Kapitel 5
Mit einem leichten Pochen im Kopf schlug ich die Augen auf und blinzelte gegen die Sonne an, die das Zimmer mit Licht durchflutete. Im ersten Moment war ich erstarrt, da ich mich in einem mir fremden Zimmer befand. Doch einige Sekunden darauf prasselten die Erinnerungen der vergangenen Nacht auf mein inneres Auge ein und ich entspannte mich wieder. Nur um gleich darauf erneut stocksteif aufzufahren. Ich hatte bei Mr. Black -oder sollte ich besser sagen: Logan- übernachtet. Hatte ich völlig den Verstand verloren? Warum zum Teufel hatte ich zugestimmt mit ihm zu gehen? Ich blickte zur Tür und allein schon der Gedanke hinaus zu gehen und ihm entgegen zu treten versetzte mich in blanke Panik. Ein schneller Blick auf den Wecker verriet mir, dass es bereits kurz nach zwölf Uhr am Mittag war. Um Himmels Willen, wie lange hatte ich geschlafen? Die Chance mich unbemerkt herauszuschleichen, mir ein Taxi zu rufen und zu verschwinden war also mehr als gering.
Ich spürte wie die Nervosität von meinem Körper Besitz ergriff und meine Handflächen zum Schwitzen brachte. Was sollte ich jetzt tun? Es wäre wohl das Beste, zuerst einmal ein Badezimmer aufzusuchen, es graute mir bereits davor, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Womöglich sah ich noch schlimmer aus als der Glöckner von Notre Dame.
Widerstrebend schleppte ich mich aus dem Bett heraus und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Langsam und mit klopfendem Herzen drückte ich die Klinke herunter und spitzelte heraus auf den menschenleeren Flur. Erleichtert atmete ich auf und trat durch die Tür. Der Duft von Kaffee lag in der Luft und weckte in mir die bisher unterdrückte Sucht nach dem Gebräu. Also war Logan sehr wahrscheinlich bereits auf den Beinen und es wäre unmöglich, mich einfach davon zu stehlen. Ganz abgesehen davon, wie unfreundlich und undankbar dieses Verhalten wäre. Ich seufzte und wandte mich den restlichen drei Türen zu. Verdammt, welche von ihnen war denn nun das Badezimmer? Mir blieb wohl nichts anderes übrig als zu raten. Ich entschied mich für eine Tür ganz am Ende des Flurs. Was würde mich dahinter wohl erwarten? Was wenn es gar nicht das Badezimmer war, sondern möglicherweise sogar Logans Schlafzimmer? Was wenn er auch noch schlief und ich hereinplatzte? Unzählige Gedanken und Szenarien spielten sich unweigerlich in meinem Kopf ab. Ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen, die Tür zu öffnen, ich fühlte mich wie ein Schnüffler.
Herrgott, ich sollte mich wirklich nicht so anstellen. Ich nahm einen tiefen Atemzug und öffnete widerwillig die Tür.
Natürlich war es Logans Schlafzimmer, wie sollte es auch anders sein? Es wäre schon ein glücklicher Zufall gewesen, wenn ich das Badezimmer auf Anhieb gefunden hätte. Und Glück war nun mal etwas, das in meinem Wortschatz nicht vorkam.
Ich war im Begriff umzukehren, da es sich nicht gehörte in fremden Zimmern herum zu schnüffeln, schon gar nicht in dem meines Lehrers, in welchem ich absolut nichts zu suchen hatte. Allein meine bloße Anwesenheit in diesem Apartment war mehr als verboten und fragwürdig. Und dennoch konnte ich mich nicht abwenden. Meine Augen wanderten durch den Raum. Ein dunkler Dielenboden passte sich dem Dunkelgrau der Wände perfekt an und bildete einen Kontrast zu dem hellen Mobiliar des Raumes. Zur linken Wand befand sich ein begehbarer Kleiderschrank, dessen Türen noch offen standen. Bereits von meinem jetzigen Standpunkt aus konnte ich erkennen, dass jedes einzelne Kleidungsstück mit großer Sorgfalt und exakt dem gleichen Abstand aufgehängt und gewissenhaft zusammen gelegt worden war. Am meisten jedoch zog das riesige King Size Bett meine Blicke an. Es prangte in der Mitte des Raumes und lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich, als wäre es der Fluchtpunkt des Raumes. Im Großen und Ganzen war das Zimmer sehr maskulin und zeitgemäß eingerichtet. Allerdings gab es auch in diesem Raum etwas, das mich beunruhigte, etwas, weshalb ich mich in diesem Raum nicht wirklich wohl fühlen konnte. Dieses Zimmer war kühl und unpersönlich, genauso steril wie der Rest dieses Apartments. Keine Fotos, keine Bücher, keine Unordnung, rein gar nichts, was mir irgendwie persönlich erschien oder was darauf hindeutete, dass hier jemand lebte. Es war zwar wirklich schön, aber zu ordentlich und ungemütlich, es strahlte keinerlei Wärme aus.
