25| Hohn eines selbst
„Claire! Ich hab Durst!", ertönte es lautstark von einer Stimme, die ich situationsbedingt nicht einordnen konnte. Verwirrt schüttelte ich meinen Kopf kurz, mit der Hoffnung, die Bilder aus meinem Kopf zu kriegen, aber leider verschob ich sie nur in den Hintergrund. Dennoch reichte mir das für den Augenblick.
Schließlich war dies besser, als wenn mich die Gedanken die ganze Zeit verfolgt hätten, sodass ich die Möglichkeit auf Schlaf gleich verwerfen könnte. Aber trotzdem hatte ich rein prinzipiell nichts dagegen, vollkommen frei von derartigen Gedanken zu sein.
„Komme sofort", murmelte ich leicht neben der Spur. Doch meinen eigenen Worten widersprechend lief ich in das Badezimmer neben meinem Zimmer und schaute meinem müden Ich entgegen.
Himmel, lief ich so schon den ganzen Tag herum? Meine Haare waren trocken, verwuschelt und sahen so aus, als wären meine Spitzen zu komischen Nesten mutiert. Tiefe, dunkle Augenringe ließen bei mir den Eindruck erscheinen, als hätte ich seit Tagen kein Mal die Augen geschlossen gehabt. Zwar fühlte ich mich auch so, aber war es so, dass ich ab und zu geschlafen hatte, wenn auch abgehackt und schlecht.
Gepolter ließ mich zusammenzucken. Wer oder was war das? Ich fühlte mich plötzlich beobachtet, doch konnte ich niemanden erkennen, als ich mich umdrehte und mich umschaute. Die Tür war ebenfalls nicht auf und da das Badezimmer im ersten Stock war, schloss ich es aus, dass mich jemand aus dem Fenster heraus beobachtete.
Tief atmend sprach ich mir selbst Mut zu, dass es nur wieder einer meiner kranken Illusionen war. Wenn das so weiterginge, müsste ich es ernsthaft in Betracht ziehen, Hilfe zu holen, bevor das alles noch weiter ausarten würde. Aber vielleicht würde das nicht so weitergehen. Außerdem war das hier ein Part meines Lebens, den ich allein zu überwinden hatte. Mit jeder Person, die ich hineinziehen würde, würde ich meine Umgebung immer mehr in das Leben der Gefahr führen und es war mir nicht erlaubt, so egoistisch zu sein.
Um wieder in das Hier und Jetzt zu kommen, spritzte ich mir schnell Wasser ins Gesicht und strich meine Haare bestmöglich glatt, wie sie auch in Natura waren. Ich war froh darüber, dass ich keine lockigen Haare hatte, weil mir das viel zu anstrengend wäre, jeden Tag meine Haare irgendwie zu entknoten, ohne, dass sie vollkommen aufgebauscht waren.
Seufzend stellte ich mich wieder aufrecht und begab mich dann aus dem Badezimmer in Richtung Wohnzimmer, die Treppen runter. Die Getränke, welche ich zuvor auf dem Badezimmerschränkchen abgelegt hatte, waren mittlerweile nicht mehr so kühl wie zuvor, aber das würde denen bestimmt nichts ausmachen.
„Da bist du ja endlich! Wir kollabieren gleich an Hitze und Durst", kicherte Logan und lehnte sich nach hinten, sodass sein Arm um Ashley gelegt war. Mittlerweile war mein Platz nicht einmal mehr frei. Stattdessen saß jetzt ein Phil zwischen Dean und Nathan.
„Jack und du habt den Film verpasst, man. Das Ende war voll krass", meckerte Dean sofort und beugte sich in meine Richtung, wobei er Phil gefährlich nahe kam. Doch Phil ignorierte dies einfach, schenkte ihm nur einen kurzen Blick und wackelte anzüglich mit seinen Augenbrauen, was mich zum Grinsen brachte. Er liebte es, Dean aufzuregen, indem er manchmal so tat, als hätte er an Dean Interesse.
