
62. Raven Hale
Ruckartig richte ich mich auf. Schnappe panisch nach Luft. Keuchen. Das klare Eiswasser schwappt an meinem zitternden Körper hinauf und über den Wannenrand hinab. Meine Haare kleben in nassen Strähnen an mir. Ich brauche nur wenige Sekunden, um die Situation in der Tierklinik vollständig einzuschätzen.
Dunkel gekleidete Männer kämpfen erbarmungslos gehen McCall und seine Leute. Die Fenster in der Tierklinik sind zerbrochen. Scherben, gemischt mit zerbrochene Teile der Einrichtung, liegen auf dem Boden herum. Ich sehe McCall, wie er einen Angreifer geschickt niederschlägt. Ich vermute einfach mal, dass es sich bei den dunkel gekleideten Männer um Anhänger meines Vaters handelt. Eine andere, logische Erklärung gibt es dafür nicht.
Plötzlich wird mir eine Hand dicht vor die Nase gehalten. Ich wende meinen Blick benebelt von dem Geschehen ab und lege meine Augen stattdessen auf die Person vor mir. Es ist Derek, der mir mit Blut im Gesicht und an den Fingern, die Hand reicht. Trotz der Situation, ein kleines Lächeln im Gesicht.
Ich umgreife ohne zu Zögern seine Hand und schwinge mich anschließend etwas ungeschickt aus der Badewanne. Literweise Wasser schwappt dabei über den Rand und ergießt sich im Tumult nahezu lautlos auf dem Boden. Ich ignoriere es und taumele mit steifen und zitternden Gliedern wenige Meter weiter, wo ich mich schweratmend auf die metallische Ablage an der Wand stütze.
Was zur Hölle ist gerade eben passiert?!
„Alles okay?" fragt mein Onkel jetzt beherzigt nach. Im Augenwinkel sehe ich eine schnelle Bewegung und ohne zu Zögern umfassen meine, vor Kälte steifen, Finger die kleine Spritze vor mir. Ich fahre herum und stoße Derek unsanft wenige Zentimeter von mir. Zur selben Zeit ramme ich die lange Nadel der Spritze in den Hals des Angreifers, der ansonsten Derek mit seinem Messer verletzt, wenn nicht sogar umgebracht hätte.
Die Spritze bohrt sich tief in den Hals des Mannes und ohne zu Zögern drücke ich auf den Kolbenstopp, sodass die durchsichtige Flüssigkeit durch die spitze Nadel hindurch in seinem Körper verschwindet. Ein darauffolgender - ziemlich lascher - Faustschlag meinerseits bringt den überraschten Mann zum Taumeln und zum anschließenden Hinfallen. Er wird ohnmächtig und kurz werfe ich einen Blick auf die Spritze.
Carfentanyl - ein Betäubungsmittel für größere Tiere.
Ich atme tief durch, bevor ich meine eiskalte Hand langsam entkrampfe und die Spritze mit einem nahezu leisen Pling vor meinen nackten Füßen landet. Ich spüre Derek's Blick auf mir und als ich meine Augen auf ihn richte, nickt er mir leicht zu. Das scheint seine Art, Danke zu sagen. Anschließend dreht er sich von mir weg und eilt Mason zu Hilfe, der gerade verbittert um sein hilfloses Menschenleben kämpft.
Ich dagegen schaue mich ebenfalls - mehr benommen als bei Sinnen - um und erblicke Malia, die gerade gegen einen der Angreifer zu verlieren scheint. Zwar ist sie eine gute Kämpferin - das zeigen die tiefen Verletzungen des Gegners - jedoch kann selbst sie nichts gegen eine Ladung Blei - vielleicht sogar auch Eisenhut - tun. Sie kniet bereits schweratmend und blutverschmiert auf dem Boden. Ihre übernatürlichen Kräfte sind mit Heilen beschäftigt, während der Angreifer den Lauf seiner Waffe bereits schussbereit auf ihre Stirn richtet.
