27 - Winter
Der erste Schnee fiel wenige Tage nach Salkas Verkündung. Knöchelhoch lag das weisse Puder und hüllte ganz Vestervig in eine helle Pracht. Dicke Schneeflocken fielen vom grauen Himmel. Hjalmar stand draussen in der Kälte und hackte Holz, als Rurik mit einem toten Schneehasen aus dem Wald stampfte.
Er war noch immer wütend auf seine Familie.
Wütend und aufgebracht, weil sie nicht auf ihn haben hören wollen. Dabei war sein Einwand mehr als gerechtfertigt gewesen! Es war leichtsinnig, zu denken, Vestervig würde ohne mit der Wimper zu zucken, eine Sklavin in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Das hatte bisher noch niemand gewagt und es erstaunte ihn nicht, dass Ragnar zugestimmt hatte. Bestimmt war das Ragnars Art, sich an Rurik zu rächen. Dafür, dass er die Sklavin bekommen hatte. Indem Ragnar sie freistellte, war sie nicht mehr seine Sklavin, sondern eine freie Frau.
Der Frust darüber, dass Ragnar es ihm damit heimzahlen wollte, wurde allerdings von einem anderen Gefühl überschattet. Verrat. Der tiefe Verrate, den er fühlte, weil er kurz nach Sveíns Geburt Avelines wahre Pläne durchschaut hatte.
Am Tag des Überfalles hatte sie flüchten wollen. Sie hatte einen Pelz und seinen Pfeil und Bogen gestohlen, aber die Schweden waren ihr wahrscheinlich dazwischen gekommen. Rurik war sich sicher, dass sie absolut kein Interesse daran hatte, hier zu bleiben, wenn ihr die Freiheit geschenkt würde. Da missdeuteten Ragnar und seine Schwester Avelines Lust und Freude am normannischen Leben.
Was ihn jedoch zorniger machte, war die zweite Entdeckung, die er gemacht hatte. In der Nacht der Geburt hatte er auf seinem Bett Pilze gefunden. Als Jäger kannte er sich mit den Pflanzen des Waldes aus. Diese Pilze waren gefährlich und hatten ihr wahrscheinlich dazu dienen sollen, die Familie zu vergiften! Es war die einzig logische Schlussfolgerung.
Seit diesen Entdeckungen hatte er die junge Fränkin jeden Tag beobachtet, so unauffällig wie möglich. Er war ihr nachgestellt, weil er sie auf frischer Tat ertappen wollte. Doch bisher hatte sie keine weiteren Flucht- oder Vergiftungsversuche unternommen. Aber Rurik blieb vorsichtig. Beinahe hätte er sich von ihrem schönen Wesen blenden lassen, doch in Wahrheit war sie eine hinterlistige Füchsin. Er würde sie schon noch erwischen.
„Ah, Rurik!", rief Hjalmar ihm zu, als er den Hofplatz erreichte.
„Das Abendmahl", grummelte Rurik und legte den Hasen auf die Brunnenmauer. „Brauchst du was von mir?"
Rurik war seit Salkas Verkündung schlecht gelaunt und liess es an seiner Familie aus. Er fühlte sich nicht gehört und missverstanden und das gefiel ihm gar nicht. Er würde ihnen die wahre Natur von Aveline schon noch verraten. Nur nicht jetzt. Erst, wenn er ganz sicher war, dass sich sein Verdacht bestätigte.
„Komm, lass uns Zweikampf üben", schlug Hjalmar vor. „Lange ist es her. Ich bin eingerostet."
Rurik schnaubte belustigt durch die Nase. Das war Hjalmars Art, ihm ein Friedensangebot für die Unstimmigkeiten der letzten Tage zu machen. Gegen den kräftigen Hjalmar hatte er kaum eine Chance. Er selbst war zwar stark und muskulös, aber Hjalmar hatte mehr Masse, gegen die Rurik einfach nicht ankommen konnte.
„Du willst wohl verlieren", triezte Rurik und rannte ohne zu zögern auf Hjalmar zu.
Dieser liess überrascht die Axt auf den Boden fallen und packte den heranstürmenden Rurik an beiden Armen. Er stoppte seinen Angriff, aber Rurik war schneller und gab Hjalmar eine gewaltige Kopfnuss. Dieser strauchelte rückwärts und hielt sich lachend die blutende Oberlippe.
„Oh, du Fuchs!", rief er und holte zum Faustschlag aus.
