Kapitel 21: Wiedererkennen
Seit Albus vor einer Stunde zusammen mit Newt aus Nurmengard verschwunden war, hatte ich meine Zeit damit verbracht, Ordnung in das Chaos zu bringen, das ich – gemeinsam mit Antonio und dem Muffler – auf dem Boden verursacht hatte. Selbst der angrenzende Flur war nicht verschont geblieben von der Flut aus Pergament und Büchern. Anstatt die Unordnung mit meinem Zauberstab zu beseitigen, zog ich es vor, die Tiere aus Pergament per Hand aufzulesen. Jedes einzelne faltete ich behutsam auseinander, um es zu betrachten und erneut zu lesen, um es dann anschließend sortieren zu können.
Es wäre schlauer gewesen, mich selbst nicht damit zu quälen, aber ich konnte nicht anders, selbstzerstörerisch wie ich durch Albus' Besuch gerade drauf war. Seit er mich perplex im Gang hatte stehen lassen, war mein Gehirn ein einziges Chaos an Gedanken, die ich nicht fähig war zu ordnen, denn unser Kuss hatte lang verdrängte Gefühle an meine Oberfläche gebracht, Erinnerungen, die ich nicht in der Lage war, wieder zurückzudrängen.
In den letzten Jahren war viel passiert und obwohl ich die Schuld daran trug, dass unser Verhältnis zu Bruch gegangen war, hatte es sich für den Bruchteil einer Sekunde so angefühlt, als wäre nichts passiert; als hätte sich zwischen uns nichts verändert. Für diesen einen Moment hatte ich diese ganzen Gedanken, Rachepläne und verbitterten Gefühle hinter mir lassen und ausblenden können. Albus war der Realitätsbezug, den ich gesucht hatte. Doch schon war ich wieder allein, er war fort und mit ihm auch der Realitätsbezug.
Normalerweise hatte ich kein Problem damit, allein zu sein. Ich genoss es sogar. Für sich konnte man am besten seinen Gedanken nachgehen und Vorkehrungen treffen, seine Motive analysieren. Andere Menschen waren da nur Störfaktoren. Aber jetzt gerade war ich mehr als allein - ich war einsam, fühlte mich leer und zurückgelassen, seitdem Albus verschwunden war. Ich wusste, was der Grund dafür war und hasste mich beinahe dafür. Dass es Albus so einfach gelungen war, mich schwach zu machen, war ein weiterer Beweis dafür, wie instabil ich eigentlich war. Es war ein Alarmsignal, das ich eigentlich nicht ignorieren durfte, trotzdem blendete ich es aus, denn ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich sah keinen Ausweg. Ich brauchte Realitätsbezug und diesen konnte mir nur Albus geben.
Mit einer kleinen Handbewegung ließ ich ein Stück Pergament, sowie Tintenfass und Feder, zu mir schweben, bevor ich mich auf den Boden kniete und hastig einige Worte niederschrieb:
Albus,
es gibt etwas, worüber ich mit dir reden muss. Wir treffen uns heute Abend bei Sonnenuntergang an unserem alten Treffpunkt von früher. Ich warte auf dich.
Gellert
Ich zog meinen Zauberstab und ließ sich das Stück Pergament zu einem Schwan falten, bevor ich es auf die Reise zu Albus schickte. Voller Nostalgie blickte ich dem Schwan hinterher, lächelnd. Albus würde da sein, das spürte ich.
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Die Lichtung im Wald, an die wir uns früher immer zurückgezogen hatten, wenn wir für uns sein wollten, hatte sich fast nicht verändert, es sah aus wie damals, nur die Bäume waren nun kahler als in unserem Sommer. Erst wenige Blüten hatten sich an den Zweigen gebildet und durch die nur schwach belaubten Äste konnte man große Teile des Himmels erkennen, der sich langsam orange färbte.
Der kleine Bach schlängelte sich durch die Bäume und Büsche wie eh und je; glitzerte in dem Licht, der untergehenden Sonne, welches durch die kahlen braunen Stämme lange Schatten auf den Boden warf. Es war wunderschön, beinahe traumhaft.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich den vertrauten Knall hörte, den das Apparieren mit sich brachte. Ich drehte mich um und erblickte Albus, der soeben hier aufgetaucht sein musste. Ein Lächeln huschte mir bei seinem Anblick übers Gesicht. Hier zu sein an diesem Ort, mit ihm gemeinsam, war eines der schönsten Dinge, die ich mir gerade vorstellen konnte. Es fühlte sich richtig an.
