Kapitel 38: Opfer
Samstag, 14. Oktober 1944
Seit Jahren kann kein Zauberer mehr leugnen, dass die Tragödie des zweiten Weltkrieges der Muggel unsere Welt nicht unberührt lässt. Viele Opfer aus unseren Reihen sind schon zu beklagen gewesen, doch keines wog bisher so schwer, wie der Tod, den wir nun gezwungen sind, zu betrauern: am vergangenen Tage verstarb das geschätzte Oberhaupt unserer Welt – Vicência Santos – in Italien. Wieso sie sich dort aufhielt und was ihren Tod letztendlich herbeiführte, ist noch nicht geklärt. Die Welt der Zauberer betrauert eine hervorragende Hexe, eine gütige Frau, dessen Vermächtnis uns noch lange erhalten bleiben und uns begleiten wird. Santos' Tod beunruhigt ein jeden von uns und ein jeder stellt sich nun die Frage: wer wird ihren Platz einnehmen?
„Was soll das bedeuten? Wir alle wissen, wer diesen Platz einnehmen wird", stellte ich klar und sah Albus von der Seite an. Er starrte nur wortlos aus dem Fenster in den Wald hinein.
Es dauerte eine Weile, bis er sich rührte, grob riss er mir die Zeitung aus der Hand. „Ich mache das aber nicht", erklärte er mir bestimmt, zerknüllte die Zeitung in seinen Händen und warf sie ins Feuer, bevor er sich auf das Bett sinken ließ und sein Gesicht in seinen Händen vergrub.
„Was soll das heißen, du machst es nicht?" Verdutzt sah ich ihn an.
„Ich weiß nicht, wieso ihr alle darauf beharrt. Du und vermutlich der Rest der Welt", murmelte Albus.
„Warum wir darauf beharren? Das Qilin hat sich vor dir verbeugt, du bist dieses Amtes würdig, mehr als jeder andere. Weißt du, was du alles erreichen könntest?" Flehend sah ich ihn an, während sein Gesichtsausdruck sich verfinsterte.
„Ach darum geht es dir mal wieder, du willst meinen Einfluss für dich gewinnen?"
Ich seufzte und sah Albus mitfühlend an, setzte mich neben ihn und legte meinen Arm um seine Schultern. „Nein, Albus, darum geht es mir nicht. Ich denke nur daran, was du für einen großen Einfluss haben könntest, nicht nur auf unsere Welt. Du verstehst die Muggel irgendwie, du in diesem Amt wärst eine Chance darauf, eine Verbindung zu schaffen, Frieden über uns zu bringen."
„Dafür ist es zu spät", flüsterte Albus kaum hörbar, verbarg daraufhin sein Gesicht hinter seinen Händen. „Was das angeht, habe ich schon seit Jahren versagt, spätestens aber seit – "
„Albus, du kannst nichts dafür, du hättest es nicht verhindern können", erklärte ich ihm zum wiederholten Male mit eindringlicher Stimme.
„Doch", erwiderte er trotzig. „Ich hätte es kommen sehen müssen, ich hätte wissen müssen, dass er eine Gefahr ist, ich hätte ihn gar nicht erst – "
„Hör' auf damit, Albus, hör' auf!" Dass er sich für all das, was passiert war, die Schuld gab, tat mir weh, es machte mich wütend. Ich wusste, dass dies das Werk des bescheuerten Zaubereiministeriums war, die hatten ihm weisgemacht, er würde einen Teil der Verantwortung tragen.
„Albus... Was ist los?", fragte ich ihn nun mit sanfter Stimme als ich merkte, dass ich etwas übersehen haben musste. Er atmete zitternd ein, während ich ihn in den Arm nahm, darauf wartend, dass Albus mir erklärte, was ihn bedrückte.
„Letzte Woche habe ich einen Brief bekommen, von Queenie", begann Albus zu erzählen, während er noch immer erschüttert zu Boden blickte. „Jacob, er... er ist im Krieg gefallen."
