Also, ähm, du konntest jetzt irgendwie auch Josh kennenlernen. Was hältst du von ihm? Ist er nicht unglaublich? Mom, du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich er mich macht. Du hast mir doch immer wieder gesagt, was eine Person in dir auslösen soll, damit sie die richtige für dich ist. Und ich habe es immer für lächerlich gehalten.
Josh liebt mich aber einfach so, wie ich bin. Und die Vorstellung ihn irgendwann verlieren zu können, zerreißt mir das Herz. Hörst du, was ich hier von mir gebe, Mom? Wann habe ich jemals schon mal so über jemanden geredet? Ich verliebe mich jeden Tag neu in ihn und bereue es absolut nicht, mich ihm geöffnet zu haben.
Das einzige, was ich mir wünsche ist, dass wir die Chance gehabt hätten, dass ihr beide euch kennenlernt. Du hättest ihn geliebt, glaub mir. Man kann gar nicht anders, als sich in diesen Mann zu verlieben."
Ich sehe mich nach ihm um. Josh steht ein paar Meter abseits und beobachtet tatsächlich ein Eichhörnchen, das von einem Baum zum anderen springt. Dabei lächelt er vergnügt.
"Ich habe aber auch Angst, Mom. Angst davor, es mit ihm zu versauen. Ich will nicht nur einige schöne Monate oder Jahre mit ihm verbringen, sondern mein ganzes Leben. Es klingt vielleicht total verrückt, aber ich spüre einfach, dass er der Mann meines Lebens ist. Ich kann mir niemand anderes vorstellen, den ich lieber an meiner Seite haben möchte als ihn. Ich liebe ihn, Mom", sage ich und schaue dabei weiterhin Josh an, der sich in diesem Moment zu mir umdreht.
Als sich unsere Blicke treffen, lächelt er und mein Herz macht einen Sprung.
Das nenne ich mal ein emotionales Chaos...
Peyton ist gegen Josh, Josh wiederrum macht ihr eine klare Ansage, da er es nicht weiter zulassen wird, dass sie Travis noch mehr seine Seele raubt 💀
Und Travis...er liebt seinen Josh mit jedem Tag mehr und vor allem das hier hat es ihn nochmal verdeutlicht ❤
Nun muss ich aber auch etwas ankündigen, meine Lieben...
"Possessive" endet bald. Geplant sind nur noch zwei Kapitel, dann schließt sich der Kreis um Travis und Josh 💕😢
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