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Kapitel 4

Eigenartig. Das war das einzige Wort, das die Situation beschreiben konnte, in der ich mich gerade befand. Während Elise, eine mir nahezu unbekannte Frau, so schön wie eh und je, meine langen Haare zu einem Zopf zusammennahm, blickte ich in den Spiegel zu der Gestalt mit dem eingefallenen Gesicht, die nichts mehr mit der Frau gemein hatte, welche einst als Barkeeperin ihr Kunststudium finanziert hatte. Beim Anblick, der sich mir zeigte, wurde mir mulmig zumute.

Meine Oma hat mit ihrer Feststellung gar nicht so unrecht gehabt .

Ich spürte, dass ich nicht länger die Einzige war, die mich durch den Spiegel betrachtete. Auch Elise wirkte nachdenklich, als sie mich musterte und sagte: "Du hast schönes Haar."

Es war eine Feststellung, die mein Herz ein Stück zusammenziehen ließ. Meine Augen wurden glasig. Ich wagte einen weiteren Blick in den Spiegel und betrachtete das Einzige, das noch annähernd meinem alten Ich entsprach.

"Bist du dir sicher, dass du das tun möchtest?"

Es war Elise' Stimme, die mich wieder in das Hier und Jetzt zurückbrachte. Auch ihr war nicht entgangen, dass ich mit mir selbst ob meiner Entscheidung haderte. Stets hatte ich zu dieser Sorte von Frau gehört, die niemals auf die Idee gekommen wäre, die lange Mähne mit einem Kurzhaarschnitt zu zerstören. Vielmehr waren die langen Wellen, die einige Farbexperimente hatten ertragen müssen, in den einundzwanzig Jahren meines Lebens ein stetes Markenzeichen meiner Selbst gewesen. Doch nun musste ich feststellen, dass dies nicht länger der Fall war. Mit den rotblonden, langen Haaren sah ich der Frau, die mich auf diese grauenvolle Welt gebracht hatte, viel zu ähnlich. Allein bei dem Gedanken, dass meine Eltern immer noch am Leben waren, wurde mir mulmig zumute. Ich wollte nicht länger auch nur ansatzweise der Frau ähneln, die ich mein gesamtes Leben geradezu vergöttert hatte. Zwar war ich immer noch nicht gewillt, derart radikal zu gehen und mich vollkommen von meinem Haar zu verabschieden, doch ein schwarz gefärbter Long Bob mit meiner Naturwelle, den man gerade so noch zu einem Zopf zusammenbinden konnte, würde sich sicherlich als sehr praktisch erweisen. Vor allem für das Training, das ich noch heute wieder ansteuern wollte. Ich straffte die Schultern und nickte mir selbst zu, bevor ich Elise eine Antwort schenkte.

"Ja. Weg damit. Das bin nicht länger ich selbst."

Mit einem Nicken wandte sich Elise wieder dem Zopf zu, den sie in den Händen hielt. Mehrere Male war das scharfe Zufallen der Schere zu hören, bis die rotblonde, lange Mähne wie in Zeitlupe gen Boden fiel. Durch den Spiegel beobachtete ich Elise dabei, wie sie die Haarfarbe, die sie kurz zuvor angemischt hatte, zu sich herüber zog und den Pinsel in die Hand nahm, mit dem die verbleibenden, rotblonden Locken bald einem tiefen Schwarz weich würden.

Der Geruch von Chemie auf meinem Haar brachte mich dazu, in Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen zu schwelgen. Die Friseurbesuche, die ich mir trotz mangelnden Geldes stets gegönnt hatte und einen Teil Luxus in meinem Leben repräsentiert hatten, waren mir damals sehr wichtig gewesen. Heute verspürte ich Erleichterung. Es fühlte sich einfach gut an, wieder etwas für mich selbst zu tun und damit auch wieder ein Stückchen näher an mein eigenes Ich zu kommen, von dem ich selbst noch nicht genau wusste, wie es nach all den Strapazen genau aussah.

"Jetzt bist du dran, Cassie."

Durch den Spiegel blickte ich in Elise' Gesicht. Neugier stand ihr ins Gesicht geschrieben, als ich sie beim Mustern durch den Spiegel erwischte.

"Was war der Grund, warum du bei unserem Gespräch lachen musstest."

Ach ja, das Versprechen, weshalb wir überhaupt hier sind, erinnerte ich mich. Ich musste eine Weile überlegen, bevor ich mir eine passende Antwort zurechtgelegt hatte.