Ich sah Albus an, wollte etwas sagen, doch es war, als würde etwas meinen Hals zuschnüren, kein Wort brachte ich heraus. Ich hatte beinahe schon vergessen, dass Jacob ein Muggel war, so sehr wie er Teil unserer Welt geworden war. Doch auch das hatte ihn offenbar nicht davor schützen können, in den Krieg ziehen zu müssen und nun war er tot, gefallen und Jacobs Tochter musste ohne einen Vater aufwachsen und Queenie war gezwungen sie ohne ihren Ehemann aufwachsen zu sehen.
Noch vor etwas mehr als zehn Jahren hatte es mir Genugtuung bereitet, diesen Mann leiden zu sehen, seine Frau zu manipulieren, doch nun erschütterte auch mich diese Neuigkeit und ich wollte nicht so recht glauben, dass es wirklich passiert war. Doch das war es und Albus hatte Recht: für den Frieden war es jetzt zu spät, eigentlich war es das schon lang. Welche Option blieb uns jetzt also noch?
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen als ich ein Klopen wahrnahm, das aus Richtung des Fensters zu kommen schien. Albus hatte es wohl nicht bemerkt, er starrte noch immer ungerührt den Holzboden an. Ich hingegen erhob mich schwerfällig von unserem Bett, stapfte auf das Fenster zu, um es zu öffnen. Eine Schleiereule blickte mich aus misstrauischen Augen an. Ich ignorierte den Blick und löste den Briefumschlag von der Klaue der Eule. Diese hob augenblicklich wieder ab und flog davon.
Ich schloss das Fenster, drehte mich zu Albus herum. „Hier ist ein Brief für dich, Albus", informierte ich ihn vorsichtig.
Langsam blickte er auf, nahm seufzend den Brief entgegen. Eine Vorahnung stieg in mir auf als ich das Zeichen des Zaubereiministeriums auf dem Umschlag entdeckte.
Ich hielt die Luft an, während Albus' Augen die Zeilen entlangflogen und er schließlich aufsah. Ich versuchte, in seinen Augen zu entdecken, was ihn bewegte, doch es gelang mir nicht. Ungeduldig sah ich umher.
Endlich begann Albus, zu sprechen: „Sie wollen, dass ich Santos' Posten übernehme." Der Blick, den mir mein Freund zuwarf, gab mir zu verstehen, dass er nicht begeistert war, während sich die neue Nachricht für mich wie die beste Nachricht seit langem anfühlte. Bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte Albus sich schon Stift und Pergament gegriffen, um eine Antwort zu schreiben. Ich musste nicht über seine Schulter schauen, um zu wissen, wie diese lautete.
„Willst du nicht noch einmal eine Nacht darüber schlafen?", versuchte ich Albus zu überzeugen, dieser schüttelte beharrlich seinen Kopf. „Es gibt nichts, worüber ich nachdenken müsste. Ich werde ihnen nicht gefällig sein. Nicht jetzt."
„Wieso – "
„Sag mal, Gellert, manchmal bist du echt sturer als ein Ziegenbock! Hast du außerdem mal bedacht, dass wir unsere Wochenend-Dates dann komplett auf Eis legen müssten? Ich hätte dann Personen-Schutz, die würden sofort herausfinden, dass ich mit dir in Kontakt stehe. Wenn ich den Posten annehme, erkläre ich mich gleichzeitig dazu bereit, dich zu jagen. Merkst du etwas?"
„Denkst du nicht, dass es viel auffälliger ist, wenn du ablehnst?", warf ich ein.
Albus sah mich unsicher an. „Wie meinst du das?"
„Ich meine, dass es in der Regierung", vielsagend sah ich ihn bei diesem Wort an, „Menschen gibt, die von unserer Vergangenheit mehr wissen als gut für uns ist. Wenn du den Posten ablehnst, diesmal in dem Wissen, dass es keinen anderen würdigen Nachfolger geben wird, werden die doch nur noch misstrauischer, Albus."
