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21 - Herbst

Der Aquavit zeigte volle Wirkung und liess Aveline in einen traumlosen Schlaf abdriften. Rurik hatte nicht zu wenig versprochen. Sie schlief tief und fest. So fest, dass Salka im Zimmer bleiben wollte, um ihre Atmung zu prüfen. Währenddessen löschte Hjalmar mit der Hilfe von anderen Dorfbewohnern das Feuer am Arbeiterhaus.

Rurik bot seiner erschöpften Schwester an, die Nachtwache zu übernehmen, denn sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und wirkte niedergeschlagen. Dieser schreckliche Tag hatte schon genug an ihren Kräften genagt und in ihrem Zustand sollte sie sich nicht verausgaben.

Rurik schob Salka aus dem Zimmer, legte sich ein Fell auf dem Boden seines Schlafzimmers zurecht und lehnte seinen Rücken an den Rahmen seines Bettes. Seufzend legte er den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke, während er Avelines Atemzügen zuhörte. Seine Gedanken kreisten im Rhythmus ihrer Atmung.

Sein Kater und seine Kopfschmerzen waren durch die ganze Aufregung verflogen. Er war hellwach. Hellwach und immer noch so unglaublich wütend. Der Boden, auf dem er sass war hart und unbequem. Viel Schlaf würde er in dieser Nacht wohl nicht bekommen. Er warf einen Blick über die Schulter. Avelines vor Schmerz und Schock verzerrtes Gesicht wirkte beinahe friedlich, jetzt, wo sie endlich zur Ruhe gekommen war. Bei dem Anblick flaute die Wut in ihm allmählich ab.

Sie lebte und atmete. Wie Hjalmar gesagt hatte: Das war alles, was in dem Moment gerade zählte.

Rurik wandte sich von der Sklavin in seinem Bett ab und starrte auf seine Hände. Sie waren blutig und schmutzig. Selbst unter seinen Fingernägel klebte Dreck. Er würde ein langes Bad nehmen müssen, um den Rauch und die Überreste des Kampfes von seinem Körper zu waschen.

Ein leises Stöhnen liess ihn aufhorchen. Aveline bewegte sich auf der Liege. Den Kopf warf sie von einer Seite auf die andere. Ihr Stöhnen wurde lauter. Rurik richtete sich auf und setzte sich auf die Bettkante.

Sie schlief noch. Ein schlechter Traum musste sie plagen. Er griff ihr an den Oberarm und schüttelte sie wach.

Ihre Lider flatterten.

„Nimm noch einen Schluck", sagte er und hielt ihr den Beutel Aquavit an die Lippen.

Sie legte ihre Hand auf seine und trank drei grosszügige Schlucke. Immerhin war ihr Leib nicht mehr so kalt, wie davor, bemerkte Rurik. Wimmernd liess sie sich wieder in die Kissen fallen.

Salka hatte ihm von den schlimmen Brandwunden an ihren Fusssohlen erzählt. Diese schwedischen Hunde mussten ihr die Füsse verglüht haben. Vorsichtig schob er die Decke über ihre Beine, nur bis zu den Knien, sodass der Rest ihres Körpers in der Wärme blieb. Ihre Füsse waren in dicke Verbände gewickelt worden. Salka hatte ganze Arbeit geleistet.

An den Flecken auf dem Leinen sah er jedoch, dass ihre Wunden durch den Stoff nässten. Er musste den Verband wechseln, sonst riskierte sie an einer Entzündung zu sterben.

Er legte seine Hand an ihr rechtes Schienbein. Sie zuckte leicht zusammen, ihre Augen richteten sich sofort auf ihn.

„Keine Angst", flüsterte er. „Ich will dir nicht wehtun." Ihre Augen lagen noch immer auf ihm, als wiege sie seine Worte ab. Die Angst glänzte darin. „Ich will nur deine Wunden abtupfen", fügte er hinzu.

Rurik gab ihr Zeit, sich an seine Berührung zu gewöhnen. Als sie keine Anstalten machte, ihn davon abzuhalten, führte er seine Hand zu ihrem Fuss und wickelte seine Finger um ihren Knöchel. Sie liess ihn gewähren.

Den Fuss hob er etwas hoch, während er mit konzentrierten Bewegungen den Verband aufwickelte. Das Wundwasser hatte sich fest in den Stoff eingesogen. Avelines Fuss zitterte, als sich der Verband von ihrem verbrannten Fleisch löste.

Rurik zog laut die Luft ein.

