Unexpected
Liam hielt mich nach wie vor in seinen Armen. Er war meine Wohlfühloase. Der Mensch, bei dem ich mich zur Zeit am geborgensten fühlte. Weit weg von all meinen Pflichten. Und das, obwohl ich ihn erst seit ein paar Tagen kannte. Ich schloss meine Augen und genoss seine Umarmung. Aber nach einigen Augenblicken strich ich ihm über seinen Arm und blickte ihm in seine Augen. Ich wollte anfingen zu sprechen, und ihm meine Tränen erklären, aber er legte mir nur den Finger auf den Mund und meinte: "Ich weiß, was passiert ist. Und es tut mir so leid. Ich bin immer für dich da, Leonia. Immer." Diese Worte entlockten mir ein Lächeln. Es war so schön, er war so schön. Dennoch befreite ich mich aus seiner Geborgenheit und lief in den Palast. "Wir sehen uns später. Ich schreibe dir einen Brief", flüsterte ich ihm im Vorbeigehen noch ins Ohr. Kaum war ich durch die Palasttore gegangen, war ich schon von mehreren Angestellten, so auch Dads Assistent umringt. "Eure Majestät", hier, "Eure Majestät", dort. Aber ich griff mir Dads Assistent und ging mit ihm in das Büro meines Vaters. Dort angekommen verbeugte er sich und setzte sich mir gegenüber an Dads gigantischen Schreibtisch. Ich war vollkommen verunsichert. Ich war noch nie in solch einer Lage gewesen. Erwartungsvoll schaute er mich an. "Ich habe leider überhaupt keine Ahnung, was mein Vater immer mit Ihnen besprochen hat." Also erklärte er mir sein Tätigkeitsgebiet, Öffentlichkeitsarbeit, Terminplaner,... Schon vom Zuhören wurde mir ganz schlecht. "Wir müssen eine Pressemitteilung herausgeben bzgl der aktuellen Situation. Aber am besten überbringen Sie diese Nachricht persönlich dem Volk. Und falls es Ihnen nicht zu knapp ist, wäre heute Abend am besten." Ich nickte nur. Genau dasselbe hatte ich mir schon gedacht. "Bekomme ich einen Text?" Auf meine Frage hin nickte er. "Gut", beruhigt gingen wir die restliche Agenda durch und ich entspannte mich immer mehr. Dads Assistent, Mario, war ein wirklich umgänglicher, netter Mensch. Vielleicht konnte ich ihn ja dann übernehmen. Er war nämlich schon bestens mit der Arbeit vertraut... Aber das hatte ja noch Zeit.
Der Abend rückte immer näher. Ich wurde so nervös, noch nie hatte ich live vor Kameras gesprochen. Ich war zwar manchmal von der Presse umringt gewesen, fotografiert worden, aber ich hatte noch nie ein Interview gegeben oder sonstiges. Das wäre also mein erstes Mal. Zwar hatte ich meinen Text bis aufs Geht nicht mehr auswendig gelernt, aber er fühlte sich nicht richtig an. Ob Dad gelernte Texte aufsagte? Es klang jedenfalls nie so. Er war immer voll mit dem Herzen bei der Sache und ich wollte meine Sache genauso gut machen wie er. Ich würde den mir vorgeschriebenen Text vergessen und meine eigenen, persönlichen Worte an mein Volk richten. Das war ich ihnen schuldig. Das war ich meinen Eltern schuldig, meinem Dad. Einfach allen und es fühlte sich richtig an. Ich hatte ein wunderschönes cremeweißes Kleid an, in Anlehnung an das Hochzeitskleid meiner Mum. Ich fühlte mich wunderschön. Und ich hatte eine Krone auf. Solch eine große hatte ich noch nie getragen. Das wiederum fühlte sich falsch an. Einfach nur falsch. Ich sah nicht mehr mich darin. Ich sah eine junge, erwachsene, verantwortungsbewusste Frau. Aber das war ich nicht. Das Kleid, das entsprach zu 100% meinem Naturell, aber die Krone, nein, das war einfach nicht ich. Ich setzte sie ab und betrachtete mich im Spiegel. Schon viel besser. "Noch fünf Minuten", hörte ich da und ich begab mich auf