Er traf Rurik an der rechten Wange. Dieser nutzte den Schwung des Schlages gleich aus, bückte sich und warf den massigen Bauern zu Boden. Die zwei Männer kämpften erbittert auf dem eisigen Hofplatz. Sie teilten Faustschläge aus und rollten sich im Schnee. Sie schrieen, lachten und brüllten wie wild gewordene Biester.
Es tat gut, die Wut und den Frust am Leibe eines anderen auszulassen.
・・・
Das laute Raufen, Brüllen und Keuchen der Männer drang ins Innere des Wohnhauses.
„Was geschieht da?", fragte Aveline. Sie hielt Sveín in den Armen und wippte ihn auf und ab. Der Kleine hatte den ganzen Morgen geweint und sich nach langem Trösten und sanften Liedern endlich beruhigt.
Salka schmunzelte. „Sie tragen ihre Meinungsverschiedenheit in einem fairen Kampf aus", erwiderte sie.
Dass Rurik und Hjalmar kämpften, nahm sie offenbar als gutes Zeichen wahr. Aveline runzelte die Stirn. Man hatte ihr gesagt, dass Rurik nur mässig begeistert über Salkas Entscheidung gewesen war, doch es war ihr schlussendlich einerlei.
Sie selbst konnte ihr Glück nicht in Worte fassen. Seit der überraschenden Verkündung war sie total aus dem Häuschen und jeden Tag gut gelaunt. Sie hatte an dem Abend, als Salka ihr offenbarte, sie wolle ihr die Freiheit schenken, nicht glauben können, was passierte. Vor Fassungslosigkeit war sie komplett zu Stein erstarrt, bis ihr Kopf die Nachricht verarbeitet hatte. Dann war sie Salka in die Arme gefallen und Freudentränen waren ihr über die Wangen gekullert. Sie hatte vor Aufregung ganz die nordische Sprache vergessen und ihrer Herrin auf Fränkisch gedankt, denn kein nordisches Wort hätte jemals ausdrücken können, wie glücklich sie sich in dem Moment gefühlt hatte.
Dieses Glück hielt nun schon vier Tage an.
Da Avelines Füsse vom Stehen und Wippen schmerzten, beschloss sie, eine kurze Pause einzulegen und draussen nach dem Rechten zu schauen. Sie übergab den Säugling seiner Mutter und trat in die Kälte, einen roten Umhang und ein graues Fell um die Schultern geworfen. Die eisige Luft strömte ihr entgegen.
Hjalmar blickte auf. Er würgte gerade den auf dem Rücken liegenden Rurik.
„Oh! Wir haben eine Zuschauerin, die sehen will, wie ich dich fertig mache, Rurik!" Er lachte. „Na, auf wen wettest du, Aveline?"
Sie erwiderte sein Lachen und zuckte mit den Schultern. Woher sollte sie wissen, welcher der beiden der bessere Kämpfer war? Sie hatte sie noch nie ringen sehen. Die kurze Ablenkung nutzte Rurik zu seinem Vorteil. Er schlang seine Beine um Hjalmars Oberkörper und warf ihn kopfüber zu Boden. Dieser konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren und prallte hart auf die Erde. Rurik setzte sich blitzschnell auf seinen Rücken und drückte seinen Kopf in den Schnee.
„Gewonnen!", rief er und liess sogleich vom stöhnenden Hjalmar ab. „Hättest dich nicht von dem Mädel ablenken lassen dürfen!" Rurik lachte und half seinem Schwager wieder auf die Beine. Er klang glücklich und irgendwie unbeschwert.
„Entschuldige, Hjalmar!", rief Aveline von der Türschwelle aus. Sie hatte ihn nicht ablenken wollen.
Hjalmar kicherte. „Ach, es gibt nichts Besseres, als einen Zweikampf im Schnee. Sehr erfrischend."
Rurik klopfte ihm den Schnee von den Schultern, dann wandte sich Hjalmar an seine Gehilfin.
„Aveline", sagte er herausfordernd.
„Hm?"
Er nickte ihr mit dem Kinn zu. „Jetzt bist du dran."
Aveline blinzelte Hjalmar unsicher an. Das konnte er nicht ernst meinen, doch er grinste bloss und winkte sie zu sich.
„Komm, komm", lockte er sie zu sich.
Erst zögerte sie, aber dann gab sie nach und schritt auf die zwei zu. Als sie vor Hjalmar stehen blieb, musterte er sie von oben bis unten und rüttelte an ihren Schultern.
„Wir wollen ja eine richtige Normannin aus dir machen, bevor wir dich zur Weihung schicken", sagte er.
