Siebenundzwanzig
Als ich am nächsten Tag gegen Mittag wieder in unsere Wohnung komme, ist es ungewöhnlich leise. Irritiert schaue ich mich um und sehe meine Mutter, die mit einem Buch in der Hand auf dem Sofa liegt. Sie hört meine Schritte und schaut auf. „Oh, Taehyung-ah, du bist ja schon wieder da", sagt sie mit einem leichten Lächeln und ich nicke, schaue mich um. „Deine Geschwister sind auf dem Spielplatz und dein Vater– nun, das ist eine längere Geschichte, die ich dir gerne erzählen würde." Sie setzt sich auf und legt das Buch auf den Tisch, klopft neben sich. „Setzt du dich zu mir?", fragt sie und etwas zögerlich setze ich mich zu ihr, da mir dieses ganze Verhalten noch etwas eigentümlich vorkommt.
Ich habe Jungkook allerdings gestern versprochen, dass ich sobald es geht mit meiner Mutter reden werde. Er meinte, man hätte beim Essen gemerkt, dass sie anders drauf ist als mein Vater. Hier bin ich also, neben meiner Mutter auf dem Sofa, das ich hasse. „Erst einmal möchte ich mich entschuldigen. Ich habe gestern gehört, wie sich dein Vater bei dir entschuldigt hat und da ist mir aufgefallen, dass ich es noch nicht gemacht habe", fängt meine Mutter an zu sprechen und seufzt einmal leise, „erinnerst du dich noch daran, als wir dich darauf angesprochen haben, dass du so viel Zeit mit Jungkook verbringst und dass er kein guter Umgang sei?" Ich nicke stumm, was soll ich auch großartig sagen?
„Als du lauter geworden bist und uns mit deinen Gedanken konfrontierst hast, habe ich zum ersten Mal wirklich verstanden, was in dir vorgeht und wie du dich fühlst. Du hast recht, du bist volljährig und wir haben dir immer wieder gesagt, dass du keine Vorurteile gegenüber anderen haben sollst. Und rückblickend denke ich auch, dass wir dich mehr hätten leben lassen sollen." Daran, dass meine Mutter ihre Hände knetet, merke ich, wie schwer ihr es fällt, darüber zu reden. „Am meisten verletzt hat es mich, als du meintest, du versuchst so zu sein, wie wir es wollen", spricht sie weiter und schaut in meine Augen, „sag, ist es wirklich so?"
Ich seufze leise und wende meinen Blick ab. „Ja, tatsächlich ist dem wirklich so. Ich habe mein Leben in vielen Bereichen einfach abgetan, weil ich weiß, dass ihr bestimmte Dinge nicht gutheißt. Dadurch bin ich mit der Zeit immer mehr so geworden, wie ich denke, ihr mich haben wollt", gebe ich ehrlich zu, denn ich weiß, dass in solch einem Gespräch Ehrlichkeit am wichtigsten ist. „Abgesehen davon, dass wir dir die guten Noten – in unseren Augen – so ans Herz gelegt haben, was gibt es noch, in dem du das Bedürfnis hast, dich so zu verändern wie du denkst, wie wir dich gerne hätten?", fragt meine Mutter und ich schnaube einmal ganz leise auf. Alles?
„Die Klavierstunden – ihr wisst, dass ich es nicht wollte, sondern Saxophon spielen wollte, aber es spielen ja sonst alle in der Familie Klavier. Der außerschulische Japanisch-Unterricht – Ich habe euch mehrfach erzählt, dass ich lieber Englisch oder Thailändisch lernen würde, aber ihr meintet einfach, das würde mir später mehr helfen. Boxen oder Judo darf ich nicht, weil es ja zu brutal ist, aber Showdance war euch dann zu verweichlicht. Ein Jura-Studium auf das ich keine Lust habe, das mir keinen Spaß macht und an dem ich keinerlei Interesse habe, aber damit verdiene ich ja später einmal viel Geld. Und immer muss alles pikobello sein, damit ich später in einer eigenen Wohnung alles sauber halte, dabei führt das nur dazu, dass ich Putzen einfach nur mit Stress und Ärger verbinde, weil es nie gut genug ist."
