Trainingslager 2 oder Gipfelsturm
Ab diesem Kapitel wird es auch immer mal wieder etwas aus Romans Sicht geben, was dann dünn kursiv geschrieben wird. Die erste paar Mal werde ich das noch beschriften!
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Um vier in der Frühe holte mich mein Wecker aus dem Schlaf. Trotz der kurzen Nacht fühlte ich mich gut, wie immer in der Schweiz. Ich zog eine Leggings mit Tanktop sowie einer Funktionsjacke an. Barfuß schlüpfte ich in meine Turnschuhe hatte die Haare zu einem lockeren Knoten gefasst. Ganz entfernt am Horizont zog die erste Dämmerung auf.
Mit einer Trinkflasche und meinem Handy bewaffnet verließ ich mein Zimmer, um mein Vorhaben umzusetzen. Als ich meine Schlüsselkarte an der Rezeption abgab teilte ich mit wohin ich auf brach. Unter Bergsteigerin oder Bergwanderern eine weit verbreitete Sicherheitsmaßnahme, damit niemand verloren ging.
Vor dem Haupteingang trat Roman in Shorts und Funktionsshirt aus dem Schatten. Kurz zuckte ich zusammen. "Was machst Du denn hier?", wollte ich wissen.
"Du steigst doch auf den Berg. Kann ich mitgehen? Ich habe das schon lange nicht mehr gemacht.", wollte er wissen. Kurz musterte ich ihn. "Wird das nicht missbilligt wegen der Verletzungsgefahr?", wollte ich jetzt wissen. "Das lass mal meine Sorge sein. Also, kann ich mit?", wiederholte er die Frage.
"Klar, aber das wird keine Quasselrunde!", antwortete ich ihm, woraufhin er nickte.
Wir nahmen den direkten Weg auf den Gipfel des Bergstättkreuz. Während des strammen Aufstieges redeten wir nicht viel und wenn dann nur belangloses Zeug. Immer wieder blieb ich stehen. Die frische Bergluft tat gut, in der Stille konnte ich denken. Das frühe Aufstehen wurde am Ziel mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt.
Roman liess sich unterhalb des Gipfelkreuz nieder und ich tat es ihm gleich. Ich spürte seinen verstohlenen Blick, als ich etwas trank. Ich reichte ihm wortlos meine Flasche, aus welcher er einige Schlucke trank.
Schweigend beobachteten wir die ersten Momente, als der glühende Feuerball über die Gipfel zog. Roman seufzte leise.
"Möchtest Du mir jetzt erzählen was Dich beschäftigt? Hier hört uns definitiv niemand zu.", bot ich meine Hilfe erneut an, erwartete aber nicht unbedingt eine Antwort.
Romans Sicht:
Sie hatte es mir wieder angeboten, wie am Tag zuvor. Sie war mir sympathisch und sie erschien mir wirklich unkompliziert. "Ich werde meine erste grosse Liebe verlassen! Endgültig! Nach beinahe sechs Jahren. Jetzt wo ich es ausspreche ist es so real."
Da war es geschehen, ich hatte es ausgesprochen. Jetzt konnte ich es nicht mehr einfach nur verdrängen.
"Warum?", stellte sie eine Gegenfrage.
Ich sah unentwegt in den Sonnenaufgang. "Nastassja und ich kommen mit der Fernbeziehung nicht zurecht. Sie bedeutet mir nicht mehr sehr viel, aber das reicht nicht um das aufrecht zu halten. Es ist keine Liebe mehr, so wie es sich entwickelt nicht einmal Freundschaft. Vor dieser Entscheidung standen wir bereits dreimal. Immer wieder Trennung, auch Verletzungen. Wir versuchen es jetzt zum vierten Mal und es klappt nicht.", erklärte ich ihr.
Jetzt erst sah ich sie das erste Mal an, begegnete ihrem Blick, der aber wieder wegging.
"Liebe allein reicht nicht immer! Freundschaft noch weniger.", erklang ihre Stimme. Kurz sah sie direkt zu mir, ein aufmunterndes Lächeln auf den Lippen. Mein Blick sog die Details auf. Ungeschminkt sah sie so frisch aus. Ihre blaugrauen Augen funkelten.
