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Kapitel 24

Das zusätzliche Gewicht in meiner Hosentasche hatte mich den gesamten, restlichen Tag daran erinnert, was heute nach dem Unterricht geschehen war. Lians dunkle, fast schon weise wirkenden Augen, die mich eindringlich musterten, waren mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Spätestens als die schwere Metalltür hinter Ilvy und mir wieder zugerastet war, hatte ich die Aufregung nicht länger verbergen können. Ständig hatte ich mir mit den Händen durch die Haare gefahren, die sich beinahe vollständig aus dem tiefen Zopf gelöst hatten. Immer wieder hatte ich in Gedanken alle Vorgehen durchgespielt, die für mich in Frage kamen. Nicht zuletzt hatte ich mir ständig die Frage gestellt, ob ich Lian trauen konnte, worauf ich einfach keine Antwort gewusst hatte. Deshalb war mir der Entschluss, Ilvy in das Gespräch mit Lian einzuweihen, nicht schwer gefallen. Ich hatte einfach mit jemandem darüber sprechen müssen, ohne vollständig die Nerven zu verlieren. Sie kannte mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte, als ich in unserem kleinen Kerkerzimmer auf und ab gelaufen war.

Mittlerweile saß ich Ilvy gegenüber auf dem Bett und legte meinen immer schwerer werdenden Kopf in die Hände. Die gesamte Zeit über hatte Ilvy stumm meiner Erzählung gelauscht. Nur ihre immer größer werdenden Augen hatten ihre Überraschung preisgegeben.

Deshalb überraschte mich der Laut ihrer Stimme so sehr, dass ich zusammenzuckte, als sie fragte: "Bist du dir sicher, dass du dort hinausgehen willst?"

Mit keinem einzigen Wort hatte ich zu ihr gesagt, dass ich überhaupt in Erwägung zog, nach draußen gehen zu wollen, doch sie hatte bereits etwas in mir gesehen, das noch nicht einmal ich selbst begriffen hatte. In dem Moment, wo ich ihre Worte hörte, wusste ich, dass es die einzig richtige Entscheidung war, nach draußen zu treten und herauszufinden, was Lian von mir wollte.

Noch bevor ich antworten konnte, fügte Ilvy flüsternd hinzu: "Ich traue ihm nicht. Er ist irgendwie... anders."

Langsam hob ich meinen Kopf an, um Ilvy direkt anzusehen.

"Nein, ich bin mir nicht sicher. Aber vielleicht ist anders genau das, was wir in dieser Irrenanstalt brauchen."

Ich erhob mich vom Bett und ging mit langsamen Schritten auf die Metalltür zu, die zeitgleich Rückzugsort und Gefängnis darstellte. Vorsichtig legte sich meine Hand auf den Henkel der Tür, den ich zuvor noch nie gewagt hatte zu berühren. Kalt lag das Metall in meinen Händen, auf dem bereits die Lackschicht abgesplittert war. Wer weiß, wie viele vor mir bereits versucht hatten, aus diesem Kerker zu entkommen. Ich war sicherlich nicht die Erste. Deshalb erschien es mir mehr als surreal, dass heute tatsächlich der Tag gekommen sein sollte, an dem die Tür sich von innen aufschließen lassen würde.

Ein letztes Mal drehte ich mich zu Ilvy und sagte, jedoch mehr zu mir selbst: "Außerdem weiß ich, dass ich es bereuen werde, wenn ich es nicht wenigstens versuche."

Noch bevor ich den Henkel hinunter gedrückt hatte, sprang Ilvy plötzlich von ihrem eigenen Bett hoch und rannte auf mich zu, nur um mich in eine klammernde Umarmung zu ziehen. Mein Körper versteifte sich aufgrund der ungeahnten Berührung und der Worte, die sie mir ins Ohr hauchte.

"Pass bitte auf dich auf."

Schnell löste sie sich wieder und trat einige Schritte zurück. Langsam ließ ich meinen Blick von Ilvy zu der Tür wandern und drückte den Henkel herunter, der sich erstaunlich leicht nach unten drücken ließ. Mein Atem stockte, als ich die Tür zu mir zog und diese sich ohne Weiteres öffnen ließ. Mein Herz schlug wie verrückt, als ich die Tür weiter öffnete und meinen Kopf hinausstreckte. Der grau betonierte Flur war vollkommen leer. Nur das Surren der Belüftungsanlage war zu hören. Bevor ich allzu viele Gedanken daran verschwenden konnte, wie viele Gründe es gab, nicht auf die andere Seite der Tür zu treten, ließ ich meine Füße einfach gewähren. Meinen Körper presste ich nah an die Tür und erwartete bereits ein Sonderkommando, dass mich ohne Umwege in eine Folterkammer bringen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Es blieb erstaunlich still. Langsam zwang ich mich dazu, von der Tür wegzutreten, die noch einen Spalt geöffnet war. Noch war es mir möglich, einfach zurückzugehen und alles zu vergessen. Ich schüttelte meinen Kopf, um die Zweifel zu verdrängen. Ein letztes Mal drehte ich mich der Tür zu. Bevor diese langsam und lautlos ins Schloss glitt, konnte ich durch den Spalt Tränen in Ilvys hellen Augen erkennen, was mir einen leichten Schauer über den Rücken laufen und mich langsam schlucken ließ. Ich hatte das Gefühl, das mein Herz in die Hose gerutscht und mein Körper vollkommen ausgetrocknet war. Trotzdem blieb ein Teil von mir erstaunlich ruhig. Sofort vernahm ich Lians Stimme, als würde er wieder direkt vor mir stehen und zu mir sprechen.

