Kapitel 23
Ich konnte es nicht glauben! Die ganze Zeit über war ich der festen Überzeugung gewesen, dass Timmy schwul und womöglich in meinen Bruder verliebt war. Doch nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er war in Poppy verliebt. Aus diesem simplen Grund hatte er Lukas gestern auch so merkwürdig angesehen, nicht weil er ihn mochte, sondern weil er eifersüchtig gewesen war!
Gott, natürlich! Timmy und Poppy verbrachten so viel Zeit miteinander, sie hatten dieselben Interessen, waren beide etwas zu verrückt und ergänzten sich perfekt. Kein Wunder, dass Timmy sich in sie verliebt hatte! Wieso war mir das nicht schon früher aufgefallen? Mit offenem Mund starrte ich Timmy an und hatte nicht den geringsten Schimmer, was ich sagen sollte. Ich wusste, dass er Poppys bester Freund war, dass er ihr sehr viel bedeutete. Aber ich war mir sicher, dass die Beziehung der beiden auf rein platonischer Ebene war, zumindest was Poppy anging, denn die hatte nur Augen für Lukas.
Timmy riss sich von Poppy los und sah mich wieder an. In diesem Moment schien er zu begreifen, dass ich Bescheid wusste. Sein Kopf lief hochrot an und seine Reaktion zeigte mir, dass ich seine Blicke richtig interpretiert hatte.
»Gott Timmy, es tut mir leid. Ich hatte gar keine Ahnung...«, geschockt schüttelte ich den Kopf und legte ihm in einer mitfühlenden Geste die Hand auf den Arm. Timmy räusperte sich, traute sich jedoch kaum den Blick von seinen Schuhspitzen zu nehmen.
»Ja, naja... Ich habe ohnehin keine Chance bei ihr, sie ist in deinen Bruder verliebt.« Er zuckte niedergeschlagen mit den Achseln. In diesem Moment fühlte ich mit ihm mit. Ich konnte seinen Liebeskummer in meiner eigenen Seele spüren.
»Vielleicht solltest du mit ihr darüber reden.« Natürlich war das nicht der beste aller Ratschläge, aber meiner Meinung nach war Reden immer die hilfreichste Option, auch wenn ich selbst nicht oft Gebrauch davon machte.
»Nein, auf gar keinen Fall. Ich würde nur unsere Freundschaft gefährden!« Stieß Timmy hervor und plötzlich sah er mir eindringlich in die Augen. »Drea, versprich mir, dass du ihr nichts davon erzählst!«
»Natürlich nicht! Ich verspreche es.« Ich erwiderte seinen Blick voller Aufrichtigkeit. Auf keinen Fall würde ich mich einmischen. Es war Timmys Angelegenheit, eine Entscheidung, die ich ihm nicht abnehmen würde. Ich konnte ihm lediglich einen Rat geben und für ihn da sein.
»Lass uns rein gehen, okay?« Hörte ich ihn sagen. Sein Blick haftete wieder auf dem Fußboden. Offenbar war ihm die ganze Sache furchtbar unangenehm. Ich nickte zustimmend. Timmy räusperte sich kurz, dann ging er vor mir ins Wohnzimmer. Ich folgte ihm und schlenderte rüber zu Poppy und Noah. Ein kurzer Blick auf die Playlist zeigte mir, dass Gott sei Dank nicht nur Poppys Musikgeschmack vertreten war. Ich half Timmy noch bei einigen organisatorischen Dingen, ehe Poppy und ich ihm unser Geschenk überreichten. Beim Anblick des Skateboards freute er sich wie ein Honigkuchenpferd. Seine Augen strahlten wie noch nie zuvor und das Lächeln reichte ihm von einem Ohr zum anderen. Als er Poppy ansah und sich bei ihr mit einem Kuss auf die Wange bedankte, sah ich es wieder. Ich sah die tiefe Zuneigung in seinem Blick, die Liebe, die er für sie empfand. Und wieder wurde mir schwer ums Herz. Ich fühlte wahrhaftig mit Timmy mit. Zu wissen, dass die Person, an deren Seite man am liebsten wäre, mit jemand anderem zusammen war, schmerzte, sehr sogar. Kurz flammte das Bild von Logans Freundin in meinem Kopf auf. Doch sogleich verdrängte ich den Gedanken wieder und konzentrierte mich auf Timmy. Es war seine Party, ich musste mich zusammenreisen, ihm zuliebe. Also zwang ich mir ein Lächeln auf die Lippen und erwiderte seine Umarmung. »Merci, ma Chérie.«
»Ich hoffe es gefällt dir.« Erwiderte ich lächelnd.