Rurik verdrehte bei den Worten die Augen.
„Wie meinst du das?", fragte sie.
„Eine echte Jütländerin weiss sich zu wehren", erwiderte er. „Wir üben jetzt mal." Er blickte seinen Schwager an. „Greif sie an, Rurik!", befahl er.
Rurik wischte sich den Schweiss von der Stirn. Er war noch ausser Atem vom vorherigen Kampf. Seine offenen Haare trieften vor Nässe und klebten an seiner Stirn. Er bewegte sich nicht.
„Na los, greif sie an!", forderte ihn Hjalmar auf. „Als ob du sie dir zum Frühstück nehmen wolltest!"
Rurik zögerte. „Wie jetzt?"
„Na, so richtig. Mach schon!"
Rurik zuckte die Schultern und fixierte Aveline sogleich mit seinen Augen. Diese blickte nervös von Hjalmar zu Rurik und wieder zurück. Das musste ein schlechter Scherz sein! Plötzlich sprintete Rurik auf sie zu, seine Augen funkelten, als hätte er gerade seine Beute erblickt.
Sie strauchelte rückwärts und kam nicht mehr dazu, sich für die Flucht umzudrehen, denn Rurik warf sie bereits zu Boden. Das Wolfsfell wurde ihr von den Schultern gerissen, ihr Kopf prallte hart auf den festgefrorenen Boden. Sie stöhnte auf. Ihr Kopf dröhnte.
Sie lag auf dem Rücken im Schnee, sodass ihr die Kälte in die Rippen kroch. Rurik befand sich über ihr. Er wollte wieder aufstehen, doch da hielt ihn Hjalmar zurück.
„Bleibt liegen!", befahl dieser.
Rurik drehte seinen Kopf fragend in Hjalmars Richtung. Aveline atmete gepresst, denn Rurik war verdammt schwer. Er hatte sie an der Hüfte und an der Schulter gepackt und sie so aus dem Gleichgewicht gebracht. Jetzt lag er quer über ihr.
„Halt sie fest, Rurik", beharrte Hjalmar. „Du willst ja nicht, dass dir dein Häschen entkommt." Er liess ein Lachen hören. Dann kauerte er sich nieder, um Aveline ins Gesicht zu blicken. „Wie kommst du jetzt aus der Situation wieder raus, Aveline?", fragte er.
Sie liess ein Keuchen hören. Hjalmar wollte ihr also tatsächlich eine Lektion erteilen. Ihre Gedanken rasten, während sie nachdachte. Wie konnte sie sich von Rurik befreien? Sie versuchte mit den Beinen zu zappeln, doch damit konnte sie den schweren Mann nicht von sich abwimmeln. Im Gegenteil, durch ihr Zappeln hatte sie es unglücklicherweise geschafft, dass Rurik jetzt zwischen ihren Schenkeln lag.
Hjalmar schmunzelte. „Nein, nicht so. Probier weiter."
Aveline lief rot an. Diese Nähe war ihr unangenehm. Rurik presste seine Lippen zusammen. Offensichtlich fand auch er ihre kläglichen Versuche amüsant. Er verkniff sich ein Lachen.
Aveline ging die Luft aus. Sie stöhnte und versuchte, ihre Arme zu befreien, doch Rurik war so sauschwer, dass sie sich unter ihm kaum bewegen konnte. Es gelang ihr, einen Arm zu befreien und damit sein Gesicht zur Seite zu drücken. Rurik war allerdings schneller, packte ihre Hand sogleich und zog sie wieder weg. Seine kräftigen Finger wickelten sich um ihr zierliches Handgelenk und pressten es auf den Boden. Sie hatte keine Chance. Diese Übung war ein Kinderspiel für ihn. Er grinste sie an, seine blauen Augen glänzten dabei spöttisch. Aveline schnaubte frustriert. Hjalmar umkreiste die beiden und beobachtete jede noch so kleine Regung, die Aveline unternahm, um sich von Ruriks Griff zu befreien.
„Guter Ansatz, meine Liebe, aber falsch ausgeführt." Er drehte sich um und hob einen kleinen Ast vom Boden, welchen er zu Avelines Füssen legte. „Stell dir vor, das sei ein Dolch. Den Dolch, den du immer bei dir tragen solltest. Beim Sturz ist der Dolch zu Boden gefallen. Jetzt musst du ihn dir holen. Probier's", ermutigte er sie.
Aveline keuchte. „Rurik ist so schwer, ich krieg keine Luft!"