»Das ist mein Zimmer.« Eine tiefe Stimme direkt hinter mir drang an meine Ohren und ließ mich herumfahren. Ich erstarrte und blickte in ein paar eisblaue Augen. Ein Flattern breitete sich in meiner Magengegend aus und ich fühlte mich wie benommen, kaum imstande auch nur ein einziges vernünftiges Wort über die Lippen zu bringen. Logan trug eine schwarze Jeans und ein helles Shirt, unter dem sich wie immer die harten Muskeln abzeichneten. Ich sah auf in seine Augen. Sein Gesicht und seine Haltung verrieten nichts. Er stand einfach nur da und musterte mich mit diesem undurchdringlichen blauen Blick. Augenblicklich beschleunigte sich mein Herzschlag so sehr, dass ich befürchtete er könnte es hören. Ich war mir seiner Nähe nur allzu sehr bewusst. Die Tatsache alleine mit ihm in diesem Schlafzimmer zu stehen, sollte mir eigentlich Angst bereiten, doch das tat es nicht. Im Gegenteil, ich fühlte wie seine bloße Anwesenheit und die Intensität seines Blickes mir eine Gänsehaut über den Körper jagte, wie die Wärme, die er ausstrahlte mich immer mehr anzog, wie eine Motte vom Licht. Und ich wusste, dass ich das nicht fühlen durfte.
»Ich... Tut mir Leid. Ich habe nur das Badezimmer gesucht.« Beschämt senkte ich den Blick und fühlte mich tatsächlich wie eine Schnüfflerin. Zuerst hatte ich mit dem Gedanken gespielt mich einfach davonzustehlen, dann schnüffelte ich wie ein Naseweis in seiner Wohnung herum und nun gaffte ich meinen Lehrer an wie eine Voyeurin. Meine Gedanken spielten verrückt. Ich wusste nicht wieso oder weshalb, aber in Logans Gegenwart konnte ich keinen einzigen klaren Gedanken fassen und das trieb mich in den Wahnsinn.
»Kein Problem, Drea. Das Badezimmer ist hier.« Er deutete über seiner Schulter hinweg auf eine andere Tür, ohne den Blick von mir zu nehmen.
»Danke.« Erwiderte ich leise und huschte so schnell wie nur irgend möglich mit gesenktem Blick an ihm vorbei. Ich spürte noch immer seine Augen auf mir ruhen, konnte mich allerdings nicht dazu durchringen seinen Blick zu erwidern. Schnell schlüpfte ich an ihm vorbei, ignorierte die Spannung die von ihm ausging und flüchtete mich in das Badezimmer. Endlich fiel mir das Atmen wieder etwas leichter und ich lehnte mich gegen die Tür. Diese Gefühle verwirrten mich zutiefst. Wieso warf mich dieser Mann derart aus der Bahn? In seiner Nähe fühlte ich mich nervös, mein Herz schlug so schnell, als wäre ich tausend Meilen am Stück durchgerannt, das Atmen fiel mir schwer und ich bekam weiche Knie. Das letzte Mal, als ich auf diese Weise empfunden hatte, war als mein Cousin Adam gewisse Dinge mit mir getan hatte. Doch was ich bei Adam gefühlt hatte war widerlich und grauenvoll. Diese Gefühle bei Logan dagegen waren auf gewisse Art und Weise aufregend, irgendwie... schön. Aber was bedeutete das? In der Schule hatte ich noch vermutet, dass ich einfach durcheinander war und meine Gefühle verrücktspielten, aber jetzt? Ich konnte mich doch auf gar keinen Fall von meinem Lehrer angezogen fühlen, oder etwa doch? Als ich Danny kennen gelernt hatte, fühlte ich mich so ähnlich, aber selbst bei ihm war es nicht in diesem Ausmaß gewesen.