"Weißt du? Als ich damals in Sizilien war und Gabe aus England zurückgekehrt war, hat er mir von der... Situation erzählt."

Mir war von Vornherein klar gewesen, dass sie nach dieser Aussage nicht wissen würde, worauf ich hinaus wollte. Ihre Stirn legte sich in Falten, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich es erneut versuchte.

"Von deiner besonderen Begegnung mit einer Frau."

Immer noch wirkte Elise verwirrt, wobei sich langsam eine dämmernde Erkenntnis in ihrem Blick erkennen ließ.

"Deshalb auch die Referenz mit den magischen Händen", ergänzte ich und hob demonstrierend die Hände an. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich immer noch nicht, was mich ein Mal schlucken ließ. Schnell wurde mir klar, dass diese Aussage bei Elise falsch angekommen sein könnte, weshalb ich hinzufügte: "Tut mir Leid, ich wollte nicht unhöflich sein. Es geht mich schließlich auch nichts an. Vergiss es einfach!"

Mit allem hatte ich gerechnet. Dass sie wie eine wild gewordene Furie die Haarfarbe plötzlich in meinem Gesicht verteilen würde. Oder dass sie den Rasierer neben ihr in die Hand nehmen würde, um mir die restlichen Haare vom Kopf abzurasieren. Doch niemals hatte ich erwartet, dass sie anfangen würde zu lachen.

Dieses Mal war ich es, die durch den Spiegel geradewegs in Elise' Gesicht blickte und die Augen zusammenkniff. Langsam beruhigte sie sich wieder und schüttelte den Kopf, als wäre es das Offensichtlichste auf dieser Welt.

"Ach Cassie, du bist noch sehr jung."

Was soll das denn jetzt heißen?

Die Frage musste ich nicht laut aussprechen, denn die Antwort auf meinen mehr als verwirrten Gesichtsausdruck folgte prompt.

"Du solltest wissen, dass Gabriel und mich eine tiefe Freundschaft verbindet. Aber Liebe hat zwischen uns beiden nie existiert. Freundschaft mit Extras, wie man das heutzutage nennt, wohl eher."

Leider brachte diese Aussage nicht die Erkenntnis, die ich mir erhofft hatte. Vielmehr war ich noch verwirrter als zuvor. Zusätzlich dazu stiegen Bilder vor meinem inneren Auge auf, die mich kurz innehalten ließen. Es gab genau eine Szene, die ich von Elise und Gabe verinnerlicht hatte. Es war an meinem ersten Tag in Sizilien gewesen, als Elise wie eine Göttin die Treppe in Gabes Villa hinunterstolziert war und mit Gabe einen Kuss ausgetauscht hatte.

"Ich verstehe das nicht. Warum dann dieser hollywoodreife Kuss bei meinem ersten Besuch in Sizilien? Ich schwöre, ich habe noch nie solche Funken in meinem Leben gesehen, als sich ein Paar geküsst hat."

Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie bereits mehrere Male mit dieser Aussage konfrontiert worden war. Wie eine Mutter, die ihrem Kind bereits zum zehnten Mal versuchte zu erklären, warum die Sonne nach dem Untergang auch wieder aufging, wandte sich Elise mir zu.

"Wer sagt denn, dass die Gefühle in einer Freundschaft viel weniger tief sein können als bei einem Paar, das aus Liebe zueinander gefunden hat? Außerdem haben wir uns einfach dem Moment hingegeben, schätze ich."

Unmerklich hatte sie sich vor mich gestellt und zu mir herübergebeugt. Ihre strahlenden, himmelblauen Iriden blickten geradewegs in meine. Ich spürte, wie ihre kalten Hände sich auf meinen Schultern legten und leicht zudrückten. In ihren Augen lag nichts als Verständnis und Harmonie. Solch eine Ausgeglichenheit, die diese Frau zu jedem Zeitpunkt ausstrahlte, hatte ich in einem Menschen selten erlebt. Ich war mir mehr als sicher, dass sich Elise durch Nichts und Niemanden irritieren ließ. Ob das ihren engelsgleichen Eindruck in mir noch mehr aufsteigen ließ oder sie umso unberechenbarer machte, konnte ich in diesem Moment nicht sagen.

"Nimm mir das nicht übel, aber ich habe keine Ahnung, wovon du da sprichst."

Mit einem Schmunzeln wandte sich Elise von mir ab. Ihre Aufmerksamkeit galt erneut ausschließlich meinem Haar.