Weisse Blasen prangten an den Fusssohlen, die Haut an den Zehen war braun und zerrissen. Das Fleisch ihres Fusses lag bar und der Luft ausgesetzt vor ihm. Eine grässliche Wunde war das. Schrecklicher als manche Kriegsverletzungen, die er gesehen hatte.

Aveline schluchzte, als er damit begann, ihre Sohlen mit einem sauberen Tuch abzutupfen. Er war schwer darum bemüht, ihre Verletzung nicht mit seinen schmutzigen Händen zu streifen. Aveline verkrampfte sich unter seiner Berührung. Rurik trocknete ihre Wunde ab und stellte sicher, dass kein Schmutz sich darauf absetzen konnte. Dann wickelte er einen frischen Verband um ihre Sohle. Dasselbe tat er mit ihrem zweiten Fuss, bis sie ihre Beine zu sich heranzog.

„Bitte, aufhören", flehte sie. „Es tut so weh."

Rurik entsorgte die vollgesogenen Stoffe und gab ihr mehr von dem Alkohol zu trinken. Er wartete, bis ihr Bewusstsein davon driftete, danach setzte er sich wieder auf den Boden. Er verschränkte die Arme und starrte an die Wand vor sich, während die Gedanken in seinem Kopf zu schwirren begannen.

Warum hatten diese Schweden Vestervig angegriffen? Möglicherweise waren das Männer vom diesem dubiosen Gustav dem Blauen, dachte er sich. Was hatten sie damit beabsichtigt? Eine Kriegserklärung des Schweden vielleicht, oder nur ein taktischer Schachzug eines Rivalen aus anderen jütländischen Gebieten, der Ragnar Sigurdson zu schwächen versuchte?

Die Nachricht, Ragnar hätte neue und besonders reiche Ländereien entdeckt und sei mit prunkvollen Schätzen zurückgekehrt, hatte sich in Jütland wie ein Lauffeuer verbreitet. In jedem noch so kleinen Städtchen sprach man von den grossen Abenteuern Ragnars und von seinem kriegerischen Geschick. Das wurde von manch Jarlen natürlich ungern gesehen. Ein Konkurrent, ein Rivale, der ihnen ihre Position streitig machen könnte und durch den sie sich in Bedrängnis gesetzt fühlten. Auch so ein Jarl hätte einen hinterlistigen Angriff auf Vestervig geplant haben können. Vielleicht waren diese Schweden nur Legionäre im Auftrag eines Jütländers und keine Männer Gustavs.

Rurik seufzte. Die Fragen würden eine Weile noch unbeantwortet bleiben — das wusste er. Dennoch entschied er sich, in der Früh den toten Körper des unbekannten Mannes zu untersuchen, der mitsamt Richards Leichnam noch immer auf ihrem Hofplatz lag. Beim Gedanken an den verstorbenen Gehilfen ballte Rurik die Fäuste.

Er hatte Richard als Helfer auf dem Hof sehr geschätzt, auch wenn er es ihm nicht immer zeigen konnte. Richard hatte mit seinem Humor und seiner aufrichtigen Art viel zur Harmonie in ihrer Familie beigetragen. Rurik konnte sich nicht erinnern, Richard jemals klagen gehört zu haben. Er hatte seine Arbeit immer mit Ernsthaftigkeit und Hingabe erledigt.

Für Rurik war klar, dass Richard eine würdevolle Beisetzung verdient hatte und er wollte sicherstellen, dass er dies bekam. Das war er ihm schuldig.

Aveline murmelte etwas im Schlaf, weshalb Rurik einen prüfenden Blick über seine Schulter warf. Ihre Gesichtszüge hatten sich wieder entspannt. Nichts war mehr von der Angst zu sehen, die davor, als er sie angefasst hatte, kurz aufgeblitzt war.

Rurik knurrte. Er wollte diesen Ausdruck nicht wieder in ihren Augen sehen. Ihr Gesicht strahlte, wenn sie lächelte. Dieses Lächeln — welches sie meist nur Richard geschenkt hatte — konnte tatsächlich Herzen erwärmen. Rurik hatte die beiden manchmal heimlich beobachtet und vermutete, dass der Effekt ihres schönen Lächelns der Hauptgrund für Richards plumpe Witze war. Er wollte sie zum Lachen bringen, um diese Wärme zu spüren.

Aber nun war alles anders.

Richard war nicht mehr da und das Strahlen war gänzlich aus Avelines Gesicht verschwunden.