Dann wandte sie ihr Gesicht wieder ab und blickte wieder zum Horizont. Sie schien so ausgeglichen und entspannt. Etwas das ich von Nastassja nie wirklich gekannt hatte. Sie war immer rastlos. Heute jene Stadt, morgen dieses Land, ohne auch nur irgendwie sesshaft sein zu wollen. Sie dachte nicht daran, das wir in dieser Beziehung zu zweit waren. Maddie machte es mir einfach, das ich ihr das so einfach sagen konnte erleichterte mich. Es war nicht nur die Zusammengehörigkeit, die bei Nastassja und mir fehlte, inzwischen fehlte auch die Liebe. Mein bester Freund in der Mannschaft war Jule und er wusste, daß es nicht prickelnd lief, aber er schwebte mit seiner Sarah seit einigen Monaten auf Wolke 7, da sparte ich an Details. Mein Bruder und meine Eltern spürten auch zunehmend, das meine Beziehung so aufgewärmt nur noch schwer war. Doch nur Marco kannte mehr Details. Er war einer derjenigen, die eigentlich alles wussten. Meine Freunde Eric und Daniel zuhause in der Schweiz wissen auch nicht alle Einzelheiten.
Da musste erst Maddie kommen, mir ein Gespräch anbieten und ich sprach meinen Gedanken einfach aus. Sie hatte recht, fremden oder nicht lange bekannten Menschen konnte man sowas leichter sagen.
"Wir gehen beide an der Situation zugrunde. Als ich sie damals das erste Mal traf, hatte ich immer gehofft, daß es für immer sei.", gab ich zu. "Hofft das nicht jeder irgendwie!", zuckte sie mit den Schultern.
Diese Klarheit meiner Worte und die Gedanken nach über fünf Jahren machten mich ein wenig traurig. Nastassja und ich hatten uns weiterentwickelt, was vollkommen normal war und ist, aber für uns zusammen war es nicht gut. Das was uns einst verbunden hatte existierte nicht mehr. Sie wollte reisen, frei sein und ich hatte ihr diese Freiheiten gelassen, auch da schon unterbewusst in dem Wissen, das es der Anfang vom Ende war. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel, welche ich hektisch wegwischte.
"Es ist keine Schande zu weinen. Manchmal ist es heilsam, vor allem in einer solchen Situation!", sagte sie leise.
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Das war es also gewesen was ihn belastete, eine unglückliche Liebe, bzw eine unglückliche Beziehung. Vielleicht hatte ihm dieses Gespräch ein wenig geholfen, vielleicht würde er nun klarer sehen.
Nach einigen Minuten erhob ich und streckte mich. Die Jacke zog ich aus und band sie nun um meine Hüfte. Auch Roman erhob sich und streckte sich zu voller Größe. Es war eine beachtliche Größe, erst jetzt wurde mir deutlich, wie sehr ich zu ihm aufschauen musste, obwohl wir schon einige Male voreinander gestanden hatten. Er hatte eine beachtliche Statur, die mir zusagte.
"Das Tattoo an deiner Flanke, hast Du es schon lange?", wollte er wissen und deutete auf den langgezogenen Schriftzug, den man nicht komplett sehen konnte. Die geschwungene Schrift erstreckte sich von meinem Hüftknochen geschwungen bis zu meinem Brustansatz.
" Ich habe immer gedacht, die Zeit wäre ein Dieb, die mir alles stiehlt, was ich liebe. Aber jetzt weiß ich, dass sie gibt, bevor sie nimmt und jeder Tag ist ein Geschenk. Jede Stunde. Jede Minute. Jede Sekunde!"
Nach dem Tod meiner Eltern und dem plötzlichen Wandel meines Lebens hatte ich es mir stechen lassen.
"Seit sieben Jahren habe ich es und es hat mich nach dem Unfalltod meiner Eltern jeden Tag aufgerichtet. Meine Granny hat mir fast den Hals umgedreht, als sie mitbekommen hat, daß ich ihre Unterschrift gefälscht habe, um es mir stechen zu lassen!", gab ich diese Anekdote preis. Und als es das erste Mal in der Presse thematisiert worden war, hatte sie mir noch einmal den Hals umdrehen wollen. Das aber verriet ich ihm nicht. Er grinste, was ich auch bezweckte.
