Kapitel 15
Der Weg bis zu meinem Auto fühlte sich an wie Stunden. Nichts hätte ich lieber getan, als den restlichen Abend mit Logan zu verbringen. Doch es ging nicht. Ich konnte nicht. Dieses Mal hatte ich auf meinen Verstand gehört. Auf die Stimme der Vernunft, die in meinem Kopf so laut schrie, dass ich sie nicht mehr länger hatte ignorieren können.
Egal wie stark meine Gefühle für Logan auch waren, es gab Grenzen. Und ich hatte meine eigene Grenze an diesem Abend erreicht. Seine Nähe tat mir nicht gut. Selbstverständlich sehnte ich mich nach ihr, aber ich war wohl endlich an diesen Punkt gekommen, an dem ich Stopp sagen musste. Bis hier hin und nicht weiter.
Der schrille Klingelton meines Handys riss mich aus den Gedanken. Ich griff nach meinem Telefon und Poppys Gesicht erschien auf dem Display.
»Poppy, hey«, begrüßte ich meine beste Freundin.
»Drea, wo zum Henker warst du? Ich habe es gefühlte Fünfzig mal auf deinem Handy versucht.«
Selbst durch den Hörer konnte ich mir förmlich vorstellen, wie Poppy beleidigt das Gesicht verzog. Der Gedanke daran entlockte mir ein Schmunzeln.
»Tut mir Leid, Poppy. Ich war...«, kurz geriet ich ins Stocken. »Unterwegs.«
Für ein paar Sekunden herrschte Stille in der Leitung.
»Unterwegs, huh?«
»Ja, unterwegs«, ich räusperte mich.
Wieder herrschte für kurze Zeit Stille zwischen uns, ehe Poppy diese endlich durchbrach.
»Na schön, eigentlich wollte ich dich anrufen, ein obligatorisches Wie geht's dir? raushauen und den Rest des Telefonats von mir erzählen, aber verdammte Scheiße! Dein Unterwegs klang so rein gar nicht nach einem typischen unterwegs, mehr nach einem Ich-habe-mich-mit-Mr-Adonis-getroffen-Unterwegs.«
Ich seufzte laut in den Hörer. War ich tatsächlich ein so offenes Buch, oder lag es schlicht und ergreifend daran, dass Poppy mich zu gut kannte?
»Naja ich... Ja«, gestand ich. »Du hast recht. Aber das war nicht geplant gewesen.«
»Inwiefern nicht geplant?«, hakte sie nach.
»Ich war vorhin an dem Eislaufplatz in der Innenstadt, du weißt schon, dort wo wir immer an Mums Geburtstag waren...«, ich stockte.
»Ich weiß«, hörte ich Poppy mit sanfter Stimme sagen. Schnell bemühte ich mich darum, weiter zu sprechen, um die Sehnsucht nach Mum erst gar nicht zulassen zu können.
»Jedenfalls hatte ich Logan letztens davon erzählt und als ich vorhin dort war, tauchte er plötzlich auf und behauptete er wolle mich sehen und wissen wie es mir geht.«
»Nein! Nicht dein ernst?«, rief Poppy erstaunt in den Hörer
»Ja, unfassbar, oder?«, ich schüttelte den Kopf.
»Unfassbar süß, würde ich behaupten!«
»Freu dich nicht zu früh«, versuchte ich ihre Begeisterung zu dämpfen.
»Oh nein, sag bitte nicht er hat es wieder versaut!«, Poppy stöhnte.
»Ja, es lief alles super, bis wir uns wieder geküsst haben und ich Reißaus genommen. habe.«
»Reißaus? Gott Drea, warum?«
»Poppy, weil mich dieses Hin und Her einfach echt fertig macht. Ich will das so nicht. Er ist mir noch nachgelaufen und wollte sich wieder einmal erklären mit seinen Ausreden, aber ich habe ihm lediglich mitgeteilt, dass er sich Gedanken darüber machen soll, was er wirklich will. Dann bin ich gegangen.
»Klingt tatsächlich, als hätte er einen riesen Arschtritt verdient«, knurrte Poppy in den Hörer.
»Das kannst du laut sagen«, ich seufzte und ließ meinen Blick aus der Windschutzscheibe gleiten, auf der sich nun dicke kleine Schneeflocken sammelten.
