Kapitel 5
Die nächsten Stunden zogen sich. Immer wieder starrte ich aus dem Fenster und versuchte darüber nachzudenken, was ich tun sollte. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis sie ihr Geld hatten und dann könnte ich nach Hause. So war zumindest der Plan. Dummerweise sagte mir mein Bauchgefühl, dass das hier alles nicht so einfach werden würde. Warum wusste ich nicht genau, aber irgendwas stimmte nicht. Normalerweise hatte ich kein besonders starkes Bauchgefühl aber an dieser Situation war nichts normal.
Gerade war ich in meinen Gedanken versunken, als es plötzlich an der Tür klopfte. Überrascht hob ich den Kopf. Sonst klopfte nie jemand. Stattdessen traten sie einfach die Tür ein, wie ein Haufen Wilder.
„Herein?" rief ich vorsichtig und einen Augenblick später öffnete sich bereits die Tür und eine junge Frau trat ein. Mir stockte der Atem. Sie war wunderschön und viel anmutiger als der Rest der Crew. Ihre Haut war ein dunkles Braun, doch ihr Haar war ein völliger Kontrast. Lange, weiße Locken umrahmten ihr markantes Gesicht. Ein Lächeln zierte ihre vollen Lippen und sie schloss die Tür hinter sich. Das Einzige, was verriet, dass sie zu dieser Crew gehörte, waren ihre Klamotten. Enges Leder, das mit lauter Dolchen und Messer verziert war.
„Wer bist du?", fragte ich etwas krächzend. Meine Stimme war rau und trocken, weil ich seit Tagen kaum etwas getrunken hatte. Wäre ich bei einem Abendessen mit wichtigen Leuten, hätte ich mich in Grund und Boden geschämt aber hier... ich hatte mein Schicksal wohl akzeptiert.
„Ich bin Candra", erwiderte sie locker und lächelte mich an. Mein Herz machte einige, unregelmäßige Schläge. Ich kannte diese Frau nicht, aber es war so unerwartet, dass jemand mir gegenüber so freundlich war. Der Captain war rau gewesen und dieser Mann von gestern... allein der Gedanke an dieses Zusammentreffen ließ mich erschaudern. Candra jedoch wirkte aufrichtig nett. Wieso bloß?
„Du bist Aurelia, richtig?", fragte sie und musterte mich ausgiebig. „Der Captain hat erwähnt, dass du in keiner guten Verfassung bist, aber du siehst ja wirklich furchtbar aus. Hat Ciaran dir kein Essen gebracht?" fügte sie hinzu und wirkte tatsächlich besorgt. Was mich allerdings viel mehr verunsicherte, war der Name, den sie grade erwähnt hatte. Ciaran. Das war Ciaran gewesen, der mir das Essen gebracht hat? Kein Wunder, dass sein Vater ihn als skrupellos beschrieben hatte.
Ich schlang meine Arme etwas enger um mich. Das alles hier war schon verwirrend genug. Es fühlte sich zwar gut an, wenn jemand so nett war, aber es schien nicht, als wäre sie aus reiner Herzensgüte hier. Es musste einen Grund dafür geben.
„Er war nicht gerade nett" erklärte ich knapp. „Das hat mir den Appetite verdorben" fügte ich hinzu und zuckte mit den Schultern. Es war ja nicht so, dass mich seine Wörter verletzt hätten. Es war mehr der Hass und das mulmige Gefühl, dass bei mir eine Übelkeit ausgelöst hatte, die mich vom Essen abhielt.
Ein sanftes Lachen erhellte den Raum, bevor Candra zustimmend nickte. „Ja, das ist er nie", seufzte sie leise. Dann richtete sie sich wieder auf und sah mich ernst an. „Du musst mitkommen. Ciaran verhandelt gleich mit deinen Eltern und du sollst dabei sein" erklärte Candra mir. Ihre Stimme war eisig und plötzlich hatte ich keinen Zweifel mehr daran, dass sie eine Piratin war. Ihre Sturmgrauen Augen waren entschlossen und ließen keinen Raum für Diskussion. Ein Schauer durchlief mich und ich nickte abwesend. Meine Eltern. Verhandlung. Ciaran. Tausende Gedanken strömten durch meinen Kopf und ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte. Angst vor Ciaran? Nervosität, weil ich nicht wusste, was passieren würde? Vorfreude, dass ich endlich hier rauskommen würde? All das fühlte ich auf einmal, was meinen Kopf vernebelte.
Candra kam auf mich zu und zog mich am Arm hoch. Ich wehrte mich nicht. Ich ließ mich einfach mitziehen und rausbringen. Selbst wenn ich hätte kämpfen wollen, wie sollte ich mich wehren gegen jemanden wie Candra. Sie war nett zu mir, aber das hieß nicht, dass sie mich auch fliehen lassen würde. Nein, ich hatte schon früh gelernt, dass selbst der liebevollste Mensch zu Grausamkeit fähig war.