»Mais oui!« Grinsend drehte er das Board und inspizierte es aus allen Richtungen. Im nächsten Moment vernahm ich das Schellen der Tür. Timmy schaute auf und legte das Skateboard behutsam zur Seite. Dann ging er zur Haustür, um die ersten Gäste hereinzubitten. Vom Wohnzimmer aus hatte ich einen perfekten Blick auf den Hauseingang. Neugierig lugte ich hinaus und erkannte Danny, der Timmy freundschaftlich in die Arme schloss. Ich versteifte mich kurz. Wie sollte ich mich ihm gegenüber verhalten?
Timmy trat, dicht gefolgt von Danny, ein. Es dauerte keine Sekunde, bis Dannys schokoladenbraune Augen auch schon ihren Weg zu mir gefunden hatten. Die blonden Locken ringelten sich um sein hübsches Gesicht und sein Körper steckte in einer dunklen Jeans und einem blau karierten Hemd. Er sah wirklich unglaublich gut aus, wie eigentlich immer. Doch mein Herz machte keinen Sprung, ich spürte auch kein Kribbeln in meiner Magengegend, da war nichts. Er sah mir direkt in die Augen und für einen kurzen Moment wirkte er unschlüssig, doch dann trat er zögernd auf mich zu.
»Hey, Drea.« Ein kleines Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Hey.« Grüßte ich ihn meinerseits, während ich mich dran machte, im Esszimmer die Pappbecher aus ihrer Verpackung zu lösen. Danny wirkte plötzlich völlig schüchtern und ließ seine Hände in die Hosentaschen gleiten.
»Brauchst du vielleicht... Hilfe oder so?« er deutete mit einem Nicken auf die Pappbecher und kratzte sich verlegen am Kopf. Aus irgendeinem Grund verspürte ich Mitleid mit ihm.
»Klar, warum nicht?« Ich reichte ihm eine Packung und gemeinsam machten wir uns an die Arbeit. Zwischenzeitlich fühlte ich immer wieder seine Augen zu mir wandern, spürte, wie er mich beobachtete. Es schien, als wollte er etwas sagen, wusste jedoch nicht wie er sich ausdrücken sollte.
»Drea...«, setzte er schließlich an und legte die Becher beiseite. Ich schaute von meinem Tun zu ihm auf. Seine Augen waren auf die Plastiktüte in seinen Händen gerichtet, die er nervös zu zerknüllen begann. »Es tut mir leid was ich letztens gesagt habe. Es war nicht so gemeint.« Er nahm einen tiefen Atemzug und sah mich dann aus seinen dunklen Augen erwartend an. Ich seufzte.
»Schon vergessen, Danny.« Erleichtert atmete er auf, doch ich schenkte ihm einen letzten warnenden Blick. »Aber bitte achte darauf, dass so etwas nicht mehr vorkommt.«
Danny nickte eifrig. »Natürlich.«
Wir widmeten uns wieder der Arbeit und auch wenn die Stimmung zwischen uns etwas angespannt war, genoss ich, dass wir wieder normal miteinander umgingen. Es war zumindest ein gutes Zeichen, dass er sein Fehlverhalten eingesehen hatte. Nach und nach trudelten immer mehr Gäste ein und Poppy kam uns zu Hilfe, um die Getränke und einen Punsch zuzubereiten. Natürlich kippte sie sich auch gleich einen ganzen Becher herunter und dampfte dann wieder kichernd ab. Wie zu erwarten verschanzte sie sich bei Noah hinter dem DJ Pult und diskutierte mit ihm über den nächsten Song. Langsam aber sicher kam die Party auf Hochtouren und gegen zehn Uhr am Abend, war sie bereits in vollem Gange. Ich war gerade dabei den Punsch nachzufüllen, als ich im Augenwinkel bemerkte, wie sich jemand neben mir an den Getränketisch lehnte.
