Kapitel 14: Pergament
Dank des schnellen Einschreitens von Vinda und den anderen Anwesenden, war es gelungen, Isaac zu retten. Seitdem schlief er fast nur. Die Frau, die auf ihn losgegangen war, hatte ihm das Messer fest in die Schulter gerammt, die Wunde davon war tief, aber würde mit den richtigen Mitteln schnell heilen.
Während die ganze Welt seit Tagen vor Schock förmlich den Atem anhielt, lächelte ich in mich hinein, denn die Zeitungsartikel, die jetzt überall zu lesen waren, nahmen jede Einzelheit dieses Vorfalls unter die Lupe und spekulierten über Möglichkeiten, dieser Gewalt zu begegnen. Vereinzelt gab es Stimmen, die laut wurden und meinten, diese Gewalt wäre nur das Resultat davon, sich nicht genug zu verstecken und dass es nun an der Zeit war, noch radikaler gegen Verstöße gegen das Geheimhaltungsgesetz vorzugehen. Die wenigsten wollten wirklich einen Krieg riskieren. Doch ohne Krieg würde es für uns keinen Frieden mehr geben, denn die Menschen würden nicht aufhören, uns zu jagen, wenn wir ihnen nicht die Konsequenzen aufzeigten. Gewalt war die einzige Sprache, die sie verstanden, der einzige Ausweg, den wir noch hatten. Sie würden sehen, was sie von der jahrhundertelangen Unterdrückung und dem Ermorden Unschuldiger hatten.
Mit einem Seufzen lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück, ließ meinen Blick zu dem geöffneten Fenster gleiten, durch welches kühle Luft hineinströmte. Diese Aussicht half mir immer öfter, mein Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen. Ich hatte kaum mehr Zeit, um meine Gedanken zu ordnen, zu viel Wichtiges stand an.
Gerade als ich mich wieder von dem Ausblick abwenden wollte, stutzte ich, kniff die Augen zusammen. Das konnte nicht sein... oder? Hastig erhob ich mich und ging mit schnellen Schritten auf das Fenster zu, starrte wie hypnotisiert hinaus. Meine Augen hatten mich nicht getäuscht. Sofort begann mein Herz zu rasen, noch bevor mein Verstand wirklich begriff, was ich sah.
Wie in Zeitlupe hob ich schließlich meine Hand und griff den gelblich-weißen Vogel aus Pergament, der langsam auf mich zu flatterte, ganz vorsichtig aus der Luft. Einige Sekunden lang starrte ich das Pergament in meiner Hand an, unfähig, mich zu bewegen. Ich wusste, dass es Albus war. Früher, in dem Sommer, als wir uns verliebt hatten, hatten wir uns öfter auf diese Weise Nachrichten geschickt. Dass Albus das jetzt wiederzubeleben schien, traf mich unvorbereitet. Was wollte er damit bezwecken? Mit den düstersten Vorahnungen entfaltete ich vorsichtig das Papier.
Ich möchte dich treffen.
Samstag, 17 Uhr, im Lokal vom letzten Mal.
Δlbus
Ich strich mit meinen Fingern über die Spuren, die die Tinte auf dem Papier hinterlassen hatte. Dass Albus auf dieselbe Weise wie früher mit mir Kontakt aufnahm, überforderte mich schon. Dass er nun auch auf dieselbe Art seinen Namen unter die Nachricht schrieb, das A mit dem Symbol der Heiligtümer des Todes ersetzte, versetzte mich beinahe augenblicklich in die Vergangenheit zurück. Wenn ich nur kurz die Augen schloss, konnte ich die warme Luft und den Sommerregen beinahe schon riechen. Albus und die Zeit mit ihm fehlte mir, sie war viel zu schnell zu Ende gegangen.