"Was ist denn mit Stefan?", fragte Elise, als wäre es das Offensichtlichste auf dieser Welt.

Meine einzige Antwort darauf war das Anheben meiner Augenbraue, das sie unmöglich sehen konnte.

Trotzdem, als hätte sie es geahnt, fuhr sie fort: "Schließlich hattet ihr es mit einer Beziehung versucht und seid schlussendlich wieder zur Freundschaft zurückgekehrt."

Meine Augen wurden groß und ich spürte, wie mein Herz zu rasen begann.

Woher zum Teufel weiß sie das?

Wie ein Vorhang, der zu Beginn eines Theaterstücks die Kulisse entblößte, überkam auch mich die Erkenntnis, die sich mir zuvor nicht so recht gezeigt hatte. Ich schluckte.

Ich hatte zwei Monate meines Leben verloren. Zwei Monate, in denen vieles geschehen war, wovon ich immer noch keinen blassen Schimmer hatte. Zwei Monate, in denen bereits Pläne geschmiedet worden waren, um die Welt, wie wir sie kannten, vor Macht gierigen Monstern zu schützen. Zwei Monate waren wohl oder über eine lange Zeit gewesen, um sich untereinander über gewisse Sachen auszutauschen. Dies brachte unweigerlich die Frage in mir auf, was alle Menschen hier, von denen mir der Großteil immer noch fremd war, von mir wusste. Das Gefühl, vollkommen transparent für einen Jeden in diesem überdimensional großen, immerwährend dunklen Bunker zu sein, gefiel mir ganz und gar nicht.

"Jetzt frage ich dich: Hat schlussendlich nicht die Freundschaft überwogen?", schlussfolgerte Elise, was mich sofort wieder an Stefan zurückdenken ließ. Ich erinnerte mich noch allzu gut an das Gefühl vollkommener Leere, das mich kurz nach unserer Trennung des Nachts nicht schlafen gelassen hatte und tagsüber mein steter Begleiter gewesen war.

Ziemlich gereizt erwiderte ich: "Nein! Ich habe Stefan geliebt. Das, was ich damals für ihn empfunden hatte, ging über Freundschaft hinaus. Der Kummer, den ich damals gefühlt hatte, war echt gewesen!"

Das leichte Schmunzeln auf Elise' Lippen versiegte nicht.

"Gabriel und ich würden ebenfalls füreinander durchs Feuer gehen und das, obwohl wir uns nicht lieben, wie es Seelenverwandte tun. Würdest du nicht dasselbe auch für deine Freunde tun? Für Stefan?"

Bevor ich auch nur ansatzweise darüber nachdenken konnte, was sie gesagt hatte, ließ sie weitere Fragen auf mich niederprasseln.

"War es möglicherweise dein angeknackster Stolz gewesen und nicht Liebeskummer, der dir so viel Leid bereitet hat? Hast du nicht tief im Inneren gespürt, dass eure Liebe schon immer ein Ablaufdatum gehabt hatte?"

Mein Mund stand offen. So viele Worte wollten ihren Weg nach draußen finden und doch blieb ich stumm. Die Wut, die in mir brodelte, wurde plötzlich von einem anderen Gefühl ersetzt. Erkenntnis. Zwar wusste ich nicht, ob ich Elise tatsächlich Recht gab, doch sie hatte etwas gemeistert, das so schnell noch nie jemand erreicht hatte. Binnen weniger Minuten hatte sie es geschafft, mein fundamentalstes Wissen zu hinterfragen.

Was auch immer sie hier tut. Sie ist wirklich gut darin!

"Bist du eine Art Therapeutin, die direkt aus der Hölle gekommen ist, um meine komplette Existenz in Frage zu stellen?"

Das Lachen, das ihrer Kehle entwich, war melodisch und von angenehmer Lautstärke. Sie schüttelte ihren Kopf und musterte mich durch den Spiegel.

"Du unterschätzt die Berufung eines jeden Haarstylisten!"

Sie seufzte, bevor sie hinzufügte: "Es ist eben wichtig, sich mit den unangenehmen Dingen zu beschäftigen, um stetig zu wachsen."

Ich schluckte. Die Parallelen zu meiner eigenen Gefühlswelt waren unbestreitbar vorhanden. 

Bevor meine Gedanken es schafften, in diese Welt abzudriften, atmete ich tief ein und aus und murmelte: "Ich bin hier augenscheinlich ausschließlich von klugen Leuten umgeben."