Mensch, ich musste mich wirklich zusammenreisen. Selbst wenn ich mich von ihm angezogen fühlte, es war verboten, strikt untersagt. Mal abgesehen davon sah mich Logan sehr wahrscheinlich mehr als Kind anstatt als Frau, was auch richtig so war, schließlich handelte es sich bei ihm um meinen Lehrer. Ich schüttelte den Kopf um diese verwirrenden Gedanken zu vertreiben und wandte mich meinem Spiegelbild zu. Ich sah nicht ganz so schlimm wie erwartet aus, dennoch konnte man mir die Partynacht deutlich ansehen. Schnell wusch ich mir das Gesicht und befreite mich von der verlaufenen Schminke der vergangenen Nacht. Ich schlüpfte in meine Kleidung von gestern, behielt den grauen Pullover, den mir Logan gegeben hatte jedoch an. Er roch nach Vanille und noch etwas anderem, das ich aber nicht genau deuten konnte. Sein Pullover war mir zwar etwas zu groß, fühlte sich aber trotzdem wohlig auf meiner Haut an. Als ich fertig war, spürte ich wie das Herzklopfen und die Nervosität zurückkehrten. Konsequent unterdrückte ich diese Gefühle und trat hinaus auf den Flur. Ich hörte Geräusche aus dem unteren Wohnbereich, also stieg ich die Treppen hinab und fand Logan auf dem Sofa vor. Sein Blick lag konzentriert auf dem Bildschirm eines Apple Macbook, das vor ihm auf dem Tisch stand. Ganz offensichtlich schien er an etwas zu arbeiten, denn seine Finger flogen geübt über die Tastatur. Er war so versunken, dass er mich nicht einmal bemerkte, also räusperte ich mich kurz. Sofort stoppten seine Finger den Tanz über den Tasten und sein Kopf fuhr hoch. Er blickte mich mit seinem stählernen Blick an und meine Knie begannen zu schlottern.
Reiß dich zusammen.
»Drea.«Sofort schloss er den Laptop und erhob sich, wobei er mich kaum eine Sekunde aus den Augen ließ. Ich mochte die Art wie er meinen Namen aussprach, so samtig wie Musik und dennoch rau zugleich, als gäbe es kein Wort, das er lieber aussprach.
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht unterbrechen.« Erwiderte ich und versuchte meinen rasenden Puls unter Kontrolle zu bekommen.
»Nein, das hast du nicht.« Sein Blick glitt über den Pullover den ich trug und dieses schiefe Lächeln schlich sich wieder auf seine Lippen.
»Der Pullover steht dir beinahe besser als mir.« Das leise Lächeln umspielte noch immer seinen Mund und ich bemerkte, wie mir bei seinen Worten die Röte ins Gesicht schoss. Plötzlich schien auch er sich seiner Worte bewusst zu werden, denn das Lächeln schwand sogleich und Logan wirkte mit einem Mal völlig steif. Seine Gesichtszüge veränderten sich von amüsiert zu distanziert und es schien, als hätte er eine Maske aufgelegt, die undurchdringlich war.
»Ich denke ich sollte dich jetzt nach Hause fahren.« Seine kargen Worte klangen kalt und schroff, als würden sie keinen Widerspruch zulassen. Unvermittelt überfiel mich das Gefühl, als wolle er mich loswerden. Ich fühlte mich unbehaglich und völlig alleine in dem riesigen Apartment. Was hatte ich hier eigentlich verloren? Ich gehörte hier überhaupt nicht hin. Dies war die Wohnung meines Lehrers. Was erwartete ich? Plötzlich wollte ich nur noch nach Hause in mein Zimmer, mich vergraben in meinem Bett, meinem Zufluchtsort. Ich wollte alleine sein. Also nickte ich lediglich und wandte mich zur Tür.