Dass das meine Schuld gewesen war, wusste ich. Auch wenn Albus sich nach dem Tod seiner Schwester zurecht von mir abgewandt hatte, hätte ich weiterhin für ihn da sein müssen, ihm zumindest das Gefühl geben müssen, dass ich für ihn da sein würde, wenn er es brauchte und wollte. Stattdessen hatte ich mich zurückgezogen, war schließlich abgehauen. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten, denn jedes Mal, wenn ich Albus gesehen hatte, war vor meinem inneren Auge Arianas bleiches Gesicht aufgetaucht; Augen, die ins Leere starrten. Es war nicht mein Fluch gewesen, der sie getroffen hatte, trotzdem trug ich die Schuld an ihrem Tod und indirekt auch daran, dass Albus unter dem Gewicht seiner Schuldgefühle beinahe gebrochen war.
Nachdem er unsere Beziehung beendet hatte, hatte Albus sich lange dagegen gewehrt, mich erneut zu treffen, vermutlich auch aus Angst, ich könnte ihm die Wahrheit darüber sagen, wer wirklich für den Tod seiner Schwester verantwortlich war; wer den tödlichen Fluch auf sie geschossen hatte. Und ich wusste es, ich hatte es gesehen. Doch schon bevor es tatsächlich passiert war.
Ich hatte Albus damals zwar von der Vision erzählt, in der ich gesehen hatte, wie er und Aberforth eine Auseinandersetzung hatten, doch dass ich in dieser Vision auch gesehen hatte, dass Albus bei dem Versuch, seinen Bruder anzugreifen, seine Schwester treffen würde, die sich nichtsahnend dazwischen gestellt hatte, hatte ich ihm bis heute verschwiegen. Er hätte mit allen Mitteln versucht, es zu verhindern, ohne Erfolg, und hätte sich so vielleicht nur noch mehr die Schuld an allem gegeben.
Ich wusste, dass, sollte Albus sich gegen meine Erwartungen doch jemals dazu entscheiden, mich danach zu fragen, ob ich wüsste, wessen Zauber es gewesen war, ich ihm die Wahrheit verschweigen und die Schuld auf mich nehmen würde. Genau genommen war es auch meine Schuld, was passiert war und Albus hatte nie beabsichtigt, Ariana zu treffen, weswegen es nicht fair gewesen wäre, ihm noch mehr Schuldgefühle aufzubürden. Es änderte nichts an dem, was passiert war und er litt schon genug. Ich wollte nicht, dass er noch mehr ertragen musste. Das hatte er nicht verdient.
Ich schüttelte meinen Kopf, um mein Gedankenkarussell zu stoppen. Nur mit Mühe gelang es mir, wieder in die Gegenwart zurückzufinden und bei Verstand zu bleiben. Ich lenkte meine Gedanken weg von bereits Geschehenem, es brachte mich nicht weiter, darüber nachzudenken, was hätte sein können.
Albus' Bitte würde ich nachkommen. Wenn er mir eine Nachricht schickte, musste es wichtig sein. Irgendwo, ganz tief hinten in meinem Bewusstsein, spürte ich freudige Erwartung darüber aufkommen, ihn wiederzusehen und ich verabscheute mich dafür.
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Als ich auf die Straße einbog, fröstelte ich sofort. Kalter Wind wehte mir entgegen. Es missfiel mir, mich in der Muggel-Welt bewegen zu müssen, überall sah ich sie und jeden einzelnem sah ich mit Abscheu und Verachtung hinterher. Es wurde Zeit, dass sie lernten, sich unterzuordnen.
Von weitem erblickte ich nun Albus, der mir aus der entgegengesetzten Richtung entgegenkam. Ich war froh, ihm wieder in meiner wahren Gestalt unter die Augen treten zu können, mich nicht mehr verstellen zu müssen.
Gleichzeitig kamen wir zum Stehen, nickten uns wortlos zu, bevor wir eintraten und uns an demselben Tisch niederließen, an dem wir auch das letzte Mal gesessen hatten. Wie lange war das her? Es fühlte sich an wie ein anderes Leben.