Hjalmar zuckte mit den Achseln. „Normannen akzeptieren keine faulen Ausreden", erwiderte er bloss. „Es geht hier um dein Leben, Aveline. Was, wenn Rurik einer dieser Schweden wäre? Der würde jetzt sicher nicht geduldig darauf warten, dass du dich wehrst. Der hätte dir schon längst Schlimmeres angetan. Jetzt konzentriere dich. Wie kommst du zu deinem Dolch?"
Aveline knurrte. Sie schaffte es nicht, den massigen Rurik auch nur ein kleines Bisschen zu bewegen. Sie spannte ihre Muskeln so sehr an, wie es ging, aber es half alles nichts.
„Komm jetzt! Kann doch nicht so schwierig sein", murrte Rurik. Ihm schien die Geduld vergangen zu sein.
„Ist nicht so einfach, wenn man einen Felsbrocken auf sich liegen hat!", zischte Aveline zurück.
„Mit barer Muskelkraft bist du bisher nicht weit gekommen. Welche Möglichkeiten hast du noch?", fragte Hjalmar weiter. Er schien fest davon überzeugt zu sein, dass sie sich befreien konnte.
Aveline überlegte krampfhaft. Sie schaffte es einfach nicht. Rurik drückte ihr Handgelenk auf den Boden und sein Gewicht auf ihrem Oberkörper machte es unmöglich, sich in irgendeine Richtung zu bewegen. Irgendwie musste sie versuchen, seinen Körper von sich zu schieben. Sie wollte schon aufgeben, da kam ihr ein Gedanke.
Obwohl sie mittlerweile vor Kälte zitterte, versuchte sie sich zu entspannen. Sie atmete langsamer und schloss die Augen. Dann begann sie sachte ihre Hüfte zu bewegen. Kleine, kreisende Bewegungen waren selbst unter dem schweren Gewicht möglich. Vorsichtig öffnete sie ihre Beine, die sie so krampfhaft hatte zudrücken wollen, weil Rurik dazwischen lag, und zog ihre Knie an. Ihr Kleid rutschte ihr über die Knie und entblösste ihre zarte Haut an den Schenkeln. Während sie sich bewegte, blickte sie Rurik tief in die Augen. Erst jetzt registrierte er ihre sinnlichen Hüftbewegungen, das Spreizen ihrer Beine, ihr intensiver Blick, ihr sanftes Zittern. Er hob überrascht die Augenbrauen.
Da war es! In seinen Augen sah sie es: Das Zögern. Die leichte Unsicherheit. Die Ablenkung.
Sie spürte, wie sich sein Griff um ihr Handgelenk lockerte und sich sein Gewicht über ihr verlagerte. Er hatte sich unbewusst verschoben. Ihre betörenden Bewegungen zeigten Wirkung. Sein Schwerpunkt lag jetzt auf ihrem Becken und erlaubte es ihr, wieder Luft zu atmen und ihren Oberkörper zu rühren.
Blitzschnell löste sie ihren Arm von seinem Griff und schnappte den Ast, den sie mit dem Fuss beim Anziehen ihrer Knie näher an sich herangeschoben hatte. Mit der anderen Hand packte sie seine Haare und hielt die Dolch-Attrappe an seine Kehle. Der überraschte Blick von Rurik liess sie triumphieren. Sie hatte ihn überlistet.
„Gewonnen!", keuchte sie.
Hjalmar klatschte in die Hände. „Sensationell!", rief er und half den beiden wieder auf die Beine. Sie klopften den Schnee von ihrer Kleidung.
„Du hast schnell verstanden, was ich gemeint habe, meine Liebe", lobte er sie. „Wirklich toll."
Aveline konnte nicht anders, als Stolz zu verspüren. Es war soeben das erste Mal in ihrem Leben gewesen, dass sie sich einem Wikinger nicht mehr unterlegen gefühlt hatte.
„Deine stärkste Waffe als Frau ist deine Schönheit, die Anziehungskraft deiner Weiblichkeit", fuhr Hjalmar fort. „Die Schwäche der Männer kannst du dir so ganz einfach zu Nutze machen. Lass sie nahe genug an dich heran. Gib ihnen zu glauben, dass sie die Überhand über dich gewonnen haben, dass du aufgegeben hast. Und in dem Moment, wenn sie es nicht mehr erwarten, schlägst du zu." Sie nickte, während sie seine Worte verinnerlichte. „Darum ist es so wichtig, dass du den Dolch immer bei dir trägst, hast du verstanden? Am besten unter der Kleidung, in den Stiefeln, in einer eingenähten Tasche. Irgendwo, wo du immer hinkommst."