Kaum betraten wir das Deck, blendete mich die helle Sonne. Reflexartig hielt ich mir die Hand vor die Augen und blinzelte einige Male, während Candra mich langsam weiterzog. Als meine Sicht aufklarte, entdeckte ich ihn sofort. Ciaran stand am Rand des Decks. Er trug schwarze, enge Lederklamotten und ein Schwert an der Hüfte. Seine Haltung zeigte sein enormes Selbstbewusstsein und auch seine Arroganz. Selbst von einigen Metern Entfernung, konnte ich das sadistische Grinsen auf seinen Lippen sehen. Dieser Arsch genoss das hier auch noch.
„Hier ist der Beweis, dass eure Tochter noch lebt", rief Ciaran plötzlich und erst jetzt bemerkte ich meine Eltern und Adrien. Sie stand unten am Hafen. Mir brach das Herz beim Anblick meiner Mutter. Sie schien viel geweint zu haben und war blass als sonst. Sie war nur 1.65 und von Natur aus recht dünn, wodurch sie jetzt noch eingefallener war. Daneben stand Adrien und stützte sie. Wie immer spielte er den liebevollen Sohn, doch ich sah es in seinem Blick. Er machte sich weder Sorgen, noch empfand er Angst. Stattdessen war da nur Hass und Abneigung. Ich hatte auch nichts anderes erwartet.
Mein Vater hingegen wirkte überaus verärgert. Er ballte die Fäuste und machte einen wütenden Schritt auf das Schiff zu. Mit seinen 1.88 und dem breiten Körper wirkte er durchaus bedrohlich. „Gib uns sofort unsere Tochter zurück", grollte seine tiefe Stimme und mein Herz wurde weich. Oft genug hatten meine Eltern mir keine Liebe geschenkt. Ja, sie waren in der Öffentlichkeit immer die perfekten Eltern, aber privat waren sie distanziert und nie für uns da gewesen. Zu sehen, dass sie sich so um mich sorgten, erfüllte mich mit einer gewissen Freude.
Dieser kurze, hoffnungsvolle Moment war jedoch vorbei, als Candra mich plötzlich gegen die Relling drückte und mir ein Messer an die Kehle hielt. Ich erstarrte und sah meine Familie angsterfüllt an. Sie wollten mich doch nicht töten richtig? Mein ganzer Körper spannte sich an und meine schwitzigen Hände fanden die Relling. Ich wollte noch nicht sterben. Ich wollte zurück zu meiner Familie und sie in den Arm nehmen. Nur wenige Schritte trennten mich von ihnen und trotzdem fühlte ich mich tausende Meilen weit weg.
„Nein nein nein, wir wollen doch keine dummen Entscheidungen treffen, nicht wahr Alcott", rief Ciaran zurück und sprach damit meinen Vater beim Vornamen an. Respektloser konnte er sich gegenüber meiner Familie nicht verhalten und das wusste er. Er wusste, dass er meine Familie verhöhnen konnte, wie er es wollte und sie konnten nichts tun. Nicht, solange ich ihre Geisel war.
„Beweg dich einfach nicht und lass Ciaran verhandeln. Ich schlitz dir nicht die Kehle auf, solange du brav stillstehst" raunte Candra mir leise ins Ohr. Vermutlich wollte sie mich beruhigen und ich wäre ihr unter anderen Umständen auch dankbar, aber dieses kalte Messer an meiner Kehle nahm mir jegliche Zuversicht. Ich konnte mich unmöglich entspannen, auch wenn mir nun klar war, dass sie mich wirklich nicht töten wollten. Zumindest behauptete sie das.
„Wir wollen unser Geld. 2 Millionen Taler und wir lassen eure süße Tochter frei. Wir wollen nicht, dass die arme Rose noch mehr weint, hm?" verkündete er voller Selbstbewusstsein und Arroganz. Einen Moment sah er zu mir herüber. Es war nur ein kurzer Blick, doch er sorgte für mehr Gänsehaut, als es die Klinge je hätte können. Er hasste mich. Abgrundtief. Ich sah es in dem Moment, als seine Augen kurz zu der Klinge zuckten und sich dann ein böses Lächeln auf seinen Lippen abzeichnete. Ciaran wollte, dass Candra mir die Kehle aufschlitzte.
Mein Blick blieb erneut an meinen Eltern hängen. 2 Millionen Taler. Wir waren reich aber dass wir viel Geld. Trotzdem sah ich hoffnungsvoll zu ihnen herunter. Sie würden diesen Preis bezahlen, das wusste ich genau. Ich war ihre Tochter. Sie würden mich niemals auf einem Piratenschiff lassen. Ich liebte meine Eltern und hatte
„Wir werden euch nicht bezahlen".
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