47| Gefahren der Recherche
„Hey, Claire, warte", erklang es nahe mir. Ich hatte vor, es zu ignorieren, doch eine Hand umschloss sich um mein Gelenk und zog mich zurück. Ausdrucklos entgegnete ich dem undurchdringlichen Blick von Nathan. „Was", erwiderte ich hart; emotionslos; kalt.
„Hat er dich dazu aufgefordert?", fragte er mich, während er seinen Augenkontakt intensivierte. Die Tiefe, mit welcher er meinen Blick gefangen hatte, ließ mich erschaudern. Seine Erklärung ließ mich jedoch aufzittern. „Die Nachrichten."
„Was meinst du?", quietschte ich ein paar Oktaven zu hoch. Panik verbreitete sich in mir und ich befürchtete, dass meine künstliche Lache viel offensichtlicher klang als sie es in meinen Gedanken tat. Mit einer hochgezogenen Augenbraue blickte er mich an.
„Die Nachricht, die du davor bekommen hast und danach. Ich hab' es bemerkt. Denkst du, ich glaub dir, dass du das einfach mal so machst? Du bist... seltsam, aber noch lange keine Tusse. Du bist nicht wie Mel", erklärte er. Ich meinte, ein „ich hoffe es zumindest" gehört zu haben, ließ mich davon aber nicht ablenken.
Gespielt verständnislos blickte ich ihn an. „Welche Nachrichten, du Scherzkeks. So bin ich, komm damit klar", lachte ich falsch. Innerlich jedoch war ich unfassbar glücklich und erleichtert, dass es jemand bemerkt hatte.
Ich fühlte mich auf eine seltsame Art und Weise ein wenig freier, obwohl ich ihm dennoch nichts sagen konnte. Ich schätzte seine Aufmerksamkeit und zeitgleich machte sie mir Angst.
„Verkauf mich nicht für dumm, okay? Jeden, aber nicht mich", erwiderte er genervt und drückte meine Hand kurz fester zu. Erst jetzt bemerkte ich, dass seine Hand von meinem Handgelenk zu meiner Hand hinabgerutscht war. Ich nahm die Wärme wahr, die von seiner Hand strömte und empfand es in diesem Moment als schön, einen kleinen Halt zu haben.
Es war für mich nicht begreiflich, aber ihm gegenüber konnte ich nicht so gereizt reagieren. Warum? War es, weil ich ihn nicht so lange und dementsprechend nicht so gut kannte? Weil ich mehr Angst um Aidan, Dean und Ash hatte?
Das wäre aber unsinnig, weil ich genauso viel Angst um Nathan hatte wie um meine anderen Freunde. Irgendetwas hatte er an sich, was mich ihn nicht hassen lassen konnte. Jede anfängliche fehlende Sympathie war mittlerweile vorhanden. Ich vertraute ihm auf eine seltsame Art und Weise, obwohl ich absolut genervt von ihm war, wenn er klugscheißen musste.
„War er das?", fragte er plötzlich leise, während er vorlief und mich an meiner Hand mitzog. Seine Stimme klang in diesem Moment ruhig, nahezu sogar zart, und doch war dessen Wirkung hart und direkt. Verwirrt starrte ich seinen Hinterkopf an. „Hä?", brachte ich schlau heraus. „Na, ob er der Grund ist, warum du dich so seltsam benimmst. Seit Jahren."
Nervös und ertappt blieb ich stehen. Das alles konnte er nicht einfach so wissen. Durfte er nicht. „Woher?", fragte ich kühl und entriss ihm meine Hand. „Ich habe dich zuerst etwas gefragt", bekam ich zurückgekontert. Ich antwortete ihm aber nicht. Jedes verratene Wort würde letzten Endes mein Todesurteil sein. Oder vielleicht sogar seins. „Antworte mir!", betonte ich erneut und schaute ihm in die Augen, welche mich argwöhnisch musterten.
