Draußen schüttete es noch immer.
Doch meine Tränen waren inzwischen getrocknet und die pure Verzweiflung, die ich verspürt hatte, verschwunden. Mit Sienna zu reden tat mir unglaublich gut. Trotz allem wusste ich nicht unbedingt weiter. Mein Kopf sagte mir, dass Sienna und Samuel wohl im Recht waren und ich zu viel getrunken hatte – jedoch war da noch mein Bauchgefühl, das mir sagte, dass ich mir Samuels seltsame Reaktion nicht eingebildet hatte. Wir würden wohl wirklich erneut und in aller Ruhe miteinander reden müssen, um diese Situation zu klären.
Mit steifen Beinen erhob ich mich aus dem Bett. Samuel hatte die Wohnung vor geraumer Zeit verlassen. Bis er zurückkehrte, konnte ich mich auch nützlich machen. Außerdem hatte ich echt Hunger. Deswegen warf ich rasch ein paar Nudeln in einen Topf und taute ein eingefrorenes Sugo aus dem Gefrierfach auf. Nach dem Essen räumte ich die Wohnung auf. Um mich abzulenken, reinigte ich die Küche. Die Arbeit ging mir beinahe wie automatisch von der Hand, denn meine Finger wollten etwas tun. Also bügelte ich sogar ein wenig Wäsche, räumte den Geschirrspüler aus und wieder ein und goss die Topfpflanzen.
Irgendwann war die ganze Arbeit getan. Samuel war noch immer nicht da und es war bereits früher Abend.
Die Wohnung war still und leise. Obwohl ich eigentlich oft alleine war, war mir irgendwie zum ersten Mal unheimlich. Zur Ablenkung drehte ich den Fernseher auf. Er brachte allerdings nur ein dudelndes Hintergrundgeräusch. Das komische Gefühl blieb.
Schließlich langte ich nach meinem Handy. Zuerst checkte ich WhatsApp ab. Ein verwackeltes Foto von Linas unmöblierten WG-Zimmer erwartete mich, das jedoch keine Bildunterschrift zierte. Unser letzter Chat lag auch schon länger zurück. Allem Anschein nach war Lina bereits umgezogen, um in Salzburg zu studieren und hatte dort alle Hände voll zu tun. Eine Nachricht von Sienna, in der sie mir Mut machte. Nichts Neues von Samuel.
Mit flauem Magen rief ich ihn an. Es piepte dreimal und seine Mailbox ging ran. Ich legte auf.
Mulmig zappte ich auf der Suche nach Unterhaltung durch die Kanäle. Auf jedem Sender lief nur Blödsinn. Ich rief Samuel wieder an. Erneut meldete sich die Mailbox. Nach kurzem Ringen mit mir selbst hinterließ ich ihm eine Sprachnachricht mit der Frage, wann er denn wiederkam. Mehr wollte ich nicht sagen. Mehr schaffte ich gerade nicht, zu sagen. Unsere Situation mussten wir von Angesicht zu Angesicht klären. Einerseits wollte ich, dass er schnell nach Hause kam – aber andererseits irgendwie auch nicht.
Der Abend zog sich dahin. Mit jeder Minute, die verging, wurde ich angespannter. Ich hatte keine Ahnung, wo wir beide vor dem Gespräch standen. Wie Sienna sagte, wir wohnten zusammen. Wir wollten unser Leben gemeinsam verbringen. Mein Handy blieb still und mein Unterbewusstsein begann, mir seltsame Fragen zu stellen.
Was, wenn Samuel nie wieder kam? Ich schluckte schwer. Ich war schließlich nur wegen ihm in London. Wenn er nie wieder kam ... was hielt mich dann noch in London? Mein Kopf überging die Fragen hingegen mit logischem Verstand. Samuel würde auf jeden Fall wiederkommen. Es war trotz allem seine Wohnung. Er lebte hier. Und wir würden auch diese Situation überstehen.
Samuel und ich waren füreinander bestimmt. Unsere Leidenschaft war etwas, das wir beide noch nie so erlebt hatten. Unsere Liebe war so groß, dass ich ihm nach England folgte. Zwischen uns war einfach ein Vertrauen ohne Worte.
Wir verstanden uns mit einem Blick. Ich wusste, dass ich nicht ohne ihm leben konnte ... und er nicht ohne mir.
Plötzlich hörte ich durch die Stille der Wohnung, wie ein Schlüssel sich im Schloss drehte. Mir wurde mulmig zumute. Samuel war da. Jetzt war der Moment gekommen. Er trat ein. Die Türe fiel ins Schloss. Eine Jacke wurde ausgezogen, das vertraute Rascheln drang an meine Ohren, sie wurde aufgehängt. Draußen regnete es noch immer. Sein Eintreten brachte einen kleinen Schwall kühler Regenluft mit sich. Zumindest bildete ich mir das ein. Oder war es mein Gehirn, das verrückt spielte?
Schritte kamen näher, dann blieben sie stehen. Mein Atem ging schneller. Sollte ich nach ihm rufen? Oder warten, bis er meinen Namen rief? Irgendwie war die Atmosphäre im Raum gerade dermaßen angespannt, dass ich nicht wagte, etwas zu sagen. Was war mit mir los?
Die Schritte näherten sich. Ich presste eines Kissen der schmalen Couch auf meinen Bauch, versteckte mich dahinter und umklammerte es halt suchend.