Ich sehe, wie sein Zeigefinger sich langsam anfängt zu krümmen und somit langsam den Auslöser der Schusswaffe betätigt. Für wenige Millisekunden spiele ich mit dem Gedanken, dem Angreifer das zu überlassen, was ich schon seit meinem ersten Besuch in Beacon Hills machen möchte: Malia töten. Doch dann berufe ich mich zur Vernunft. Wenn jemand Mrs. Außerkontrolle umbringt, dann zur Hölle bin das ich.
Und nur ich.
Mein Blick fliegt schweifend durch den Behandlungsraum der Tierklinik. Jedoch kann ich nirgends meine schwarzen Klamotten mit den Waffen darin finden. Also umfasse ich das nächstbeste Instrument, dass mir in die Augen sticht: ein silbern glänzendes Skalpell, das wie ein Angebot auf der metallischen Behandlungsliege liegt.
Ohne zu Zögern stürme ich darauf zu und umfasse das scharfe, jedoch ungewohnt kleine Messer. Anschließend richte ich meinen Blick auf Malia und ihren Angereifer. Mrs. Außerkontrolle knurrt noch leise vor sich hin, ist durch die mehrfachen Kugeln in ihrem Körper jedoch zu schwach, um sich selbst zu retten. Etwas, was der Angreifer schon längst zu verstehen scheint. Er grinst Malia abwertend an. Die silberne Waffe noch immer schussbereit in den Händen. Den Abzug schon am Durchdrücken.
Mit streikenden Muskeln hebe ich meinen bleischweren Arm und ziele auf den höhnisch grinsenden Angreifer. Anschließend schleudere ich das Skalpell mit einer ruckartigen Bewegung in seine Richtung. Jedoch sind meine Muskeln noch immer eiskalt und fungieren nicht wie gewohnt. Der Wurf wird unsauber und anstatt dass die Messerspitze in seiner Halsschlagader landet, trifft sie ihn unterhalb des Schlüsselbeins.
Sein Kopf schellt herum und fixiert mich mit eisernem Blick. Die Waffe richtet er dabei ebenfalls schussbereit auf mich, während er dem Skalpell in seiner Schulter keine weitere Aufmerksamkeit schenkt. Ich ziehe die Augenbrauen überrascht nach oben und verziehe meine Lippen zu einem unzufriedenen Zähneknirschen. Scheiße. Doch gerade als der Mann - ich kann seine Wut mir gegenüber riechen - mir eine Kugel ins Hirn jagen möchte, wird er seitlich von Malia, wahrscheinlich mit ihren letzten Kräften, zu Boden gerissen. Der Schuss löst sich.
Ohrenbetäubender Lärm.
Ich werde durch den überraschenden Einschlag der Kugel zurück geschleudert und lande hart an der Wand mit den metallischen Ablagen. Mein Körper prallt dagegen und reist das meiste aus der Verankerung. Schmerzen durchfahren mich und nachdem ich auch noch hart auf dem Boden aufschlage, schließe ich flatternd mein Augenlieder.
Schmerzhaftes Pulsieren.
Dunkelheit.
Mehrere Stimmen.
Langsam öffne ich meine Augen wieder und sehe schemenhaft, dass alle Personen - sowohl die Angreifer, als auch McCall und seine Freunde - in ihren Bewegungen verharrt sind. Alle starren mich an. Das McCall Rudel weitgehend mit Besorgnis. Die Gegner mit einem fast schon panischen Scheiße-Blick. Langsam lasse ich meinen flatternden Blick von den anwesenden Menschen überprüfend zu meinem schmerzenden Körper gleiten. Die Pistolenkugel hat mich voll erwischt. Sie steckt in meiner Hüfte, die jetzt, nach einer Schrecksekunde, anfängt wie verrückt zu bluten.
„Weg hier!" ertönt jetzt plötzlich eine tiefe, befehlerische Männerstimme und noch bevor sich das McCall Rudel wieder fassen kann, sind die schwarz gekleideten Männer alle unsanft an ihnen vorbei gestürmt und direkt aus der Tierklinik heraus. Ich rappele mich langsam auf und beiße fest meine Zähne zusammen.
Ich muss ihnen nach.
Sofort. Sie werden wissen wo Crowley ist und mich auf direktem Weg zu ihm führen.