„Habe recherchiert."
Was?!
„Du hast was?", rief ich schrill und trat von ihm zurück. Ich fühlte mich in meiner Privatsphäre mit einem Mal unglaublich angegriffen. Ich erzählte so etwas ja nicht einfach nur so nicht weiter, weil ich das lustig fand, sondern zur Sicherheit meiner Mitmenschen. Es machte mich wahnsinnig, zu wissen, dass sich ein Freund selber in eine Gefahr begab, in der er nicht überleben würde.
„Hör auf. Bitte, egal, was passiert. Hör auf zu recherchieren. Ich will nicht wissen, was du bisher weißt, behalt es für dich und hör auf, dich in mein Leben einzumischen", sprach ich kraftlos und schenkte ihm einen müden Blick. Ich merkte, wie mir die Kräfte wichen und ich immer langsamer wurde.
Dann durchfuhr mich ein Geistesblitz. Hatte er mit dem Dackel etwa ihn gemeint? Wusste er bereits, dass Nate mir hinterherrecherchiert hatte? „Wann hast du das gemacht? Sag es mir!"
Erschrocken von meiner plötzlichen Tatkräftigkeit blickt er ich n, ehe er nachdenklich wurde. „Gut, ich höre auf. Unter der Bedingung, dass du mir die ganze Geschichte erzählst. Spätestens nach den Herbstferien. Und keine Ahnung, vorgestern oder so in der Schule." – „In der Schule? Da recherchierst du nach meiner Vergangenheit?", stöhnte ich fassungslos und konnte den Unterton von Skepsis nicht unterdrücken. Das hieße ja, dass jeder quasi Zugriff auf den Verlauf hatte. War dieser Junge irgendwie total bescheuert?
Wütend zischte ich vor mich hin und guckte ihm drohend in die Augen. Anscheinend schien er meinen Blick und meine Gedanken richtig gedeutet zu haben, weil er seufzend die Arme hob: „Keine Sorge, ich hab alle Spuren meines Daseins gelöscht. Hatte mein eigenes Laptop mit. Ich bin nicht dumm."
„Das wage ich zu bezweifeln. Mein Leben geht dich nichts an. Nichts. Hör auf, dich auf etwas einzulassen, mit dem du nicht klarkommen wirst. Du kennst mich nicht, okay? Also tu' nicht so, als sei dir etwas an meiner Situation relevant. Damit das klar wird, du wirst aufhören zu recherchieren und ich werde dir nichts sagen.
Ich hatte einmal eine klitzekleine Information fallen lassen und er wusste direkt davon. Sofort! Ich meine, einfach, das... Es ist so... Ach, keine Ahnung, verdammt! Hör mal, ich hab mit Aidan letztens geredet und wenig später hatte ich eine SMS bekommen, in welcher er mich bedroht hatte. Ich weiß noch nicht einmal, wie er es mitkriegen konnte! Ich habe einfach Angst. Er ist überall. Wahrscheinlich hört er sogar das hier mit, oh Gott. Lass-", fing ich an, stockte aber kurz. Die Worte, er solle mich endlich in Ruhe lassen, blieben mir im Halse stecken.
Denn so sehr ich wollte, dass er sich nirgends einmischte, so wollte ich auf gar keinen Fall, dass er mich in Ruhe ließ. Auf eine absurde Art und Weise mochte ich Nathan. Weil er es war, der immer ehrlich war.
Himmel, du weißt auch nicht, was du denken sollst, oder?
„Wer bist du, Claire?" Genervt davon, dass er mich dies fragte, verdrehte ich die Augen.
„Ich weiß es nicht, verdammt!"
Schnaubend drehte ich mich um und machte bereits Anzeichen, gehen zu wollen. „Oh nein, du bleibst jetzt. Ich sag es dir jetzt ein einziges Mal und was du dann damit anfängst ist mir scheißegal. Denkst du, ich weiß selber, warum mich das so interessiert? Ich will dieses Wirrwarr lösen, will endlich wissen, wer du bist. Aber du musst echt aufhören, jeden von dir wegzustoßen. Es wird einen Grund geben, warum du keinem davon erzählen möchtest, aber soll ich dir mal etwas verraten?