Rurik strich sich seine Haare nach hinten. Ihn plagte sein schlechtes Gewissen, dass er nicht mehr darauf gedrängt hatte, vom Thing früher zurückzureiten. Vielleicht hätte Richard dann noch gelebt und er hätte sie alle retten können. Wenn er doch bloss stur geblieben wäre, dann wäre all das vielleicht gar nicht passiert!

・・・

Unendlich lange verharrte Rurik am Boden. Seine Gedanken schwangen vor und zurück, aber der Schlaf wollte ihn einfach nicht übermannen. Also stand er auf und streckte seine müden Glieder. Aveline schlief still auf seinem Bett und regte sich nicht.

So leise, wie es für ihn möglich war, richtete Rurik sein Zimmer wieder her. Stellte die Gegenstände an ihren ursprünglichen Platz und wischte die Splitter in eine Ecke.

Da fiel ihm auf, dass seine Jagdausrüstung fehlte. Er kniete sich auf den Boden hin und spähte unter sein Bett.

Da war nichts.

Sicherheitshalber durchsuchte er alle seine Sachen zweimal, aber fand wieder nichts.

Er verliess sein Zimmer und stöberte in der Wohnstube. Jedoch war auch dort keine Spur von seinem Köcher zu finden.

Rurik stützte die Hände in die Hüfte. Er bezweifelte, dass die Schurken seine Ausrüstung stehlen wollten. So ein Pfeilbogen war keine effiziente Waffe für einen Krieger. Es war ein Werkzeug für einen Jäger.

Er beschloss, draussen nachzuschauen.

Der Vollmond leuchtete wie eine helle Kugel in der schwarzen Nacht, als Rurik in die Kälte trat. Die Balken des Arbeiterhauses rauchten noch immer. Ein Gestank nach verbranntem Holz und nasser Kohle waberte in der Luft. Rurik schritt über den Hof und hielt auf dem Boden Ausschau. Weit und breit nichts.

Das konnte doch nicht sein! Er war sich sicher, dass er seine Ausrüstung in seinem Zimmer gelassen hatte.

Beim Waldrand angekommen, starrte er in die dunklen Schatten, welche die Bäume auf die Erde warfen. Wenn der Kerl, der ihnen entwischt war, irgendwo da im Wald herumlungerte, dann würde er ihn einfangen. Das schwor er sich.

Die Wut begann wieder in Ruriks Magen zu brodeln. Wie sehr er es hasste, so machtlos zu sein! Er wollte handeln, wollte etwas tun und zwar so schnell es ging. Richards Tod musste gerächt und die Würde seiner Familie wieder hergestellt werden. Dieser Bastard würde für diese Tat mit seinem Leben bezahlen und Rurik persönlich wollte derjenige sein, der ihm den Kopf vom Körper trennte.

Er wandte sich vom Wald ab, um wieder ins Wohnhaus zurückzukehren, da entdeckte er ein helles Häufchen, das am Waldrand in der Dunkelheit lag. Er staunte nicht schlecht, als er seinen Bogen, seine Pfeile, einen Wolfspelz und einen Beutel voll Pilze vorfand. Als hätte sie jemand dort aus irgendeinem Grund platziert.

Er hob die Gegenstände auf und kehrte in sein Zimmer zurück, ohne sich weitere Gedanken über seinen Fund zu machen. Das hatte alles Zeit für den nächsten Tag.

Als er sich auf dem Boden der Länge nach hinlegte, fiel auch er irgendwann erschöpft in den Schlaf.

・・・

Der Geruch von Tannennadeln und Harz liess Aveline die Augen aufschlagen. Jemand legte die Decke, welche sie mit den Füssen in der Nacht weggetreten haben musste, wieder über sie. Sie sah die Welt bloss durch einen milchigen Schleier.

„Schlaf." Es war Rurik, der sprach. Seine warme Hand lag auf ihrer Schulter.

Aveline rollte sich zur Seite und schloss die Augen. Sie war so unendlich erschöpft. Es fühlte sich an, als ob ihr Körper sich gegen das Wachsein sträubte. Sie wollte sich nicht der Realität stellen.

Alles war besser, als bei Bewusstsein zu sein.

„D-Der Beutel?", murmelte sie, ohne zu wissen, ob Rurik noch neben ihr sass.

„Ist leer", kam die Antwort. „Du wirst ohne den Trunk auskommen müssen."

Die Worte waren wie ein Schlag in den Bauch. Kaum hatte er das gesagt, meinte Aveline ihre Füsse stärker zu spüren. Das unaufhörliche Stechen in ihren Sohlen wuchs an, wurde immer spitzer und heisser.

