Kapitel 10: neue Aussichten
„Wann wird er kommen?", fragte Vinda neugierig.
Ich wog meinen Kopf knapp von links nach rechts. „In ein paar Wochen. Ich werde Zeit brauchen, um Worte zu finden, die überzeugend genug sind, ohne ihn abzuschrecken. Und er wird Zeit brauchen, sich zu entscheiden. Vielleicht ist ein weiteres Treffen ebenfalls notwendig, er ist sehr misstrauisch."
„Was machen wir, wenn er sich dagegen entscheidet? Holen wir ihn dann ab, wie Crawford?", wollte mein Gegenüber vorsichtig wissen.
Bestimmt schüttelte ich den Kopf. „Nein. Er muss mir folgen wollen." Als würde sie verstehen, wovon ich sprach, obwohl sie keinen blassen Schimmer hatte, nickte sie.
„Es wird schwierig. Sie haben erwähnt, wie sehr er an dieser Schule hängt." Diese Sorge war nicht ganz unberechtigt, Isaac hing sehr an Hogwarts, an den Lehrern und vor allem an seinen Freunden. Die Aussicht darauf, dass er gemeinsam mit einem seiner besten Freunde, etwas für das Wohl dieser Welt beitragen konnte, hatte aber das Potential, ihn zu überzeugen. Ich musste ihm nur einen weiteren Grund liefern.
„In dem Brief gebe ich mich selbstverständlich erneut als Crawford aus", erklärte ich nun. „Ihm vertraut er, da bin ich mir sicher. Sein Schwachpunkt ist sein stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Ich muss nur den richtigen Nerv treffen und er wird auf mich hören."
Vinda schmunzelte. „Da bin ich mir sicher", murmelte sie.
Ich erhob mich. „Ich werde mich gleich darum kümmern", erklärte ich, „und werde dabei später noch deine Hilfe brauchen, Vinda." Diese Worte schmeichelten ihr, sie grinste.
„Wenn du etwas brauchst", schob ich noch schnell ein, „du weißt, wo du mich findest." Um die Bedeutung dieser Worte zu unterstreichen, setzte ich ein breites Lächeln auf, bevor ich mich abwendete und auf die Tür zuging. „Bis später."
In meinem Gemach angekommen, setzte ich mich sogleich an meinen Schreibtisch und begann damit, einen Brief an Isaac zu schreiben. Es war schwierig, Worte zu finden, die sowohl überzeugend als auch nicht zu aufdringlich waren. Isaac war nicht so naiv wie sein Freund Daniel und würde es sich zwei Mal überlegen, sich so einem Vorhaben anzuschließen. Ich ging nicht wirklich davon aus, dass ein einfacher Brief reichen würde, um das zu erreichen, aber es war ein Anfang. Wie ich danach weitermachte, würde ich mir überlegen, wenn ich wusste, wie viel Arbeit noch nötig war, um den Schüler weichzumachen.
Meine Worte wählte ich mit Bedacht, ließ meine allgemeine Verfassung verzweifelt und ratlos klingen, Hilfe suchend. Ich erklärte ihm, dass wir die Chance dazu hatten, die Welt ins Positive zu verändern und dass wir uns dazu nur trauen mussten, aus den vorgefertigten Mustern auszubrechen, um unsere eigenen Wege zu beschreiten. Ich wusste, dass ihn das zumindest etwas ansprechen würde. Er hielt nichts davon, sich der Gesellschaft in allen Punkten anzupassen, er wollte selbst für sich entscheiden.
An Hogwarts hing er trotzdem sehr und ihn davon zu überzeugen, vorerst nicht mehr diese Schule zu besuchen, war wohl das Schwierigste. Aber es war notwendig, ich brauchte ihn hier, bei mir. Und vor allem: weit entfernt genug von Albus. Er würde sofort bemerken, wenn sich ein Schüler komisch benahm und würde das Gespräch suchen, das hatte ich aus eigener Erfahrung gelernt. Isaac war kein guter Lügner und würde wahrscheinlich schnell ungewollt durchblicken lassen, dass er Dreck am Stecken hatte. Albus wusste, wie man solche Wahrheiten aus Menschen rauskitzeln konnte, er war sehr geschickt darin, was wohl einer der Gründe dafür war, dass er so weit gekommen war.
Bei meinen letzten Sätzen konzentrierte ich mich darauf, indirekt auf Isaacs Gewissen abzuzielen. Sein Gerechtigkeitssinn war sehr stark ausgeprägt, er konnte Ungerechtigkeiten nicht ertragen, hatte immer das Bedürfnis, etwas dagegen unternehmen zu müssen. Ich musste ihm irgendwie zu verstehen geben, dass es seine Pflicht war etwas zu tun, nicht untätig zu sein.