»Hey!« Ertönte eine hohe Stimmte neben mir. Überrascht hob ich den Kopf und blickte in das Gesicht eines mir fremden Mädchens. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen. Ihre Augen strahlten in einem sanften Grün und blickten mich unter ellenlangen Wimpern hinweg an. Ich vermutete, dass sie aufgeklebt waren, denn noch nie zuvor war ich auf jemanden mit solch langen und perfekten Wimpern getroffen. Ihre blonde Mähne war zu zwei französischen Zöpfen geflochten, die ihre weichen Gesichtszüge noch mehr hervorhoben. Mit dem dicken rosa Lipgloss wirkte sie mehr wie eine unechte Puppe, denn als ein normales Mädchen. Doch man sollte schließlich über niemanden urteilen, ehe man ihn richtig kannte. Ihr Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen und sie streckte mir ihre Hand entgegen.
»Ich bin Ruby, Ruby Roberts.«
Zögernd nahm ich ihre Hand entgegen und schüttelte sie.
»Drea Dupree.« Stellte ich mich ebenfalls vor, ehe ich mich wieder dem Punsch zuwandte. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie die Mischverhältnisse einzuhalten waren, also schüttete ich einfach willkürlich und nach eigenem Ermessen nach.
»Ich bin neu an eurer Schule und habe einige Kurse zusammen mit Timmy. Er hat mich eingeladen.« Ruby lächelte wieder ein strahlendes Lächeln und ich konnte nicht anders, als es zu erwidern. Es war irgendwie ansteckend.
»Na dann herzlich willkommen, ich hoffe, dass du dich gut einlebst.« Ich hatte den Punsch nun vollständig aufgefüllt und stellte die leeren Flaschen wieder unter den Tisch.
»Ja, bisher waren alle super nett!« Wieder grinste sie. »Naja, bis auf diese Madison Lively oder wie sie heißt. Sie ist eine richtige kleine Bitch.«
Wow. Entgeistert drehte ich mich zu ihr herum. Sie machte ja sogar Poppy Konkurrenz, denn ganz offensichtlich nahm auch Ruby kein Blatt vor den Mund.
»Hab ich jetzt was Falsches gesagt?«, ihre Augen weiteten sich. »Oh mein Gott, sag bloß du bist mit der Schnepfe befreundet? Mann, das wär echt peinlich. Irgendwie habe ich immer mega Glück in ein Fettnäpfchen nach dem anderen zu treten.«
Ich konnte mir ein Lachen nicht mehr länger verkneifen. Diese Ruby war mir wirklich sympathisch. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie Madison ebenfalls nicht leiden konnte, schien sie wirklich witzig zu sein.
»Keine Sorge, Ruby«, ich lachte und machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Ich bin weder mit Madison befreundet, noch mag ich sie besonders.« Ich sah, wie Ruby erleichtert aufatmete.
»Da bin ich jetzt echt erleichtert.« Sie legte sich eine Hand auf die Brust und grinste wieder. Ihr Blick wanderten über die Getränke, im nächsten Moment deutete sie mit einem Nicken auf den Punsch.
»Trinkst du denn nichts?«
»Doch eigentlich schon, naja, ich vertrage nicht so viel.« Ich schenkte ihr ein schüchternes Lächeln.
»Ach was, das ist doch alles alkoholfrei.« Sie zwinkerte mir vielsagend zu, ehe sie auch schon nach zwei Bechern griff. »Der Trick ist, dann aufzuhören, wenn sich der Raum zu drehen beginnt.«
Ich begann laut aufzulachen. »Ich glaube wenn das bei mir der Fall ist, ist es bereits zu spät.«
Ruby stimmte in mein Lachen mit ein und füllte die beiden Becher ordentlich bis zum Rand mit dem Alkohol. Dann drückte sie mir einen davon in die Hand und prostete mir zu.
»Auf einen erfolgreichen Abend.« Sprach sie den Toast aus.
»Cheers.«
Die Becher stießen gegeneinander und etwas Punsch lief über den Rand auf meine Hand hinab. Ich setzte an meine Lippen an und trank ein paar Schlücke. Angewidert verzog ich das Gesicht. Gott, ich hätte doch jemanden nach den Mischverhältnissen fragen sollen, der Alkoholanteil in diesem Gebräu war definitiv höher als alles andere. Ruby schien dies ebenfalls zu bemerken, denn auch ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
»Okay, also wenn man deine Mischkünste betrachtet, wundert es mich nicht, dass du nichts veträgst.« Sie hustete leicht, konnte sich ein weiteres Grinsen jedoch nicht verkneifen. Ich schenkte ihr einen entschuldigenden Blick. In diesem Moment kam Poppy angeflitzt.
»Drea! Komm schon, lass uns tanzen.« Sie packte mein Handgelenk, doch dann fiel ihr Blick auf Ruby, mit der ich mich gerade unterhalten hatte und sie blieb stehen. Neugierig musterte sie Ruby.
»Ruby.« Erwiderte diese und streckte Poppy die Hand entgegen, um sich vorzustellen.
»Poppy.« Sie ergriff Rubys Hand und schenkte ihr ein freundliches Lächeln. »Ich hoffe du tanzt gerne, sonst kannst du gleich wieder einen Abflug machen.«
»Poppy!«, entrüstet sah ich sie an, doch Ruby schien Poppys unverfrorenen Kommentar gar nicht zu stören, im Gegenteil. Sie erwiderte Poppys Lächeln sogar.
»Na klaro! Lass uns die Tanzfläche unsicher machen.« Ruby zwinkerte Poppy zu und stellte ihren Becher zurück auf den Tisch.
»Ich mag sie!« Poppys Grinsen wurde nur noch breiter. Sie schnappte sich auch Rubys Hand und schleifte uns beide hinter sich her zur Tanzfläche. Ungelenk stolperte ich auf meinen Absätzen hinterher und achtete wieder einmal peinlichst genau darauf, nicht über meine eigenen Füße zu fallen. Es dröhnte gerade Five More Hours von Chris Brown aus den Boxen und erschütterte das Haus mit tiefen Bassklängen.
Die Tanzfläche war schon reichlich gefüllt und meine Mitschüler rekelten ihre Körper aufreizend im Schimmer der Discolichter. Die hellen Punkte der Discokugel tanzten über ihren Körper hinweg und erfüllten den Raum mit Farben. Auf der Tanzfläche angekommen begannen Poppy und Ruby sich sofort rhythmisch zum Takt der Musik zu wiegen. Sie verflossen komplett mit der Melodie und bewegten ihre Arme und Beine im völligen Einklang mit der Musik. Zunächst stand ich noch etwas steif neben den beiden und wusste nicht so recht, wie ich meine eingerosteten Gliedmaßen bewegen sollte. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich mir vorgenommen hatte heute Abend abzuschalten, einfach mal Spaß zu haben und versuchen die Party zu genießen. Also setzte ich den Becher, den ich noch immer in der Hand hielt an den Mund und kippte den Punsch in ein paar Zügen herunter. Der Alkohol rann meine Kehle hinab und hinterließ ein warmes Prickeln in meinem Hals.
Ich stellte das leere Getränk auf einem der Tische ab und gesellte mich wieder zu Poppy und Ruby. Dann begann ich zu tanzen. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mit dem Beat in Einklang zu kommen, doch nach und nach verschmolz auch ich völlig mit der Musik und begann tatsächlich zu tanzen. Ich ließ meine Hüften kreisen, streckte die Arme in die Luft und bewegte meinen Oberkörper zum Rhythmus. Gott, ich hatte ganz vergessen wie viel Spaß das machen konnte! Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich genoss den Moment. Genoss die Musik, die meinen Körper zu neuen Moves verleitete, genoss die bunten Lichter, die wild durch den Raum wandern. Es war unglaublich.
Plötzlich bemerkte ich einen Arm an meiner Schulter. Als ich aufblickte sah ich Timmy. Er hatte jeweils einen Arm um mich und Poppy geschlungen und grinste uns glücklich an.
»Scheiße! Ich bin achtzehn!« Grölte er lauthals über die laute Musik hinweg. An seiner Fahne konnte ich bereits riechen, dass er wieder ordentlich getankt hatte, was nicht weiter schlimm war, schließlich war es sein Geburtstag. Poppy und ich erwiderten sein Lächeln und im nächsten Moment erschien Danny neben mir. In seinen Händen hielt er vier Becher, über die hinweg er mich nun schüchtern anlächelte. Als er mir eines der Getränke hinhielt nahm ich es dankend an. Den Rest verteilte er an Ruby, Poppy und Timmy. Poppy, die ihm seinen Umgang mit mir zwar immer noch nicht so ganz verziehen hatte, erwiderte zumindest sein Lächeln und nahm ebenfalls einen der Becher entgegen. Es war wirklich eine sehr aufmerksame Geste von ihm. Ich nahm einen ordentlichen Schluck und wir begannen alle zusammen im Kreis zu tanzen. Wir blödelten herum und machten irgendwelche bescheuerten Moves, die früher in den Achtzigern mal modern waren. Schon lange hatte ich nicht mehr so viel gelacht und derart viel Spaß gehabt. Trotz der Tatsache, dass so viel zwischen Danny und mir passiert war, schien es wie früher zu sein, die Zeiten, in denen Danny, Timmy, Poppy und ich jeden Tag gemeinsam unterwegs waren. Die Stimmung war ausgelassen und das Lächeln wollte gar nicht mehr von meinen Lippen weichen.
Schließlich beugte Poppy sich zu Timmy rüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Timmys Miene hellte sich auf und er nickte begeistert. Anschließend gaben Poppy und Timmy uns zu verstehen, dass wir ihnen folgen sollten. Fragend warf ich Ruby und Danny einen Blick zu, doch die beiden schienen ebenso wenig zu wissen, was Poppy und Timmy mal wieder ausheckten.
Die beiden führten uns ins angrenzende Esszimmer, wo sie sich um den Tisch versammelt niederließen. Ich tat es meinen Freunden gleich und ließ mich auf einen Stuhl plumpsen. Unterdessen kam Poppy gleich mit einer neuen Ladung Getränke und einer leeren Cola Flasche auf uns zu. Sie reichte jedem von uns einen Becher, ehe sie die leere Flasche in der Mitte des Tisches platzierte. Es begann mir bereits zu dämmern, was Timmy und Poppy vor hatten. Ruby sprach meine Vermutung laut aus.
»Wahrheit oder Pflicht?«, sie kicherte laut. »Sind wir nicht schon zu alt dafür?«
»Für dieses Spiel ist man nie zu alt.« Poppy grinste breit und ließ sich neben Timmy auf den Stuhl fallen. Eigentlich mochte ich solche Spiele nicht. Da der Alkohol allerdings bereits zu wirken begann, fand ich das ganze recht amüsant und richtete mich auf meinem Stuhl auf. Einige der Gäste schienen unser Vorhaben wohl bemerkt zu haben, denn vier weitere Leute gesellten sich zu uns an den Tisch. Zwei Mädchen, die bei mir im Biologiekurs waren, sowie zwei Jungs aus meinem Englischkurs.