Sie kniff die Augen zusammen und krallte ihre Finger in die Decke. Wenn sie bloss zurück in diese Taubheit fallen konnte, in welche sie der Nelkenschnaps befördert hatte. So könnte sie mindestens für eine Weile vergessen, dass der gestrige Tag kein Albtraum gewesen war. So könnte sie verdrängen, dass all das wirklich passiert war.

Richard — tot.

Ihre Freiheit — verloren.

Tränen liefen ihr über die Wangen bei den Erinnerungen an die schrecklichen Szenen, die Gesichter dieser Kerle, die Berührungen, das Gefühl der glühenden Axt an ihren Zehen. Ein Schluchzer kroch ihre Kehle hoch und löste sich.

„Ruh dich aus."

Das war alles, was Rurik sagte. Am Rascheln des roten Tuches vor dem Zimmer, vernahm Aveline, dass er sein Gemach verlassen haben musste. Aus der Wohnstube drangen Stimmen zu ihr heran. Zwar gedämpft, aber klar genug, sodass sie lauschen konnte.

„Bist du dir sicher, dass du mitgehen willst?", hörte sie Salka fragen.

Schwere Schritte, die durch die Wohnstube marschierten. „Ragnar hat Freiwillige gesucht", knurrte Rurik. „Er will ihre Köpfe haben. Ich werde es mir nicht nehmen lassen, diese Schurken zu finden und zu richten."

Salka liess ein Seufzen hören. „Bitte sei vorsichtig. Wir haben soeben Richard beigesetzt. Wir wollen in dieser Familie nicht noch jemanden verlieren."

Stille.

Dann: „Ja, Schwester."

„Ich meine es ernst, Rurik", beharrte Salka mit diesem Ton in der Stimme, den sie immer dann aufsetzte, wenn sie gehört werden wollte. „Schau mich an." Ein genervtes Schnauben. „Komm zurück. Wir brauchen dich hier."

„Werde ich."

Die Eingangstür fiel ins Schloss.

・・・

Als Aveline abermals erwachte, wusste sie nicht, wie viel Zeit vergangen war. Es war ungewöhnlich Still im Wohnhaus. Doch es war ihr einerlei. Sie wollte dieses Bett nicht mehr verlassen.

Ruriks Geruch, den sie schon eingeatmete hatte, als er ihr damals auf dem Schiff seinen Umhang mit Brosche um die Schultern gelegt hatte, umhüllte sie. Sie sog sein Aroma tief durch die Nase ein, füllte ihre Lungen damit. So fest sie konnte. Es wirkte betäubend und dämpfte ihre Schmerzen — zumindest glaubte sie das.

Sie schloss die Augen und vergrub ihr Gesicht in seinem Kissen. Wenn man ihr schon keinen Schnaps mehr brachte, dann würde sie ihre Sinne damit benebeln.

・・・

Ein Poltern aus der Wohnstube. Hjalmar fluchte laut und anstössig. Den Geräuschen zufolge musste er an irgendetwas herumwerkeln.

Aveline zog die Decke über den Kopf, um den Lärm zu dämpfen. Es waren bereits drei Tage seit dem Überfall vergangen. Aveline hatte kein einziges Mal das Zimmer verlassen. Sie wollte nicht. Sie konnte nicht.

Jeden Abend kam Salka zu ihr ans Bett und bot ihr eine kräftigende Suppe an, welche Aveline jedes Mal mit einem Kopfschütteln ablehnte. Sie wollte sich nicht stärken.

Wofür denn? Für das schreckliche Leben in Gefangenschaft, das ihr weiter blühte? Wahrlich — dafür wollte sie nicht am Leben bleiben. Nicht jetzt, wo ihr die Fähigkeit zum Gehen geraubt worden war.

Aveline sprach nicht mehr. Mit niemandem.

Selbst wenn Salka sich neben sie aufs Bett setzte, ihr die Strähnen aus dem verschwitzten Gesicht wischte und ihr eine Göttergeschichte erzählte, starrte Aveline bloss desinteressiert an die Decke. Das Wechseln ihrer Verbände liess sie zähneknirschend über sich ergehen. Auch wenn Salka sie wusch und ihr einen Nachttopf reichte, schwieg sie.

Sie schwieg, während ihr Herz und ihre Seele nur weiter zerfielen, bis nichts mehr von ihr übrig blieb. Sie war bloss eine leere Hülle.