Einigermaßen zufrieden lehnte ich mich schließlich in meinem Stuhl zurück. Es war nicht perfekt, aber mit einem Feinschliff von Vinda, die sich in so etwas mehr als geschickt anstellte, würde der Brief seinen Zweck schon erfüllen.
Ich ließ meiner Assistentin eine Nachricht zukommen. Schon fünf Minuten später stand sie in der Tür. „Komm herein", bat ich sie mit sanfter Stimme. Folgsam nickte sie, schloss die Tür und blieb dann unschlüssig mitten im Raum stehen. Ich erhob mich von dem Stuhl, auf welchem ich bis eben noch gesessen hatte und ging auf Vinda zu.
„Schön, dass du da bist", flüsterte ich ihr mit einem Zwinkern zu und streichelte kurz mit meinen Fingern über ihre Wange. Lächelnd ließ ich meine Hand ganz langsam wieder sinken, reichte ihr nun den soeben verfassten Brief. Während sie diesen überflog, lief ich unschlüssig im Raum umher, blieb letztlich am Fenster stehen und starrte einige Minuten lang nachdenklich nach draußen.
Die Landschaft war wunderschön. Auch nach längerer Zeit hier, konnte ich mich nicht daran sattsehen. Kurz dachte ich an Hogwarts, an das Schloss und an die wunderschöne Umgebung, die beinahe märchenhaft gewirkt hatte. Ich hätte es niemals zugegeben, aber auf irgendeine Art und Weise fehlte es mir, dort zu sein. Es hatte oft etwas Beruhigendes an sich gehabt, etwas, was mich entspannen ließ und mir kurz die Last von den Schultern nahm, die ich seit Jahren immer trug. Ich war so daran gewöhnt, dass ich erst gemerkt hatte, wie angespannt ich eigentlich war, als diese Anspannung ab und zu abfiel. Schwermut überkam mich, Reue. Der Gedanke, dass alles hätte anders kommen können, nahm erneut Gestalt an in meinem Kopf. Das Zermürben des Kopfes über alternative Realitäten brachte mich natürlich nicht weiter, trotzdem spürte ich die Verbitterung über die Vergangenheit immer öfter in mir aufsteigen, es schien kein Ende zu nehmen.
Ich musste das Zusammenzucken mit aller Kraft unterdrücken, als ich plötzlich eine Berührung an meinem Rücken spürte, Arme, die sich um mich schlangen. Langsam drehte ich mich um, Vinda löste ihre Arme von mir, nur um Sekunden später ihre Hände in meinem Nacken zu verschränken, um mich zu sich zu ziehen. Ich wich zurück, schob sie an ihren Schultern von mir weg. Meine Gedanken hatten meine Stimmung soeben tief in den Keller sinken lassen, ich hatte gerade keine Lust, irgendjemandem Gefühle vorzuspielen.
„Ich möchte dich bitten, zu gehen, Vinda", murmelte ich leise. Enttäuschung machte sich in ihrem Gesicht breit. Es war mir nicht egal, schließlich brauchte ich sie – auf meine eigene Art und Weise –, aber gerade schien mir das unwichtig zu sein. Trotzdem war es unklug, sie abzuweisen, das wusste ich auch.
„Es ist gut so, könnt Ihr so lassen", presste sie leise hervor, reichte mir dabei den Brief. Ich nickte. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und verschwand, die Tür ließ sie offenstehen. Resigniert seufzte ich, ließ mich auf mein Bett sinken und mit einer Handbewegung die Tür ins Schloss fallen.
Vielleicht hatte Albus die Wahrheit gesagt, was die Funktion des Spiegels anging. Dass es mein sehnlichster Herzenswunsch war, mit Albus zusammen Zeit zu verbringen, würde erklären, wieso ich mich nach dem Ort sehnte, den ich nun mit ihm verband. Solche Flashbacks waren Symptome für unverarbeitete Emotionen. Das war nicht gut. So etwas führte dazu, dass man die Kontrolle verlor. Was auch immer es war, dass ich nicht verarbeitet hatte, ich sollte schleunigst damit anfangen, diese Probleme zu beheben, bevor das alles noch größere Ausmaße annahm.
Bevor ich mich allerdings darum sorgen konnte, musste ich mir erst einmal überlegen, wie ich Vinda wieder würde besänftigen können. Sie war keiner dieser Frauen, die tagelang eingeschnappt waren, trotzdem hatte es ihr natürlich nicht gefallen, zurückgewiesen zu werden. Vermutlich hatte es an ihrem Ego gekratzt. Das musste ich ausbügeln. Sie würde von jetzt an auf Distanz gehen.
