56| Symbolischer Mord
Und manchmal, da waren die eigenen Gedanken ein so großes Wirrwarr, dass man nichts mit ihnen anzufangen wusste. Man fühlte sich überfordert mit jedem Teil, welchen man im Kopf hatte. War unfähig, verschiedene Punkte miteinander zu verknüpfen. Die Verzweiflung war das einzige, was in dem Kopf hervorstach, neben der panischen Angst. Und irgendwann, da hörte man auf, sich dagegen zu wehren und ließ sich von der Ahnungslosigkeit umhüllen.
Denn manchmal war es besser, nichts zu wissen. Und doch würde sich keiner sicher fühlen, wenn er nichts wusste. Er würde nicht merken, dass es zu seinem Besten war und es erst im Nachhinein so empfinden können. So wusste ich zuvor nicht, was auf mich zukommen würde.
Nun wusste ich es und ich bereute es, hierhergekommen zu sein. Zwar war es mir lieber, anstelle meiner Freunde zu leiden, aber auf die ganze Situation zu verzichten wäre mir dann doch am liebsten.
„Es wird wohl langsam Zeit. Weißt du, was deine letzte Aufgabe ist? Du sollst schweigen. Kein Wort mehr. Verstanden?"
Mein Blut gefror. Mein Herz setzte aus. Mein Atem stockte. Es war keine schwere Aufgabe an sich, aber sie nagte an meiner Psyche. Erneut schweigen, wenn ich gerade erst aus mir gebrochen war? Wie sollte ich das verdammt noch einmal tun? All die Jahre hatte ich alles in mich gefressen, mich zerstört! Sollte ich nun wieder schweigen müssen, würde ich mich in den Selbstmord treiben; an die Grenze meiner Nerven. Das konnte ich einfach nicht zulassen. Ich musste versuchen, irgendwie Hilfe zu rufen. Irgendwie musste ich hier weg. Wäre es nicht verdammt noch einmal Nacht, wäre mir das leichter gelungen, weil das Display meines Handys definitiv nicht so auffallen würde.
Die Tür. Ich musste irgendwie zu der Tür gelangen. Die Tür zur Bar. Dazu musste ich Jack ablenken. Oder ihn bewusstlos schlagen.
Ich schluckte hart. Noch immer war ich nicht fähig dazu gewesen, überhaupt zu realisieren, dass Jack es war und ein großer Teil von mir wollte dies auch nicht akzeptieren. Viel zu sehr hatte ich ihn die letzten Monate in mein Herz geschlossen. Erneut zu realisieren, dass die ganze Freundschaft ein schlechter Scherz gewesen war. Ein Witz.
Alles war ein gottverdammtes Schauspiel mit mir als Hauptrolle. Das kleine, naive Mädchen, welches viel zu blind vertraute. Was war, wenn nicht nur Jack hinter dem kranken Arschloch steckte? Nathan, Jason, vielleicht sogar Mike und Andrew! Ja, sicher, ich hatte so wenig von ihnen gehört, kaum etwas mitbekommen!
Mein Inneres schmerzte mit einem Mal, als ich daran dachte, dass meine ganzen neuen Freundschaften gespielt sein könnten.
Nein, Claire. Nein. Hör auf damit. Du zerstörst dich. Hör auf, es tut weh. Denk daran, dass Nathan immer für dich da war. Jason hat dir nie etwas getan. Niemand hat dir etwas getan außer diesem gottverdammten Arschloch von Jack, also reiß dich bitte zusammen. Für uns!
Schnappartig versuchte ich, meinen Atem zu regulieren, aber viel zu sehr schmerzte es in meiner Brust. Ich wollte nicht mehr, weil mich das Pochen meines Rückens, meiner Wange und meines Kopfes in den Wahnsinn trieb. Jedoch durfte ich nicht aufgeben. Ich durfte nicht mein ganzes Leben wegschmeißen, wenn ich wusste, dass es Leute gab, die mich liebten. Dean würde furchtbar sauer auf mich sein, würde er erfahren, dass ich aufgegeben hätte.
Tief Luftholend blickte ich wieder auf zu Jack. Ein schalkhaftes Lächeln war stets auf seinen Lippen. Ich versuchte dennoch, ihm mit standfestem Blick entgegenzuschauen. Ich durfte jetzt bloß keine Angst zeigen, keine Furcht, denn dadurch hätte er augenblicklich gewonnen.
„Wie hast du immer erfahren können, ob ich darüber geredet habe?", fragte ich kalt und distanziert. Dass mein Inneres gerade auseinanderbrach musste ich ihm nicht verraten. Er zog wütend die Augenbrauen zusammen. „Hat dir jemand erlaubt, zu reden?", zischte er und holte mit seinem Bein aus, ehe er es vorschleudern ließ. Ich presste meine Augen krampfhaft zusammen und bereitete mich auf den kommenden Schmerzen vor.
Wenig später trat dieser auch ein und brutal wurde ich nach hinten geschleudert. Mein Rücken knallte erneut gegen die Wand und mir den Bauch haltend krümmte ich am Boden und lächelte bitter. Wer hätte gedacht, dass ich hier auf dem Boden enden würde wegen eines Jungens, den ich als meinen Freund bezeichnet hatte.
„Aber da dies deine letzte Stunde sein wird, erfülle ich dir deinen Wunsch, eine Antwort auf die Frage hinter meiner Genialität zu bekommen", redete er auf einmal stolz und strahlte mich förmlich an. Was zum...
„Weißt du", fing er an zu zwitschern, „Anfangs war ich mir wirklich unsicher über die ganze Sache. Ich wusste noch nicht einmal, ob du es bist, die ich suche. Nie hatte Vater deinen Nachnamen genannt und anfangs wusste ich nicht einmal, dass du Clarissa heißt. Natürlich habe ich dich trotzdem bereits angefangen zu stalken, als wir ungefähr vor zwei Jahren in die Zehnte kamen", zwinkerte er. "Aber sicher war ich mir nie. Dein Vorname hätte gestimmt. Also sieh es zumindest so, Schätzchen, dass ich nicht alles von Anfang an gespielt habe. Okay, vielleicht doch, ich mochte dich noch nie mit deiner gespielten Freundlichkeit. Ich wollte dich schon immer leiden sehen, aber als ich von deinem Zusammenbruch bei dem Gewitter gehört habe, hat sich für mich alles geklärt. Und endlich, nach einem ganzen Jahr, war ich froh, wenigstens einen Ansatz gefunden zu haben. Ich habe versucht, alles über dich herauszufinden. Aber so gut wie nichts. Was warst du auch für ein Teenager, welches kein Social Media hatte? Aber naja, deine kranken psychisch gestörten Zusammenbrüche haben mir dann alles verraten. Ich wusste, du warst es, die ich gesucht hatte.
Und da ich Genie meinen Plan bereits vorher geplant hatte, konnte ich direkt anfangen, ihn in die Tat umzusetzen. Erinnerst du dich an den Abend, an dem wir einen Horrorfilm gesehen haben? Ich war an dem Tag nicht früher gegangen, um meinem toten Vater einen Besuch abzustatten. Ich war in deinem Zimmer."
Die Erinnerungen strömten auf mich ein.
Meinen eigenen Worten widersprechend lief ich in das Badezimmer neben meinem Zimmer und schaute meinem müden Ich entgegen. Himmel, lief ich so schon den ganzen Tag herum? Meine Haare waren trocken verwuschelt und sahen so aus, als wären meine Spitzen zu komischen Nesten mutiert. Tiefe, dunkle Augenringe ließen bei mir den Eindruck erscheinen, als hätte ich seit Tagen kein Mal die Augen geschlossen gehabt. Zwar fühlte ich mich auch so, aber war es so, dass ich ab und zu geschlafen hatte, wenn auch abgehackt und schlecht.
Gepolter ließ mich zusammenzucken. Wer oder was war das? Ich fühlte mich plötzlich beobachtet, doch konnte ich niemanden erkennen, als ich mich umdrehte und mich umschaute. Die Tür war ebenfalls nicht auf und da das Badezimmer im ersten Stock war, schloss ich es aus, dass mich jemand aus dem Fenster heraus beobachtete.
Er war das Gepolter gewesen. Er war nebenan. Die ganze Zeit war er bei mir.
„Es war alles so leicht. Dein Vertrauen gewinnen, mit dir auf ein Möchtegerndate gehen. Als ich angeblich mit Logan telefoniert habe, habe ich nur darauf gewartet, dass du auch gehst. Wer hätte gedacht, dass du es mir so einfach machst und deine ganze Handtasche da liegen lässt? Natürlich war ich es, der dir die Mikros untergejubelt hat. In deinem Zimmer und in deiner Handtasche. Im Nachhinein hätte ich es besser verstecken sollen, weil dein scheiß Köter ihn ja gefunden hat.
Die Mikros haben mich mehr als tausend Euro gekostet für den großen Hörradius, es wäre mir also lieb, wenn du mir das Geld zurückgeben würdest. Oh verzeih, da bleibt dir keine Möglichkeit zu", lachte er amüsiert auf und fuhr sich dabei spielend verlegen durch die Haare. Er machte eine kurze Pause, in der er mich böse angrinste. „Aber keine Sorge, das kann ich mir auch selber bei Nathan abholen."
Ich stockte. War das eine Drohung? Ich hoffte für ihn nicht! „Arschloch. Dein Vater und du, ihr seid beide krank! Einfach nur krank!", schrie ich heiser und versuchte ihn mit imaginären Messern, welche aus meinen Augen schossen, zu ermorden.
Im Nachhinein würde ich vielleicht wieder so enden wie jetzt; verstört, weil ich jemanden umgebracht hatte, aber dieses Mädchen war im Gegensatz zu ihm unschuldig gewesen!