Ich antwortete ihm mit einem Augenverdrehen, begrüßte Phil kurz und blickte dann zu Nathan, der mich angrinste.
Misstrauisch schenkte ich ihm einen letzten Blick, ehe ich vor Aidan stehen blieb und ihn auffordernd anblickte, dass er seine Beine vom Sofa nehmen sollte, sodass ich auch noch sitzen konnte. Doch es war berechenbar, dass er mich nur provokant angrinste, während er mich musterte. Ich ignorierte dabei gekonnt seine Sorge, die ihm förmlich in sein Gesicht tätowiert zu sein schien. Dann hatte er meinen kurzen Aussetzer vorhin doch noch bemerkt.
Der Film wurde inzwischen mit Musik ausgetauscht, die in Zimmerlautstärke den Raum erfüllte und eine gute Stimmung verbreitete. Und es war auch so, dass die Atmosphäre momentan recht locker war, sodass ich es nicht als hoffnungslos betrachtete, von den ganzen Dingen, die geschahen, abgelenkt zu werden.
Ein Handyklingeln ließ mich umkehren. Laut ertönten die Töne von einem Lied, dessen Stimmen mir so bekannt vorkamen. Dennoch konnte ich es nicht einordnen. Ich beobachtete ihn dabei, wie er nach einem kurzen Blick auf sein Handy genervt stöhnte und dann annahm. „Hey." ... „Nein, weiß ich nicht und nein, ich hab gerade keine Zeit." Einige Sekunden, in denen die anderen über irgendwas redeten und ich seinem Gespräch gespannt folgte. „Ja, ok." ... „Okay." ... „Ok." Mit diesem betont genervten Wort legte er auf und ließ seinen Kopf seufzend in den Nacken fallen. Dabei fiel mir sein markanter Kiefer auf, welcher mich erneut auf seine attraktive Erscheinung aufmerksam machte.
„War das Rachel?", fragte Liz ihn schließlich, welche anscheinend auch zugehört hatte, und betrachtete ihn misstrauisch. Er nickte daraufhin lediglich. „Rose zickt rum, weil sie ihren Teddy nicht findet und jetzt soll ich kommen und suchen helfen", seufzte er und fuhr sich einmal übers Gesicht. Seine kleine Schwester also. Süß, dass er wirklich bereit dazu war, nachhause zu kehren, um seiner kleinen Schwester einen Wunsch zu erfüllen. Nur dumm für mich, weil sein Sympathie gerade aufgrund dessen drastisch stieg.
Verstehend und zeitgleich belustigt nickte sie und wendete sich wieder Aidan zu, der sie hatte sitzen lassen und mit dem sie sich alle sehr zu verstehen schienen.
„Du kannst hier sitzen", forderte mich Nathan irgendwann auf und lächelte dabei. Zu meinem Leidweisen sah er beim Lächeln noch besser aus als ohnehin schon. Stumm setzte ich mich auf seinen Platz, von dem er sich erhoben hatte, und streckte meine Beine dabei gemütlich aus. Nathan verschwand dann anschließend mit den Worten: „Ich komme in einer Stunde oder so wieder."
Erst nun fiel mir auf, dass Jack ebenfalls nicht mehr anwesend war. Auf meine Nachfrage hin, antwortete Logan mit einer bedrückten Stimme: „Jack wollte das Grab seines Vaters besuchen."
„Oh." ... Das war die Antwort, die jeder hören wollte, gut gemacht, Claire. Schnell hing ich ein „Das wusste ich nicht" hinterher, damit ich nicht so unhöflich erschien. Aufmunternd lächelte Logan mich an: „Sein Vater ist auch erst seit einem Jahr, in einigen Monaten seit zwei Jahren verstorben. Selbstmord. Lasst uns aber nicht weiter darüber reden."
Gezwungen lächelnd nickte ich.
