Kapitel 19
Ich spürte einen Druck an meiner Schulter. Blinzelnd öffnete ich die Augen und versuchte mich an das Tageslicht zu gewöhnen, welches mich im Gesicht kitzelte und mir die Sicht versperrte.
Ich musste wohl eingeschlafen sein. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit und ich starrte in ein paar eisblaue Augen.
Logan stand unmittelbar vor mir und beugte sich über mich. Die eine Hand stützte er hinter mir auf der Kopflehne ab, während er mich mit der anderen an der Schulter berührte.
»Hey tut mir leid, dass ich dich wecke. Wir machen eine kurze Pause, Drea. Falls du dir die Beine vertreten möchtest, oder Hunger hast. Hier gibt es eine Tankstelle«, er deutete mit dem Daumen hinter sich.
Ich benötigte einen Augenblick, um zu mir zu kommen. Noch immer fühlte ich mich von meinem kleinen Nickerchen etwas benommen. Dann sah ich mich um. Außer mir waren so gut wie alle ausgestiegen. Bloß im hinteren Teil des Busses saßen noch zwei Mädchen.
Ich schaute wieder zu Logan auf. Seine Anwesenheit brachte meinen Magen in Sekundenschnelle dazu Purzelbäume zu schlagen.
»Wie lange sind wir schon unterwegs?«, wollte ich wissen.
»Seit einer Stunde. Die Hälfte ist bereits geschafft, dann sind wir da«, antwortete er und ließ sich auf dem gegenüberliegenden Sitz nieder.
»Wow ich habe die Hälfte der Fahrt verschlafen«, ich seufzte, ehe ich mich noch einmal umsah. »Wo ist eigentlich Poppy?«
»Sie ist direkt nach draußen gegangen.«
Ich nickte und unterdrückte ein schläfriges Gähnen. Eine Weile lang herrschte unangenehme Stille zwischen uns, als wüsste keiner so richtig, was er sagen sollte. So viel Unausgesprochenes lag zwischen uns in der Luft. Allem voran der Abend vor zwei Wochen, als er mich an der Eislaufbahn abgefangen hatte.
Doch was am meisten zu der angespannten Stimmung zwischen uns beitrug, war die Art und Weiße, wie besagter Abend geendet hatte.
»Logan. Du brauchst Hilfe! Willst du denn nicht irgendwann einmal jemanden an deiner Seite haben? Willst du dein Leben nicht mit jemandem teilen, vielleicht sogar eine Familie gründen? Oder möchtest du für den Rest deines Leben einsam und alleine bleiben?«
Meine Worte schienen ihn zu verunsichern und er schluckte schwer
»Ich... Ich weiß es nicht«, immer wieder schüttelte er den Kopf. Seine Haare hingen ihm mittlerweile in nassen Strähnen ins Gesicht.
»Weißt du, Logan, ich will das. Ich will mein Leben mit jemandem teilen. Ich will jemanden an meiner Seite haben, jemand, der alles von mir weiß und mich dennoch bedingungslos liebt. Und ich möchte, dass du derjenige bist«, wieder liefen mir Tränen über die Wangen und tropften hinab auf meine Jacke. »Aber das hier«, ich zeigte auf ihn und mich. »Mache ich so wie es momentan läuft nicht mehr mit. Dieses Hin und Her, Logan, es macht mich kaputt. Du machst mich kaputt«, ich zuckte verzweifelt mit den Schultern.
»Also mach dir endlich einmal Gedanken darüber, was du wirklich willst. Entweder lässt du deine Gefühle zu und wir überlegen uns, wie es weiter geht...«, ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. »Oder wir beenden das, was zwischen uns ist. Ein für allemal. Keine privaten Gespräche mehr, keine Treffen mehr, nichts. Dann bin ich nichts mehr, als deine Schülerin«, ich trat einige Schritte näher und drückte ihm einen der Fotostreifen von der Fotobox an die Brust.
»Mach dir Gedanken darüber.«
Mit diesen Worten machte ich auf dem Absatz Kehrt und ließ Logan alleine im Schneeregen zurück.
Die Erinnerung an diesen Abend tat noch immer schrecklich weh. Es weckte eine Sehnsucht in mir, die ich nicht zu stillen wusste. Nach wie vor hatte ich keine Antwort von Logan bekommen. Keine Antwort darüber, wie es weiter gehen sollte, wie er sich entschieden hatte.
Hatte er seit diesem Vorfall letzten Mittwoch überhaupt schon einen Gedanken daran verschwendet?
Er ließ jedenfalls absolut keinen Raum für Interpretationen offen. Sein Verhalten lieferte nicht den geringsten Hinweis darüber, was er wirklich dachte. Und ihm hier in diese spärlichen Bus so nahe zu sein, machte die Sache nicht gerade besser.
Im Gegenteil. Seine Anwesenheit gab mir ein Gefühl von Nervosität. Logan raubte mir jegliche Kraft klar denken zu können. Auch wenn ich es genoss ihm so nahe zu sein, wusste ich dennoch, dass gerade weder der richtige Zeitpunkt, noch der richtige Ort war, um über dieses Thema zu sprechen.
Gerade deshalb, weil ich in seiner Gegenwart nicht in der Lage war, mich adäquat und wie eine vorbildliche Schülerin zu verhalten.
Mit einem Mal wurde es mir viel zu eng und zu stickig in diesem Bus. Die Luft staute sich und es fiel mir schwer zu atmen. Ich wusste nicht, ob es mein Körper war, der sich nicht wohl fühlte, oder mein Herz, welches in Logan Gegenwart unkontrollierbar schlug. Eines wusste ich jedoch sicher.
Ich musste hier raus.
»Na schön, dann werde ich auch mal rausgehen. Ich brauche ich einen Kaffee zum Wachwerden.«
»Ja ich gehe auch noch einmal frische Luft schnappen«, hörte ich Logan sagen.
Gerade als ich aufstand, erhob Logan sich ebenfalls und beinahe stießen wir auf dem schmalen Gang gegeneinander. Stattdessen standen wir nun voreinander, nur ein paar Zentimeter voneinander getrennt. Um ein Haar hätten sich unsere Nasenspitzen berührt. Doch bevor die Situation noch merkwürdiger werden konnte, als sie es ohnehin schon war, wich Logan augenblicklich zurück.
»Tut mir leid«, er kniff angestrengt die Brauen zusammen und sah mich an. Sein Blick war so glühend, als würde das Blau seiner Augen regelrecht schmelzen.
Schnell wandte ich mich weg und starrte stattdessen zu den zwei Mädchen, die im hinteren Teil des Busses saßen. Doch sie schienen nichts mitbekommen zu haben, stattdessen tuschelten sie lachend über etwas auf ihrem Handy.
»Alles in Ordnung«, entgegnete ich und wagte es kaum, Logan wieder anzusehen. Die Situation war äußerst angespannt und ich konnte es kaum abwarten, aus dem Bus heraus zu kommen.
Also steuerte ich auf den Ausgang zu. Logan folgte mir und ich wünschte, er wäre einfach im Bus geblieben. Zumindest nur für ein paar Sekunden, sodass ich meine Gedanken sammeln konnte. Denn dies war mir in seiner Gegenwart absolut nicht möglich. Zudem war mir aus irgendeinem Grund schon seit dem Aufwachen etwas seltsam zumute.
Obwohl Logans Anwesenheit mich wieder einmal derart auf Trapp hielt, war ich furchtbar müde. Mein Mund fühlte sich trocken an und mich überkam das Verlangen, einen ganzen Liter Wasser auf einmal trinken zu können.
Gerade als ich die drei Stufen des Busses hinab gehen wollte, wurde mir plötzlich etwas schwindelig und ich stockte kurz. Haltsuchend griff ich nach einer Haltestange zu meiner rechten und petzte die Augen zusammen, um die Übelkeit zu verjagen.