„Raven, oh mein Gott alles in Ordnung?" fragt mich Lydia geschockt und macht besorgt wenige Schritte auf mich zu. Anstatt ihr zu antworten taumele ich auf McCall zu, da ich direkt neben ihm meine Klamotten - und meine Boots - stehen sehe. Er möchte mich besorgt stützen, ich jedoch entziehe mich seinem hilfsbereiten Griff. Draußen höre ich die ersten Motoren, die hektisch angeschalten werden, durch diese Hektik jedoch mehrfach zu versagen scheinen.
„Was hast du vor?" fragt der Alpha jetzt sichtlich besorgt, während ich eine Hand fest auf die Schusswunde drücke und die andere dafür nutze, um nacheinander in meine Schuhe zu schlüpfen. „Ich werde ihnen folgen," antworte ich anschließend mit zustammengebissenen Zähnen auf McCall seine Frage und umgreife mein schwarzes Top. Ich falte es unordentlich in der länglichen Mitte, bevor ich es mit einem festen Knoten um meine schmerzende Hüfte binde. Ich brauche wenige Minuten.
„Aber du blutest," wirft Corey jetzt mit großen Augen aus dem Hintergrund ein und augenverdrehend erwidere ich: „Danke für die Info, Captain Obvious!"
Anschließend schlüpfe ich mit einem unterdrückten Schmerzstöhnen in mein schwarzes Shirt, dessen Stoff ich langsam über meiner schweiß - vielleicht auch einfach nur - nassen Haut abrolle. „Raven," versucht McCall jetzt sanft einzuwenden, um mich von meiner - ehrlich gesagt ziemlich hirnrissigen Idee - abzubringen. Ich jedoch ignoriere ihn gekonnt und greife stattdessen nach meiner schwarzen Pistole, die ich in meinen hinteren Hosenbund schiebe. Mein Springmesser steckt bereits in meinem unordentlich zugeschnürten Schuh.
Die blutende Wunde an meiner Hüfte brennt und pulsiert schmerzhaft. Vor allem jetzt, da ein Stück Stoff mit einem gewissen Druck darum gebunden ist und somit dauerhaft mit der frischen Wunde in Berührung kommt.
Ich mache wenige, unsichere Schritte nach vorne und fixiere Deaton - ebenfalls verletzt - mit einem festen Blick an. „Wo sind die Schmerztabletten?" Er schüttelt leicht mit dem Kopf. „Das ist keine gute Idee Raven!" „Es ist die Beste die ich gerade habe. Also: Wo sind die Schmerztabletten?" widerspreche ich dem Arzt und fixiere ihn wieder mit einem standhaftem Blick, der keine weiteren Widerworte duldet. Zur selben Zeit spüre ich, wie das heiße Blut aus der Schusswunde mein schwarzes T-Shirt langsam durch das Top hindurch erreicht, wodurch auch dieser Stoff schmerzhaft anfängt auf der Wunde zu kleben.
Lange werde ich das nicht durchhalten.
„Schmerztabletten werden dir nicht helfen," erklärt mir Deaton jetzt wissend. Zur selben Zeit öffnet er einen der unbeschädigten Schränke und spricht erklärend weiter: „Aber das hier vielleicht schon!" Er dreht sich zurück zu mir und reicht mir eine kleine, metallische Dose ohne irgendwelche Beschriftungen. „Was ist das?" fragt Liam Dunbar, der in der Zwischenzeit neben mich getreten ist, kritisch nach. Ich dagegen greife einfach nach der Dose und öffne den dunklen Schraubdeckel.
Kleine Tabletten, pechschwarz, fallen in meine blutige Hand und ohne weiter darüber nachzudenken, schlucke ich zwei davon.
„Du kannst doch nicht...," fängt Lydia jetzt an mich oder Deaton - ich bin mir nicht ganz sicher - mit einer vorwurfsvollen Stimme zurecht zuweisen. Jedoch unterbreche ich sie bereits mitten im Satz, in dem ich mir die, wieder verschlossene, Dose sicherheitshalber in die Hosentasche stecke und wortlos die Eingangstüre der Klinik ansteuere. Dabei bemerke ich, dass die mysteriösen Tabletten bereits zu wirken scheinen. Die Schmerzen in meinem Körper verschwinden langsam, auch wenn ich das Pulsieren an meiner Hüfte noch immer deutlich spüren kann.