"Ein schönes Tattoo, wenn auch aus einem traurigen Anlass!", sagte er leise. Seine Finger schwebten über den geschwungenen Worten, aber er berührte es nicht. Doch allein das seine Finger so nah über meiner Haut geschwebt hatten, hatte meine Kehle trocken werden lassen. Unverständlicherweise, wie ich sofort innerlich meinte.
Ich stimmte ihm zu, entgegnete aber: "Ja, der Entstehungsgrund ist kein schöner, aber ich kann lächelnd an meine Eltern denken, auch wenn ihr Tod mein Leben mächtig verändert hat und auch noch massiv beeinflussen wird!"
Jetzt stimmte das, was ich sagte. Auch wenn meine Erziehung stets darauf ausgelegt war, meinen Platz, den ich inne hatte eines Tages einzunehmen, war es unmittelbar nach ihrem Tod so gewesen, als wenn auch mein Leben gestorben war. Wie oft hatte ich mir gewünscht mit in dem Unfallwagen gesessen zu haben. Doch erst, als mir bewusst geworden war, dass das keine Garantie gewesen wäre, das ich auch verstorben wäre, konnte ich ihren Tod tolerieren.
Akzeptieren würde ich ihn niemals.
Wir machten uns an den Abstieg, machten vereinzelt Scherze, redeten zwischendurch, wussten, daß niemand etwas erfuhr von dem was wir sprachen. Es war trotz der Kürze der Zeit die wir uns kannten ein gewisses Urvertrauen da.
Zurück im Hotel trennten sich unsere Wege kurz.
Nach dem Frühstück ging es erneut auf den Trainingsplatz. Niemand schien wirklich eine Notiz davon genommen zu haben, das Roman und ich schon früh das Hotel verlassen hatten. An dem Tag wurde die Fitness sehr gefordert. Ich scheuchte sie, machte aber auch selber mit.
Nun aber galt es die Saisonvorbereitung voran zu treiben.
Die übrige Zeit in der Schweiz wurde trainiert.
Ich achtete auf Fitnesszustände, machte Analysen im physischen Bereich. Kleinere Muskelverhärtungen wurden behandelt und massiert.
An einem Nachmittag nutzte ich einen Sponsorenwagen, um zu meinem Haus im Berner Umland zu fahren. Ich schaute einmal nach dem Rechten. Die Nachbarin, die ein wenig nach dem Haus sah, freute sich, mich zu sehen. Dabei machte ich auch einen kurzen Abstecher zu Leni, einer alten Freundin meiner Großmutter. Diese bedauerte, wie immer, das ich ihre Enkel nicht kennenlernte. Gerade jetzt, wo er auch in der Schweiz zu sein schien. Bereits seit Jahren sagte sie mir immer wieder, das ich perfekt für ihren Enkel sei. Als ich an dem Tag spät von meinem Ausflug wiederkam, sassen einige Jungs noch miteinander draußen. Per FaceTime sprach ich mit meiner Granny, ehe ich mich dazu setzte. Auch Roman war dabei, der mich musterte.
Ein Testspiel gegen St. Pauli wurde, die ebenfalls in der Schweiz waren, absolviert, ehe es am Tag darauf zurück Richtung Dortmund ging. In München wurde die Heimfahrt unterbrochen und ein weiteres Testspiele gegen 1860 durchgeführt. Während St. Pauli besiegt wurde, endete das Spiel im Süden Deutschlands mit einer 0:1 Niederlage.
Roman hatte das Gegentor kassiert, was an ihm nagte, auch wenn es unhaltbar gewesen war. Die Abwehr hatte nicht funktioniert und er war nun sehr schlecht gelaunt. Von Jule und Roman Weidenfeller erfuhr ich, dass das wohl immer so war. Niederlagen waren stets persönlich für unsere Nummer 38. Der Abend in München war zur freien Verfügung gewesen, die meisten des Teams gingen in einem Brauhaus essen. Ich zog es vor nach Duschen und Umziehen in die Innenstadt zu gehen. Einfach nur Bummeln. In den kleinen Shops entdeckte ich einige kleine Dinge, wie mein Lieblingsparfum Florabotanica oder eine türkise Weste. In der Nähe traf ich Roman am Marienplatz. Niedergeschlagen hatte er die Hände in seinen Hosentaschen stecken. Er schlich vor den Schaufenstern hin und her, mit tief in die Stirn gezogene Kappe und Sonnenbrille. Ich rempelte ihn vorsichtig an. "Nicht so trübsinnig Bürki. Es ist kein Weltuntergang!", sagte ich leise. Er blickte zu mir. "Es gibt so vieles was so viel schlimmer ist, als ein verlorenes Spiel.", flüsterte ich.