»Und nun? Wie geht es mit euch weiter?«
Erschöpft rieb ich mir über die müden Augenlider.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, Poppy.«
»Also wenn du mich fragst, dann solltet ihr euch mal richtig aussprechen. Jedes Mal, wenn diese Sache zwischen euch zur Sprache kommt, macht einer von euch einen Rückzieher. Ihr schiebt das vor euch her, das ist doch kein Zustand!«
Mir war klar, dass Poppys Worte durchaus einen gewissen Wahrheitsgehalt enthielten. Allerdings war die Situation viel zu komplex und heikel, um sie mit lediglich einem Gespräch lösen zu können. Denn als wäre die Tatsache, dass es sich bei Logan um meinen Englischlehrer handelte nicht schon genug, so kam noch hinzu, dass er offenbar eine tragische Kindheit erlebt hatte. Und allem Anschein nach war dies die Hauptursache dafür, dass er eine Unfähigkeit entwickelte hatte, jemanden an sich heranlassen zu können.
Allerdings konnte ich Poppy davon nicht erzählen, da ich mir mehr als sicher war, dass Logan das nicht wollen würde und sich dabei nicht wohlfühlen würde.
Das Treffen mit Logan hatte mich meinem Verstand wieder einmal völlig beraubt. Ich war außerstande klar zu denken. Gott, einzig und allein der Umstand, dass ich mich mit Logan in der Öffentlichkeit hatte sehen lassen, war extrem heikel und gefährlich gewesen. Was wenn wir jemanden von der Schule getroffen hätten?
Natürlich, Seattle war nun nicht gerade eine kleine Stadt, in der man jedes Gesicht erkannte. Dennoch bestand ein gewisses Risiko
Und unwillkürlich begann ich mich zu fragen, ob Logan sich über diese Tatsache nicht auch Gedanken gemacht hatte, oder ober vorhin in dem Moment der Zweisamkeit nicht darüber nachgedacht hatte. Langsam aber sicher realisierte ich, dass ich mich wieder einmal in meinen Überlegungen verstrickte. Unmerklich schüttelte ich den Kopf und versuchte die Gedanken an Logan und den heutigen Abend aus meinem Kopf zu vertreiben.
»Lass uns über etwas anderes reden. Was gibts bei dir Neues?«, warf ich ein.
Kurz herrschte Stillschweigen am anderen Ende.
»Naja, ehrlich gesagt bin ich am überlegen, ob ich Lukas anrufen soll und wollte dich nach deiner Meinung fragen.«
»Du willst Lukas anrufen?«, wiederholte ich erstaunt ihre Worte. »Bist du dir denn nun sicher, was deine Gefühle betrifft?«
»Ich...«, Poppy geriet ins Stocken. »Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich Lukas sehr mag und schon seit einer gefühlten Ewigkeit für ihn schwärme. Ich weiß, wir haben vielleicht nicht direkt dieselben Interessen und im Grunde passen wir so rein gar nicht zueinander, aber wir mögen uns und empfinden doch etwas füreinander. Wäre es da nicht völlig irre, das was ich mit ihm habe aufs Spiel zu setzen?«
Ich ließ mir ihre Worte kurz durch den Kopf gehen.
»Hast du es nicht bereits aufs Spiel gesetzt, Poppy? Du hast mehr oder weniger zugegeben, dass du die nicht sicher bist über deine Gefühle bezüglich deines besten Freundes.«
»Ja, aber Lukas...«,
»Poppy«, fiel ich ihr sogleich ins Wort. »Bevor du einem der beiden falsche Hoffnungen machst, solltest du mit dir selbst im Reinen sein, und dir über deine Gefühle klar werden. Was ist es, das dich an Lukas hat zweifeln lassen? Was ist es, das dich zu Timmy hinzieht? Oder hat dich sein Geständnis lediglich überrumpelt und du fürchtest dich nun davor, eure Freundschaft zu gefährden?«
Als ich mit meiner Ansage endete, musste ich Poppy nicht sehen können, um zu wissen, dass sie wieder an ihren Fingernägel knabberte.
»Poppy, lass deine Finger in Ruhe«, ermahnte ich sie.
Poppy schnaubte in den Hörer.
»Du wolltest meine Meinung dazu wissen, also beschwer dich nicht.«
»Ich weiß und dafür bin ich dir ja auch dankbar.