„Was gibt es so Dringendes, Gellert?" Mein Lächeln verflüchtigte sich, Albus' Stimme war unerwartet kühl. Ich schwieg einen Moment lang, um meine Gedanken zu ordnen
„Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass es kuriose Fragen aufwirft, wenn ich jemandem erklären muss, wieso aus dem Nichts eine Nachricht in Form eines Schwans durch das Fenster auf mich zugeflogen kommt, oder?" Er schien unruhig, blickte sich immer wieder um.
Verwirrt sah ich ihn an. „Wer hat denn damit angefangen?", entgegnete ich barsch, „du! Und das auch noch nur, um mir weiszumachen, du wärst fertig mit mir. Du sagst mir immer, wie rücksichtslos ich sei, während du kein Stück besser bist."
„Offenbar stehen wir beide an unterschiedlichen Punkten", stellte Albus fest, meinen Vorwurf ignorierend.
„Inwiefern?"
„Insofern, dass du immer noch daran festhältst, was schon lang verloren ist. Du hast es kaputt gemacht, Gellert. Es war deine Schuld! Trotzdem versuche ich seit Jahren, meine Schuldgefühle in den Griff zu bekommen und als ob es nicht reichen würde, dass Aberforth jede Gelegenheit nutzt, mir meinen Egoismus vorzuhalten, nutzt du nun meine Gefühle aus, um mich für deine Zwecke zu benutzen. Ich habe die Nase voll!" Albus war nicht wiederzuerkennen. Die Ungeduld mit mir, die Wut auf mich, die in seinem Gesicht geschrieben stand, machte mir beinahe Angst. Albus war einer der besonnensten Menschen, die ich kannte, er hatte sich immer im Griff, seinen Ton ebenfalls. Heute wirkte er so instabil wie ein Papierboot auf hoher See und ich konnte mir nicht vorstellen, dass allein meine Nachricht und mein Wunsch, ihn zu treffen, ausreichten, um das in dieser Heftigkeit in ihm auszulösen.
„Wenn du jetzt also nicht sagen willst, dass du mich endlich in Ruhe lässt, Gellert", fuhr Albus gereizt fort, „dann kannst du dir deinen Atem sparen." Er war noch immer aufgebracht. Kurz betrachtete ich ihn, versuchte zu ergründen, was in ihm vorging und was ihn so aus der Ruhe brachte.
„Ich lasse dich nicht in Ruhe. Ich will, dass du bei mir bleibst", erklärte ich ruhig, nahm Albus mit dieser Gelassenheit jeden Wind aus den Segeln.
Er warf mir einen skeptischen Blick zu. „Du bist bestens ohne mich klar gekommen die letzten Jahre", stellte Albus nüchtern fest.
Die Hitze stieg mir in den Kopf. Langsam bekam ich das Gefühl, dass Albus mir bei unserer letzten Begegnung nur etwas vorgespielt hatte, so kalt und distanziert, wie er sich plötzlich verhielt. So unwahrscheinlich war es auch nicht, dass sein Ziel nur gewesen war, mich zu besänftigen, um dann mit meinen Gefangenen und seinem Zoohändler davonzukommen. Dass ich das nicht eher intensiv in Betracht gezogen hatte, mit dem Gedanken im Kopf, dass das einfach nicht seine Art war, trieb mich nun zur Weißglut. Dass ich mich so einfach von ihm manipulieren ließ, sah mir nicht ähnlich. Er hatte mich weich gemacht, sodass ich mich kaum noch wiedererkannte.
Albus zog seinen Zauberstab, richtete ihn auf mich und hielt mich mit seinem Blick auf Abstand. Ich befürchtete schon, dass er mich jeden Moment angriff und tastete in meinem Mantel nach meinem eigenen Zauberstab.
„Wann hörst du auf damit?", rief Albus mir fragend entgegen, „erst lauerst du mir in Hogsmeade auf, um mich anschließend unter einer Tarnung beinahe anzufallen und jetzt lässt du mich hierherkommen. Ich weiß, dass du nicht loslassen kannst, aber du musst akzeptieren, dass ich es tue."
Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe gemerkt, wie du auf mich reagiert hast. Das glaube ich dir nicht."
„Dann glaube es nicht", blaffte Albus.
„Was ist mit dir los?" Ich wollte beschwichtigend einen Schritt auf ihn zugehen, doch erstarrte in der Bewegung als Albus seinen Zauberstab noch fester griff und mir entgegenstreckte. So wie er sich gerade verhielt, traute ich ihm alles zu.