Wenn du aus deinem Zimmer kommst, gehst du nach links. 

Ohne weitere, kostbare Zeit zu verlieren, setzte ich einen Fuß vor den anderen. Der Betonboden war außerordentlich kalt unter meinen Füßen, doch ich hatte es für besser befunden zu frieren, als aufgrund der schweren Laute der Stiefel erwischt zu werden. Ich rief mir die nächste Wegbeschreibung von Lian in Erinnerung, die ich erstaunlicherweise problemlos abrufen konnte.

Den ersten Gang, der zu deiner rechten Seite liegen wird, gehst du bis zum Ende entlang.

Tatsächlich würde der Gang sich in einigen Metern mit einem weiteren Gang kreuzen, was mein Herz kurz zum Hüpfen brachte. Noch war es zu früh, sich in Sicherheit zu wiegen. Schließlich hatte ich noch einen ganzen Flur vor mir. Vor der Kreuzung blieb ich stehen und wartete. In jedem Moment rechnete ich mit einem Vibrieren in meiner Hosentasche oder dem Quietschen einer Tür. Doch es blieb weiterhin ruhig. Dies bewegte mich schließlich dazu, in den nächsten Gang einzubiegen. Zu meinem Pech war dieser Flur, im Gegensatz zu dem davor, gebogen, weshalb das Ende nicht absehbar war. Schnellen Schrittes ging ich den Betonboden entlang und hoffte auf ein Ende, das nicht näher zu kommen schien.

Die schweren Schritte vor mir hörte ich, noch bevor das Ortungsgerät in meiner Hose vibrierte. Prompt verharrte ich an Ort und Stelle, war wie gelähmt und wartete auf meinen Untergang.

Du musst dich verstecken!

Dankbar über die Kämpferin in mir schaute ich mich um, sah jedoch nur Türen und Wände. Es gab keinerlei Möglichkeiten, sich zu verstecken.

Außer vielleicht die Einkerbungen, wo die Türen eingelassen sind.

Ohne weitere, wertvolle Zeit zu verlieren, lief ich auf einen der Betonrahmen zu und presste mich so flach wie nur möglich an die kalte Wand. Eine Hand presste ich auf Nase und Mund, um bloß keinen Laut mehr von mir zu geben. Die Schritte kamen immer näher und gehörten unverkennbar zu den in schwarz gekleideten Lakaien Michails, die uns immerzu zu den unterschiedlichen Räumen geleiteten. Als das Schwarz in meinem Blickwinkel auftauchte, ertrug ich die Spannung nicht länger und schloss meine Augen. Das erste Mal in meinem Leben stieß ich ein Gebet gen Himmel aus. Jeden Moment rechnete ich damit, dass die Schritte sich mir nähern und daraufhin unaussprechliche Dinge tun würden.

Stattdessen jedoch hörte ich, wie die Schritte sich immer weiter von mir entfernten und schließlich nur noch ein leises Echo zu mir hallte. Ungläubig öffnete ich meine Augen und erlaubte mir das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, wieder zu atmen. Mein Brustkorb hob und senkte sich hektisch und am liebsten wäre ich an Ort und Stelle zusammengebrochen. Die Spannung, die meinen Körper ausfüllte, war unerträglich und laugte mich vollkommen aus. Doch wieder hörte ich diese eine leise Stimme in meinem Kopf, die mich an die nächsten Schritte erinnerte.

Jetzt geh schon!

Ich erlaubte mir einen kurzen Moment, in dem ich meine Augen schloss und die Atemtechniken zur Beruhigung anwandte. Tatsächlich beruhigte sich mein Puls bereits innerhalb einiger, weniger Sekunden, sodass ich mich wieder aus meinem mehr oder weniger guten Versteck hervorwagte und einen Fuß vor den anderen setzte. Noch schneller als zuvor schlich ich den Gang entlang, auf dessen Ende ich sehnsüchtig wartete. Als plötzlich eine dritte Betonwand vor mir auftauchte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Schneller noch als zuvor lief ich auf das Ende zu. Mit rasendem Herz blieb ich schließlich vor der Betonwand stehen.

Dort wirst du warten, bis sich ein Aufzug für dich öffnet und einsteigen.

Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als genau das zu tun. Abzuwarten. Ich inspizierte die Betonwand genauer, die kein Anzeichen dafür freigab, das sich dahinter ein Aufzug befinden könnte. Es waren keine Schalter zu sehen. Nicht einmal ein winziger Riss gab Anzeichen dafür, dass sich hinter dieser Wand etwas anderes außer Mauerwerk befand. Nicht nur einmal fragte ich mich, ob ich den richten Weg eingeschlagen hatte. Meine Gedanken überschlugen sich mittlerweile. Doch eine Vermutung hatte sich in mein Gehirn gebrannt und ließ mich nicht mehr los: Dass vermutlich doch alles eine Falle gewesen war und Karina mich bereits oben mit einem neuen Folterinstrument erwarten würde.