»Aber du wirst ohnehin das machen was du denkst.«
»Da hast du wohl recht«, Poppy lachte. »Na schön, ich lege dann mal auf. Danke Drea.«
»Jederzeit.«
Kurz darauf dröhnte das Piepen in meinem Ohren, welches das Endendes Gespräches ankündigte. Ich nahm das Handy vom Ohr und wollte es gerade in meine Tasche auf dem Beifahrersitz gleiten lassen, als mein Blick auf etwas Bestimmtes fiel.
Und so saß ich noch eine gefühlte Stunde lang in meinem Auto vor unserem Haus. Die Temperaturen sanken von Minute zu Minute und die Scheiben waren aufgrund der Luftfeuchtigkeit schon völlig beschlagen.
Doch ich konnte nicht damit aufhören den Fotostreifen von Logan und mir anzustarren. Er war wunderschön. Eine Erinnerung an einen glücklichen Moment. Ein Moment, in dem wir einfach nur wir selbst waren. Logan war Logan und ich war ich. Zwei junge Menschen, die sich ineinander verliebt hatten.
Auf dem ersten Bild lachten wir beide in die Kamera. Das Schöne daran war, dass Logan tatsächlich lächelte. Es war dieses ehrliche aufrichtige Lächeln, bei dem seine Grübchen hervortraten und eine Reihe weißer Zähne aufblitzten. Selbst auf diesem kleinen Foto leuchtete das Eisblau seiner Augen so intensiv als wären sie überirdisch.
Auf dem zweiten Bild lachte ich noch etwas herzlicher in die Kamera und Logan sah zu mir herab. Es war der Moment gewesen, in dem ich ihn ermahnt hatte nicht zu mir, sondern nach vorn in die Kamera zu schauen.
Und auf dem dritten küssten wir uns. Logan hielt mein Gesicht in den Händen und senkte seine Lippen auf meine herab. Es war ein magischer Augenblick gewesen. Ein Augenblick, nach dem ich mich gesehnt und vor dem ich mich gleichzeitig gefürchtet hatte, da er die Macht besaß mich innerlich zu zerreisen. Selbst jetzt bekam ich noch immer eine Gänsehaut, wenn ich an den Kuss zurück dachte. Mein Körper reagierte sofort, obgleich es nur die Erinnerung daran war. Ich seufzte und strich mit dem Zeigefinger über das Foto.
Plötzlich ertönte ein Klopfen direkt neben mir an der Fensterscheibe. Erschrocken zuckte ich zusammen und presste den Fotostreifen gegen meine Brust. Das Herz hämmerte wie verrückt in meiner Brust, als ich mich zum Fenster umdrehte und durch die beschlagene Scheibe in das Gesicht meiner Bruders blickte.
Noch einmal hämmerte er wütend gegen die Scheibe und starrte zornig auf mich hinab. Hastig verstaute ich das Bild in meiner Jackentasche. Ich konnte nur beten, dass Lukas den Streifen durch das Fenster nicht hatte sehen können.
»Herrgott, wie lange willst du noch da drin herum sitzen?«, vernahm ich seine gedämpfte Stimme von draußen. »Komm jetzt endlich rein. Ich muss mit dir reden. Sofort.« Mit diesen Worten verschwand er wieder und entfernte sich von meinem Auto.
Wie betäubt saß ich in meinem Sitz. Okay, ich war mir absolut sicher, dass er sie gesehen hatte. Er wirkte völlig aufgebracht und seine Stimme hatte diesen missmutigen Unterton, der mir jedes Mal verriet, dass etwas nicht stimmte. Gott, in unserem letzten Gespräch über Logan hatte ich Luke versichern müssen, das nichts Körperliches zwischen uns war und nun hatte er dieses Bild gesehen?
Gott, er würde mich umbringen.
Ich schluckte schwer und griff nach meinen Schlüsseln. Schweren Herzens öffnete ich die Tür und stieg aus meinem Wagen. Trotz dass es sogar im Auto relativ abgekühlt war, schlug mir die Kälte wie eine Wand entgegen. Meine Finger waren völlig steif und auch meine Füße schienen vollkommen durchgefroren zu sein. Ich musste wohl so in meine Gedankenwelt versunken gewesen sein, dass mir die Kälte gar nicht aufgefallen war.