Für einen Moment ist es still und als ich zu meiner Mutter schaue, sehe ich, dass ihre Augen verdächtig glänzen. „Was– Was würdest du denn gerne studieren?", fragt sie mich leise und ich antworte aus der Pistole geschossen: „Kunst." Anschließend senke ich meinen Kopf etwas und füge leiser hinzu: „Es war schon immer Kunst, aber ihr habt es nie bemerkt." Meine Eltern hatten es immer abgetan, wenn ich etwas gezeichnet habe, gebastelt oder fotografiert habe. Für sie war es einfach etwas nebenbei, vielleicht war es für sie auch normal oder eine Voraussetzung, dass ich so etwas konnte und gerne machte. Dass ich Top-Schüler in Kunst war, war aber niemals so interessant wie meine Platzierung in Mathe.
„Es tut mir so unglaublich leid, Taehyung-ah", haucht meine Mutter beinahe und eine Träne kullert ihr aus dem Auge, „ich war eine schlechte Mutter, ich hätte mehr Acht auf dich geben sollen. Als du uns damals und auch das zweite Mal diese Dinge gesagt hast, habe ich es das erste Mal wirklich gespürt, deine tiefe Abneigung gegen uns. Und es tut mir so unendlich leid, alles, was dazu geführt hat, dass es dir schlecht gegangen ist." Sie greift nach meiner Hand und ich lasse zu, dass sie sie mit beiden Händen umfasst. „Ich weiß, das kann es nicht wieder gut machen, aber ich würde dir gerne erzählen, was in der letzten Zeit passiert ist, dass es vor allem in der Interaktion mit dir so eskaliert ist und dir aber vielleicht auch etwas Hoffnung oder Optimismus mitgeben."
Ich schaue sie einfach stillschweigend an und warte darauf, dass sie anfängt, weshalb sie kurz innehält, dann aber auf unsere Hände schaut. „Dein Vater und ich haben in den letzten zwei Jahren angefangen, immer häufiger zu streiten. Dadurch waren wir beide dauerhaft gestresst und auch wenn es falsch war und ist, hast gerade du es oftmals zu spüren bekommen." Sie seufzt einmal und drückt meine Hand, bevor sie weiterspricht: „Nach diesem ersten Abend hatten dein Vater und ich eine lange Diskussion, in der wir darüber gesprochen haben, wie wir mit dir umgegangen sind und woher deine, doch sehr starken, Gefühle kommen. Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir an uns arbeiten müssen.
Wir dachten, so können wir dann zumindest die Spannungen hier zu Hause etwas lockern, sodass wir allgemein ein besseres Zusammenleben haben. Also haben wir uns einen Paar-Therapieplatz gesucht und gehen nun seit ungefähr zwei Monaten wöchentlich zu den Terminen. Als du dann das zweite Mal deinen Gefühlsausbruch hattest, hatten wir eine noch viel längere Unterhaltung, als Jungkook dich abholen gekommen ist, dachte ich mir, es wäre doch sicherlich ein Schritt in die Richtige Richtung, wenn wir ihn zum Essen einladen, also habe ich das getan.
Mir war bewusst, genauso wie deinem Vater, dass dich unsere Worte, auf ihn bezogen, sicherlich verletzt haben, doch wussten wir nicht, wie wir uns angemessen entschuldigen sollen, weshalb ich zu dieser Lösung kam. Du weißt doch, wie wir dir immer gepredigt haben, dass Reden nichts bringt, wenn man nicht auch Handlungen folgen lässt." Ich nicke einmal und höre erstaunt zu, was meine Mutter da gerade erzählt. „Auch bei Jungkook werden wir uns, jetzt erstrecht, noch entschuldigen müssen, denn diese Vorurteile ihm gegenüber waren nicht fair", sie macht eine kurze Pause, bevor sie mich wieder anschaut und weiterspricht. „Du hast ja gefragt, wo dein Vater hin ist. Er ist zur Einzeltherapie gefahren."
12052021 — 07062021
Ich hab kaum noch vorgeschrieben ahhhh
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