Meine Gedanken fanden ein rasches Ende, als ich ein Geräusch vor mir vernahm, das stark nach einem Seilzug klang. Als die komplette Betonwand vor mir vollkommen lautlos erst ein Stück nach hinten fuhr, dann vollständig hochgezogen wurde und zwei Metalltüren entblößte, konnte ich meinen Augen kaum Trauen. Im nächsten Moment öffneten sich die Metalltüren und gaben den Blick auf einen großen, gut beleuchteten Fahrstuhl frei. Ich konnte mein Glück kaum fassen, als ich schnellen Schrittes den Fahrstuhl betrat und darauf wartete, dass die Türen sich wieder aufeinander zubewegen würden. Viel zu lange dauerte es, bis mein Wunsch endlich erhört wurde und die Türen vorsichtig aufeinander zufuhren, bis nur noch ein Spalt zu sehen war. Erleichtert lehnte ich mich an eine der Metallwände, die meine erhitzte Haut angenehm kühlte. 

Mit einem Rucken setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung, was in mir die Spannung wieder auf ein Maximum hob. Unaufhörlich stellte ich mir die Frage, was mich hinter diesen Türen erwarten würde, wenn sie sich das nächste Mal öffnen würden. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, in welches Stockwerk ich gefahren wurde. Generell war der Fahrstuhl vollkommen blank. Es gab nicht einmal Knöpfe, die betätigt werden konnten, was mich noch nicht einmal stutzig machte. Vermutlich wollten sie niemandem eine Chance geben, diesen Fahrstuhl zu nutzen, der unbefugt war.

Als der Aufzug endlich zum Stehen kam, löste ich mich von der Metallwand und stellte mich vor die Türen. Wieder hörte ich hinter der Tür, wie etwas hochgefahren wurde, bis sich schließlich auch die Metalltüren öffneten.

Noch bevor ich aus der Kabine heraustrat, nahm ich das düster wirkende Zimmer in Augenschein, das einem altmodischen Herrenzimmer gleichkam. Die Bücherregale, die fast alle Wände in Beschlag nahmen, fielen mir als Erstes auf. Die Wände selbst waren in einem dunklen Rot gestrichen worden, die vereinzelt von Wandleuchten beleuchtet wurden. Der Teppich, den ich nur kurze Zeit später unter meinen Füßen spürte, war unfassbar weich und wirkte teurer als die gesamte Inneneinrichtung, die ich in Deutschland vorzuweisen hatte. In dem hinteren Bereich des Raums befand sich ein Kingsize-Bett, das mit schweren Vorhängen vor fremden Blicken geschützt wurde. Das Erstaunlichste an dem Raum stellte jedoch der Kamin dar, der leicht abgesenkt gegenüber des Bettes stand und vor sich hin brannte. In der Mitte des hohen Raumes war ein Kronleuchter aufgehängt worden, der durch die Flammen im Kamin verheißungsvoll funkelte. Und darunter befanden sich zwei lederne Ohrensessel, von denen bereits einer besetzt war.

Lian saß mit dem Rücken zu mir in einem der Sessel und hielt ein Kristallglas in die Luft, in dem die goldene Flüssigkeit von den Flammen im Kamin zusätzlich erleuchtet wurde.

Sie sitzen hier also in Ruhe vor dem Kamin und trinken gemütlich einen Drink, während wir unten frieren dürfen!

Wütend auf die gesamte Situation stapfte ich auf ihn zu.

"Da bist du ja endlich."

Lian wirkte keineswegs überrascht, mich zu sehen. Er schenkte mir noch nicht einmal einen Blick, schaute weiterhin in die Flammen, während er einen Schluck von seinem Whiskey nahm. Sofort registrierte ich die Nähe zum Kamin, als mich Wärme umhüllte.

"Setz dich doch."

Mit der Hand bedeutete er mir, in dem Sessel neben ihm Platz zu nehmen. Ich jedoch blieb stehen. Immer noch wirkte alles auf mich so unwirklich. Ich konnte nicht einmal mehr sagen, wann ich das letzte Mal einen richtigen Kamin gesehen hatte. Es war eindeutig viel zu lange her!

"Ist dir auch sicher niemand gefolgt?"

Lians Frage riss mich aus meinen Gedanken. Ohne dass ich es unbedingt beabsichtigt hatte, antwortete ich mit vor Wut bebender Stimme: "Sonst wäre ich wohl nicht hier, oder?"

Lians Mundwinkel zuckten bei meiner Antwort, was mich noch wütender stimmte.

Findet er es lustig, mich so auf die Palme zu bringen?

"Möchtest du auch einen?", fragte er und zeigte auf die gefüllte Karaffe, die neben ihm auf dem Beistelltisch stand. Ich bedachte ihn mit gehobener Augenbraue.

Und mich von dir vergiften lassen?

"Nein, danke."

Immer noch würdigte er mich keines Blickes, schaute stattdessen in den Kamin, der knisternd das Holz in warme Flammen verwandelte.

Jetzt reicht's!

Schnellen Schrittes versperrte ich ihm die Sicht auf den Kamin und verschränkte die Arme.

"Was soll das hier werden, Lian?"

"Ich möchte dich etwas fragen, Cassandra."

Ich hatte das Gefühl, dass er meine Geduld noch mehr strapazieren wollte, als er sich einen weiteren Schluck aus dem Kristallglas in seiner Hand gönnte.

"Inwieweit hast du begriffen, was hier passiert?"

Erstaunt klappte mein Mund auf. Mit dieser Frage hatte ich als Allerletztes gerechnet. Ich schaute von ihm zu den etlichen Bücherregalen hinter ihm, als würde dort die Antwort auf die Frage stehen, die ich selbst nicht kannte. Mein Mund öffnete sich, bevor ich überhaupt nachdenken konnte, was ich sagte.