Schweigend saßen wir uns gegenüber. Ich sah mich mit einem abwertenden Blick um, während uns eine Kellnerin den Tee brachte. Diese britische Obsession hatte ich noch nie nachvollziehen können. Blätter und Krümel in einer Tasse voll Wasser, die Konzentration der Flüssigkeiten innerhalb und außerhalb des Beutels glichen sich aus und da hatte man es: Blättersuppe.
„Was gibt es, Albus?", durchbrach ich nach einigen Minuten schließlich die angespannte Stille. Schweigend betrachtete Albus mich, ich wurde langsam ungeduldig. Ohne Eile hob er seine Teetasse an seinen Mund und trank einen Schluck. Er wollte mich provozieren mit seiner Gelassenheit. Nachdem er die Tasse wieder abstellte, sah er mir direkt in die Augen.
Abwartend erwiderte ich seinen Blick, gespannt darauf, was er mir zu sagen hatte. „Wo ist Crawford?", verlangte er zu wissen. Mit dieser Wendung des Gesprächs hatte ich nicht gerechnet und ich musste mir alle Mühe geben, mir das nicht anmerken zu lassen.
Er wusste es, ich hätte es mir denken müssen. „Wie lang weißt du es schon?"
Albus lachte trocken auf. „Ich kenne meine Schüler. Crawford hatte nie den Drang dazu, sich immer beweisen zu müssen. Du hingegen konntest dem Drang keine einzige Stunde lang widerstehen. Dann wolltest du den Spiegel sprengen. All das hätten auch Zufälle sein können, aber im Gegensatz zu dir, hätte Crawford niemals meinen köstlichen Tee abgelehnt." Tee! Am liebsten hätte ich die Tasse, die vor mir stand, auf den Boden geworfen.
Er lächelte traurig. Manchmal vergaß ich, wie intelligent und aufmerksam er war und das obwohl ich diese Eigenschaften am allermeisten an ihm schätzte. Es hob ihn aus der öden Masse heraus. Den meisten Menschen fiel nicht einmal das Offensichtliche auf, Albus hingegen achtete auf jedes Detail, was ihm immer dabei geholfen hatte, vorauszuahnen, was passierte und sich darauf einzustellen.
Vor dem Spiegel stehend hatte ich meine Kontrolle verloren. Ich hatte mich schon kurz danach darüber geärgert, dass ich meine Wut und meine Verzweiflung nicht hatte zügeln können. Natürlich war Albus das aufgefallen. Ich hatte ihn erneut unterschätzt und hatte vergessen, wie gut er mich kannte oder hatte es vielleicht verdrängt.
Albus ansehend, spielte sich vor meinem inneren Auge erneut die Szene ab: ich, wie ich mit erhobenem Zauberstab vor dem Spiegel stand und das Trugbild von Albus, der mit seinen Armen um mich gelegt hinter mir gestanden hatte. Ich ballte meine Hand zur Faust, aus Wut auf mich und darauf, dass ich je zugelassen hatte, zu fühlen.
„Was hast du gesehen?" Albus' Stimme nahm einen sanften, fast mitfühlenden Ton an. Sein Blick brachte mich beinahe um den Verstand. Vorsichtig legte er seine Hand auf meine geballte Faust, die sich augenblicklich entspannte. Kurz schloss ich die Augen, genoss das Gefühl seiner warmen Hand auf meiner Haut. Ich wollte es ihm erzählen, alles. Dass ich uns beide gesehen hatte und mir seitdem noch mehr wünschte, dass wir wieder vereint wären und gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen würden. Ich atmete tief ein, entsann mich eines Besseren, ich musste mich zusammenreißen. Dass er es schaffte, mich so leicht aus dem Konzept zu bringen, war beunruhigend.
„Und du hast es niemandem gemeldet", stellte ich fest, ignorierte seine Frage, was für ihn Antwort genug war. Ich hasste es, dass er mich durchschaute.
Er schüttelte verneinend den Kopf. „Zum Schutz der Schule", erklärte er. Mit schiefgelegtem Kopf sah ich ihn an, bevor er fortfuhr, dabei eine andere Richtung einschlug. „Der Grund, aus dem du nach Hogwarts gekommen bist, ist nicht der, den du dir einredest. Ich kenne dich, Gellert." Sein Blick durchdrang mich noch einmal mehr. Ich war versucht, nachzugeben, mich ihm hinzugeben.
„Wenn sie erfahren, dass du Bescheid wusstest und nichts unternommen hast", erwiderte ich, die letzten Sätze ignorierend, „verlierst du deine Stelle als Lehrer und das wird deine geringste Sorge sein. Ist es wirklich der Schutz der Schule, der dir am Herzen liegt oder ist es vielmehr der Selbstschutz? Du verurteilst mich für meinen Egoismus, doch ich bin wohl nicht der Einzige, der sich selbst über andere stellt, nicht wahr?" Albus zog seine Hand wieder zurück.
„Wo ist Crawford?", wiederholte Albus seine Frage.
„Wieso kommst du nicht mit mir und ich zeige es dir?" Provokant lächelte ich ihn an, lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Diesmal ließ er nicht mit sich spielen, er schien sich wesentlich besser unter Kontrolle zu haben als letztes Mal.
„Alle sehen sie in dir das Monster. Ich habe mir Jahre lang eingeredet, dass du dieses Monster nicht bist, habe in dir das gesucht, was ich geliebt habe. Aber ich habe mich wohl damals schon getäuscht. Dass du einen Jungen als Köder benutzt, zulässt, dass er wegen deines Plans fast draufgeht, ist das Allerletzte. Ich verstehe nicht, was ich je in dir gesehen habe, Gellert", murmelte Albus, wandte seinen Blick nicht ab. In seinen Augen suchte ich nach Zweifel, nach Bedauern, doch alles was ich fand, war Enttäuschung und Leere.
„Ich weiß es", antwortete ich, „und ich weiß, dass du es auch weißt, denn du fühlst es noch immer." Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf der Tischplatte ab und beugte mich ein wenig nach vorn.
Albus schüttelte vehement den Kopf. „Nein, Gellert. Zumindest im letzten Punkt irrst du dich." Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er die Wahrheit sagte. Seit unserer letzten Begegnung, hatte sich etwas verändert. Er war distanzierter, weniger einfach zu lesen. Nicht nur der Blutpakt war am Tag unseres Kampfes zerbrochen.
„Du brauchst mich, Albus", hauchte ich, wollte nach seiner Hand greifen, doch er zog sie zurück, außer Reichweite.
„Nein, Gellert. Hör auf mit deinen Spielchen. Ich bin fertig mit dir." Mit diesen Worten stand er auf, blickte ein letztes Mal zu mir herab. „Wenn du alles opferst, was du hast, wofür lohnen sich diese Opfer dann?" Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich ab und verschwand. Den Tee hatte er nur zur Hälfte ausgetrunken.
Regungslos blieb ich sitzen. Es schien tatsächlich so als sei Albus über mich hinweg, als würde ihm all das, was wir hatten, nichts mehr bedeuten. Mich verwirrte, was er mit diesem Treffen hatte bezwecken wollen. Er hatte sich sicherlich denken können, dass ich ihm keine Informationen zu Crawford gab, seine Absicht war also eine andere gewesen.
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Da liegt etwas in der Luft... Ob Albus wirklich über Gellert hinweg ist?
Ich bin ganz ehrlich, ich bin mega unzufrieden mit dem Kapitel. :D Ich komme irgendwie gerade nicht so voran mit Schreiben, wie ich das gern hätte. Möglicherweise werde ich bald nur noch einmal in der Woche ein neues Kapitel hochladen, genau weiß ich es aber noch nicht, ich gebe euch Bescheid.
Euch noch einen schönen Abend, man liest sich hoffentlich!🤗
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