Samuel trat in den Türrahmen. Ich sah seine hochaufgeschossene Statur, sein braunes Haar, das durch die Nässe des Regens fast schwarz schien. Seine grauen Augen begegneten meinen.
„Maya", meinte er tonlos, seine Augen glitten über mich.
„Samuel", antwortete ich ebenso karg. Ich schluckte, sah ihn an und sah ihn wieder nicht an, musste an all die Worte denken, die heute meinen Mund verlassen hatten. Musste an all die schönen Momente denken, die wir gemeinsam erlebt hatten. Ich blickte ihm ins Gesicht, in sein ebenmäßiges Gesicht mit den tiefgründigen Augen und den feinen Bartstoppeln, die mich an seine Küsse erinnerten. Er schwieg nur.
Dann wandte er sich von mir ab.
„Samuel, ich ..."
Die Worte entfuhren meinen Mund, bevor ich irgendetwas dagegen tun konnte. Samuel dreht sich im Türrahmen um und fixierte mich mit seinem Blick.
„Samuel, ich ... ich ... es tut mir leid", hauchte ich. Eine dumme Träne rann mir von irgendwoher die Wange herunter. Samuel sah mich an, lange, fest, direkt. Ich zerdrückte den Polster auf meinem Bauch, so sehr krallte ich mich in den Stoff.
Ein Blick auf Samuels Lippen verführte mich an den einen Ort, den ich nie verlieren wollte. Alle anderen Gedanken waren verschwunden. Das war Samuel, den ich aus vollstem Herzen liebte und nicht wieder gehen lassen wollte.
„Es tut mir leid", wiederholte ich, diesmal mit einer kräftigeren Stimme, einer aufrichtigeren Stimme. „Es tut mir leid, dass ich dich beschuldigt habe, so etwas getan zu haben. Wirklich. Wahrscheinlich war der Alkohol noch in meinem Blut."
Die Worte kamen auf beiden Sprachen aus meinem Mund, ehrlich und ernst. Sie verfestigten sich in meinem Gehirn, ließen mich vollkommen glauben, was ich eben gesagt hatte.
Ich war betrunken gewesen. Das war alles. Ich konnte nicht riskieren, Samuel zu verlieren. Ich liebte ihn so sehr, dass ein Blick von ihm reichte, um mir vor Augen zu führen, was ich ohne ihm an meiner Seite aufgeben müsste. Ich brauchte Samuel. Er war mir wichtiger als ein dummer Abend, an dem ich meinen Alkoholkonsum nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Samuel war mein Leben.
Es war meine Schuld gewesen. Ich hatte zu viel getrunken. Zumindest redete ich mir das in diesem Moment ein.
Samuel kam langsam näher zu mir. Bisher hatte er noch kein einziges Wort gesagt. Er hatte nur dagestanden und mir zugehört. Seine Schritte knarrten auf dem Fußboden, bis er vor mir stehen blieb. Ich erhob mich von der Couch, um ihm besser in die Augen sehen zu können.
„Maya." Seine Stimme klang andersartig. Seine Hand näherte sich meiner Wange. Er roch nach Regen. Nach frisch gefallenen Regentropfen, meinem liebsten Duft auf der ganzen Welt. Er klang fremd und roch dennoch so so so vertraut.
„Maya." Einer seiner Mundwinkel hob sich leicht an. „Ich will dir nichts Böses. Ich liebe dich ja. Und ich bin froh, dass du deinen Fehler eingesehen hast."
Bei seiner Liebesbekundung wurde mir warm ums Herz. „Heißt das, du verzeihst mir?"
Samuel erwiderte nichts. Sein Blick ging in die Ferne. Für einen kurzen Moment konnte ich wieder diesen komischen, befremdlichen Ausdruck darinnen ausmachen, welchen ich heute schon einmal bemerkt hatte, doch dann war er verschwunden und Samuels Blick so liebevoll wie immer.
Eine Hand legte sich an meine Taille. Sie schlüpfte unter mein Shirt und streichelte die nackte Haut meiner Taille. Samuels Augen versenkten sich in meinen. Sein Mund näherte sich meinem.
„Nur wenn du mich glücklich machst", raunte er und küsste mich.
Komische Gefühle durchströmten mich, während er mich küsste. Der Kuss war fordernd, fest. Irgendwie bedrängend, wild. Grob packte Samuel meine Hüften und wir sanken hinunter. Seine Zunge erkundete meinen Mund, seine Lippen meinen Hals, seine Hände meinen Körper. Der Boden war kalt, als ich schlagartig mein T-Shirt loswurde. Samuel war warm. Er presste sich stürmisch gegen mich. Mit den Fingern fuhr er meine Konturen nach, als könnte er nicht genug von mir bekommen. Er musste jede Stelle fühlen, jede Stelle finden, jede Stelle küssen. Sein Atem war heiß und jagte mir unzählige kleine Schauer über den ganzen Körper.
Viel zu schnell trennte uns kein einziges Kleidungsstück mehr und ich gab mich seinen herrischen Berührungen hin. Ich spürte Samuel überall, auf mir, in mir, über mir. Besitzergreifend umschlang er mich. Er ließ mich keine Sekunde los und zeigte mir, was und wie und wo er es wollte.
Und während ich genoss, dass er mich immer noch begehrte, dachte ich an sein Schweigen und seine seltsame Antwort als ich ihn fragte, ob er mir verzeiht.
Toxisch.
Das ist alles, was ich zu diesem Kapitel sagen kann.
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