"Soll das ein schlechter Scherz sein?"

Ohne dass es mir aufgefallen war, hatte ich begonnen, vor Lian auf und ab zu gehen.

"Ihr verschleppt mich hier her, foltert mich! Lasst mich trainieren, bis das Blut spritzt! Zwingt mich dazu, eine Liebesromanze mit Dimitri zu spielen, um... Ich weiß noch nicht einmal, warum!"

Kurzerhand blieb ich wieder stehen und drehte mich zu ihm um.

"Nein, ich habe nicht den blassesten Schimmer, was ihr von mir wollt oder was das Ganze hier werden soll."

Ich kam immer näher auf ihn zu, lehnte mich zu ihm herunter, bis mein Zeigefinger sich unnachgiebig in seine Brust bohrte.

"Aber weißt du was? Es interessiert mich auch überhaupt nicht. Ich werde diesen ganzen Saftladen hier niederbrennen, selbst wenn ich dabei drauf gehe!"

Lians Mund, der eben noch nur gezuckt hatte, öffnete sich im nächsten Moment vollständig. Das Lachen kam aus tiefstem Inneren, was mich umso mehr verunsicherte und wieder einige Schritte zurückweichen ließ. Als er sich wieder gefasst hatte, musterte er mich mit fast schwarzen Augen.

"Du klingt sehr selbstsicher."

Dieses Mal war meine Stimme kaum mehr als ein Hauchen.

"Du solltest mich nicht unterschätzen."

Das Lächeln, das Lian mir dieses Mal schenkte, wirkte einnehmend und auf eine eigenartige Weise warm, was mich zutiefst verwirrte.

"Ich denke, es gibt nur eine Person, die dich unterschätzt. Und das bist du Selbst."

Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ich taumelte erneut einige Schritte zurück. Ich konnte nicht genau sagen, warum mich diese Behauptung so traf. Doch eines hatte Lian erreicht: Meine Wut war vollkommen verraucht und ich konnte wieder klar denken. 

"Genau deshalb brauchen wir dich", fügte Lian mit einem wissenden Blick hinzu.

Vollkommen verwirrt starrte ich ihn an.

"Wie bitte?"

Lian schaute zum leeren Sessel neben ihm und sagte: "Würdest du dich bitte endlich setzen? Du machst mich ganz nervös."

Augen rollend folgte ich seiner Aufforderung und nahm Platz. Das Leder war angenehm warm durch das Feuer in dem Kamin und ich spürte, wie ich das Gefühl, einfach dazusitzen, genoss.

Dieses Gefühl hielt jedoch nicht lange an, denn schon bald setzte Lian wieder an: "Ich würde gerne mit einer kleinen Geschichte beginnen, bevor wir zum eigentlichen Thema kommen."

Die kleinen Geschichten von Lian hatte ich bereits zuhauf gehört und ich ahnte, dass diese, wie viele andere bereits zuvor, nur Zeitverschwendung sein würde.

Genervt entgegnete ich:  "Ich fände es besser, wenn du direkt zum Punkt kommen würdest."

Wissend musterte er mich, während sich ein Schmunzeln auf seine Lippen legte.

"Ich denke ja, du wirst es dir sicherlich anders überlegen, wenn ich den Namen Gabriel Delanotte erwähne, oder?"

"Gabe?"

Niemals im Leben hatte ich damit gerechnet, diesen Namen aus seinem Mund zu hören. Allein bei der Erwähnung dieses Namens spürte ich, wie sich Gänsehaut über meinen gesamten Körper legte. Mein Herz setzte einen Schlag aus und vor meinem inneren Auge sah ich die schönsten, grünen Augen, die mir jemals in meinem Leben begegnet waren. Doch das Wissen, dass ich diese Iriden nie wiedersehen würde, trübte das Hochgefühl, das mich vor Kurzem noch eingehüllt hatte.

"Ich möchte dir gerne die Geschichte erzählen, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass wir Langlebige existieren", begann Lian und stellte sein Glas auf den Beistelltisch.

Meine Aufmerksamkeit hatte er. Ich zog meine Beine an meinen Körper heran und ließ die Wärme des Feuers durch meinen Körper fließen, während ich Lian genau beobachtete.

"Vor knapp siebzig Jahren war die Stimmung großartig, als die DNA des menschlichen Körpers entdeckt und somit die Genetik geboren wurde. Bis heute wurde damit etlichen Menschen geholfen, Krankheiten entschlüsselt, sogar Schafe geklont. Die Forschung hört nicht auf, hat erst begonnen. Es gibt noch so vieles zu entdecken, was noch im Verborgenen auf uns wartet. Doch die Sterblichen... ich meine natürlich die genetisch nicht modifizierten Menschen haben keine Ahnung, was bereits seit Jahrzehnten möglich ist. Dank zwei ganz besonderer Menschen, die du auch kennst. Diese zwei Menschen tragen den Namen Michail Morosov und Gabriel Delanotte."

Es war für mich keine Überraschung, dass Gabe und Michail sich kannten. Spätestens auf der Hochzeit von Giulia war die Vermutung zur Gewissheit geworden. Doch bei der Kälte, die zwischen den beiden geherrscht hatte, hätte ich niemals damit gerechnet, deren Namen in ein und derselben Geschichte zu hören. Außerdem löste die Erwähnung von Genetik ein seltsames Gefühl in meinem Magen aus, obwohl ich nicht genau fassen konnte, warum. Gespannt wandte ich mich Lian ein Stückchen mehr zu.