„Was ist passiert?", fragte ich vorsichtig. Albus ging nicht auf meine Frage ein, doch ich konnte ihm ansehen, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
„Wie soll ich wissen, dass du mich nicht wieder hinters Licht führen willst, hm?" Ich verstand, wieso er so skeptisch war, trotzdem machte es mich wütend. Wie konnte ich ihm beweisen, dass es mir ernst war?
„Ich habe dich gesehen Albus!", rief ich verzweifelt aus. „Ich habe uns gesehen, in dem Spiegel... Ich will nicht jede Nacht damit zubringen, daran zu denken, was wir hätten haben können." Meine Stimme wurde wieder leiser.
„Diese Erkenntnis kommt zu spät, Gellert. Sie hätte kommen müssen, als du mich zurückgelassen hast." Er hielt kurz inne, bevor er fortfuhr. „Und ich weiß, was du gesehen hast", erwiderte er mit einem Schmunzeln, er schien plötzlich viel ruhiger geworden zu sein, „das war mehr als offensichtlich. Und nicht nur das." Fragend schaute ich ihn an.
Er blickte sich wachsam um, bevor er fortfuhr: „Du kannst mir nicht erzählen, dass du den ganzen Aufwand um Hogwarts betrieben hast, nur um einen meiner Schüler zu rekrutieren."
„Um ihn zu rekrutieren und für meine Zwecke zu benutzen", berichtige ich den Lehrer dieses Schülers, der daraufhin den Kopf schüttelte. „Ich hatte schon einige Schüler, die... deutliches Interesse an mir gezeigt haben und von denen war keiner annähernd so anhänglich wie du. Ich weiß, du hältst viel von dir und deiner Fähigkeit der Verwandlung, aber das Äußerliche reicht nicht aus, um jemanden zu täuschen. Wie du mich angesehen hast... Ich musste kein Wahrsage-Lehrer oder Seher sein, um zu erkennen, wer dahintersteckt."
„Ich habe wohl vergessen, wie gut du informiert bist, Albus", gab ich zu und lächelte vorsichtig.
Die Miene meines Gegenübers hingegen wurde wieder ernst. „Nach all den Jahren, Gellert, ist es Zeit, loszulassen. Egal wie sehr du dich an die Hoffnung hängst, unser Sommer kommt nicht mehr zurück."
„Du bist ein Teil von mir Albus, ich kann dich nicht loslassen."
„Denkst du nicht, es ist dann der falsche Weg, mich um ein Treffen zu bitten?"
„Wenn du ernsthaft glaubst, dass du über mich hinweg bist, Albus, lügst du dich selbst an. Du hast meinen Kuss erwidert. Und ich habe gespürt, wie schnell dein Herz dabei geschlagen hat." Albus wandte seinen Blick von mir ab, er fühlte sich ertappt.
„Aber ich gebe mein Bestes, um mit dir abzuschließen. Und jedes Mal, wenn du ausnutzt, dass ich es noch nicht vollständig hinter mir gelassen habe, wirft mich das zurück. Wenn du mich noch liebst, Gellert, dann gib mir diesen Raum. Respektiere, dass ich abschließe und lass uns auf unseren getrennten Wegen weitergehen."
„Ich weiß, dass du mich nicht brauchst, Albus. Aber ich brauche dich", flüsterte ich mit Nachdruck, ging einige Schritte mit gehobenen Händen auf ihn zu, blieb stehen, wich schließlich wieder zurück.
„Ich werde dich nicht angreifen", erklärte Albus, mehr zu sich selbst als zu mir und kam auf mich zu. Mein Herz begann, erneut zu rasen als er so dicht vor mir stand und mich aus seinen blauen Augen ansah.
Ich zuckte zusammen als ich den Druck eines spitzen Gegenstandes an meiner Schläfe spürte und aus den Augenwinkeln einen Zauberstab wahrnahm, der sich in meine Haut bohrte.
„Ich kann nicht dafür garantieren, dass ich es nicht für dich tun werde, Albus", erklang eine Stimme hinter mir.
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Wer das wohl ist?👀 Zu schade, dass Gellert nicht all seine Visionen im Hinterkopf behält. Wer erinnert sich? 😇
Hach, heute erscheint endlich Fantastic Beasts 3 auf Blu-ray und DVD!😍 Ihr wisst, wo ihr mich die nächsten Tage findet.😂 (Update 2023: Ich schaue den Film fiel zu oft und mache nächste Woche einen HP & FB Marathon :D)
Macht's gut, man liest sich!🤗
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