Aveline hob den Wolfspelz vom Boden auf. Sie würde sich eine Seitentasche in ihr Kleid nähen, denn ihr gefiel Hjalmars Rat, stets eine Waffe mit sich herumzutragen. Damit würde sie sich sicherer fühlen.
„Danke Hjalmar. Das war wirklich sehr ... lehrreich", sagte sie und warf Rurik einen Blick zu. Dabei grinste sie hämisch. Dieser gab ihr ein künstlich aufgesetztes Lächeln als Antwort.
„Das üben wir wieder einmal", beschloss Hjalmar und drehte sich zu seinem Schwager um. „Und du Rurik, also wirklich. Du hast dich zu schnell verführen lassen. Auch du brauchst mehr Übung." Er klopfte ihm tröstend auf die Schultern.
„Ach was, ich habe sie gewinnen lassen, sonst wären wir hier noch verfroren", grummelte er beleidigt.
„Ich glaube, du brauchst erstmal ein kaltes Bad im See", sagte Hjalmar. Seine Augen fielen auf Ruriks Hosenbund. Eine Beule zeichnete sich dort ab.
„Halt den Mund!", knurrte Rurik, hielt sich die Hand vor den Schritt und packte den toten Schneehasen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verzog er sich zu seiner Schwester ins Innere des Hauses.
Hjalmar lachte laut und ausgelassen. „Da hat jemand aber die Hosen voll!"
Die Hitze stieg Aveline in ihre Wangen. Diese unglaublich intensive Nähe hatte also auch Rurik nicht unberührt gelassen. Obwohl es ihr zuerst unangenehm gewesen war, sein Gewicht auf ihr zu haben, hatte es sich erstaunlich gut angefühlt. Seine ganze Kraft an ihrem Leib zu spüren, von seinen Armen eingekesselt zu sein. Noch nie hatte sie einen Mann zwischen ihre Schenkel gelassen. Gut — das mit Rurik war nicht ganz freiwillig gewesen, aber dennoch hatte es etwas in ihr ausgelöst. Es hatte sich besser angefühlt, als sie es sich eingestehen wollte. Gedankenverloren band sie sich den Wolfspelz um die Schultern und hüllte den roten Umhang enger um sich. Die Kälte drang bis in die Knochen.
„Hast du noch etwas Kraft übrig?", holte sie Hjalmar wieder in die Realität zurück. An seinem braunem Bart hingen winzige Eiszapfen. Er stütze seine Hände in die Hüfte und blickte sie erwartungsvoll an.
Aveline nickte. Ihr war zwar kalt, aber sie wollte sich diese Chance nicht entgehen lassen. Hjalmar schenkte ihr ein Lächeln. Er freute sich offensichtlich über ihre Bereitschaft, mehr über die normannischen Kampfkünste zu lernen.
„Die wichtigste Regel im Zweikampf ist diese", begann er sodann. „Lass deinen Feind nie aus den Augen. Fokussier dich auf dein Gegenüber, durchbohre es mit deinen Augen. Wage es nicht, zu blinzeln. Jede Unachtsamkeit kann dein Untergang sein."
Er umkreiste Aveline. Sie folgte seinen Bewegungen und hörte seinen Worten konzentriert zu. Er zeigte ihr Bewegungen vor, die ein potenzieller Angreifer machen könnte und erklärte ihr, wie sie reagieren sollte.
„Versuche die Bewegungen deines Angreifers zu spiegeln. Probiere zu erahnen, was er will, wie er sich bewegen wird."
Sie übten verschiedene Szenarien. Hjalmar packte nie richtig zu, er imitierte bloss die Attacken und liess ihr genug Zeit, um die Bewegungen intuitiv abzuwehren. Es machte ihr Spass, den Ernstfall zu üben, ohne dabei eine Verletzung zu riskieren. Alles, was Hjalmar ihr hier zeigte, war für Aveline unglaublich wertvoll.
Wenn sie bald ihr eigenes Leben zurückbekommen sollte, dann wollte sie sich auch selbstbewusster und stärker in dieser brutalen Welt bewegen können. Dazu gehörte nun mal, sich gegen Angreifer verteidigen zu können.
Die Luft war frisch und die dicken Schneeflocken fielen unentwegt vom grauen Himmel. Sie übten den Zweikampf bis es dämmerte und die wachsende Dunkelheit sie zurück in die warme Wohnstube scheuchte.
○○○
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro