9. Die Schlacht um Oliviana
Auf dem Leuchtturm, von wo aus man über die Dächer der gesamten Stadt und noch viel weiter blicken konnte, waren nach einer Woche immer noch keine johtolesischen Truppen in Sicht.
Bernd lehnte an der Brüstung, als er zufrieden gen Norden blickte, und konnte sich einen abwertenden Kommentar gegenüber Julius, Albert und Lorenz nicht verkneifen: "Hay, keine Truppen! Ihr habt mich doch nur verarscht! Gut, dass ich keine Mauer erbauen ließ!"
Am nächsten Vormittag waren die drei Gäste wieder in das kahle Rathaus eingekehrt, um Bernd von der Notwendigkeit von Verteidigungsmaßnahmen zu überzeugen. Mit ihrem Vorhaben, die Einwohner vor einem Angriff zu warnen und sie zur Verteidigung aufzurufen, waren sie auf taube Ohren gestoßen. Jeder, den sie am Marktplatz oder sonst wo angesprochen hatten, wandte sich mit einem Schmunzeln ab; es glaubte niemand daran, je das Ziel eines Angriffs werden zu können. Und so blieben die Einwohner und deren Kapitän untätig.
Stur wie nie saß Bernd hinter seiner massiven Holztheke: "Wie oft denn noch? Oliviana hat sich aus allem rausgehalten! Niemand wird uns je angreifen!"
Julius knirschte die Zähne: "General Schiner ist das völlig egal! Er ist besessen davon, dass du mit Kanto zusammenarbeitest! Er kommt, zu 100 Prozent!"
"Pah." Der Kapitän reckte seine Nase in die Höhe: "Mit dir hab ich sowieso noch ein ernstes Wörtchen zu reden, mein Freund."
Der junge Teaker runzelte die Stirn und sagte nichts.
"Du brauchst gar nicht so tun, als wüsstest du nicht, was ich meine.... Die Leute auf offener Straße anzusprechen und sie vor einem Angriff zu warnen; was sollte das werden? Willst du Unruhe stiften? Willst du meine Leute hier nervös machen?"
Julius konnte nicht anders als auszuprusten: "Nervös? Ein bisschen mehr Nervosität würde euch nicht schaden! Ihr alle nehmt die Gefahr nicht ernst."
"Weil es keine Gefahr gibt", knurrte Bernd aus und fügte an: "Und jetzt verschwindet endlich aus meiner Stadt. Euer lächerliches Gerede kann ich mir wirklich nicht mehr antun."
Lorenz, Albert und Julius wandten sich kopfschüttelnd vom Kapitän ab; ihren Blick ließen sie aber nicht von ihm. Eiseskälte umhüllte den jungen Kerl; er hatte versagt! Mit langsamen hallenden Schritten ging er auf das Rathaustor zu, kaum glaubend, dass er nichts erreichen konnte.
Seine beiden Begleiter stellten Mutmaßungen an: "Wahrscheinlich arbeitet er wirklich mit Kanto zusammen. So wie er sich gegen Hilfe sträubt."
Julius rollte die Augen und griff nach der Klinke, um das Tor zu öffnen. Doch war jemand von außerhalb schneller, der sich mit seinem gesamten Körpergewicht dagegen stemmte. Nur langsam öffnete sich das Holztor und ein Sonnenstrahl fiel durch den freigelegten Spalt hindurch.
"Da kommen schon die Kantosi", spottete Albert.
Der Junge von außerhalb quetschte sich durch den schmalen Spalt, der für ihn gerade groß genug war. Er hängte noch am Tor fest, als er schon aus tiefster Kehle schrie: "Kapitän!"
Panik begleitete ihn, so viel war sicher.
Lorenz warf einen Blick auf seinen Kumpel: "Ich glaub nicht, dass der 'n Kantosi ist..."
Endlich gewann der Bube den Kampf gegen das Tor und rannte zur Theke des Kapitäns. Julius hielt die Luft an; weswegen hatte der Junge es so eilig?
Mit großen Ohren wandten sich die drei Gäste wieder in Richtung Bernd und lauschten angestrengt den Worten des Kleinen.
Der keuchte angestrengt aus: "Eine Nachricht des Leuchtturmwächters." Dabei drückte er dem Kapitän ein zusammengerolltes Papier in die Hand.
Mit verzogener Augenbraue entrollte Bernd die Nachricht und las mit einem Seufzen vor: "In etwa drei Kilometern Entfernung erblicke ich ein Heer aus Soldaten auf uns zumarschieren. Bitte um Reaktion - der Leuchtturmwächter am 25.11.53 um 9:32 Uhr."
Lorenz runzelte die Stirn und nach einem Blick auf seine Taschenuhr kommentierte er monoton: "Die Nachricht ist jetzt 15 Minuten alt. Schätze mal, die greifen jetzt eh gleich an..."
Wortlos blickte sich das Trio an, doch gingen sie wieder zur Theke des Kapitäns.
Bernd ließ das Stück Papier auf seinen Schreibtisch fallen und schlug sich die Hände über dem Kopf zusammen: "Wie konnte das nur passieren?"
Manchmal zweifelte Julius an Bernds mentaler Gesundheit.
"Hat dir die Sonne dein Hirn verbrannt oder was ist mit dir los?", fragte Albert erzürnt und packte den Sonnengebräunten über der Theke hinweg an den Schultern: "Vor einer Woche haben wir dir gesagt, dass du was unternehmen musst! Du wolltest nicht und jetzt stehst du hier rum und jammerst?"
Die großen Augen starrten auf den Alten: "Du hast Recht! Ich sollte nicht jammern!" Er ballte die Faust und rannte zum Tor hinaus: "Ich muss kämpfen!"
Die anderen drei blickten nur einer Staubwolke hinterher.
Lorenz verzog eine Augenbraue in die Höhe: "Warum nochmal sind wir hierher gekommen?"
Sein alter Kumpel zuckte mit den Schultern: "Aus Gefälligkeit. Oder so."
Julius seufzte laut aus: "Also gut; es macht zwar wenig Sinn, aber vielleicht können wir ja was ausrichten..."
Zwar waren sie ein starkes Trainertrio, aber die beiden Alten glaubten nicht daran: "Na deinen Optimismus möchte ich mal haben. Aber wenn wir schon mal hier sind..."
Sie nickten sich zu und rannten los.
Vor dem Rathaustor stockten die drei und fragten: "Und wie kommen wir jetzt am schnellsten nach Norden?"
Der Botenjunge, der sich noch im Rathaus befand, gab den Hinweis: "Hier links, an der nächsten Hauptstraße rechts; dann werden es sowieso schon weniger Häuser und ihr seid auf dem Pfad nach Norden."
"Vielen Dank", nickte Julius ihm zu: "Bring dich sofort in Sicherheit."
Mit jedem hektischen Schritt wirbelte der Sand in die Höhe. Zwar waren Steine zur Befestigung der Straße verlegt worden, doch trug der Wind immer wieder Sand in die Gassen hinein, was das Laufen anstrengend machte.
Die Luft war ohnehin schon staubig; ein sicheres Zeichen dafür, dass Bernd hier kurz zuvor bereits gerannt war. Als sie seine hilflosen Schreie in den grauen Steingassen hallen hörten, wussten sie, dass sie nicht mehr weit von ihm entfernt waren.
Die Leute in ihren Häusern schlossen die Fensterläden und verbarrikardierten sich.
Mitten auf der Straße fanden sie den erstarrten Kapitän. Panische Menschen liefen kreuz und quer durch die Gassen; viele hatten noch ihren Tageseinkauf im Arm. An fremden Haustüren klopften sie an und hofften, dass ihnen Zutritt gewährt wurde. Auf der verzweifelten Suche nach Schutz vergaßen sich manche komplett und wollten die Türen eintreten. Doch waren sie zu schwach und mussten weiterrennen.
Der Kapitän hielt sich beide Hände an die Schläfen und schrie hysterisch: "Feuerbälle! Überall Feuerbälle!"
Albert prustete beim Anblick des panischen Bürgermeisters aus. Das Ganze mündete in einem Lachanfall.
Lorenz wurde neugierig: "Hat der sowas wie Nerven? Oder ist der immer so 'n Weichei?"
Julius reagierte nicht auf die Frage. Stattdessen wandte er sich zu Bernd und rief ihm zu: "Du hast doch ein Impergator, wie wär's?"
Der kreidebleiche Kapitän entgegnete, ohne verstanden zu haben: "Was; wie wär's?"
Der junge Teaker half ihm auf die Sprünge: "Dass dein Impergator Aquaknarre einsetzt, um...?"
"... die Feuerpokémon zu besiegen!", kam Bernd die Erleuchtung, bevor Julius seinen Satz vollenden konnte.
Der Sonnengebräunten rannte erneut davon und suchte an der Front die Feuerpokémon, die aus der Ferne die Feuerbälle auf die Stadt speiten.
Julius Mundwinkel zuckte und sah mit Knopfaugen der Staubwolke hinterher: "Eigentlich sollte er hier das Feuer löschen, aber wenn er kämpfen will..."
"Dann kämpfen wir mit ihm!", schlossen sich Albert und Lorenz an und holten Scherox, Gallopa und Dratini aus dem Pokéball.
Julius tippte mit linker und rechter Hand auf seine beiden Pokébälle und entsandte Aerodactyl und Hundemon: "Wir greifen von oben an!"
Dank seiner Mitgliedschaft im Kriegsrat wusste der ehemalige Bürgermeister, dass das johtolesische Militär im Hinblick auf Luftangriffe noch nie gut gerüstet war. Es gab zwar eine Luftabwehr, doch wurde diese nur in der Defensive angewandt.
Wenn Johto offensiv war, mussten die Pokémon aus der Luftabwehr selbst beim Bodenkampf antreten, weswegen der junge Teaker gute Chancen hatte, ungehindert von oben angreifen zu können.
Ein wenig schwerfällig erhob sich Aerodactyl in die Luft; hatte es in den engen Gassen doch wenig Platz für seine Flügelschläge.
Sofort wurde Julius von den beiden Alten angeklagt: "In diesem Sandsturm ersticken wir noch! Danke, du kleiner Idiot!"
Darüber konnte der junge Teaker nur lachen. Hier oben genoss er den frischen Windzug, der ihm um die Nase wehte. Vorsichtig musste er dennoch sein, immerhin flogen wild und unkoordiniert die Feuerbälle auf die Stadt, die eine graue Rauchwolke in der Luft hinterließen.
Noch vor seinen beiden Kameraden erreichte er die johtolesischen Truppen. Impergator und Bernd waren schon vor Ort. Wie falsch es sich für den jungen Johtolesen anfühlte, gleich seine eigenen Leute anzugreifen.
Aber er tat es trotzdem: "Hundemon, Flammenwurf."
Schnell stellte Julius einen Unterschied zu anderen Schlachten fest: General Schiner kämpfte selbst mit. Mit einem hinterhältigen Lächeln blickte Hermann auf Aerodactyl, neigte dann seinen Kopf zu seinem Simsala und befahl ihm ein paar Worte.
Das gelbe Psychopokémon konzentrierte sich ergriff die Macht über Impergator. Es lenkte das Wasserpokémon so, dass es seine Aquaknarre nicht mehr auf die feindlichen Truppen schoss, sondern auf Aerodactyl.
Schließlich tauchten auch die beiden alten mit ihren Pokémon an der Front auf. Weil Impergator Aerodactyl nur verfehlte, disponierte der General um. Simsala kontrollierte das blaue Pokémon so, dass es Scherox neben sich attackierte. Die beiden waren so nur noch mit sich selbst beschäftigt.
"Impergator, hör doch auf!", schrie Bernd flehend auf sein Pokémon ein, aber dieses hörte nicht. Stattdessen schlug und biss das Krokodilspokémon so heftig auf Scherox ein, dass es beinahe kampfunfähig wurde. Bevor es soweit war, holte Albert seinen roten Käfer in den Pokéball zurück.
Lorenz erkannte die Not seines alten Kumpels machte Bernd einen schweren Vorwurf: "Hast du nicht mal dein Pokémon unter Kontrolle?"
Der war selbst verzweifelt und schlug sich erneut die Hände über dem Kopf zusammen: "Ich weiß nicht, was los ist! Helft mir doch!"
Aerodactyl schoss im Sturzflug zu Simsala und biss mit Knirscher zu. Basispokémon griffen mit Rankenhieben, Aquaknarren und Glutattacken an.
Aber das Fossilpokémon ließ sich nicht beirren und zerbiss Simsalas Hände, mit denen es Impergator kontrollierte.
Für einen Moment schien es kampfunfähig zu sein. Erleichtert amtete Julius auf; mit den kleinen Basispokémon konnte er es auch so aufnehmen.
Der General hatte aber noch eine Überraschung parat. Simsala starrte einige Sekunden lang in die Leere, leuchtete kurze auf und war wieder fit; Genesung. Egal wie oft Julius angreifen würde; nach jeder Attacke würde sich Simsala heilen und wieder zu neuen Kräften kommen.
Weitere Angriffe wurden von dem gelben Löffelpokémon frühzeitig gesehen und mittels Schutzschild abgewehrt. Während Julius mit Simsala beschäftigt war, versuchten seine Kameraden am Boden die Soldaten zurückzuhalten. Doch war die Masse zu breit und so durchbrachen einige Johtolesen mit ihren Basispokémon die Barriere.
Stark waren die Johtolesen keinesewgs, aber es waren zu viele. So gelangen erst einige hindurch, dann mehrere und schlussendlich waren es viele.
Die Soldaten steckten auf ihrem Weg in das Stadtzentrum alles in Brand, setzten alles unter Wasser und zertrümmerten Gebäudemauern.
An der Front weiterzukämpfen hatte für das Trio keinen Zweck und so rannten Albert, Lorenz und Bernd in das Rathaus zurück, um sich zu beratschlagen.
Der Kapitän schüttelte unaufhörlich den Alten und schrie: "Was soll ich nur tun? Ich kann meine Stadt nicht beschützen!"
Der Azaleaner knallte ihm eine Ohrfeige: "Schuld bist du selber, Idiot! Geh wenigstens raus und kämpfe! Und hör auf, mein Scherox zu traktieren!"
Entsetzt hielt sich Bernd seine glühende Wange und sah dem alten Mann in die Augen. Er nickte kurz und rannte wieder nach draußen, wo die Zerstörung bereits in vollem Gänge war.
"Das ist so ein Depp!", knurrte Lorenz mit eindeutigem Zorn in der Stimme: "Wir wissen noch nicht mal, was wir jetzt tun sollen!"
Albert seufzte tief: "Wir müssen Simsala ausschalten! Der Rest ist nicht so wichtig."
Sein alter Freund nickte und trat vor das Rathaus. Rauchschwaden durchzogen die Gassen und vernebelten die Sicht. Es stach in den Augen, wenn man den Blick schweifen ließ, um nach den Feinden zu suchen.
"Wo Hermann wohl sein mag?", fragte der Azaleaner mit einem Stirnrunzeln.
Lorenz haute ihm auf mit dem Handrücken auf die Brust und deutete gen Himmel: "Da wo Julius ist, dürfte auch Hermann sein!"
Über dem Marktplatz kreiste Aerodactyl und versuchte, die Basispokémon mit Luftangriffn in Schach zu halten. Julius hingegen stand mit seinem Hundemon jetzt nicht nur Simsala, sondern auch Pinsir und Nockchan, gegenüber.
Schweiß tropfte dem jungen Teaker von der Stirn, als er sich seiner ausweglosen Lage bewusst wurde. Mit Simsala alleine hätte sein Hundemon es sogar aufnehmen können, aber da sein Gegner in der Überzahl kämpfte, standen die Chancen auf einen Sieg verschwindend gering.
Sein Hundemon war wie ein flinker schwarzer Schatten und so gelang es ihm, dem Käferbiss und dem Konfustrahl auszuweichen, doch traf der Megahieb des Nockchan mit voller Kraft. Das Dämonenpokémon winselte auf, bevor es in hohem Bogen in Richtung Julius flog. Der machte sich ohne zu zögern bereit, sein Pokémon aufzufangen. Es hatte schon genug Schmerzen, da musste es nicht auch noch den Aufprall überstehen.
Die beiden Alten kamen aus der Rathausgasse auf den Marktplatz und beobachteten das Geschehen. Hundemon krachte geradewegs in seinen Trainer hinein, der jetzt selbst auf dem Boden landete und aufkreischte.
Julius streichelte seinen schwarzen Hund am Kopf: "Geht's dir gut?"
Als Antwort wurde ihm einmal mit der Zunge durch das Gesicht geschlabbert. Mühselig richteten sich beide auf und blickten dem Feind ins Auge.
"Schau den Tatsachen ins Gesicht, Verräter!", keifte der General auf: "Nicht nur, dass du den König rettest. Nein, du verbündest dich auch noch mit diesen Kantosi-Sympathisanten. Jetzt wird das aber sein Ende nehmen, Mörderssohn."
Ein explosiver Feuerball schlug vor Hermanns Füßen ein und traf die Pokémon.