Als ich den teils zertrümmerten Behandlungsraum verlasse und den nahezu unbeschädigten Warteraum betrete, fällt mir auf, dass McCall mir folgt, während der Rest seines Rudels sprachlos zurückbleibt.
„Raven du solltest das nicht alleine tun," fängt er jetzt besorgt an, „Das könnte wieder eine Falle deines Vaters sein!" Ohne ihn zu beachten lasse ich meinen Blick durch die Glastüre kurz über den Parkplatz der Tierklinik schweifen, wobei mir sofort das schwarze Motorrad auffällt. Es ist ein ähnliches Modell wie mein eigenes, dass Crowley vor gut vier Monaten in die Luft gesprengt hat. Der Schlüssel steckt, was mich vermuten lässt, dass es einem von seinen Leuten gehört. Wahrscheinlich demjenigen den ich - um Derek zu retten - niedergeschlagen und betäubt habe.
Ich verlasse das Gebäude und laufe darauf zu.
McCall folgt mir.
„Raven ich meine das ernst. Du solltest nicht alleine losziehen," redet der Alpha weiterhin auf mich ein und zum ersten Mal richte ich meinen Blick musternd auf ihn. Er scheint wirklich besorgt, ist jedoch selbst an einigen Stellen verletzt. Ganz zu schweigen von seinem Rudel, dass wenige Momente zuvor nicht besser aussah als ich. Ich erkenne, warum McCall nicht möchte, dass ich alleine losziehe - und ich erkenne auch, dass er und seine Leute in dieser Sekunde noch zu schwach sind, um mit mir zurück zuschlagen. Er als Alpha braucht noch etwas Zeit, um seine Betas in Sicherheit zu wissen, bevor er mir bei einem Gegenschlag helfen kann.
Ich atme tief durch.
„Ich folge ihnen," eine kurze Pause, in der ich mich ohne Helm auf das Motorrad schwinge, „Und schreibe dir dann den Ort. Du kannst dann entscheiden, wann und mit wie viel deiner Leute du kommst!" Ich nicke McCall kurz zu und obwohl ich sein Widerwillen riechen kann, nickt er ebenfalls. „Deal," dieses Mal macht er eine kurze dramatische Pause, „Aber du unternimmst nichts, bis wir da sind!" Wieder nicke ich, auch wenn ich nicht weiß, ob ich dieses Versprechen vor Ort wirklich halten kann.
Ich möchte den Motor der Maschine bereits starten, werde dann jedoch von McCall aufgehalten.
„Raven?"
Seine Stimme klingt fraglich. Ich richte meinen Blick zurück auf ihn, während ich in weiter Entfernung das leise Rattern von mehreren Motoren hören kann. Ich vermute dahinter Crowley's Leute, die bereits in wenigen Minuten unauffindbar für mich sein könnten. Deshalb sollte ich jetzt wohl sofort los.
Trotzdem bewege ich mich kein Stück von der Stelle. Stattdessen richte ich meine Konzentration zurück auf McCall, der jetzt mit einem winzigen Lächeln weiterspricht: „...Das Mal!"
Mit zusammengezogenen Augenbrauen richte ich meinen Blick auf meinen linken Unterarm, automatisch auf die Stelle, an der das rötliche Hautmal pragen sollte.
„Es ist weg," stelle ich jetzt hörbar überrascht fest und richte meinen Blick zurück auf den Alpha. Er nickt und lächelt weiter vor sich hin. Auch meine Lippen verziehen sich zu einem kleinen, jedoch noch immer ungläubigen Lächeln, während trotz Schmerzen in meiner Hüfte ein erleichtertes Glücksgefühl durch meine Venen rauscht. „Wir haben es geschafft!" „Ja haben wir," er nickt leicht, „Und jetzt hau' ab. Wir stoßen zu dir, sobald wir die anderen ins Krankenhaus gebracht haben!"
Mein Lächeln wird breiter, bevor ich ihm ein letztes Mal zu nicke und ohne einen weiteren Wortwechsel das Gas betätige und mit quietschenden Reifen die Tierklinik verlasse. In weiter Ferne höre ich noch immer die ratternden Motoren.
Ich steuere auf sie zu.
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