„Aveline", sagte Salka eines Abends. „Es würde uns wirklich sehr helfen, wenn du uns sagen könntest, wie wir deine Wunden behandeln können?" Ihr Blick fiel dabei auf die verbrannten Füsse, welche nur schleppend heilten. Salkas Augenbrauen zogen sich bei dem Anblick schmerzlich zusammen.

„Du hast das Wissen", sagte sie. Es klang wie ein Flehen. „Du weisst doch bestimmt, welches Kraut wir zerstossen oder kochen müssen, damit wir dir helfen können."

Aveline blickte ihre Herrin lange an. Dann drehte sie sich wortlos im Bett um und wartete, bis Salka das Zimmer wieder verlassen hatte.

Sie hörte, wie ihre Herrin in dieser Nacht schrecklich weinen musste.

Es war ihr egal.

Es spielte alles keine Rolle mehr.

・・・

Am fünften Tag klopfte Besuch an die Türe des Wohnhauses.

„Was willst du?", hörte Aveline Hjalmar murren. Er klang nicht begeistert.

„Ich muss zu Rurik."

Aveline verkrampfte sich augenblicklich, als sie die Stimme erkannte. Inga!

„Dieser Dummkopf hat schon seit Tagen nichts von sich hören lassen", sagte die Normannin. „Wo ist er?" Ihre Frage zischte sie wie eine Schlange.

„Er ist nicht da."

„Du lügst doch!", rief Inga.

Schnelle Schritte und das Tuch zu Ruriks Zimmer wurde aufgeschlagen. Inga trat ungefragt herein. „Er versteckt sich doch wieder vor mir!", fauchte sie.

Als sie die Sklavin in Ruriks Bett erblickte, riss sie die Augen weit auf. So weit, dass man das Weiss ihrer Augäpfel deutlich sehen konnte. Ihre Kinnlade klappte auf.

Aveline setzte sich auf und lehnte ihren Oberkörper an den Kopf des Bettes.

Inga schien endlich wieder ihre Sprache zu finden. „Was soll das?", herrschte sie Aveline an. „Was machst du im Bett meines Freundes?"

Ihre Stimme war schrill, es schmerzte in den Ohren. Aveline strich die Decke auf ihren Beinen glatt. Eine langsame Bewegung und hob dann den Blick um dem giftigen Augen der Wikingerin zu begegnen.

„Ich fasse es nicht!", stiess Inga aus, bevor Aveline überhaupt etwas sagen konnte.

Hjalmar kam ins Zimmer. Er bemerkte den unfreundlichen Blickaustausch, den sich die zwei Frauen lieferten und räusperte sich.

„Aveline schläft vorübergehend hier", grummelte er. „Wie du bestimmt gesehen hast, ist unser Schuppen abgebrannt. Rurik ist nicht da, weil er auf Anordnung von Ragnar die Schweden nach Naströnd jagt." Inga warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „In der Zeit schläft Aveline in seinem Bett, bis ich ihr ein eigenes Schlafgemach gezimmert habe."

Inga nickte wortlos. Ihre Mundwinkel, die sie arg nach unten zog, zeigten jedoch deutlich, dass sie dennoch nicht glücklich über diese Umstände war.

„So, so", sagte sie dann.

Hjalmar verliess das Zimmer wieder, denn er hatte offensichtlich Besseres zu tun.

Inga ging ums Bett herum und stellte sich an den Rand, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Haare trug sie offen. Die blonden Strähnen glänzten golden. Aveline starrte wortlos zurück.

Sie waren alleine im Haus. Salka hatte sich in der Früh verabschiedet, denn sie wollte in die Stadt und Hjalmar begann draussen Holz zu hacken.

„Und was ist mit dir passiert?"

Aveline spürte, wie Ingas Blick über ihre verbundenen Füsse schweifte und über ihr geschwollenes Gesicht und die blauen, violetten Flecken fuhr, die sich darauf befinden mussten.

„Haben dich die Schweden etwa zusammengedroschen?"

Eine unnötige Frage. Aveline schwieg, was Inga nicht zu stören schien.

„Du hast Glück, weisst du", sagte sie mit süsser Stimme. „Immerhin lebst du noch. Meine Sklavin haben die aufgespiesst, durch ihre ... na du weisst sicher, was ich meine." Ein Augenzwinkern.

„Ich lebe nicht", erwiderte Aveline. „Nicht wirklich ..." Ihre ersten Worte seit langem. Inga wusste nicht, welch Ehre ihr hier gebührte.