Wieder war ein amüsiertes Lachen von Elise zu hören, das jedoch nicht sonderlich humorvoll klang.

"Das kommt mit den Jahren von allein."

Diese Aussage ließ mich aufhorchen. Auch hinter Elise, die augenscheinlich eine Langlebige war, musste eine Geschichte stecken, die vermutlich nicht nur rosarot und glitzernd gewesen war. Zuvor hatte ich daran überhaupt gar keinen Gedanken verschenkt. Waren all die Personen, die sich ebenfalls in dieser Villa befanden, Langlebige? Ausgenommen meiner Freunde und meiner Großeltern, natürlich. Die Frage, wie alt sie war, lag mir bereits auf der Zunge, doch dazu kam ich nicht mehr.

"Der Grund, warum Gabe nach der Rückkehr aus England derart aufgebracht war, hatte nichts mit uns beiden zu tun. Das solltest du wissen. Er war höchstens enttäuscht, dass er in dem Moment nicht mit mir hatte reden können. Aber das war auch das Einzige, weshalb er möglicherweise meinetwegen aufgebracht gewesen war. Er hatte dort Arbeit zu erledigen, von der er dir damals nicht hätte erzählen können, weil du noch nicht von dieser Parallelwelt hier wusstest."

Auch wenn die gesamte Geschichte für mich immer noch keinen gänzlichen Sinn ergab, begann ich langsam zu verstehen, wie komplex das Geflecht war, das mit der neuen Welt der Langlebigen einherging. Deshalb war auch das zustimmende Murmeln, das ich Elise schenkte, nicht auf ihr Gesagtes bezogen, sondern nur auf die Tatsache, dass ich noch über so Einiges aufgeklärt werden musste. Eine Sache jedoch machte immer noch überhaupt gar keinen Sinn, wenn ich Elise' Aussage vertrauen konnte.

"Aber... Giulia war doch ziemlich enttäuscht gewesen, als sie von eurer Trennung... oder was auch immer... erfahren hat. Sie hat auf mich so gewirkt, als hätte sie unbedingt gewollt, dass es zwischen euch funktioniert, und als wäre sie sogar sauer auf dich gewesen."

Das Schmunzeln, das sich auf ihre Lippen legte, erreichte dieses Mal Elise' Augen nicht.

"Giulia will nur das Beste für ihren Bruder. Und sie hat geglaubt, dass ich und er irgendwann doch zueinander finden würden, was niemals der Fall sein wird. Mittlerweile sollte sie es auch begriffen haben. Giulia weiß eben, dass der richtige Partner an der Seite Wunder bewirken kann. Vielleicht sogar Wunden heilen kann, von denen Gabe reichlich hat."

"Das heißt, du hast auch noch nicht den Richtigen... oder die Richtige gefunden?"

"Du hast es erfasst."

Mehr als ein zustimmendes Murmeln erhielt sie von mir nicht. Diese Unterhaltung hatte mir bereits mehr Wissen eingebracht, als jedes Gespräch, dass ich hatte mit Michail führen dürfen. Elise war ehrlich, kam immer direkt zum Punkt und scheute sich auch nicht, Dinge auszusprechen, die möglicherweise unangenehm waren. Tief in meinem Inneren spürte ich, wie ich mehr und mehr für diese Person auftaute.

"Du musst mich damals wirklich gehasst haben", mutmaßte Elise und entriss mich damit den Gedanken, in denen ich sie heimlich gelobt hatte.

Ich musste nicht lange nachdenken, um darauf eine passende Antwort zu finden.

"Nein, nicht wirklich. Ich muss sogar zugeben, dass ich dich von Anfang an als eine sympathische Person eingeschätzt habe. Auch wenn ich etwas neidisch auf dein Auftreten gewesen war. Und immer noch bin, wohlgemerkt. Vielmehr hat der Gedanke daran, dass Gabe vergeben war, mich und meine Hormone... gebremst. Verstehst du?"

Ein Glitzern trat in ihre Augen und ihr Lächeln wurde noch einnehmender. Dies war schlussendlich auch der Grund, warum ich mich ihr noch weiter anvertraute.

"Ich habe Gabe am Anfang verabscheut. Schließlich hat er mit allem geflirtet, was ihm in die Quere kam, obwohl er, wie ich damals gedacht habe, eine Freundin hatte."

"So ein typischer Italiener!", verkündete Elise und lachte.