"In der Zeit, als die DNA-Entdeckung noch in den Kinderschuhen gesteckt hatte, begann Gabriel gerade, Chemie an der Universität von Cambridge zu studieren. Als besonders begabter, junger Mann erhielt er damals ein Stipendium, ohne welches er es niemals an die Universität geschafft hätte. Als junger Mann aus ärmlichen Verhältnissen war es ihm als einer der wenigen gegönnt gewesen, solch ein Ehre zu genießen."

Wie bitte?

Spätestens jetzt war ich mir sicher, dass Lian von einem anderen Gabe sprach als dem, den ich kennengelernt hatte. Der Gabe, den ich kannte, war laut eigenen Angaben Koch und hatte auf mich in keiner Situation auch nur den Anschein gemacht, überdurchschnittlich intelligent zu sein. Vielmehr hatte ich ihn als gut aussehenden Charmeur eingeschätzt, der nichts anderes als Autos und Frauen im Kopf hatte. Doch wenn es etwas gab, was ich wusste, war, dass er mich bereits bezüglich anderer Dinge angelogen hatte. Warum also auch nicht bei dieser Sache?

In diesem Moment wurde mir bewusst, wie wenig ich eigentlich über den Mann wusste, an den ich mein Herz verloren hatte. Einzelne Nadelstiche bohrten sich in eben besagtes Herz, als mir bewusst wurde, welche Schmerzen mir dieser Umstand immer noch versetzte.

"Möglicherweise kannst du es dir nur schlecht vorstellen, aber er hatte damals keinen leichten Start an der Universität. Es war nicht gebräuchlich, dass es ein Mann aus ärmlichen Verhältnissen an die Universität schaffte. Vor allem nicht ausschließlich aufgrund seiner Begabung. Von dem Spott der anderen Mitstudierenden konfrontiert, verschanzte er sich immer mehr, büffelte immer mehr und weiter. Die Bibliothek verließ er nur selten. Bald schon war er so tief in die Materie vorgedrungen, dass er schon nach kürzester Zeit wusste, in welchem Gebiet er forschen wollte. Die neu entdeckte Genetik hatte es ihm besonders angetan. Und in ihr fand er schon sehr bald einen Freund, der ihn des Nachts wach hielt."

Gabe soll ein überaus intelligenter Streber sein, der unbeliebt bei seinen Kommilitonen gewesen ist?

Die Geschichte wurde immer besser, was mir ein verächtliches Lachen entlockte. Lian ging jedoch nicht darauf ein.

"Die Genetik blieb lange Zeit auch sein einziger Freund weit von der Heimat entfernt, bis er schließlich auf Michail Morosov traf. Michail selbst war ein kluger Mann, der es mithilfe des Geldes von seinem Vater überall hin geschafft hätte. Er verstand schnell, wie die Dinge in der Welt funktionierten und so war es nicht verwunderlich, dass er, wie sein Vater einst, Wirtschaft studieren wollte. Eines Nachts saßen beide ungleiche Männer nebeneinander in der Bibliothek. Gabriel war tief in seinen Büchern vertieft, während Michail ihn interessiert dabei beobachtete, wie er ein Buch nach dem anderen verschlang."

Kurzerhand griff Lian nach dem Whiskeyglas auf dem Beistelltisch und gönnte sich einen Schluck. Ich beobachtete, wie das flüssige Gold langsam aus dem Glas in seine Kehle floss und wünschte mir nichts sehnlicher, als ebenfalls etwas von der edlen Flüssigkeit zu kosten. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, griff ich nach der Karaffe auf dem Beistelltisch und kippte einen ordentlichen Schluck des Whiskeys in das noch leere Glas daneben. Amüsiert musterte mich Lian, als ich mich mitsamt Glas wieder in den Ledersessel zurücklehnte.

"Und so kam es, dass Michail ihn noch an diesem Abend unter seine Fittiche nahm und den dürren, verschlossenen Gabriel Delanotte zu der Person machte, die er heute ist."

Spätestens jetzt war der Moment gekommen, in dem ich mich einfach nur noch zurückgelehnt hatte und die Informationen auf mich einrieseln ließ. Ein dünner und verschlossener Gabe ging eindeutig über meinen Vorstellungshorizont hinaus. Wie Lian zuvor gönnte ich mir einen Schluck der goldenen Flüssigkeit, die sich langsam ihren Weg durch meine Kehle brannte. Ich musste schmerzlich zugeben, dass ich dieses Gefühl vermisst hatte. Die Geschichte jedoch war an diesem Punkt noch lange nicht zu Ende.

"Michail brachte ihm bei, sich gegen andere Menschen zu behaupten. Sie trieben gemeinsam Kraftsport, entdeckten das rege Nachtleben für sich und waren von diesem Zeitpunkt an unzertrennlich. Es war eine ungleiche Männerfreundschaft, die vielleicht genau deshalb funktionierte."

Michail und Gabe sind einmal unzertrennliche Freunde gewesen?

Lian legte eine kurze Pause ein, bevor er fortsetzte.