„Die?"
„Er. Theseus. Dieser Mann weiß viel zu viel und wenn es nach mir ginge – "
„Es geht aber nicht nach dir! Newt ist mein Freund, ich werde sicherlich nicht zulassen, dass du seinen Bruder tötest."
„Was schlägst du dann vor? Was machen wir? Was machst du?"
„Ich gehe meiner Lehrertätigkeit in Hogwarts nach und halte mir sowohl Ärger als auch Schlagzeilen vom Hals", erklärte Albus bestimmt, sah dabei aber bei weitem nicht so überzeugt aus wie seine Worte klangen.
↠ ↞
Überraschenderweise hatte das Ministerium ihn nun monatelang in Frieden gelassen, nicht nochmal gedrängt, dass er den Posten übernehmen sollte. Vermutlich hatten sie genug mit dem allmählich abklingenden Krieg in Europa zu tun und damit, den restlichen Kämpfen auch endlich ein Ende zu setzen. Und so hatte Albus sich ungestört auf seine Tätigkeit als Professor konzentriert. An den Wochenenden trafen wir uns in abgelegenen Wäldern, verlassenen Hütten und genossen unsere Zweisamkeit. Hin und wieder mieteten wir uns im Ausland, wo kein Krieg mehr herrschte, für ein Wochenende ein Zimmer, um ein wenig Komfort zu genießen, so auch heute.
„Wie lange wird unser Frieden halten, Albus?", fragte ich ihn beunruhigt, nachdem wir uns begrüßt und im Zimmer niedergelassen hatten. Irgendetwas schien in der Luft zu liegen, so rastlos wie ich mich gerade fühlte und das obwohl Albus bei mir war. Er antwortete nicht.
„Was ist los, Albus?", hakte ich nach, Albus seufzte. „Es ist passiert, Gellert."
„Was? Was ist passiert?" Unruhig rutschte ich auf dem Bett hin und her.
„Deine Vision, Gellert. Sie ist wahrgeworden", hauchte er kraftlos.
Entgeistert sah ich ihn an. Durch das Verstecken überall und nirgends war ich vollkommen abgeschnitten von jeglichem Informationsstrom gewesen und erst jetzt wurde mir bewusst, was das bedeutete.
„Der Krieg ist vorbei, der Muggel-Weltkrieg. Auch die restlichen Kämpfe haben aufgehört, aber nicht einfach so. Ich denke gerade an etwas, das du mal gesagt hast: 'Es gibt kein Sieg ohne Opfer'. Vielleicht hattest du damit Recht..."
„Sag mir endlich, was los ist!"
„Du hast die Forscher gefunden, hast Feuer gesehen, viele Tote, Verwüstung. Eine neuartige Waffe – die neuartige Waffe, für welche die Wissenschaftler in Deutschland die Grundlage gelegt haben, als du dort warst – sie hat zwei Male zugeschlagen; Tausende getötet, Hunderttausende..."
Ich realisierte nur langsam, was Albus mir da gerade sagte, war unfähig zu antworten und Albus schwieg nun auch. Der Muggel-Krieg war vorbei. Und obwohl wir 6 Jahre lang auf diese Botschaft gewartet hatten, lag keine Erleichterung in dieser Neuigkeit. Schuldgefühle stiegen in mir auf, der Gedanke daran, dass ich es vielleicht doch hätte verhindern können, aber das war Irrsinn. Es war nicht meine Aufgabe, die Muggel von barbarischer Selbstzerstörung abzuhalten.
„Unser Frieden wird nicht lang halten", beantwortete Albus mir nun die Frage, die ich ihm vorhin gestellt hatte. „Der Krieg der Muggel mag beendet worden sein, doch der der Zauberer noch nicht. Wir müssen uns auf alles gefasst machen. Darauf, dass jederzeit alles passieren kann."