Auch ich konnte mich nicht zurückhalten und prustete los. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, korrigierte ich sie: "Nein, Sizilianer!"

Die Erinnerung an den Ausflug mit Gabe in Sizilien ließ ein leichtes, wenn auch trauriges Lächeln auf meinen Lippen zurück. Damals hatte mich der Streit mit Gabe im Lebensmittelladen ziemlich auf die Palme gebracht. Heute fühlte sich dieser Streit derart nichtig an, dass ich mich nach dieser Zeit zurücksehnte. Wie von selbst verließen die nächsten Worte meine Lippen, auch wenn es kaum merklich als ein Hauchen war. 

"Trotzdem hat er es geschafft - frag mich nicht wie - unbemerkt in mein Herz einzudringen."

Die Stille, die sich daraufhin ausbreitete, war alles andere als angenehm. So viele Worte waren unausgesprochen. Derart viele Gefühle brodelten in mir. Es fühlte sich an wie die Ruhe vor dem Sturm.

"Warum gibst du euch nicht einfach eine Chance?"

Beinahe hatte ich vergessen, dass ich nicht allein im Zimmer war. Obwohl es nur eine Frage gewesen war, die Elise mir gestellt hatte, hatte sie damit etwas in mir ausgelöst, das nicht mehr aufzuhalten war.

"Hier geht es nicht mehr allein um uns, verstehst du? Ich habe mich verändert, Elise. Ich weiß, dass du mich nicht wirklich kennst, aber ich bin ein vollkommen anderer Mensch geworden. Und Gabe... ihn erkenne ich auch nicht mehr wieder. Er ist nicht mehr dieser arrogante Sizilianer, den ich zu Beginn als unterbelichteten Frauenhelden abgestempelt und an den ich mein verräterisches Herz verloren hatte. Jetzt weiß ich, dass er in Wirklichkeit in Cambridge war, ein Ass in Chemie ist, ein Universalheilmittel entdeckt hat und es viele Geheimnisse gibt, von denen ich nicht den blassesten Schimmer habe. Und doch ist er so dumm gewesen ist, dieses Heilmittel ohne Skrupel an Michail zu übergeben."

Und das meinetwegen, fügte ich gedanklich hinzu.

Vollkommen still hatte Elise meiner Ausführung gelauscht. Prompt spürte ich die Röte in meine Wangen aufsteigen. Obwohl ich Elise kaum kannte, hatte ich ihr mein tiefstes Innerstes dargelegt.

"Hältst du jetzt deshalb viel weniger von ihm?", stellte Elise schließlich die Frage, auf die ich schon längst eine Antwort wusste.

"Nein, im Gegenteil."

Doch bevor Elise irgendwelchen Hoffnungen und Wünschen Luft machen konnte, die in irgendeiner Weise mit Gabe und mir zutun hatten, fuhr ich fort.

"Dann ist da aber noch diese Verbindung zwischen Gabe und mir, die ich überhaupt nicht einschätzen kann. Und die Geschichte mit meinen Eltern, die immer noch am Leben sind. Außerdem muss ich erst einmal verstehen, was mit mir los ist. Es gibt so vieles, das gerade Vorrang hat. Deshalb will ich über Gabe und mich gar nicht erst nachdenken!"

Vollkommen erschöpft ließ ich mich auf die Lehne des Stuhls hinter mir fallen. Auch Elise hatte mit dem Einpinseln meiner Haare innegehalten. Stattdessen blickte sie herüber in den Spiegel, geradewegs in meine Augen.

"Ich werde dir nicht sagen, was ich weiß. Dieses Gespräch hatte ich bereits einige Male mit Gabriel. Denn egal, wie ich es formuliere, du wirst es selbst, mit deinem eigenen Herzen, verstehen müssen. Aber ich gebe dir einen Rat."

Sie hielt inne. Wahrscheinlich wollte sie der kommenden Aussage nur noch mehr Bedeutung verleihen.

"Sprich dich mit ihm aus. Er leidet. Und du leidest noch mehr. Vielleicht wird es euch besser gehen, wenn ihr euch gegenseitig helft. Egal ob nur als Freunde, Gefährten, Seelenverbundene oder Liebende. Ich verspreche dir, dass es dir danach besser gehen wird."