»Drea, alles in Ordnung?«
Logans Stimme drang nur gedämpft an meine Ohren und ich brauchte einen Moment, um die gesagten Worte zu verarbeiten.
Ich atmete tief ein und wieder aus, ehe ich die Augen öffnete und sich meine Sicht etwas klärte. Direkt vor mir stand Logan und sah mich aus besorgten Augen an.
»Drea, ist dir nicht gut? Was ist los?«
»Schon gut«, ich schüttelte den Kopf und rieb mir mit den Fingern über die Augen. »Mir war nur etwas schwindelig gerade. Ich bin noch müde, bestimmt bin ich nur zu schnell aufgestanden.«
»Hast du genügend getrunken vor der Fahr? Vielleicht brauchst du etwas Wasser, lass mich dir etwas holen.«
»Nein«, sagte ich bestimmt. »Nein, es geht schon wieder, alles gut.«
Ich wollte keine extra Behandlung von ihm. Denn das Risiko bestand, dass Logan sich womöglich ein wenig zu überfürsorglich mir gegenüber verhielt. Und dieses Szenario wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Schließlich waren wir nicht alleine hier.
»Bist du sicher?«, zweifeln blickte er unter seinen dichten schwarzen Wimpern zu mir auf.
»Es geht mir gut«, mit diesen Worten riss ich mich von seinen blauen Augen los und ging an ihm vorbei. Zwar fühlte ich mich noch immer etwas wackelig auf den Beinen, doch ich war mir sicher, dass ich es nur ein wenig am Kreislauf hatte. Dies war keine Seltenheit bei mir.
Mir war klar, dass es ein Anzeichen dafür war, mehr auf meinen Körper Acht zu geben. Allerdings gehörte ich schon immer zu der Gruppe Mensch, die über den Tag hinweg immerzu unbewusst das Trinken vernachlässigten.
Also beschloss ich meinem Körper einen Gefallen zu tun und betrat den kleinen Shop der Tankstelle, um mir etwas zu holen.
Es war ein kleines, spärliches Geschäft, dessen Regale nur so überfüllt waren von Süßigkeiten. Der Geruch der in der Luft lag roch nach einer Mischung aus Zigarettenrauch, Benzin und Alkohol. Angeekelt rümpfte ich die Nase und ging ein paar Schritte weiter ins Ladeninnere. Einige meiner Mitschüler bedienten sich an dem Kaffeevollautomaten, welcher vorn an der Kasse stand.
Der Mann hinter dem Tresen machte einen ebensowenig seriösen Eindruck wie der Rest seines Ladens. Einen Kaugummi kauend beäugte er argwöhnisch das Tun meiner Mitschüler an dem Automaten. So viele junge Leute in seinem Geschäft schienen ihm nicht so geheuer zu sein.
Meine Sicht wanderte weiter und ich entdeckte das Toilettenschild. In diesem Moment spürte ich, dass meine Blase drückte und ich folgte dem Schild.
Wie befürchtet waren auch die Toiletten verdammt unhygienisch und ekelerregend. Ein Raum so klein, dass man gerade noch die Tür hinter sich schließen konnte. Hinzu kam auch noch ein fürchterliche Geruch nach Urin.
Wäre es nicht verdammt dringend gewesen, hätte ich versucht die eine Stunde noch auszuharren.
Als ich in das Geschäft zurückkam, stand niemand mehr an der Kasse an. Ich schnappte mir eine Wasserflasche und betätigte die Kaffeemaschine an der Kasse.
Dann schob ich dem Mann hinter der Kasse ein paar Dollarscheine zu und machte mich davon.
Als ich das Geschäft verließ, blieb ich kurz stehen und atmete tief ein. Ich genoss den kalten Wind, der mir ins Gesicht peitschte und mich beschlich das Gefühl, je weiter wir aus Seattle herausfuhren, desto frischer und intensiver wurde die Luft.
Wir kamen dem Nationalpark immer näher und als ich zwischen zwei Zapfsäulen hindurch lugte, entdeckte ich Mount Rainier.