die Bühne. Überall verbeugte man sich vor mir und ich nickte hoheitsvoll. Ich nahm auf dem Stuhl Platz und blickte direkt in die Kamera. Nach einer Weile hob jemand drei Finger und zählte langsam runter. Wir waren live. Ich starrte verdutzt in die Kamera. "Guten Abend meine Damen und Herren", begann ich und stockte. "Ich hoffe, Ihnen allen geht es gut. Mir geht es leider nicht so besonders, denn ich selbst muss eine furchtbare Nachricht verkraften und sie Ihnen mitteilen. Es geht um meinen Vater, König Stefan. Mein Dad hatte heute einen Termin beim spanischen Königshaus, zu dem er mit dem Flugzeug geflogen ist. Nur leider ist das Flugzeug über der spanischen Grenze abgestürzt." Bei diesen Worten kamen mir wieder Tränen in die Augen. Schnell wischte ich sie weg. "Mein Vater hat das ganze knapp überlebt, liegt aber nach wie vor im Koma. Meine Mutter ist so schnell sie konnte zu ihm." Ich verzog meine Lippen zu einem kleinen Lächeln. "Aber mein Vater", ich wischte mir abermals Tränen aus den Augen, "er ist nach wie vor nicht über den Berg. Mich, als seine Tochter, betrifft das natürlich sehr. Wir können nur noch hoffen, dass er wieder ganz gesund wird, allerdings wird seine Genesung Zeit brauchen, Zeit, die er in Regierungsgeschäften ganz sicherlich nicht hat." Ich räusperte mich und schaute gerade in die Kamera. "Deswegen werde ich diese fürs Erste für ihn übernehmen. Morgen werde ich zur Prinzessinnenregentin gekrönt und für die Dauer seiner Genesung seine Pflichten übernehmen." Ich schluckte schwer. "Natürlich bin ich noch nicht so erprobt wie er und muss das alles erst noch lernen. Und ich muss ganz offen und ehrlich zugeben, die Fußstapfen, die mein Vater hinterlassen hat, sind riesig. Verständlicherweise werde ich mein Bestes tun, um meinen Vater würdig zu vertreten, aber ich bitte Sie, sehen Sie es mir nach. Und die für mich wichtigste Bitte ist, beten Sie für meinen Vater, Ihren König, dass er so schnell wie möglich wieder gesund ist. Dafür möchte ich mich schon von Herzen bei Ihnen bedanken." Ich nickte und wollte von meinem Platz aufstehen, aber der Regisseur bedeutete mir, mich nochmals hinzusetzen. Nach kurzer Zeit verstand ich dann auch, warum. Mir wurden noch Fragen gestellt. Schrecklich, zwar nur ausgesuchte, aber trotzdem. Schrecklich. "Erst einmal möchte ich Ihnen versichern, dass ich für Ihren Vater, meinen König, beten werde. Das was passiert ist, ist schrecklich", las der Regisseur vor. Ich nickte und lächelte ein wenig. Dad würde bestimmt gesund werden, wenn so viele Menschen dafür beteten. "Aber nun eine Frage: Wie sieht es mit Ihrer Suche nach einem Ehemann aus? Schon fündig geworden?" Das war eine erstaunlich direkte und konkrete Frage, aber sie war verständlich. Schließlich interessierten sich die Leute für mein Privatleben. Ich antwortete nicht gleich. "Ich kann nur so viel sagen, es gibt definitiv ein paar von ihnen, mit denen ich mir ein zukünftiges Leben gut vorstellen kann und die genauso viele Güte besitzen, wie mein Vater und sicherlich ein würdiger Prinzgemahl sein wird. Seien Sie versichert, ich werde nicht nur an mich denken, sondern auch an Sie." Das war das Einzige, was ich zu der Frage sagte und beantwortete andere Fragen, die konkret um die Aufgaben gingen, die ich zu erledigen hatte. Das Ganze zog sich und zog sich. Nach gefühlten Stunden war ich endlich fertig und konnte aufstehen. Vor dem Raum warteten schon meine Geschwister und neben ihnen stand...
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