"Wenn du dir Michail ansiehst, wirst du sicherlich bereits bemerkt haben, dass er sehr bleich ist. Dies liegt daran, dass Michail an Albinismus erkrankt gewesen ist. Doch ihn hat es wesentlich wenig geschert, dass durch zu viel Sonnenschein sein Krebsrisiko erhöht wurde. Bis die Realität ihn schließlich eingeholt hatte und er erkrankte. Es gab keine Aussicht auf eine Heilung. Der Arzt gab ihm nur noch einige Monate Zeit, bevor der Tod ihn einholen würde. Gabriel, der seinen einzigen besten Freund nicht verlieren konnte, machte sich direkt ans Werk. Er wusste, dass das gesamte Wissen, das er sich in den letzten Jahren bezüglich der Genetik angeeignet hatte, endlich einen Sinn und Zweck hatte. Doch sein Köpfchen allein würde ihm nicht weiterhelfen. Das wusste er. Er benötigte ein Forschungslabor. Die Antwort auf die Frage, wie man dieses teure Unterfangen bloß finanzieren sollte, war für Gabriel klar: Nur Michails Vater hatte genug Geld, um das Labor finanzieren zu können."

Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als mir bewusst wurde, dass nicht alles an Gabe eine Lüge gewesen war. Schon immer hatte er sich um seine Liebsten gesorgt und sie vor allem Übel der Welt beschützen wollen. Dass in dieser Geschichte Michail sein Schützling war, machte diese Geste jedoch weniger erfreulich.

"Schließlich überredete Gabriel Michail dazu, seinen Vater um Geld anbetteln zu dürfen. Michails Vater hielt recht wenig von seinem eigenen Sohn, weshalb Michail selbst ihn nicht um Geld fragen konnte. Als Trunkenbold und Nichtsnutz bezeichnete er ihn und war froh, ihn nicht mehr bei sich zu haben. Doch Gabriel hatte dank Michail ein Gespür dafür entwickelt, wie man ein Geschäft abschloss. Und so wagte es Gabriel selbst und stellte Michails Vater seine Idee von einem universellen Heilmittel auf Basis von Genmanipulation vor."

Unmöglich!

Zwar war mein Biologieunterricht bereits einige Jahre her, doch ich konnte mich noch gut daran erinnern, warum es so schwer war, ein Heilmittel für Krebs zu entwickeln, geschweige denn ein universelles Heilmittel. Gespannt lehnte ich mich näher an Lian heran, um bloß kein Wort seiner Erzählung zu verpassen.

"Michails Vater war sofort begeistert von der Idee gewesen, stellte ihm jegliche finanzielle Mittel, sodass Gabriel sofort anfangen konnte. Mit der Zeit gesellten sich immer mehr Investoren dazu, spendeten reichlich Geld, während Gabriel Tag und Nacht alleine daran arbeitete, eine Lösung zu finden. Kein Anderer durfte von diesem geheimen Projekt wissen, was er Michails Vater hatte schwören müssen. Gabriel war bewusst, dass ihm nur noch einige Monate blieben, das versprochene Heilmittel herzustellen. Nicht zuletzt deswegen, weil Michails Vater ein gefährlicher Mann gewesen war."

Lians Blick konnte ich ansehen, dass er aus eigener Erfahrung sprechen musste. Unweigerlich stellte ich mir die Frage, ob er selbst Michails Vater gekannt hatte, doch ich wollte ihn nicht in seiner Erzählung unterbrechen.

"Ob du es jetzt glaubst oder nicht: Es gelang Gabriel besagtes Heilmittel zu entwickeln. Nachdem der erste menschliche Proband, an dem das Heilmittel getestet worden war, überlebte und erstaunliche Merkmale aufwies, erhielt Michail das Mittel, womit Gabriel seinem besten Freund das Leben rettete."

Die Erkenntnis aus dem gerade Gesagten traf mich wie ein Schlag und schnürte mir die Kehle zu.

Gabe allein war der Grund dafür, warum Langlebige existierten. Und das nur, weil er seinen einzigen Freund hatte retten wollen. Ohne ihn hätte diese Irrenanstalt, von besagtem Freund geleitet, nie existiert.

"Nachdem Michail geheilt war, wandelte er sich immer mehr. Er wurde seinem Vater immer ähnlicher, sah ein lukratives Geschäft in dieser Methode der Genmanipulation. Und er war klug genug, um zu wissen, dass für seinen Vater kein Platz in diesem Geschäft war und hatte ihn schließlich ermorden lassen."

Auch wenn ich Michail kannte und ihm alles zugetraut hätte, so spürte ich doch die Überraschung in mir aufkeimen, dass er tatsächlich hat seinen Vater ermorden lassen. Gänsehaut bildete sich auf meinem Körper und ließ mich kurz fassungslos schütteln.

"Mit jedem Tag wurde Michail gieriger nach Macht, verkaufte das Mittel an den Höchstbietenden. Von dem Geld geblendet stellte Gabriel das Mittel weiter her und ließ Michail es veräußern. Selbst in Armut aufgewachsen wusste er, dass Geld die Macht besaß, alles zu verändern."

Selbst wenn ich es gewollt hätte, konnte ich Gabe seine Entscheidung nicht verübeln. Geld war tatsächlich fundamental im Leben, auch wenn viele meinten, dass es wichtigere Dinge gab.

"Doch schnell merkte Gabriel, dass Michail sich mit jedem Tag immer mehr veränderte. Skrupellos war er geworden. Jegliche Menschlichkeit war ihm vollkommen abhanden gekommen. Gabriel wollte nichts mehr mit Michail und den anderen Sponsoren, die sich die Ältesten nannten, zutun haben und zog zurück in seine Heimat."