"Nicht, solange wir hier sind!", schrie Lorenz auf, dessen Gallopa gerade einen Feuerwirbel abgeschossen hatte.
Der General kniff die Augen zusammen: "Von alt gedienten Veteranen hätte ich etwas mehr Loyalität erwartet!"
Die beiden Alten stellten sich an Julius Seite: "Wenn man der Dummheit loyal bleibt, dann ist man selber dumm."
In gebeugter Haltung kam jetzt auch Bernd aus einer Gasse und rannte auf das Trio zu, gefolgt von Impergator: "Ich bin kein Kanto-Sympathisant! Wir haben hier nie etwas getan, um Johto anzugreifen und jetzt beendet endlich diese Angriffe auf meine Stadt!"
"Wunderbar", prustete Hermann aus: "Dann sind jetzt die einzigen vier Trainer, die gegen mich kämpfen, auf einem Fleck versammelt."
Er gab einen Wink an seine Leute und ruderte mit dem Arm. Ehe sich das Trainerquartett versah, würden sie von Soldaten und deren schwächlichen Pokémon umzingelt.
"Danke, dass ihr mir das so einfach gemacht habt. Dann kann ich euch alle zusammen an Ort und Stelle exekutieren." Er erhob seine Stimme: "Soldaten, Angriff, jetzt!"
Das Problem waren dabei nicht die Angriffe der Basispokémon, die von Dratini, Impergator und Gallopa größtenteils abgewehrt werden konnten. Das Problem war immer noch Simsala und seine beiden stark erscheinenden Partner Pinsir und Nockchan. Simsala ergriff wieder die Macht; dieses Mal über Scherox, dass mit Kreuzschere auf Hundemon losging.
Aerodactyl landete zwar Treffer auf das Psychopokémon, aber es war dasselbe Spiel wie vorhin. Mit Genesung heilte es sich immer wieder. Es musste doch irgendwann ein Ende nehmen? Doch während Simsala wieder an Kraft gewann, wurden die eigenen Pokémon nur schwächer. Gegen den General und seine Männer bestand keine Chance; zumindest solange nicht, wie Simsala sich selbst heilen und von irgendeinem Pokémon Besitz ergreifen konnte.
Mit jeder Sekunde, die verstrich, zerfiel Oliviana ein Stückchen mehr. Immer mehr Menschen wurden Opfer von Angriffen und verletzt oder gar getötet. Was hatte Bernd seinen Bürgern nur angetan?
Bereit zum nächsten Angriff streckte der General seine Hand weit von sich und befahl: "Simsala, Psychoki-." Er stockte, als sich Sonne verdunkelte. Mit großen Augen musterte er den Himmel und lauschte dem Getuschel seiner Soldaten.
Sturmböen zogen auf. Der Sonne entgegenblickend erkannten die Anwesenden kaum, was dort oben flog. Immer näher kam diese Erscheinung der Stadt entgegen. Über ihnen breitete ein großer silberfarbener Drache seine Flügel aus und wirbelte noch mehr Dreck auf.
Der Drache landete inmitten des Marktplatzes hinter dem Trainerquartett. Die sanfte Landung wurde mit offenen Mündern und großen Augen von allen Anwesenden beobachtet. Mit seinem langen Hals überragte das silberne Pokémon die Menschen und schrie Simsala ins Gesicht.
Julius Herz sprang ihm beinahe aus der Brust und so wisperte er ungläubig: "Lugia"
Mit einem gnadenlosen Luftstoß attackierte Lugia schließlich Simsala und schleuderte es quer über den Marktplatz, wo es an einer Gebäudemauer einschlug und zu Boden sank. Hermann rannte zu seinem Pokémon und konnte nur seine Kampfunfähigkeit feststellen.
Aufgrund der Erhabenheit dieses Anblicks ließen einige der johtolesischen Soldaten ihre Waffen fallen und knieten sich nieder.
Hermann blickte um sich und schrie auf: "Kämpft! Was ist? Ich bring euch alle um!"
Aber seine Drohung interessierte niemanden. Nur ein Bruchteil der Männer stand dem General noch zur Seite.
Schließlich stiegen Tristan und Cecilia von Lugia.
In plötzlicher Totenstille ging der schwarzhaarige Kerl langsam auf den am Boden knieenden Hermann zu: "General Schiner? Ich rate Euch zum sofortigen Rücktritt aus dem Militär. Was Ihr hier getan habt, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
Hermann rümpfte die Nase und spottete: "Fühlst du dich jetzt überlegen? Nur, weil du diesen Vogel auf deiner Seite hast?"