Groß und mächtig ragte der Vulkan in weiter Entfernung am Horizont auf, umgeben von waberndem Nebel.
Wenn ich ihn von Seattle aus betrachtete, wirkte er stets so fern und unerreichbar. An manchen Tagen sah es aus, als würde er am Horizont schweben. An anderen jedoch konnte man ihn vor lauter Nebel und Dunst kaum erkennen.
Für mich persönlich hatte er schon immer etwas Magisches an sich gehabt.
»Drea!«, ein Ruf riss mich aus meiner Schwärmerei.
Ich schaute in die Richtung aus der mein Name gekommen war.
Poppy stand vor dem Bus und winkte wie wild mit den Händen in der Luft. Ich setzte meine Beine in Bewegung und kam auf sie zu.
»Ausgeschlafen oder noch am Träumen von Mr. Adonis?«
Ich verrollte die Augen.
»Und du? Hast du deine Stimmungsschwankungen nun unter Kontrolle, oder bist du immer noch so miesepetrig?«, konterte ich, woraufhin Poppys Mundwinkel sofort wieder nach unten sanken.
»Nicht cool, Drea.«
Ich seufzte.
»Sorry. Mir geht es heute irgendwie nicht besonders gut.«
Poppy hob die Brauen.
»Wirst du krank?«
»Ach, ich habe nur wieder zu wenig getrunken«, sagte ich und winkte ab. Poppy dagegen sah mich mit einer liebevollen Strenge im Blick an.
»Damit ist nicht zu spaßen, Drea. Schau, dass du genügend Flüssigkeit über den Tag zu dir nimmst.«
»Ja, Dr. Popps«, entgegnete ich sarkastisch. »Komm, lass uns einsteigen.«
Poppy folgte mir in den Bus. Erschöpft ließen wir uns auf unsere Sitzplätze fallen. Da wir eine zu große Truppe waren, befand sich die andere Hälfte unserer Stufe gemeinsam mit Mr. Sawyer und Ms. Connors in dem anderen Bus.
Kurz nachdem Poppy und ich uns niedergelassen hatten, begann Logan den Bus durchzuzählen. Gekonnt wich ich seinem Blick aus. Wir warteten noch auf ein paar einzelne Nachzügler, ehe die Fahrt auch schon wieder weiter ging.
Wir fuhren keine zehn Minuten, als ich meinen Kaffee und die Wasserflasche bereits ausgetrunken hatte. Offensichtlich nahm ich es mit meinen neuen Vorsätzen etwas zu ernst. Denn kurz darauf bereute ich sie auch schon wieder.
Nervös rutschte ich auf dem Sitz hin und her. Poppy sah mich amüsiert von der Seite her an.
»Was hast du denn?«
»Ich muss schon wieder auf die Toilette, dabei war ich eben erst.«
Poppy lächelte. »Das ist der Kaffee.«
Gequält verzog ich das Gesicht und kramte meine Kopfhörer aus dem Rucksack hervor. Ich stöpselte sie mir in die Ohren und drückte an meinem iPhone auf Play, um mich so etwas abzulenken. To the Moon & Back von Savage Garden dröhnte hindurch und erfüllte meinen Körper mit Musik.
Vom Fenster aus beobachtete ich die Natur und die Landschaft, die an meinen Augen vorbei zog. Sie hatte etwas friedliches und beruhigendes an sich. Daher dauerte es auch nicht lange, bis die Müdigkeit mich erneut einholte und ich in einen unruhigen Schlaf fiel.
Hallo! :-)
Tausend Dank an euch alle! Es bedeutet mir so wahnsinnig viel, dass ihr mein Buch liest und die Geschichte von Logan und Drea mit solchen Enthusiasmus verfolgt. Das motiviert mich wirklich so sehr.
Bitte scheut euch nicht und schreibt mir in die Kommentare, was ihr von dem Kapitel hält! Ich freue mich jedes mal so tierisch über euer Feedback!
Liebe Grüße,
eure Lora <3
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