Die Wikingerin wurde hellhörig. Ein breites Grinsen zeichnete sich auf ihren Lippen ab. „Wie meinst du das? Dass du nicht mehr existieren willst?"

Aveline nickte und liess zu, dass die Tränen, die ihr in die Augen schossen, über ihre Wangen liefen. Es war ihr einerlei, dass sie sich vor dieser Normannin, die sie nicht mochte, so schwach zeigte. Sie konnte eh nichts mehr verlieren.

Inga schwieg, den Blick stets auf sie gerichtet. Dann nickte sie. „Verstehe."

Aveline wischte sich die Tränen vom Gesicht und hob ihr Kinn. „Du kannst mir helfen", flüsterte sie, denn sie befürchtete, dass Hjalmar sie hören konnte. Das Hacken war draussen allerdings noch immer zu hören — ein Beweis dafür, dass er kein Wort von diesem Gespräch mitbekam.

Ich?", stiess Inga aus und lachte. „Dir helfen? Warum im Namen unserer Götter sollte ich das tun?"

„Damit du mich loswerden kannst."

Ingas Mundwinkel schossen in die Höhe. Einen Moment blieb sie still und schien zu überlegen. Dann stütze sie ihre Arme in die Hüfte. „Ich höre."

Aveline holte tief Luft und begann zu erklären. Sie erzählte ihr von ihrer Idee, an welcher sie seit zwei Tagen schon schmiedete. Inga hörte gespannt zu und stellte hie und da Verständnisfragen. Am Ende nickte die blonde Normannin gar freundlich. Unglaublich, wie schnell Aveline die junge Wikingerin von ihrem Plan überzeugt hatte.

Sie musste ihr nur erklären, welche Farbe und Form der Pilz hatte, den sie brauchte. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob diese Sorte tatsächlich in den Wäldern dieser Gegend überhaupt wuchs, aber Inga meinte, sie hätte die schon einmal gesehen.

„Nicht weit von hier im Wald gibt es eine Lichtung", sagte Aveline. „Etwa hundert Schritte rechts von der grossen Abzweigung. Dort habe ich Pilze wachsen sehen, vielleicht findest du sie dort."

Inga nickte. „Ich kenne die Lichtung", meinte sie grinsend, sodass ihre Zahnlücke sichtbar wurde. „Da habe ich Rurik im Sommer schon mal gevögelt."

Für Aveline war diese Information unwesentlich. Hauptsache die Frau wusste, wohin sie gehen musste.

Inga sputete aus dem Haus. Aveline hoffte, dass weder Hjalmar noch Salka in den nächsten Augenblicken zurückkommen würden. Das sollte ein Geheimnis zwischen ihr und Inga bleiben. Für immer.

Wie schnell doch Feindin zu Freundin werden konnte.

Sie wartete auf die Rückkehr ihrer neu gewonnenen Komplizin. Die Brandwunden an ihren Sohlen waren verkrustet und sie spürte den Puls in ihren Füssen. Unerträglich dieser Schmerz. Auch jetzt noch, so viele Tage nach dem Überfall.

Aveline schloss die Augen und atmete durch den Mund. Nicht mehr lange und sie konnte diesen Ort endlich verlassen. Wenn sich Inga doch nur beeilen würde!

Nach einer Weile kam die Wikingerin mit einer Handvoll grüner Knollenblätterpilze zurück. Sie war etwas ausser Atem und warf die Pilze aufs Bett.

„Bitteschön", sagte sie triumphierend.

„Dankeschön", antwortete Aveline matt.

Inga zögerte, als sie das Zimmer verliess. Sie blieb an der Türschwelle stehen. „Was wird passieren?", wollte sie wissen.

Aveline starrte auf die Pilze.

„Wenn ich die esse", sagte sie, „werde ich nach einiger Zeit erbrechen müssen und schreckliche Bauchschmerzen bekommen. Dies wird nach etwa vier Tagen vergehen, aber danach werde ich schläfriger und schläfriger werden. Mein Herz wird mir hart und unregelmässig in der Brust schlagen, das Atmen wird mir schwerfallen." Inga lächelte. „Am Ende werde ich wohl an meiner Zunge ersticken."

„Niemand wird merken, dass ich dir das gegeben habe?"

Aveline schüttelte den Kopf. „Nein. Niemand", erwiderte sie. „Dafür wird genug Zeit verstreichen."

„Gut", sagte Inga und verliess das Haus, ohne die Fränkin noch ein letztes Mal eines Blickes zu würdigen.

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