Mein Mund stand offen, meine Augen waren geweitet und ich schluckte. Ich hatte bereits vorher gewusst, dass dies der richtige Weg sein würde, um wieder mit mir selbst ins Reine zu kommen. Doch diese Worte von jemandem zu hören zu bekommen, der dies als Außenstehender bewertete, veranlasste etwas in mir, das ich zuvor schon lange nicht mehr gespürt hatte. Gewissheit.

"Dasselbe gilt auch für deine Eltern. Denn nur mit einem reinen Herzen kannst du die Dunkelheit besiegen."

Ich wusste, dass Elise Recht hatte. Mehr denn je war mir bewusst, dass ich handeln musste, um etwas zu verändern. Ich war bereits ein gutes Stück vorangekommen. Doch es war noch lange nicht genug.

"Wow... Du bist ganz schön poetisch, weißt du das?", kommentierte ich Elise' letzten Satz, ließ sie jedoch zugleich meine Dankbarkeit spüren. Meiner Meinung nach waren alle Worte zu diesem Thema gesagt worden, weshalb ich von diesem Zeitpunkt an schwieg. Vielmehr genoss ich das Gefühl, mir und meinem Körper endlich wieder etwas Gutes zu tun und entspannte sichtlich.

Erst als Elise sich vor mich stellte und ich einen näheren Blick auf ihre Beine erhaschen konnte, konzentrierte ich mich wieder auf sie. Die dunkle, jedoch transparente Strumpfhose verdeckte nur leicht das einfarbige Tattoo, das ihren Oberschenkel zierte. Wie ein Strumpfband ging es um den gesamten Oberschenkel und erinnerte mich von der Aufmachung an eine Mischung aus einzelnen Ketten von Kronleuchtern und Traumfängerelementen. Es war einzigartig und gut gelungen. Ich war erstaunt darüber, ein Tattoo an Elise' engelsgleicher Gestalt zu sehen. Irgendwie hatte ich nicht erwartet, so etwas in der Art an ihr zu entdecken.

"Dein Tattoo gefällt mir", gab ich zu und gönnte mir noch einige weitere Blicke. Schon immer hatte ich Tätowierungen bewundert. Schließlich war es eine andere Art von Kunst, um sich auszudrücken. Vor der Hölle, in die mich Michail verfrachtet hatte, hatte ich jedoch stets zu viel Angst vor den Schmerzen gehabt, die mit solch einem Kunstwerk einhergehen mussten. Obgleich hatte ich die Faszination für Tätowierungen nie verloren.

"Das habe ich mir selbst gestochen", offenbarte Elise schließlich, woraufhin ich beinahe meine Zunge verschluckte. Meine Augen wurden groß. Allein das Tätowieren dieses speziellen Strumpfbandes musste Stunden gedauert haben.

"Wie ist das denn möglich?"

Elise lächelte. Auch diese Reaktion schien ihr nicht neu zu sein.

"Ich habe eine sehr hohe Toleranzgrenze, was Schmerzen angeht."

Allein diese Aussage genügte, um erneut Bilder in meinen Kopf hineinzupflanzen, die dort nicht hingehörten. Der Folterkeller, in dem ich einige Stunden hatte mit Karina verbringen dürfen, machte mir bewusst, dass ich in dieser Hinsicht keineswegs Elise glich.

"Wenn du willst, kann ich dir auch in dieser Hinsicht aushelfen."

Verwundert blickte ich wieder zu Elise, die mir durch den Spiegel zublinzelte. Es dauerte eine Weile, bis ich realisiert hatte, wovon sie sprach.

"Also bist du nicht nur Model, Stylistin und Therapeutin, sondern auch Tätowiererin?"

Elise lachte, nickte jedoch. Was von ihr vorher sicherlich als scherzhafte Aussage gemeint gewesen war, hatte bei mir etwas ausgelöst. Sofort glitten meine Gedanken zu dem zurück, was mein Opa bei unserem letzten Gespräch gesagt hatte. Ich hatte nicht nur Michails Tod zu verantworten, sondern auch den Tod von sechs weiteren Personen, deren Gesichter und Namen ich noch nicht einmal kannte. Und genauso wie diese Gewissheit meine Seele gezeichnet hatte, spielte ich mit dem Gedanken, dies auch auf meinem Körper zu zeigen.

"Wie wäre es mit direkt im Anschluss?", fragte ich Elise, was sie innehalten ließ. Ihre Augen bohrten sich im Spiegel in meine.

"Bist du dir sicher?"

Vor meinem inneren Auge formte sich ein Bild, das mir immer mehr gefiel und schließlich der Gewissheit wich.