»Ich gehe nur noch eben schnell meine Schlüssel holen.« Ich hörte, wie er sich hinter mir erhob und in die Küche verschwand. Kurz darauf erschien er neben mir und ich vernahm das Klirren eines Schlüsselbunds, dann ertönte auch schon das Bling des Aufzuges und wir traten ein. Ich scheiterte kläglich im Versuch, mich seiner Nähe zu entziehen, was auf diesem engen Raum auch schier unmöglich war. Im Augenwinkel sah ich, dass sein Blick auf mir ruhte. Sofort setzte wieder das Kribbeln in meinem Bauch ein und bahnte sich einen Weg durch jede einzelne Faser meines Körpers. Ich begann die Luft anzuhalten, als sich mein Atem beschleunigte. Unwillkürlich musste ich an Logans wohlgeformte Lippen denken. Wie es wohl wäre sie zu berühren, sie sogar zu küssen? Das Kribbeln in meinem Körper verstärkte sich, nahm Besitz von mir und meinen Gedanken. Mit aller Kraft widerstand ich dem Bedürfnis aufzusehen, seinem Blick zu entgegnen und seine Lippen in Augenschein zu nehmen. Als das Bling des Aufzuges das Öffnen der Türen ankündigte und ich hinaus in die Lobby trat war ich unendlich erleichtert. Es war, als fiele eine Last von mir ab und ich fühlte mich endlich wieder wie ich selbst. Abrupt schämte ich mich für meine fremdartigen Gedanken im Aufzug. Oh Gott, ich hatte tatsächlich davon geträumt meinen Lehrer zu küssen. Was war in Moment nur los mit mir? Mein Leben geriet völlig außer Kontrolle. Okay, es stand völlig außer Frage, dass ich Logan attraktiv fand, denn das war er auch. Ich warf ihm einen Seitenblick zu. Goldene Strähnen standen ihm wirr vom Kopf ab und die stechend blauen Augen waren so anziehend, dass man sich ohne Umschweife in ihnen verlieren könnte. Zudem war er unglaublich groß und von athletischer Statur, dass jedes weibliche Wesen in der Umgebung gar nicht anders konnte, als sich den Kopf nach ihm zu verrenken. Und ich stellte da keine Ausnahme dar.
»Mr. Black. Ihr Wagen steht bereit.« Der Portier riss mich aus meinen Gedanken und schenkte Logan und mir ein freundliches Lächeln mit einem darauffolgenden Nicken. Logan erwiderte diese Geste und trat nach draußen, wo das Silbermetalic seines Wagens in der Sonne glänzte. Zielstrebig steuerte Logan auf die Beifahrertür zu und öffnete sie für mich. Ich murmelte ein Dankeschön und ließ mich erneut in den weichen Ledersitz gleiten, der von der Sonne offenbar bereits ein wenig gewärmt war. Für September war es ungewöhnlich kalt und nur selten brach die Sonne durch die Wolkendecke hindurch. Also genoss ich die Wärme und Energie, die durch die Scheiben auf mein Gesicht schien. Die Fahrertür öffnete sich und Logan stieg ein. Sofort vernahm ich wieder seine Anwesenheit und spürte die Anziehung, die von ihm ausging. Es fühlte sich an, als wäre ich ein Magnet, der von seinem Gegenpol angezogen wurde und sich vehement dagegen wehrte.
Ich war so sehr in meine Gedanken vertieft gewesen, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass Logan offenbar etwas gesagt hatte, denn er sah mich nun von der Seite erwartend durch seine blassen Augen an.
»Was hast du gesagt?« Verwirrt erwiderte ich seinen Blick und schluckte schwer, als das lockere schiefe Grinsen auf seinem Gesicht erschien.