»Die Regeln sind bekannt, nehme ich an?« Fragte Timmy in die Runde und warf jedem einzelnen einen durchdringenden Blick zu. Alle nickten einvernehmlich und Timmy begann die Flasche zu drehen. Sie nahm immer mehr an Geschwindigkeit ab, bis sie schließlich zum Stillstand kam und auf Ruby zeigte. Diese seufzte, doch wie immer war dieses Dauergrinsen auf ihrem Gesicht.
»Wahrheit oder Pflicht?« Fragte Timmy, während seine Augen aufgeregt zu leuchten begannen. Ruby schien kurz zu überlegen. »Pflicht.«
»Hmm...«, Timmys Lippen verzogen sich zu einem diabolischen Grinsen. »Zieh dein Oberteil aus!«
Mir klappte der Kiefer runter und ich machte große Augen. War das sein ernst? Wenn alle Pflichten derart überzogen ausfielen, sollte ich vielleicht besser aussteigen. Es gab zwar immer noch die Option Wahrheit auszuwählen, aber wenn die Pflichten bereits so extrem waren, wollte ich erst gar nicht die Fragen für Wahrheit wissen. Doch noch ehe ich ernsthaft über Aussteigen nachdenken konnte, griff Ruby mit einem schelmischen Lächeln nach dem Saum ihres Oberteils und zog es sich mit einem Ruck über den Kopf. Ein paar der Jungs stießen einen Pfiff aus oder ließen irgendwelche Kommentare ab. Doch Ruby schien das nicht im Geringsten zu stören, im Gegenteil, sie fühlte sich sichtlich wohl in ihrer Haut und das, obwohl sie nur in einem roséfarbenen SpitzenBH vor uns saß. Ich schluckte schwer und beobachtete voller Panik, wie sie die Flasche in die Hand nahm und wieder zu drehen begannen. Auf diesen Schock musste ich erst einmal etwas trinken. Ich nahm den Becher vor mir in die Hand und nahm einen Schluck. Langsam aber sicher begann ich den Rausch des Alkohols zu spüren. Als ich dieses Mal wieder aufsah, zeigte die Flasche auf Poppy.
»Wahrheit oder Pflicht?« Stellte Ruby ihr die Frage aller Fragen.
»Pflicht.« Poppy grinste. Wieso zum Teufel wählte jeder Pflicht? Rubys Gesicht nahm wieder nachdenkliche Züge an und sie ließ ihren Blick über die anderen Mitspieler hängen, bis sie an Timmy hängen blieb. Ihr Gesicht erhellte sich. »Küss Timmy.«
Bei ihren Worten verschluckte ich mich beinahe an meiner eigenen Spucke und sofort richteten sich meine Augen auf Timmy. Auch er schien für einen kurzen Moment aus der Bahn geworfen zu sein. Wie erstarrt saß er auf seinem Stuhl und sah zu Ruby rüber, die anzüglich grinste.
»Das ist alles?« Poppy lachte und noch ehe Timmy richtig begreifen konnte wie ihm geschah, hatte Poppy sein Gesicht in ihre Hände genommen und drückte ihre Lippen auf seine. Im ersten Moment war Timmy wie versteinert und bewegte sich kaum, doch nach ein paar Sekunden löste er sich aus seiner Starre und begann den Kuss zu erwidern. Seine Hände vergruben sich in Poppys grauen Strähnen und mir selbst fiel natürlich auf, mit welcher Hingabe er sie küsste. Mir entging zwar nicht, dass Timmy etwas überfordert und unbeholfen wirkte, doch ich hatte das Gefühl, als würde er all seine Emotionen in diesen Kuss legen, all seine Gefühle für Poppy. Nach ein paar Sekunden lösten sie sich voneinander.