"Ja."

        

Ich wusste nicht genau, wie lange die gesamte Verwandlung gedauert hatte. Doch der mit Abstand schmerzhafteste Teil der gesamten Prozedur war, wie zu erwarten, das Tätowieren gewesen. Ich wusste nur noch, dass ich Elise mit jeder Sekunde während des gesamten Tätowiervorgangs mehr verflucht hatte. Erst als sie die Tätowiermaschine zurückgelegt und mir mit leichtem Druck gegen den Oberschenkel signalisiert hatte, dass ihre Arbeit getan war, hatte ich mich getraut, hinzusehen.

Genauso wie ich es erwartet hatte, zierten sieben dünne, dicht zusammenliegende Kreise wie Armbänder meinen rechten Unterarm. Die Haut um die Linien war noch leicht gerötet, doch sämtliche Kreise waren äußerst akkurat gestochen worden. Auch wenn das Tattoo nicht besonders kreativ war und sonst auch nicht sonderlich mit der zugrunde liegenden Simplizität glänzte, war es meisterhaft.

Ich blickte zu Elise, die wiederum gespannt auf meine Reaktion wartete.

"Es ist perfekt. Ich danke dir, Elise!"

Ich gönnte mir einen weiteren Atemzug, bevor ich etwas leiser ergänzte: "Für alles!"

Auch wenn für die vollkommene Verwandlung meiner Selbst immer noch die passende Garderobe fehlte, war ich bereits jetzt kaum wieder zu erkennen. Die schwarzen, kurz geschnittenen Wellen umrandeten schmeichelhaft mein Gesicht und schenkten Fülle, die diesem in den letzten Wochen abhanden gekommen war. Das leichte Makeup half zusätzlich, dem Gesicht wieder etwas mehr Leben einzuhauchen.

Das Rascheln neben mir ließ mich wieder zu Elise sehen, die gerade dabei war, ihre Sachen zusammenzuräumen und in ihren Gedanken zu schwelgen. Auch wenn die nächsten Worte an mich gerichtet waren, blickte sie nicht zu mir.

"Dafür brauchst du dich wirklich nicht zu bedanken... Ich muss jetzt langsam los."

Meine Stirn legte sich in Falten, als ich sie dabei beobachtete, wie sie immer hastiger ihre Sachen zusammensuchte.

"Hinter mir findest du übrigens eine Kleiderstange mit Kleidung, die dir passen sollte", ergänzte Elise im Vorbeigehen. Sie taxierte flüchtig meinen Körper, der in viel zu großen Klamotten steckte und wandte sich das erste Mal wieder gänzlich mir zu.

"Such dir einfach das aus, was dir gefällt, und nimm es mit."

Immer noch Elise beobachtend, setzte ich mich auf. Irgendetwas schien sich geändert zu haben. Die Leichtigkeit, mit der sie sonst durch die Welt stolziert war, hatte sich verflüchtigt. Doch ich konnte nicht genau greifen, was geschehen war.

"Ist alles in Ordnung?", fragte ich deshalb, immer noch stirnrunzelnd.

Langsam drehte sich Elise wieder mir zu. Das Lächeln war wieder auf ihre Lippen zurückgekehrt, als wäre es nie weg gewesen.

"Ja... ich habe nur etwas Wichtiges zu erledigen, das ich vollkommen verdrängt habe."

Ich nickte, auch wenn sie dieses Mal nicht zu hundert Prozent aufrichtig wirkte. Ihre Tasche hatte sie bereits zusammengepackt und über die Schulter geschmissen, als sie mir ein letztes Lächeln zuwarf und zur Tür zuflog.

"Muss auf die Tatöwierung nicht so etwas wie eine Folie drauf? Oder eine Salbe?", fragte ich, bevor sie die Tür öffnete.

Mit einem Schmunzeln wandte sie sich mir zu.

"Das wird bei deiner schnellen Regeneration nicht nötig sein."

Ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten, ließ sie mich allein in dem Raum zurück. Eine Weile noch sah ich zu der geschlossenen Tür und versuchte mir einen Reim auf Elise' Verhalten gen Schluss zu machen. Schulterzuckend resignierte ich. Auch wenn ihr Verhalten merkwürdig gewesen war, wollte ich es nicht länger hinterfragen. Ich selbst wusste nur zu gut, wie sehr die Gedankenwelt einen einnehmen konnte.

Jetzt wollte ich mich gänzlich auf mich selbst konzentrieren. Und ein letzter Schritt zu meiner vollständigen Verwandlung stand noch aus.

Ich ging auf die Kleiderstange zu, von der Elise zuvor gesprochen hatte, und suchte zwischen den Kleidungsstücken nach etwas zu mir Passendem. Meine erste Wahl fiel auf eine schwarze Jeans. Dafür ließ ich die viel zu große Hose, die nur locker auf meinen Hüften saß, gen Boden gleiten und schlüpfte stattdessen in die hautenge Jeans hinein. Eigentlich hätte ich die Suche darauf beruhen lassen können. Schließlich passte der graue Pullover, der nunmehr Oversize war, zu der Jeans und zu meinem früheren Kleidungsstil. Doch ich bemerkte, wie mein Blick immer wieder zu einem schwarzen Croptop mit Spitzenbesatz huschte, das ich niemals zuvor in meinem Leben gewagt hätte, anzuziehen. Zum Einen, da ich dem Bauchfrei-Trend generell skeptisch gegenüber gewesen war. Zum Anderen aber hatte meine Figur nie zu dieser Art von Kleidung gepasst. Ich spürte, wie meine Hand nach dem Kleiderbügel griff und das Top hinunter nahm. Der Pullover landete neben der ausgeleierten Hose auf dem Boden. Nachdem ich eine ebenso schwarze Lederjacke entdeckt hatte, zog ich auch diese drüber. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, was ich dort gerade getan hatte, ging ich zu dem Spiegel herüber, in dem ich bereits den ersten Teil der Verwandlung verfolgt hatte.

Wie ich bereits erwartet hatte, passte das Croptop perfekt zu der zerrissenen Röhrenjeans, die in meinen eigenen, halbhohen Stiefeletten verschwand. Mein gesamter Körper war schlanker als jemals zuvor, an einigen Stellen sogar viel zu dürr. Doch die neue Kleidung unterstützte das neue Ich, das vor mir im Spiegel stand, und versteckte es nicht länger. Die unnütze sowie verflucht gutaussehende Lederjacke mit halblangen Ärmeln hörte genau dort auf, wo das frisch gestochene Tattoo begann. Sieben perfekt geformte Kreise zierten meinen Unterarm vom Ellbogen aus, welche sieben Menschen repräsentierten, die höchstpersönlich von mir in das Jenseits befördert worden waren. Die von dunkel geschminkten Wimpern umrandeten, bernsteinfarbenen Iriden wirkten emotionslos, beinahe eiskalt. Allein der Sturm, der sich dahinter versteckte, ließ erahnen, wie die Emotionen in der Person jederzeit die Überhand gewinnen konnten. Ich war nicht mehr wieder zu erkennen. Ein schiefes Lächeln formte sich auf meinen Lippen. Dieses Gefühl, jemand gänzlich Anderes zu sein, gefiel mir.

Dieser Frau im Spiegel würde niemals jemand ins Gesicht sagen, dass sie schwach wirkte. Ganz bewusst ließ ich das Feuer in meine Hände gleiten, bis es schließlich in ruhigen, jedoch ebenso gefährlichen Flammen meine Hände bedeckte. Die Zeit war gekommen, diesen einen Teil von mir, der gefährlicher war als alles andere, das ich kannte, zu akzeptieren. Das Feuer schien nicht nur meine Hände, sondern auch meine Iriden zu neuem Leben zu erwecken. Wie flüssiges, lebendig gewordenes Gold funkelten meine Augen mit dem Feuer um die Wette. Ein wohltuendes, warmes Gefühl floss von meinem Herzen aus durch meinen Körper. Endlich schien das Spiegelbild zu dem zu passen, was ich in Wahrheit verkörperte.

Eine unberechenbare Mörderin mit Händen, die geradewegs aus der Hölle kamen.

Hallihallo ihr Hübschen,

wenn das nicht mal eine unterschwellige Kampfansage war?! Unsere liebe Cassie scheint sich immer mehr zu verändern. Ob wir jemals wieder etwas von der "alten" Cassie hören werden?

Außerdem würde mich brennend interessieren, was eure Meinung zu Elise ist. 😜

Nächste Woche wird es wieder ans Eingemachte gehen. Denn dann wird aufgeklärt, wieso Cassie in dieser verschneiten Villa festhängt und was in den Wochen zuvor geschehen ist.

Ich wünsche euch alles Liebe 😊

Eure federwunsch ❤️

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