Dann richtete er seinen Blick auf seine treuen Männer, die entschlossen ihre Waffen vor sich hielten. Es waren hauptsächlich Azaleaner; jene Rebellen, die Albert für seinen Widerstand rekrutiert hatte.
Auch Christa und Rupert, die Bürgermeister aus Rosalia und Mahagonia, standen dem General mit Machomei und Lapras zur Seite. Sie hielten Hermann immer noch die Stange?
"Nicht aufgeben, General! Wir helfen Euch! Seht zu, dass Ihr verschwindet", rief einer der Azaleaner, der damit das Zeichen zum Angriff gegeben hatte.
Die sechs Trainer waren plötzlich von Hermanns Spezialeinheit umzingelt. Während der General sich mit seinem Simsala und seinen beiden treuen Bürgermeistern hinfort teleportierte, kämpften die zurückgebliebenen Azaleaner zur Ablenkung. Es waren keine starken Gegner, aber durch ihre Vielzahl ließ sich schnell der Überblick verlieren. Lugia pumpte sich auf Geheiß von Cecilia erneut auf und wollte gerade angreifen. Jedoch...
Es ertönte eine Stimme im Hintergrund: "SCHLUSS DAMIT!"
Offizier Ethan kam zwischen den Gassen hervor und befahl: "Euer General ist nicht mehr hier! Ruft Eure Pokémon zurück und beendet die Kämpfe. Wir kehren zurück nach Teak!"
Tristan konnte kaum glauben, durch wen er Hilfe erfahren hatte. Einen Moment lang wehte nur sein schwarzer Umhang im Wind und der junge Leutnant starrte ungläubig auf seinen Vorgesetzten.
Ethan wandte sich mit einem Lächeln zu ihm und fragte rein rhetorisch: "Leutnant Avila. Ihr seid mit Eurer Uniform passend gekleidet. Ich hoffe, es gibt keine weiteren Gründe, die Euch daran hindern, ins Militär zurückzukehren?"
Vorrangig ging es ihm um Elena, später um den Angriff auf Oliviana. Abgesehen vom General hatte Tristan nie ein Problem mit dem Militär, weswegen er zustimmend nickte.
Eine Frage brannte ihm aber auf der Zunge: "Könnt Ihr mir erklären, was Hermann jetzt vor hat?"
Der Offizier zuckte mit den Schultern: "Ohne seine Männer kann er nicht viel ausrichten. Lasst uns gleich morgen Früh nach Teak zurückkehren und Stellung halten."
Tristan salutierte und wandte sich ab.
Cecilia streichelte Lugia am Hinterkopf, wo es dies am liebsten mochte.
"Danke mein Freund", wisperte sie zum Silberdrachen und hielt ihm eine Beere unter die Nase: "Pirsifbeere? Oder was möchtest du gerne?"
Ohne zu zögern verschlang Lugia die ihm vorgehaltene Beere. Es war nicht wählerisch.
Die Auserwählte freute sich darüber: "Wenn du sonst nur Plankton und Algen frisst, dann sind die Beeren wohl eine willkommene Abwechslung, was?"
Da die junge Lady wusste, dass sie den Meeresvogel nicht ewig bei sich haben konnte, verabschiedete sie sich: "Ich fürchte unsere Wege trennen sich hier. Danke, dass du uns und den Olivianern geholfen hast. Sie lieben dich ohnehin."
Lugia stupste mit seiner Schnauze gegen Cecilias Stirn. Ihr wurde genau ein Gedanke vermittelt; wenn sie wieder Hilfe brauchte, konnte sie Lugia jederzeit rufen.
Daraufhin lächelte die Auserwählte sanftmütig: "Du fehlst mir jetzt schon, weißt du das?"
Lugia richtete sich auf. Mit Eleganz und Grazie hob es ab und flog unter den staunenden Blicken der Olivianer und aller weiteren Personen davon. Diese spendeten ihrem Patron einen Applaus und einige riefen einen Dank für die Rettung der Stadt hinterher.
Bernd kam zu Cecilia angesprintet: "Hey, Ceci! Das war ganz schön knapp hier! Aber trotzdem Danke, dass du noch rechtzeitig eingegriffen hast! Wenn du willst, dann kannst du heute Nacht wieder bei mir im Haus schlafen. Einschließlich deiner Freunde natürlich."