„Halt die Fresse", knurrte er, ehe er sich süffisant zu mir runterkniete. Krampfhaft suchte ich nach der Beherrschung meines Körpers, um das Zittern anzuhalten, doch es ging nicht. Stattdessen verließ ein erneutes Wimmern meinen Mund. Und so sehr ich versuchte, tapfer und stark zu bleiben, so wusste ich nur zu genau, wie es im Inneren bei mir aussah. Doch das musste ich jetzt verdrängen. Vergessen, dass es Jack war, welcher vor mir stand. Leichter gesagt als getan.
Seine Hand näherte sich mir. Ich versuchte noch, auf irgendeine Weise zu fliehen, doch war es hoffnungslos. Seine Hände griffen in meine Haare, krallten sich förmlich fest und zogen mich an ihnen hoch. Ein Schmerzensschrei verließ meinen Mund. Ich spürte jedes einzelne Haar, an welchem er zog. Wie es meine Nerven weiterstrapazierte, mich immer weiter an den Rand zog.
„Das wird jetzt lustig. Und vergiss nicht. Immer schön schweigen", kicherte er an meinem Ohr. Sein Gesicht war direkt neben meinem. Angeekelt wendete ich meinen Kopf ab, als ich plötzlich seine Zunge unter meinem Ohrläppchen spürte. „Lass mich los", forderte ich kraftlos und versuchte, seinen Griff aus meinen Haaren zu lösen.
Mit einem Mal verlor ich die Kontrolle. Alles ging so verdammt schnell, dass ich nicht anders konnte, als erneut aufzuschreien. „Die Fresse sollst du halten", brüllte er animalisch und ich spürte meinen Kopf ruckartig nach vorne fliegen. Er knallte kräftig gegen die Wand und ließ einen gewaltigen Stich durch meinen Kopf schießen. Meine Sicht verschwamm und ich betete in diesem Moment, einfach mein Bewusstsein zu verlieren. Doch nein. Stattdessen durfte ich jede Millisekunde das Pochen in meinem Kopf hören, gemischt mit dem Rauschen der Umgebung.
Es war genauso wie vor fünf Jahren und das ließ mich beinahe ausrasten.
„Tut mir leid, war ich zu hart?", murmelte eine Stimme nahe meinem Ohr. Ich merkte erneut, wie ich an den Haaren hochgezogen wurde – mein Gesicht damit gehoben – und zeitgleich fühlte ich die Flüssigkeit, welche an meiner Schläfe hinunterrann. Träge versuchte ich, meinen Blick ein wenig zu klären, doch erfolglos. Mit Leichtigkeit zog er mich erneut hoch und näherte sich mit seinem Mund meinem Ohr. „Vergiss es. Ich werde dich nicht erlösen. Du wirst hier jede Sekunde miterleben, Clarice."
Ein Schluchzen entfloh mir, als ich den Namen aus seinem Mund hörte. Er sollte aufhören. Es sollte aufhören!
„Weißt du, was das hier ist?", flüsterte er. Seine Stimme klang in dem Moment so stolz und sanft, als hätte er Angst, das Etwas zu zerbrechen oder zu verschmutzen, indem er zu laut sprach. Ich wagte es gar nicht erst, hinzublicken, sondern ließ meine Augen geschlossen. Zu sehr hatte die verschwommene Sicht meine Augen überfordert.
„Das ist das Messer, mit dem mein Daddy Laura damals ein Herz in den Rücken geritzt hatte, kurz bevor du gekommen warst."
Ich stockte bei der Aussage. Hatte sie deswegen so geschrien? Geschockt versteifte ich mich, doch das hielt nicht lange, weil mir die Energie dazu fehlte. „Wärst du nicht gekommen, hätte er es noch auseinander reißen können. Ja, so wie wir es besprochen hatten", grunzte er krankhaft und strich mir dabei die Haare aus dem Gesicht. Ich heulte lautlos auf. Spürte die Tränen an mir herabfließen. Die Vorstellung, dass Jacks Vater ohne Zögern das kleine Mädchen in zwei geteilt hatte und das durch eine derartig sadistische Art, war einfach nur abartig und unmenschlich.
„Wie wäre es, wenn wir das zu Ende bringen? Du wirst ein wunderbares Symbol sein. Und jeder wird am Ende denken, dass Adam auch der Mörder von Laura war."
Ich hasse mich für dieses Kapitel x.x
Wo ich jetzt die Möglichkeit habe, das ist jetzt eure Chance, mir noch irgendwelche Fragen zu stellen zu meiner Geschichte! Ich werde sie alle versuchen, zu beantworten und wenn dies nicht der Fall ist, so wird es vllt in der eventuellen Fortsetzung auftauchen:)
Fragen zu Charakteren
Fragen zu Geschehnissen
Fragen zur Vergangenheit von Claire/Jack
Fragen zur Gegenwart/ Zukunft
Laut momentanem Stand ist das nächste Kapitel das letzte oder vorletzte und es tut mir im Herzen weh, meine Geschichte abschließen zu müssen D: Natürlich kommt am Ende aber noch ein Epilog ;)
Unglaublich, wie ich gerade in meiner Geschichte mitfiebere xD
Freue mich über Meinungen und Votes! xxT~♥
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