Auch wenn ich es bereits geahnt hatte, beruhigte mich die Gewissheit, dass Gabe nichts mehr mit Michails Tun und Handeln gemein hatte. Die Geschichte jedoch hatte mich vollkommen erschüttert. Niemals hatte ich damit gerechnet, dass einmal solch eine Verbundenheit zwischen Michail und Gabe vorhanden gewesen war. Da sah man mal wieder, wie sehr sich Menschen ändern und auch täuschen konnten.

"Seit diesem Tag gehen Michail und Gabriel getrennte Wege. Wobei Michail mit der täglichen Gewissheit leben muss, dass Gabriel stets eine Bedrohung für ihn und sein Imperium darstellen wird."

Die nächste Frage war für mich unvermeidbar, um die momentane Beziehung zwischen Gabe und Michail zu verstehen.

"Warum macht Michail immer noch solch einen Gänsetanz um Gabe herum? Warum bringt er ihn nicht einfach um, wenn wir doch beide wissen, wie skrupellos er ist?"

Ein Lächeln schlich sich auf Lians Lippen.

"Mir gefällt deine Art zu denken und das ist tatsächlich eine berechtigte Frage. Damit Michail weiterhin seine Macht behalten kann, braucht er die Formel für das Heilmittel. Er selbst betont immer wieder vor den anderen Langlebigen, dass er dieses Mittel selbst herstellen kann. Doch in Wirklichkeit weiß außer Gabriel keiner, wie man dieses Heilmittel zubereitet. Weiß Gott, wie oft ich selbst versucht habe, es zu reproduzieren. Wir wissen zwar, was die Ingredienzien sind, doch es ist wie wenn zwei unterschiedliche Menschen Spaghetti Bolognese zubereiten. Jeder macht etwas anders, obwohl die gleichen Zutaten verwendet werden. Dementsprechend sinkt Michails Vorrat des Heilmittels immer weiter, was ihn immer nervöser stimmt. Das Fundament, auf dem Michails Macht ruht, wackelt so sehr, dass er bei jedem Schritt, den Gabriel macht, nervös wird. Alle Schriftstücke, die Gabriel damals zu der Formel angelegt hatte, hat er vor seinem Verschwinden vernichtet, damit jemand wie Michail nie wieder dieses Mittel missbrauchen kann."

"Das heißt also, dass nur Gabe weiß, wie man das Heilmittel zubereitet?", wiederholte ich mehr für mich selbst, als an Lian gerichtet. Für mich war es nur sehr schwer vorstellbar, dass es bis heute keinem anderen gelungen war, dieses Heilmittel zu reproduzieren. Schließlich gab es heutzutage zig Analysegeräte zur Qualitätssicherung, die auf das kleinste Gramm genau die Zusammensetzung eines Stoffes feststellen konnten.

Vollkommen verwirrt lauschte ich den weiteren Worten Lians.

"Seit Jahren versucht Michail Gabriel dazu zu bringen, ihm endlich zu sagen, wie man das Heilmittel herstellen kann. Doch nicht einmal die schlimmste Folter hat ihn reden lassen. Seitdem herrscht ein inoffizielles, stilles Abkommen zwischen den beiden."

Bei dem Wort Folter zuckte ich zusammen. Ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, wie diese Folter für Gabe ausgesehen haben musste. Wenn bereits bei kleinen Delikten der Schmerz in einer Kammer mit Karina unerträglich war, dann wollte ich nicht wissen, was Gabe hatte alles erdulden müssen. Ich schüttelte meinen Kopf und wandte mich wieder dem Hier und Jetzt zu.

"Es ist eine wirklich wundervolle Geschichte, die du mir dort erzählt hast. Aber warum muss ich das wissen? Was soll ich mit dieser Geschichte zutun haben?"

Lian holte einmal tief Luft, bevor er fortfuhr.

"Zwanzig Jahre zuvor trafen Gabe und Michail nach Jahrelanger Pause voneinander wieder aufeinander. Gabriel war in einer Bar in Russland und betrank sich. Der Grund dafür war eine verlorene Liebe."

"Meine Mutter...."

Die Worte entglitten meinen Lippen in dem Moment, in dem ich den Zusammenhang begriffen hatte. Wenn meine Mutter ins Spiel kam, würde es nicht lange dauern, bis mein Name fallen würde. Das wusste ich.

"Genau. Michail nutzte Gabriels Verwundbarkeit. Beinahe gelang es ihm in dieser Nacht, Gabriel endlich zum Reden zu bewegen und ihm das Heilmittel zu geben. Doch Gabriel blieb trotz allem standhaft."

Lian holte erneut tief Luft, bis er endlich weiter sprach. 

"Erst war Michail sehr verärgert über diese Entwicklung. Doch nun, zwanzig Jahre später, ist es wieder so weit. Gabriel ist verwundbar."

"Das verstehe ich nicht."

Lian sah mich eindringlich an, während ich meine Stirn verwirrt in Falten legte.

"Michail ist der Meinung, dass du Gabriels Ruin sein wirst."

"Was habe denn ich damit zu tun?"

Lian zog seine Augenbraue hoch und bedachte mich mit verengten Augen.

"Kannst du dir die Frage nicht selbst beantworten?"

"Oh..."

Wie Schuppen fiel es mir von den Augen.

Michail wird mich benutzen, um an das Heilmittel zu kommen.

Die Puzzleteile, die ich in der gesamten Zeit hier, aber auch in Sizilien und Deutschland gesammelt hatte, begannen sich, wenn auch nur langsam, zu einem ganzen Puzzle zusammenzusetzen, während Lian mir dabei half.

"Die Hochzeit von Giulia und Akos war nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Michail wollte sehen, wie tief seine Gefühle dir gegenüber sind. Dass er dich damit ein kleines bisschen mehr foltern konnte, war nur die Kirsche auf der Sahnehaube gewesen."

Niemals hatte ich damit gerechnet, dass jemals etwas von dem, was hier passierte, für mich einen Sinn ergeben würde. Doch dass alles um mich herum so enorme Ausmaße annehmen würde, hätte ich ebenso wenig erwartet.

"Obwohl du Gabriel das Herz gebrochen hast, ihm quasi gestanden hast, dass du ihn nur benutzt hast, weil du die gesamte Zeit jemand anderes hattest, hat er dir zum Schluss nichts mehr gewünscht, als dass du glücklich wirst. Und das von ganzem Herzen."

Oh Gott.

Wieder einmal hatte mir Lian vor Augen geführt, was ich so lange verdrängt hatte. Die ganze Zeit hatte ich nur an mich und mein Leid gedacht, doch keinen einzigen, weiteren Gedanken an Gabe verschwendet. Schuldgefühle durchfluteten meinen ganzen Körper neben der Verwirrung, die sich dort bereits gemütlich eingenistet hatte.

Die ganze Zeit hatte ich gedacht, dass ich ausschließlich meinetwegen in Michails Augen so besonders war. Doch das war nie der wirkliche Grund gewesen. Nur wegen der Beziehung zu Gabe war ich so wichtig für ihn.

"Also braucht Michail mich nur dafür, um Gabe zu bezirzen?"

Lian bedachte mich mit einem musternden Blick.

"Nicht ausschließlich. Er will erreichen, dass du ihm im Krieg gegen die Sterblichen hilfst. So einen mächtigen Hybriden wie dich haben wir noch nie gehabt."

Bevor ich zu einer Frage ansetzen konnte, ließ Lian mich mit gehobener Hand inne halten.

"Die Fragen dazu hebst du dir lieber für einen späteren Zeitpunkt auf."

Ich nickte. Tatsächlich musste ich zugeben, dass mir die Antworten, die ich bis jetzt erhalten hatte, bereits ausreichten, um mir einige lange Nächte zu bescheren. Doch eine Sache musste noch geklärt werden.

"Warum bin ich wirklich hier?"

Lian schaute mich eindringlich an, bevor er fragte: "Wirst du uns dabei helfen, Michails Wahn zu stoppen?"

Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten.

"Worauf du einen lassen kannst!"

Lian schien zufrieden mit meiner Antwort zu sein, denn er lehnte sich erleichtert im Sessel zurück. Als ich ihn dabei beobachtete, blitzte ständig das Gesicht von Gabe vor meinem inneren Auge auf, dessen Inneres ich in Wirklichkeit gar nicht kannte.

"Eine Frage habe ich noch."

Neugierig wandte sich mir Lian zu.

"Ja?"

"Weiß Gabe, was hier mit den Hybriden gemacht wird?"

Dieses Mal richtete Lian den Blick auf das Glas in seiner Hand.

"Jedes Jahr bei der Jahreszeremonie, wo ausnahmslos alle Langlebigen anwesend sein müssen, werden die vielversprechendsten Hybride vorgezeigt. Jeder, der sich zu den Langlebigen zählen darf, weiß davon. Obwohl viele es nicht mögen, tolerieren sie es."

Ich schluckte.

"Und Gabe ist noch nicht einmal auf die Idee gekommen, das alles hier zu stoppen?"

Dieses Mal ließ Lian seine Iriden wieder auf mir ruhen.

"Das möchte ich gerne mit einer Gegenfrage beantworten: Was hast du denn in deinem früheren Leben dafür getan, dass das Elend in der menschlichen Welt endlich ein Ende findet?"

Dieser Hieb saß. Auch wenn ich keine direkte Antwort auf meine Frage erhalten hatte, so hatte ich doch verstanden. Der Hunger, der immer noch in vielen Teilen der Welt herrschte. Der Umgang mit Tieren, der einen einfach nur sprachlos machte. Und die Gier, die viele Menschen immer reicher werden und andere dafür verarmen ließ. Immer wenn es einen selbst nicht betraf, ignorierte man das Schlechte, das auf der Welt omnipräsent war. Warum sollte es bei Gabe also anders sein?

Ich hob das Glas mit dem Whiskey an, sah dabei in den Kamin und stürzte den restlichen Inhalt meine Kehle hinunter. Erst als das Brennen etwas nachgelassen hatte, erhielt Lian eine Antwort.

"Ich verstehe."

Hallo ihr Lieben ❤️

Über 5500 Wörter sind es geworden. Wenn das nicht mal ein langes Kapitel ist, dann weiß ich auch nicht 😱

Endlich haben wir einige Antworten erhalten. Ich weiß, es hat eine Weile gedauert, aber umso schöner ist es jetzt, endlich schlauer zu sein, oder? Ich muss zugeben, dass es mir besonders viel Spaß gemacht hat, dieses Kapitel zu schreiben.

Jetzt Mal im Ernst... Habt ihr mit solch einer Hintergrundstory gerechnet? Oder ist das für euch Überraschung pur? 🤔

Nächste Woche dürft ihr euch auf noch mehr Antworten freuen 😉

Eure federwunsch ❤️

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