Du würdest genauso wütend sein, wenn jemand, der dir wirklich nahe steht, dir nicht verrät, was in seiner Vergangenheit passiert ist. Und wenn du nichts tun kannst, außer zuzusehen, wie dein Freund zugrunde geht; würdest du Verständnis zeigen? Stumm zusehen und dir denken: Ja, okay, wenn er meint, es gehe mich nichts an, muss ich damit klarkommen", zischte er nun selber sauer und näherte sich aufbauend, „Genau, du würdest nachhaken. Dich sorgen. Und jetzt denk lieber drüber nach, wie du dich gegenüber deinem Umfeld benimmst."
Mein Herz schien auf seine Worte zu reagieren. Ich hörte es förmlich rasen, schmerzvoll und ohrenbetäubend. Mein Atem stockte und ich wusste nichts zu machen, als ihn anzustarren. Seine Worte in mich aufzusaugen und das Geschehene zu verdauen.
Seine Worte waren hart. Sehr hart sogar, doch dennoch verfehlten sie ihre Wirkung nicht.
Nate war es gelungen, mir indirekt sagen zu können, dass ich es absolut bei meinen Freunden verschissen hatte und sie verlieren würde, wenn ich nichts unternahm. Doch ich konnte dennoch nicht darüber reden; nicht, ohne meine Umgebung zu gefährden. Dieser Mann war zu allem fähig. Zu allem.
War ich überhaupt bereit dazu, es einfach so zu sagen? Als sei meine ganze Vergangenheit bereits vorbei? Denn wenn man etwas aussprach, dann wollte man mit etwas abschließen. Ich konnte und wollte aber nicht mit der Vergangenheit abschließen, weil ich wusste, dass sie noch zu meiner Gegenwart gehörten.
Ich konnte nicht über mein Leben reden, ohne zeitgleich zu riskieren, dass sich damit alles ändern würde. Es war nicht nur so, dass die Vergangenheit ein tiefer Teil in mir war, den ich am liebsten verleugnen würde. Viel mehr, dass diese riesige Angst in meinem Inneren bestand, dass sie dann alle sehen würden, wie gebrochen ich bin. Wie abgefuckt. Und dann würden sie mich behandeln, als sei ich aus Glas, oder mich sogar fallenlassen wie einen heißen Stein.
Ich bemerkte, wie die Hilflosigkeit an die Oberfläche kam. Erbärmlichkeit. Jegliche Anzeichen von Mut, Kampfgeist und Sturheit waren verschwunden und alles was übrigblieb, war das kleine 11jährige Mädchen, welches keine Kraft mehr dazu hatte, ein ewigwährendes Problem zu lösen.
Ich spürte, wie mein Atem flacher wurde und mein Blickfeld sich verkleinerte. Himmel.
Alles in mir sträubte sich dagegen, als ich plötzlich die starken Arme spürte, die sich um mich schlangen. Seine Hand schmiegte sich an meinen Hinterkopf und sanft drückte er mich an sich. Ein seltsames Gefühl von Geborgenheit trat in mir auf. Ich fühlte mich sicher bei ihm. Irgendwie.
Und genau in diesem Moment, irgendwo unbeachtet und klein neben all den Sorgen, tauchte der Glaube auf, dass es doch nicht schlecht sei, einen Neustart mit ihm zu haben.
Ohne diese kleinen Momente zu vergessen, in denen er für mich da war.
Endlich hat jemand ihr mal richtig offen die Meinung gesagt abgesehen von Aidans Nervenzusammenbruch letztens :) Was haltet ihr von seiner Direktheit und Meinung?
Freue mich über Kommentare und Votes. xxT~
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