»Ich habe gefragt, ob Du noch etwas frühstücken willst,« Beantwortete er meine Frage, »da vorne ist ein Café, ich könnte Ihnen etwas holen.« Er deutete mit dem Kopf nach vorn und ich folgte seinem Blick. Da wir gerade an einer Ampel standen, konnte ich das Café eingehender mustern. Allerdings hatte ich nicht gerade das Bedürfnis etwas zu essen, im Gegenteil, mein Appetit befand sich nicht gerade auf dem Höhepunkt. Ich lehnte dankend ab und richtete meinen Blick aus dem Fenster, um mich von Logans Gegenwart abzulenken. Und erstarrte. Ich sah in ein paar schokoladenbraunen Augen, die meinen Blick überrascht erwiderten. Danny stand auf dem Gehweg, direkt vor unserem Auto und starrte zu mir herein. In seinen Händen hielt er einen Behälter mir drei Plastikbecher, wahrscheinlich Kaffee. Sonntags traf er sich immer mit einer Lerngruppe.
Ich konnte die Verwunderung in seinen Augen erkennen, als seine Sicht über das Auto und dann wieder zu mir glitt. Das Blut wich mir aus dem Gesicht und mein Körper fühlte sich wie gelähmt an. Was wenn er den Wagen von der Schule her erkannte? Was wenn er wusste, dass ich hier mit Logan, meinem Lehrer in einem Auto saß. Angst breitete sich in meinem Innern aus und ich sah, wie Danny einige Schritte in unsere Richtung trat. Doch genau in diesem Moment sprang die Ampel von Rot auf Grün und Logan betätigte das Gaspedal. Im Bruchteil einer Sekunde war Danny aus meinem Blickfeld verschwunden. Hatte er etwas gesehen oder vielleicht sogar das Auto erkannt? Nein unmöglich. Es ging alles viel zu schnell, er hätte schon näher sein müssen, um Logan genau gesehen zu haben. Aber was, wenn er das Auto kannte oder wenn er Logans Nummernschild erfasst hatte? Andererseits war auch diese Tatsache eher unwahrscheinlich. Logan war noch nicht lange an unserer Schule als Lehrkraft tätig, von daher wäre es schon ein großer Zufall, wenn Danny sich sein Auto, geschweige denn das Kennzeichen eingeprägt hätte. Mein Herz raste noch immer vor Aufregung und Nervosität. Ich warf Logan einen Blick zu, doch seine Sicht war nach vorn auf die Straße konzentriert und wie am Abend zuvor lenkte er den Wagen selbstsicher durch die Straßen Seattles. Er hatte also von dem Vorfall eben nichts mitbekommen. Sollte ich ihm davon erzählen? Nein, wohl eher nicht, das würde ihm nur unnötig Sorgen bereiten. Mit Sicherheit hatte Danny nicht wahrgenommen, mit wem ich unterwegs war. Und selbst wenn, es war doch nichts Schlimmes dabei, oder? Natürlich war es etwas merkwürdig, wenn man mich mit meinem Lehrer in einem Auto sitzen sehen würde, schließlich gehörte sich so etwas nicht für ein Lehrer-Schüler Verhältnis. Aber zwischen Logan und mir war nichts, er hatte mir lediglich in einer heiklen Situation geholfen und mir einen Schlafplatz geboten. Wer hätte das nicht getan?
Ich war so damit beschäftigt gewesen mein Gewissen und meine innere Unruhe zu beruhigen, dass ich gar nicht bemerkte, dass wir vor unserem Haus standen. Logan schaltete den Motor aus und mir wurde bewusst, dass ich Logan gar nicht erklärt hatte, wo ich wohnte.
»Woher weißt du wo ich wohne?« Fragte ich und hob erstaunt den Kopf. Logan lächelte leicht und blickte mir tief in die Augen.