»Nicht schlecht.« Poppy grinste, ehe sie sich wieder umdrehte und nach der Flasche griff, um das Spiel fortzusetzen. Am Rande bekam ich mit, dass Hannah, das Mädchen aus meinem Biologiekurs an der Reihe war, jedoch war meine vollkommene Aufmerksamkeit auf Timmy gerichtet. Er verharrte noch immer in der Bewegung und schluckte schwer. In diesem Moment tat er mir so unendlich leid. Wahrscheinlich konnte jeder Blinde ihm in diesem Moment ansehen, wie viel Poppy ihm bedeutete. Er hatte das Mädchen geküsst, in das er verliebt war. Für ihn war das sicherlich ein sehr bedeutsamer Moment, doch für Poppy war es lediglich das Produkt eines Spieles gewesen. Und das wusste Timmy. Genau diese Erkenntnis und der damit verbundene Schmerz spiegelten sich nun in seinen Augen wider. In diesem Moment hob er den Kopf und sah mich aus unendlich traurigen Augen aus an. Ich erwiderte seinen Blick und versuchte ihm zu zeigen, wie unglaublich leid mir das Ganze tat. Doch im nächsten Moment wurde ich auch schon von der Seite angestupst.
»Drea, du bist dran.« Hörte ich Hannah sagen. Meine Augen richteten sich erst auf Hannah, dann auf die Flasche in der Mitte, die direkt auf mich zeigte. Sofort schnellte mein Puls in die Höhe und Aufregung machte sich in mir breit.
»Wahrheit oder Pflicht?« Wollte sie nun wissen. Ich hob wieder die Sicht und sah in ihre blauen Augen, die nun amüsiert aufblitzten. Wahrscheinlich überlegte sie sich innerlich bereits irgendwelche gemeinen Aufgaben für mich. In diesem Moment hatte ich nicht den blassesten Schimmer, welche der beiden Optionen wohl die Bessere wäre. Da ich allerdings alles andere als begeistert davon war, mich meiner Kleidung zu entledigen oder mit irgendwem schmuddelige Küsse auszutauschen, wählte ich die Wahrheit. Damit hatte Hannah wohl nicht gerechnet. Sie brauchte einige Sekunden, um sich eine Frage auszudenken. Dann zeichnete sich wieder ein Lächeln auf ihren Lippen ab, das mir signalisierte, dass sie die perfekte Frage gefunden hatte.
»Hattest du schon einmal etwas mit einem älteren Mann?«
Das war ihre Frage? Lächerlich. Ich wollte bereits zu einem Nein ansetzen, als mir der Kuss mit Logan ins Gedächtnis kam und mein Kopf lief hochrot an. Logan war sechsundzwanzig Jahre alt. Was verstand Hannah denn unter einem älteren Mann?
»Definiere alt.« Ich schluckte schwer und spürte Dannys Augen auf mir brennen. Gott, hoffentlich meinte sie mit alt auch einen wirklich alten Mann von vierzig Jahren oder älter. Andernfalls wusste ich ehrlich gesagt nicht, was ich antworten sollte.
»Naja«, sie schien zu überlegen. »So fünfundzwanzig aufwärts.« Sie zuckte mit den Schultern. Und ich spürte, wie meine Gesichtsfarbe mittlerweile die Farbe einer Tomate angenommen hatte. Natürlich könnte ich einfach lügen und sagen, dass ich noch nie etwas mit einem Mann in diesem Alter hatte, doch das wäre gelogen. Einerseits wollte ich absolut nichts über das Verhältnis mit Logan und mir preisgeben. Aber nur indem ich zugab, etwas mit einem Mann in diesem Alter gehabt zu haben, würde ja nicht gleich jeder wissen, dass es sich bei diesem Mann um Logan handelte. Schließlich stand es mir ja nicht in großen schwarzen Lettern auf die Stirn tätowiert.
»Also?«, hakte Hannah nun ungeduldig nach und warf mir einen forschenden Blick zu. Ich räusperte mich laut.