Ohne es abzusprechen gingen wir dann zusammen weiter, genossen den ruhigen Spaziergang. An einer Eisdiele machte ich halt. Ungefragt drückte ich ihm eine Waffel mit je einer Kugel Schoko und Pfefferminz in die Hand. "Na los, ich werde es Deiner Fitnesstrainerin nicht verraten!", konnte ich ihm ein erstes Lächeln entlocken. In der Nähe unseres Hotels setzten wir uns dann noch in eine Weinbar, redeten belangloses Zeug. Jeder von uns trank einen der edlen Tropfen, er einen Weißwein, ich einen Rose. Zurück kommende Kollegen sahen uns vereinzelt, darunter auch Jule, als wir die Bar verließen und zurück schlenderten. Im Hotel selber bedankte er sich für die Ablenkung und jeder ging seines Weges. Im Gespräch hatte er angerissen, daß es nicht nur das Spiel war, welches ihn beschäftigte. Ich konnte mir vorstellen was ihn belastete, wollte es aber nicht ansprechen, wenn er es nicht selber tat.
Als wir am folgenden Tag dann endlich wieder am Trainingsgelände in Brackel ankamen, war es ein grosses Hallo. Viele wurden von ihren Familien abgeholt und es glich einem Bahnhof.
Während der Parkplatz sich leerte, stand Roman wartend dort. Er teilte mir mit, das er abgeholt würde. Ich brachte meine Arbeitsunterlagen in mein Büro und kontrollierte meine Mails im vereinseigenen Intranet.
Kaum das ich das Gebäude verlassen hatte, sah ich, daß Roman immer noch dort stand. Allein. Der Parkplatz war verwaist. "Nastassja hat es wohl vergessen!", beantwortete er meine nicht ausgesprochene Frage. "Dann komm, ich nehme dich mit.", sagte ich ihm.
Er ließ sich tatsächlich von mir fahren. Während der kurzen Fahrt sah er nur aus dem Seitenfenster und war sehr einsilbig. Das konnte ich sogar verstehen. Vor der Einfahrt zu seinem Haus bedankte er sich und stieg dann aus. Ich stellte fest, daß er nicht sehr weit von mir weg wohnte. Er sah noch einmal in das Auto, bedankte sich. "Roman, wenn etwas ist, dann melde Dich!", bot ich ihm an und er nickte. Dann hob er seine Hand zum Abschied. Sein Eigenheim, sein von außen beeindruckendes Eigenheim, stand nur wenige hundert Meter von meinem Penthouse entfernt, wo ich mein Auto in die Garage lenkte.
An dem Abend beschäftigte ich mich nicht mehr damit. Ich sortierte meine Semesterunterlagen, um mir einen Plan zu machen wann ich mit etwas fertig werden müsste. Ottilie hatte mir etwas leckeres zu Essen gemacht und Leonie sprach mit mir Termine ab. Wir schauten gemeinsam einen Film und ich sprach über den Sportler, der mir Sorgen machte, ohne den Namen von Roman zu nennen, obwohl es meine Freundin doch stutzig machte. Ich sprach nicht oft über andere Menschen die mich beschäftigten, um mich nicht angreifbar zu machen.
Als ich im Bett lag sah ich das Roman sich gemeldet hatte. Tatsächlich hatte er mir geschrieben, bedankte sich nochmals für alles. Auch teilte er mir mit, daß Nastassja garnicht erst in Dortmund war.
Das Trainingslager ist absolviert.
Könnt ihr eigentlich nachvollziehen, daß man so oft versucht an einer Beziehung festzuhalten, von der man eigentlich weiss, daß sie zum Scheitern verurteilt ist?
Was glaubt ihr, wie es weitergeht?
Lasst gern ein Kommi da! Ich würde mich sehr über Feedback freuen...
Danke für Votes und Kommentare!
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