»Ich war letzte Woche mit deinem Bruder unterwegs gewesen und habe ihn anschließend nach Hause gefahren.«
Natürlich, er kannte ja Lukas. Ich warf einen Blick zu unserem Haus und die innere Unruhe kehrte zurück. Wie sollte ich meinem Vater und Lukas nur erklären, wo ich die Nacht verbracht hatte? Ich konnte ja schlecht antworten, dass Lukas' Freund, der übrigens, wie sich herausgestellt hatte auch noch mein Lehrer war, mich bei sich übernachten ließ. Dann wäre Logan die längste Zeit Lehrer gewesen, so viel stand fest. Mein Dad und Lukas waren was Jungs anging etwas übervorsichtig. Selbst als ich mit Danny bereits über ein Jahr ausgegangen war, durfte er erst nach Stundenlangem Verhandeln zwischen Mum und Dad die Nacht bei mir verbringen, sehr zu Dads Missfallen. Meine Mum war in solchen Dingen immer etwas lockerer gewesen, mehr wie eine Freundin. Und jetzt war sie weg, für immer...
»Drea? Alles in Ordnung?« Logans Stimme umschmeichelte mein Gehör und sofort war meine Aufmerksamkeit wieder gefesselt. Seine freundlichen Augen lagen ruhig auf mir und musterten mich.
»Ehm ja, ja alles in Ordnung. Ich denke ich sollte jetzt rein gehen.« Ich öffnete die Autotür, stieg aus und drehte mich noch einmal zu ihm herum. Seine rechte Hand lag auf dem Schaltknüppel, während die Linke auf dem Lenkrad platziert war. Sein stechender Blick war auf mich gerichtet, während einige blonde Strähnen in seine Stirn gefallen waren. In diesem Moment wirkte er so wunderschön und unnahbar, fast schon unecht. Das Blut rauschte laut in meinen Venen und wieder musste ich mich ermahnen dem blauen Strudel seiner Augen nicht zu verfallen.
»Also dann, vielen Dank nochmal. Für alles.« Ich wusste nicht so ganz, wie ich mich verabschieden sollte, aber ein Dankeschön schien mir mehr als nur angebracht.
»Gern geschehen, Drea.« Er schenkte mir dieses leise Lächeln, welches ich mittlerweile schon so gut kannte und das mein Herz höher schlagen ließ. Ich trat einige Schritte zurück, als er den Motor anließ und mit einem letzten Blick in meine Richtung davonfuhr. Noch während ich seinem Wagen hinterher sah, spürte ich, wie sich meine Mundwinkel langsam zu demselben leisen Lächeln verzogen. Und es fühlte sich nicht einmal schwierig an, nein es war sogar irgendwie befreiend. Ich mochte es, sein Lächeln zu erwidern.
Noch bevor ich die Klingel betätigen konnte, wurde die Tür von Lukas aufgerissen. Seine hellen Augen waren blutunterlaufen und dunkle Ringe zeichneten sich darunter ab. Eine alkoholische Fahne schlug mir entgegen als er mich in seine Arme riss.
»Drea! Dir geht es gut, Gott sei Dank!« Er drückte mich so fest an sich, dass jegliche Luft aus meinen Lungen gepresst wurde.
»Lukas, du erdrückst mich.« Presste ich hervor, als er auch schon von mir abließ.
»Mensch Drea, wo warst du denn die ganze Nacht? Wir haben zig Mal versucht dich anzurufen, aber du bist nicht ran gegangen. Wir haben überall angerufen, Timmy, Danny... Selbst Poppy wusste nicht wo du warst.« Seine Worte klangen vorwurfsvoll, dennoch konnte ich die Besorgnis in seinem Gesicht ablesen und spürte das schlechte Gewissen an mir nagen. Er hatte Recht, ich hätte ihnen sollen Bescheid geben. Zwar hätte ich ihnen unter keinen Umständen mitteilen können wo ich wirklich gewesen war, doch zumindest hätte ich eine SMS schreiben können, damit sie wusste, dass alles in Ordnung war. Seit Mums Unfall machten sich Dad und Lukas ohnehin schon mehr als genug Sorgen. In Lukas Rücken sah ich wie Dad sich mit Mia auf dem Arm näherte, hinter ihm kam sogar Poppy zum Vorschein. Beiden stand die Angst und Besorgnis förmlich ins Gesicht geschrieben, einzig bei Poppy entdeckte ich noch etwas anderes, Neugierde.