Julius hatte alles mitgehört, was der Kapitän von sich gab, weswegen er sich einmischte: "Ganz dicht bist du doch auch nicht?"
Schockiert starrte Bernd auf den Teaker: "Wie bitte?"
"Vor über einer Woche haben wir dich vor einem jotholesischen Angriff gewarnt", erinnerte der dunkelblonde Kerl: "Dich hat es nicht interessiert. Du hast nichts gemacht. Und jetzt wirfst du Cecilia vor, dass sie zu spät dran gewesen wäre? Geht's eigentlich noch?"
Mit glasigen Augen blickte der Kapitän zu Boden. Die Wahrheit konnte er nicht ertragen.
Woher Julius derart strenge und bösartige Worte fand? Wahrscheinlich kam das von seiner gemeinsamen Zeit mit Albert.
Nachdem er sich abreagiert hatte, seufzte der junge Kerl aus: "Und ja, die Nacht verbringen wir gerne in deinem Haus, Danke."
Bernd verstand die Worte, wie sie gemeint waren; er sollte verschwinden, was er auch tat.
Endlich war Julius mit Cecilia alleine. Er trat neben sie heran, wagte es aber nicht, sie in irgendeiner Weise zu berühren.
Stattdessen sah er verlegen auf seine Füße und krächzte: "Also... Danke, dass du uns gerettet hast... Ohne dich hätte es wirklich nicht gut ausgesehen..."
Die junge Lady winkte ab: "Es war Lugia, nicht ich. Außerdem war es für Stadt und deren Bewohner."
Er nickte und schwieg einen Moment. Dann räusperte er sich und wollte wissen: "Und wie sieht es bei dir nun aus? Jetzt, wo du Lugia gesehen hast und ihr offenbar gut miteinander klar kommt... Ich meine... Ist es so, wie es die Legenden beschrieben haben?"
"Ja", antwortete Cecilia: "Meine Erinnerungen sind zurück, wenn du das meinst."
Sie zögerte einen Moment, genau wie er. Gleichzeitig wollten beide das Wort ergreifen, doch trat Julius zurück und ließ seine Angebetete zuerst sprechen.
Die schwarzhaarige Lady kaute auf ihren Lippen: "Ich weiß schon seit Jahren, dass dein Vater meine Mutter getötet hat. Tristan hat es mir gesagt, nachdem er die Geheimakten in die Hände bekommen hatte. Und ich weiß auch wieder, dass ich dich trotzdem gern mochte."
Der junge Kerl bekam große Augen, als sein Puls in die Höhe schnellte.
"Aber", fügte Cecilia an und wagte es nicht, einen Blick auf ihn zu werfen: "Jetzt kommt das Aber; ich habe mich bewusst von dir ferngehalten, eben wegen dieser Sache. Dass ich mein Gedächtnis verliere und mich in der Zeit in dich verliebe, war etwas, das niemals hätte passieren dürfen."
Auf ihre Worte hin blieb Julius still; es war wie ein Schlag in die Magengrube, als sie so unverblümt mit der Wahrheit rausrückte. Auf der einen Seite war seine Angebetete in ihn verliebt. Auf der anderen Seite verschmähte sie ihn trotzdem.. Er konnte doch nichts dafür.
"Es kommt aber noch ein Aber", fuhr die schwarzhaarige Lady fort und sah Julius nun in die Augen: "Es ist nun mal passiert. Und diese Gefühle während meiner Amnesie sind immer noch allgegenwärtig. Nur ist es so, dass ich..." Stockend legte sie eine Hand auf ihre Stirn und ihre Augen quollen über: "Ich bin verwirrt. Ich mag dich, aber bei dem Gedanken an die Tat deines Vaters steigt Ablehnung in mir hoch; so als könnte ich nicht mit dem Mörderssohn zusammen sein. Aber dann sehe ich dir in die Augen und weiß, dass du der beste Mann für mich bist. Ausgerechnet du. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll, verstehst du das?"
Julius zog den Kopf ein und blickte vorsichtig auf seine Angebetete: "Brauchst du mehr Zeit?"
Cecilia ließ den Kopf hängen: "Wenn du mir die geben kannst..."
Er seufzte tief, ging dann näher an sie heran und umarmte sie.
"Wie ich in Anemonia gesagt habe", sprach der Teaker: "Ich kann warten und wenn es sein muss, auf ewig."
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