»Ja.« Brachte ich schließlich über die Lippen und traute mich kaum den Blick zu heben. Ich konnte auch ohne aufzusehen spüren, wie Danny mir gegenüber gleich platzte. Selbst Timmys Augen ruhten überrascht auf mir. Ich ignorierte die Blicke meiner Freunde und drehte stattdessen die Flasche. Sie zeigte auf das andere Mädchen, Sharon, aus meinem Biologiekurs. Sie wählte Pflicht. Da mir nichts Besonderes einfiel und ich auch nicht sehr angetan davon war, mir irgendwelche perversen Aktivitäten einfallen zu lassen, befahl ich ihr lediglich ihr Getränk auf Ex zu trinken. Sie wirkte etwas enttäuscht, kam meiner Aufforderung allerdings ohne mit der Wimper zu zucken nach. Nun war sie an der Reihe die Flasche zu drehen und ich hätte am liebsten laut aufgeseufzt, als sie ein weiteres Mal in meine Richtung zeigte. Sharon grinste gehässig und stellte mir wieder die übliche Frage. Diesmal zog ich es tatsächlich in Betracht, Pflicht zu wählen. Ich hatte wirklich keine Lust noch weiter über diesen älteren Mann ausgelöchert zu werden.
»Pflicht.« Ich versuchte meine Stimme einigermaßen fest klingen zu lassen, doch sie war kaum mehr als ein Piepsen. Eilig kippte ich mir mein Getränk herunter, um meine Nervosität zu überspielen und mich für ein paar Augenblicke abzulenken. Sharon kräuselte die Lippen nachdenklich, dann schien sie wohl eine Eingebung zu haben.
»Schicke dem letzten Kontakt mit dem du gesimst hast eine schmutzige SMS.«
Ich verrollte die Augen. Etwas Besseres fiel ihr nicht ein? Aber gut, mir sollte es recht sein. Denn es war allenfalls besser, als einen Striptease aufs Parkett zu legen oder mit einem meiner Mitschüler Speichel auszutauschen.
»Was soll ich schreiben?«, fragte ich, während ich mein Handy zückte, um zu checken, wer der letzte Kontakt war, mit dem ich gesimst hatte. Zu hoher Wahrscheinlichkeit konnte es eigentlich nur Poppy sein. Doch sobald ich meine Nachrichtenapp öffnete und mein Blick auf den obersten Namen fiel, erstarrte ich. Mein Magen drehte sich um und mein Herz setzte für einen Augenblick aus. Geschockt starrte ich auf den Namen meines letzten Kontaktes. Unmöglich. Ich konnte ihm keine Nachricht schicken, und schon gar keine, in der irgendwelche dreckigen Sprüche vorkamen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, alle Nachrichten mit ihm eilig zu löschen. Doch dazu hätte mir die Zeit nicht gereicht, denn bevor ich auch nur reagieren konnte, hatte Sharon mir mein Handy aus den Händen gerissen.
»L? Wer ist L?« Verwundert sah sie zu mir rüber. Meine Kehle schnürte sich zu.
»Niemand!« Zischte ich und beugte mich vor, um ihr das Handy wieder abzunehmen. Doch sie erahnte mein Vorhaben und hob es grinsend eine Armlänge von mir entfernt.
»Du hast Pflicht gewählt, also musst du damit leben.« Sie nahm mein Handy wieder in beide Hände, hielt jedoch sicherheitshalber etwas Abstand zu mir für den Fall, dass ich es ihr ein weiteres Mal zu entreißen versuchte, was ich auch tat. Doch es war zwecklos. Grinsend tippte sie auf den Bildschirm meines Iphones ein.
»Ich würde zu gerne wissen, wer L ist.« Sie kicherte teuflisch und hielt mir das Telefon wieder unter die Nase. Verärgert entriss ich es ihrem Griff und warf mit klopfendem Herzen hastig einen Blick darauf. Als ich las, was sie Logan geschrieben hatte, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken.
So, ich hoffe euch haben die beiden Kapitel gefallen! Ich freue mich schon total auf euer Feedback & eure Votes! ;) Auch ein meeega fettes Dankeschön an euch, ihr seid wahrhaftig die besten Leser die man sich nur wünschen kann. Ohne euch hätte ich es niemals so weit geschafft! DANKE <3
GLG :) <3
PS: Was denkt ihr, könnte in der SMS drin stehen? ;) Und was mich auch mal interessieren würde: Wer ist eigentlich euer Lieblingscharakter & weshalb? :)
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