»Tut mir wirklich leid,« Beschämt senkte ich den Blick, »du hast Recht, ich hätte Bescheid sagen sollen.«
»Hast du unsere Anrufe denn nicht bekommen?« Fragte Lukas und fuhr sich frustriert durch die dunklen Haare. Man hätte mit Sicherheit können schon aus zehn Metern Entfernung erkennen, dass er an einem grauenvollen Kater litt.
»Nein ich...« Gerade als ich nach meiner Tasche greifen wollte, in der ich mein Handy wie üblich verstaut hatte, bemerkte ich, dass sie gar nicht da war. Mist! Durch Logans überstürzter Heimfahrt, hatte ich wohl völlig vergessen sie mitzunehmen. Wie zum Teufel sollte ich nun an meine Tasche kommen? Ich besaß ja nicht einmal eine Nummer von Logan, geschweige denn war ich im Besitz meines Handys und ihn in der Schule darauf anzusprechen war völlig ausgeschlossen. Es sei denn, ich bekäme die Gelegenheit ihn alleine zu sprechen.
»Wo warst du überhaupt?« Wollte Lukas plötzlich wissen und musterte mich argwöhnisch. Was sollte ich nur antworten? Wenn sie all meine Freunde angerufen hatten, was ich ihnen nicht übel nehmen konnte, blieben mir nicht viele Möglichkeiten offen.
»Ich... Ich habe bei einer Freundin übernachtet, da ich keinen Schlüssel dabei hatte und Poppy und Lukas nicht mehr ans Handy gingen.« Ich fühlte mich schlecht wegen der Lüge, doch ich konnte meiner Familie doch nicht einfach erzählen, dass ich bei meinem Lehrer übernachtet hatte.
»Bei welcher Freundin? Wir haben überall angerufen.« Warf Dad ein. Er wirkte besorgt, aber auch leicht verärgert und versuchte Mia, die unruhig auf seinem Arm herum zappelte zu beruhigen.
»Ein Mädchen von meiner Schule, ich habe nicht viel mit ihr zu tun, aber sie hat mir angeboten bei ihr zu übernachten. Eure Anrufe habe ich nur deshalb nicht bekommen, weil ich den Ton am Handy nicht an hatte. Es tut mir wirklich leid, in Zukunft werde ich euch Bescheid geben.« Ich hoffte darauf, dass meine Entschuldigung Lukas und Dad beruhigen würde, was auch funktionierte. Lukas fuhr sich erneut durch die Mähne und murmelte dann etwas von »Aspirin gegen seine Kopfschmerzen«, während Dad ein »in Ordnung« von sich gab. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen mir einen letzten mahnenden Blick zuzuwerfen, als er mit Mia in der Küche verschwand. Ich wollte bereits erleichtert aufatmen, als Poppy wie aus dem Nichts vor mir stand und mich mit einem skeptischen Blick besah. Sie musterte mich aus argwöhnischen dunklen Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wirkte wie ein kleiner Kampfzwerg.
»Ich weiß genau, dass du nicht bei irgendeiner anderen Freundin übernachtet hast, weil du keine anderen Freunde hast außer mir und Timmy,« sie hielt kurz inne und begutachtete ihre Nägel »ich werde jetzt nach Hause gehen, du wirst es mir so oder so sagen, wenn nicht heute dann morgen.« Poppy sah plötzlich auf und lächelte mich siegessicher aus ihren braunen Augen an. Dann ging sie an mir vorbei zur Tür, drehte sich jedoch noch einmal zu mir um.
»Also dann, bis morgen. Ich bin auf deine Ausrede gespannt.« Sie zwinkerte mir zu, dann flog die Tür auch schon ins Schloss und der graue Wirbelwind namens Poppy war verschwunden. Mein Herz schlug zum zerbersten schnell vor Aufregung. Es war mir schon furchtbar schwer gefallen, meine Familie anzulügen, doch meine beste Freundin, die in dicken so wie auch dünnen Zeiten an meiner Seite geblieben war und mich in und auswendig kannte, womöglich sogar besser als ich mich selbst, würde sich noch einmal als einiges schwieriger erweisen. Poppy etwas vorzulügen war schlicht und ergreifend undenkbar. Sie hatte Recht, ihr eine Ausrede aufzutischen war schier unmöglich.
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