„Liz, wo ist eigentlich Nick?", lenkte ich das Thema in eine andere Richtung. „Er ist Zuhause und schläft. Ich wollte ihn nicht wecken, nur, damit wir uns ein bisschen vergnügen können aber ich hab ihm einen Zettel hinterlassen, auf dem steht, dass er herkommen soll, wenn etwas ist. Er ist schon acht, sowas schafft er wohl."
Überrascht blickte ich sie an. Sie lassen wirklich einen kleinen, achtjährigen Jungen alleine zuhause, ohne ihm persönlich Bescheid zu sagen? Als Kind würde ich an einer Panikattacke sterben und nicht auf die Idee kommen, noch zu schauen, ob Aidan mir einen Zettel hinterlassen haben könnte.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich ihn herhole? Wir gucken ja eh keinen Horrorfilm mehr und wenn ihr später auf eine Party wollt, ist es unvorteilhaft, ihn die ganze Nacht alleine zu lassen", wollte ich wissen, worauf diesmal sie überrascht reagierte. Dennoch nickte sie, zu meinem Glück, und gab mir die Schlüssel lächelnd. „Die Treppe hoch, zweite Tür links."
Nachdem ich also meine Schuhe angezogen hatte, joggte ich zu dem Nachbarshaus und griff nach dem Schlüssel. Dabei überkam mich auf einmal das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Nervös versuchte ich, den Hausschlüssel in das Schloss zu führen, aber traf ich vor Aufgeregtheit nie das Loch. Es machte mich rasend!
„Brichst du jetzt schon in Nachbarhäuser ein?", ertönte auf einmal eine männliche Stimme hinter mir und erschrocken quiekte ich auf und drehte mich um.
„Um Himmels Willen, Adam! Du Idiot, erschreck mich doch nicht so", stieß ich erleichtert die Luft heraus, welche ich vor Angst angehalten hatte. Mit einem Mal verschwand das Gefühl, beobachtet zu werden, aber trotzdem wollte ich nichts lieber, als das Haus zu betreten.
Mir die Haare hinter mein Ohr streichend, sagte ich: „Naja, ich wollte nur jemanden abholen. Wenn du mich entschuldigst, liebster Nicht-mehr-Nachbar? Bis nächste Woche." – „Kommst du denn wieder? Du warst die Woche bisher ja nicht ansprechbar, habe ich gehört."
Grinsend nickte ich mit einer leichten Verunsicherung. Woher wusste er, dass ich ‚nicht ansprechbar' war? Die ganze Schule dachte, ich sei nur krank.
Mich nicht verunsichern lassend drehte ich mich zu der Tür und betrat mit den Worten „Man sieht sich" das Haus. Das war seltsam.
Das Licht anschaltend betrat ich mich umschauend das Haus. Es war ähnlich wie unser Haus aufgebaut, nur definitiv größer, was kein Wunder war. Schließlich wohnten da vier fast Volljährige und ein Kind drin, da wäre es unvorteilhaft, zu wenig Platz zu haben.
Die Wände waren in einem warmen beige gehalten und vereinzelt hingen Bilder an der Wand. Auf dem einen war die ganze Gruppe zu sehen. Nathan, Elizabeth, Jason, Mike und Andrew, wie sie grinsend in die Kamera blickten. Weitere Bilder waren im Eingang nicht aufgehängt, aber ich erkannte von meinem Standpunkt aus noch einige Bilderrahmen in den angrenzenden Räumen. Jedoch war ich nicht hier, um zu stalken, was hier alles drin war.
Ich sollte mich hier mal besser umschauen, wenn ich mit den anderen hier war. Schnell eilte ich die Treppen hoch und befand mich in einem weiteren Flur. Zweite Tür links. Den Worten folgend öffnete ich die besagte Tür und befand mich in einem süßen, hellblauen Raum, dessen Dach in einem tiefblau gestrichen war. Leuchtsterne klebten an diesen, was ich unglaublich niedlich fand, und den Eindruck eines Nachthimmels erweckten.
Ich wünschte, ich würde auch noch so sorgenlos mit meinen acht Jahren leben können.
Freue mich über Votes und Kommentare, xxT~☺
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