Mein Blick wanderte zur Haustür. Ich wollte nicht rein gehen. Jede Faser meines Körpers wehrte sich vehement dagegen die Auffahrt hochzulaufen und durch die Eingangstür zu gehen. Aber ich musste es. Es führte kein Weg dran vorbei. Also ging ich los. Schritt für Schritt.
Mechanisch öffnete ich die Tür und trat ein. Ich ging an der Küche vorbei, wo Dad und Mia gerade am Tisch saßen und Karten spielten. Kein Lukas zu sehen. Ich rief den beiden eine Begrüßung entgegen und lief weiter auf die Treppe zu. Mit jeder Stufe mehr erhöhte sich mein Pulsschlag. In meinem Kopf ratterte es und meine Gedanken liefen auf Hochtouren, suchend nach einer Ausrede aus diesem Schlamassel.
Wie zum Teufel sollte ich ihm dieses Bild nur erklären?
Ja entschuldige, Luke, aber es ist nicht das wonach es aussieht.
Gequält schloss ich die Augen und blieb vor Lukes angelehnter Zimmertür stehen. Noch einmal sog ich tief die Luft ein, ehe ich die Tür aufstieß und eintrat.
Es war eine Ewigkeit her gewesen, seit ich zum letzten Mal in Lukes Zimmer gewesen war. Es hatte sich rein gar nichts verändert. Die Wände strahlten noch immer in demselben Blau, wie ich es in Erinnerung gehabt hatte. An der gegenüberliegenden Wand über dem King Size Bett prangten sogar noch immer die Poster der Bands, die sein Kindesalter geprägt hatten.
Unter anderem Thirty Seconds to Mars, Staind und The Kooks. Allerdings musste ich gestehen, dass ich die Bands ebenfalls recht gern hörte.
Als ich Lukas Zimmer so in Augenschein nahm, wurde mir jedoch mit einem Mal bewusst, dass er sich über die Jahre hin sehr verändert hatte. Er war erwachsen geworden. Dieses Zimmer passte nicht mehr zu dem, der er nun war. Mir wurde klar, dass es womöglich nicht mehr lange dauern würde, bis er auszog und auf eigenen Beinen stehen würde. Er war nicht mehr der Junge, der mich früher immer geärgert hatte und mir irgendwelche Streiche spielte. Er war zu einem jungen Mann herangewachsen.
Ich sah nach links, wo Luke mit verschränkten Armen auf seinem Schreibtischstuhl saß und ins Leere blickte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als er zu mir aufsah, bereitete mir Bauchschmerzen.
»Drea, ich...«, begann er zu sprechen. Sofort fiel ich ihm ins Wort.
»Luke, bevor du etwas sagst, bitte sei nicht sauer, ich...«, verzweifelt hielt ich inne und überlegte nach den richtigen Worten. »Es ist nicht das wonach es aussah.«
Klasse, nun griff ich doch auf die billigste Ausrede schlechthin zurück. Lukas' Brauen zogen sich zu einer verwirrten Linie zusammen.
»Wovon redest du, Drea?«, verständnislos sah er mir in die Augen. Ich verstummte und erwiderte seinen verwirrten Blick. Moment mal, hatte er das Foto etwa doch nicht gesehen? Wollte er womöglich über etwas anderes mit mir sprechen?
»Ich ehm...«, perplex neigte ich den Kopf zur Seite. »Worüber genau wolltest du mit mir sprechen?«
Lukas seufzte und verbarg das Gesicht in den Händen. Nein, hier ging es ganz und gar nicht um das Foto von Logan und mir. Lukas schien völlig durch den Wind zu sein, als würde ihn etwas belasten.
»Luke, was ist los?«, besorgt ging ich ein paar Schritte auf ihn zu. Er fuhr sich müde mit beiden Händen über die Augen und seufzte erneut. Dann blickte er mir wieder in die Augen und ließ er die Bombe los.
»Ich habe Joanna geküsst.«
Hallo ihr Lieben,
tut mir echt leid, dass es so lange gedauert hat. Aber ich hatte einfach keine Muse und so wahnsinnig viel um die Ohren auf meiner Arbeit. Ich gebe mein bestes regelmäßiger zu updaten.
Danke für euer Verständnis.
GLG <3
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