Das Mädchen mit dem schönsten Herzen der Welt
"Huch", das Wort war schon vom anderen Ende des Ganges zu hören, dann mein Name, voller Freude, Kraft in der Stimme und gleichzeitig Unbeschwertheit. "Hey!", auch mir kam ihr Name über die Lippen, die gleiche Freude erwidernd. "Hey, hi!" Ich kam näher, sie ebenso, ihr Gesicht voller Glück, meins nicht weniger. Nur noch wenige Meter waren zwischen uns. Wir waren nicht alleine, doch das war egal, es machte den Augenblick nicht ein bisschen weniger besonders. Denn das war er - absolut besonders. Und bis auf Weiteres unser letzter.
Abschied. Ein Abschied sollte es sein, von einem Menschen, der mir mehr gegeben hatte als ich es je gekonnt hätte. Kaum einer konnte es, nur sie. Und trotzdem war es der Abschied davon. Das wusste ich in jeder Sekunde, in der ich vor ihr stand, an die Wand gelehnt und sie ansehend.
Wir mussten Abstand halten, so waren die Regeln, doch das war nicht der Grund, warum wir uns nicht vor Glück in die Arme fielen. Es war die Tatsache, dass die erste Berührung nach Monaten aus dem Schlagen ihres Rollstuhls gegen meine Schienbeine bestand. "Hey, stop", kein Schimpfen, eher liebevoll trat ich einen Schritt zurück. "Hey", ich wiederholte mich, doch es störte nicht. Lächelnd betrachtete ich das braune Haar, ihren sich bewegenden Kopf und die Arme, die sie nun in den Schoß hatte fallen lassen. Ihre blasse Haut, ihren Mund, der zu einem Lächeln verzogen war. Ihre glasklaren, blauen Augen sahen mich nicht an, das hatten sie noch nie und so ein Betrachten wie ich es jetzt tat, hatte sie sich nie herausnehmen können.
Aber auf eine wunderbare Weise war das nie wichtig gewesen. Sie sah mit ihrem Herzen, sie tat alles damit. Und hätte ich nicht oft genug ihr Körpergewicht beim Schieben des Rollstuhls zu spüren bekommen, hätte ich gedacht, dass sie auch damit aß.
Rückblickend haben wir nie die dollsten Sachen erlebt, nie die größten Ausflüge und nie etwas, was mir allein von der Sache her immer im Kopf bleiben würde. Doch jedes Lachen, jedes Freuen und auch jedes dickköpfige Schreien mit einem folgenden "Tuuu miaa leid." fand seinen Weg mitten in mein Herz. Irgendwie schaffte sie es, bis heute weiß ich nicht, wie.
Doch diese Zeit endete mit diesem Tag, diesem Moment. Vielleicht würde ich sie nochmal besuchen, doch im Großen und Ganzen war es für uns beide ein Abschied. Sie verließ die Schule, war alt genug, während mein Jahr hier endete. Einen Monat älter als ich war sie, wir waren beinahe gleich alt, und beinahe jeder würde mein Leben bevorzugen. Und doch war sie es, die mir etwas gegeben hatte, nicht ich ihr. Mein Leben war nicht besser, aber sie machte es zu einem besseren. Irgendwie - auf ihre ganz eigene Art.
Wir waren gut darin, miteinander zu reden und Quatsch zu machen. Sie erzählte gerne, ich hörte ihr gerne zu. Manchmal andersherum. Und so war es auch heute. Manche würden es wohl banal nennen, aber genau diese Menschen wissen nicht, wovon sie reden. Es war nicht banal, die Kleinigkeiten zählten. So wie immer, wenn wir uns sahen, denn sie schaffte es, die Kleinigkeiten groß zu machen. Zumindest bei mir.
"Ta ma li te dam?"
Ich hatte lange gebraucht, bis mir diese Frage ein Begriff war, die sie mir jedes Mal stellte, wenn ich mich verabschiedete, um nächste Woche wieder zu kommen. Jetzt wusste ich, was das hieß. 'Kann ich wiederkommen?' und manchmal im Sinn von 'Kannst du wiederkommen?' oder 'Kommst du wieder?'. Eine Versicherung, die ich ihr immer gegeben hatte. Und sie hatte es mit absoluter Freude entgegengenommen.
Als sie mir jetzt die Frage stellte, nachdem sie mir ganz viel erzählt hatte, was so in ihrem Kopf herumschwirrte, antwortete ich das allererste Mal nicht. Ich hatte mir immer die Mühe gemacht, auf jede Frage, die sie stellte, so gut es ging zu antworten, doch dieses Mal schaffte ich es nicht. Denn anders als sonst wäre es ein 'Nein' gewesen. Einfach ein Nein.
Doch sie fragte nicht noch einmal. Zu of hatte ich mitbekommen, dass Leute ihr nicht antworteten, wenn sie es nicht verstanden, ich wollte nie dazugehören, doch dem Fakt verdankte ich es, dass sie nicht nochmal fragte. Sie war es gewohnt.
"Tsü-üss", freudig hob sie den Kopf. Es war eine Weile vergangen, gefüllt mit Worten. "Tschüss", ich lächelte, ich wusste, sie wusste es, auch wenn sie es nicht sah. Doch sie blieb stehen und ich ebenfalls. Wir unterhielten uns nochmal. Ein-, Zwei- und Dreiwortsätze - ich antwortete, beantwortete, lobte, vertröstete. Und dann kam das "Tsü-üss" nochmal, ich antworte und wieder passierte nichts. Und was ich dann sagte, legte mir im gleichen Moment einen schweren Stein in den Bauch.
"Wenn du 'Tschüss' sagst, musst du auch gehen, weißt du?"
Eine liebgemeinte Erklärung, doch es fiel mir alles andere als leicht. Was dann aber von ihr kam, brachte mich fast wieder zum Lachen. Es war ein überraschtes "Oh". Und damit war alles gesagt.
Wir weinten nicht, ich sagte ihr nicht direkt, dass das ein Abschied für vielleicht immer war. Ich wollte es nicht. Es sollte nicht als negatives oder dramatisches Treffen in Erinnerung bleiben, es sollte einfach gut sein. Und dann fuhr sie davon, im Vorbeigehen streifte ich ihre Schulter, ohne dass es mir gestattet war, ich tat es trotzdem - ein letztes Mal. Ein Ausgleich für die fehlende Umarmung, jedoch kein würdiger Ersatz. Und dann drehte auch ich mich auf dem Absatz um und ging.
Jetzt weiß ich, dass ich, wäre ich nicht bei der Arbeit gewesen, geweint hätte. Doch es blieb nur ein Kloß im Hals, kaum wieder herunterzuschlucken. Ich weinte später. Und ich wusste nicht einmal so richtig warum, konnte ich nicht glücklich sein, dieses wunderbare Mädchen kennengelernt zu haben?
Ja, das konnte ich. Und das bin ich.
Aber ich weiß auch, dass ich lernen muss, damit umzugehen.
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