Aufgewühlt von meinen Gedanken erhob ich mich von meinem weichen Bett, in welchem ich mich gerade zu gern verkrochen hätte. Ordentlich faltete ich das Papier, das ich bis jetzt in den Händen gehalten hatte, zusammen und steckte es in einen Umschlag. Heute Abend würde ich den Brief abschicken und mich anschließend um Vinda kümmern. Ich musste das wieder geradebiegen.
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Wenige Tage waren seit diesem Vorfall vergangen. Vinda hatte ich seitdem kein einziges Mal zu Gesicht bekommen, anscheinend war sie mir gekonnt aus dem Weg gegangen, während sie ihre alltäglichen Aufgaben erfüllte. So richtig verstehen konnte ich das nicht. Trotzdem überlegte ich, wie ich sie dazu bringen konnte, sich wieder einzukriegen. Wahrscheinlich würde ich nicht darum herumkommen, mich ihr noch mehr anzunähern als bisher schon und umgekehrt, die Nähe, die sie mir entgegenbringen wollte, zuzulassen, auch wenn mich allein der Gedanke daran anwiderte. Doch die emotionale Nähe zu ihr, war der Schlüssel, eine Abhängigkeit entstehen zu lassen, die ich ausnutzen konnte.
Ich hielt nichts von Oberflächlichkeiten ohne etwas dahinter. Nähe von intellektueller Natur reizte mich viel mehr, doch diese konnte Vinda mir nur spärlich bieten. Ich vermutete, dass es mir wohl nicht gelingen würde, sie weichzumachen, ohne ihr die körperliche Nähe zu geben, nach der sie zu verlangen schien.
Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Bevor ich die Tür öffnen konnte, flog ein Brief unter dem Türschlitz durch. Isaac hatte geantwortet und wie beauftragt, hatte jemand den Vogel abgefangen und mir den Brief zukommen lassen. Voller Spannung ließ ich mich auf meinem Stuhl nieder, während ich den Umschlag aufriss und das Papier entfaltete.
Hallo Daniel,
es freut mich sehr, von dir zu hören. Mir geht es soweit ganz gut, die paar Tage Erholung haben mir echt gutgetan. So wirklich Lust auf Schule habe ich nicht, vor allem jetzt, da ich weiß, dass du nicht kommen wirst. Ich weiß, du bist manchmal ein bisschen verrückt aber das jetzt, das ist Wahnsinn. Du weißt, ich würde dich gern unterstützen, aber ich glaube nicht, dass wir das Zeug dazu haben, uns gegen die gewaltige Masse der Muggel zu wehren. Ich denke, dass wir als voll ausgebildete Zauberer eine bessere Chance haben.
Bitte passe auf dich auf und versprich mir, dass du mich immer auf dem Laufenden hältst. Ich weiß nicht, ob ich dich je wieder sehe also würde es mich freuen, wenn wir uns noch einmal treffen könnten, bevor die Schule für mich wieder losgeht? Wenn du dazu bereit bist, komme am Donnerstag 17 Uhr zu mir nach Hause.
Liebe Grüße und gib auf dich Acht,
Isaac
Resigniert lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. Ich war nicht davon ausgegangen, dass es leicht sein würde, Isaac davon zu überzeugen, sich mir anzuschließen, trotzdem nervte es mich, dass scheinbar nichts nach Plan verlief. Jetzt bat er mich, ihn zu treffen und ich wusste auch genau, dass er das nicht tat, um – wie er schrieb – mich noch einmal zu sehen, sondern um mich umzustimmen. Diese Gelegenheit würde ich nutzen, um ihn meinerseits zu überzeugen. Wenn ich ihm gegenüberstand, hatte ich viel mehr Möglichkeiten, ihn zu manipulieren als nur mit Worten in einem Brief. Bis Donnerstag waren es noch 5 Tage und bis dahin würde ich mir gut überlegen, was ich zu ihm sagen würde. Selten waren meine Worte so wichtig. Ohne den Jungen würde ich unglaublich viel Zeit dabei verlieren, mir einen neuen Plan auszudenken und ich hasste Zeitverschwendung.
Auf einmal kam mir in den Sinn, dass ich gar nicht dazu gezwungen war, mich vollkommen auf mein Manipulationstalent zu verlassen. Ich grinste hämisch als ein Plan in meinem Kopf Formen annahm.
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Soo, da ist es endlich, das neue Kapitel.
Was Gellert sich da wohl wieder einfallen lassen wird? Auf jeden Fall wird es Zeit für ihn, sein Unterbewusstsein in den Griff zu bekommen, bevor er gänzlich die Kontrolle verliert. Oder was meint ihr?
Anmerkungen, Kritik, etc. immer gern in die Kommentare, würde mich freuen.🤗 Euch noch einen schönen Abend, man liest sich.❤️
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