„Albus", setzte ich an, hielt jedoch inne als ich vom Korridor her Laufschritte wahrnahmen, die rasch näherkamen.
„Sie kommen", flüsterte Albus mit vor Schreck geweiteten Augen. „Versteck dich!"
Den Unsichtbarkeitsumhang hatte ich nie an mich genommen, obwohl ich dank Recherche und ein wenig Reisen inzwischen ahnte, wo er sich befand. Also versteckte ich mich ganz klassisch unter dem Bett und legte eilig einen mächtigen Schutzzauber um mich, der verhindern würde, dass mich doch jemand entdeckte.
Da hämmerte schon wie wild jemand an die Tür, Albus ging hin, um nachzuschauen, wer dort war.
„Theseus! Das ist ja eine Überraschung."
„Darf ich reinkommen?", wollte Theseus wissen.
„Ehrlich gesagt bin ich eben erst angekommen und muss mich erst einmal einrichten, also nein, dürfen Sie nicht."
„Ich bin der Leiter – "
„Der Auroren-Zentrale, ist mir bekannt. Das berechtigt sie trotzdem nicht ohne Weiteres, mich zu überwachen oder meine Privatsphäre zu stören."
„Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass wir Untersuchungen einleiten werden. Wir haben Hinweise darüber erhalten, dass Gellert Grindelwald sich in Hogwarts aufgehalten haben soll, unter ihrer Verantwortung. Ich bitte Sie jetzt, mitzukommen."
„Ich werde nirgendwohin mitkommen – " Er verstummte plötzlich und mir wurde klar, dass Theseus das zu verantworten hatte. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, hervorzukommen und ihn zu erledigen, doch ich wusste, dass es für Albus das Beste war, wenn ich mich im Hintergrund hielt, ich würde ihm helfen und das tat ich nicht, indem ich den Verdacht, der vorherrschte, mehr als nur bestätigte. Also blieb ich ruhig und regungslos unter dem Bett liegen, hörte nur noch das Zuschlagen der Tür und die Schritte, die sich entfernten.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich mich endlich regte. Stunden mussten verstrichen sein, denn als ich unter dem Bett hervorkroch, war es draußen schon dunkel. Ich ließ mich ratlos auf das Bett sinken. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde und hätte meine Visionen dafür verfluchen können, dass sie mich davor nicht gewarnt hatten. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Bathilda wäre meine erste Anlaufstelle gewesen, doch die Auswirkungen des Krieges hatten sich noch nicht gelegt, es herrschte Chaos. Bathilda hatte sich wer weiß wo in Sicherheit gebracht und ich würde sie nicht so einfach finden. Ich hatte niemanden und war jetzt auf mich gestellt. Irgendwie musste ich es schaffen, Albus da herauszuholen, denn es war meine Schuld, dass er dort hineingeraten war. Das würde ich wieder gut machen – um jeden Preis und für Albus' Wohl.
----------
Joa, ähm... *verkriecht sich*
Das tut mir jetzt irgendwie... leid? Ehrlich gesagt: Santos konnte ich noch nie leiden, die wirkte auf mich wie so eine scheinheilige Trulla. Das andere Opfer tut mir hingegen wirklich leid. Irgendwie.
Wie das wohl alles ausgeht?
Eine Nachricht habe ich noch für euch: vor einigen Tagen habe ich tatsächlich die Geschichte beendet! Ich bin irgendwie stolz darauf, das alles tatsächlich zu Ende zu bringen und bin schon gespannt auf eure Meinung. Einige Kapitel liegen noch vor euch, bis Kapitel 42 wird es gehen. In zwei Wochen ist dann also Ende Gelände... Aber bis dahin: noch viel Spaß beim Lesen!
Bis bald, ich freue mich auf euch! <3
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro