Wolfs Entscheidung
Hook erzählte ihnen alles, was während ihrer Abwesenheit passiert war.
Peter lauschte interessiert und war unendlich erleichtert darüber, dass Hook Rackham besiegt hatte.
Am meisten überraschte es ihn, dass Rackham danach einfach gegangen war und nicht die Absicht gehabt hatte zurück zu kehren.
"Hast du eine Ahnung, warum das so war?", unterbrach er Hook in seiner Rede.
Der Pirat hielt kurz inne.
"Nein", antwortete er schließlich, "Ich hab keine Ahnung."
"Vielleicht hatte er ja Angst", sagte Nibs schulterzuckend.
"Oder er hat aufgegeben", meinte Tootles hoffnungsvoll.
"Das glaube ich nicht", erwiderte Hook kopfschüttelnd, "Aufgeben ist ihm nicht ähnlich. Ich glaube, er führt irgendetwas im Schilde. Er will sich an mir rächen, das ist klar."
Peter musterte Hook mit einem besorgten Blick, doch der sah nicht so aus, als hätte er Angst oder machte sich Sorgen.
Peter wünschte, er wäre auch so mutig.
Da Rackham dachte, er sei tot, schwebte Peter vorläufig nicht in Gefahr, aber wenn der Piratenkapitän Wind davon bekam, dass der fliegende Junge noch lebte... dann musste sich nicht nur Hook Gedanken um seine Haut machen.
Nein, dann mussten sich wahrscheinlich alle Gedanken um ihre Haut machen.
Peter fuhr ein Schauder über den Rücken, als er sich einen erneuten Angriff der Piraten vorstellte, mit erhobenen Säbeln und fletschenden Zähnen.
Er hoffte, dass er so etwas in der Art nie mit erleben musste.
Aber andererseits wusste er auch, dass er nicht drum herum kam.
Ein Kampf mit den Piraten ließ sich nicht vermeiden, wenn Peter seine Aufgabe erfüllen wollte.
Und er hatte immernoch keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.
"Hast du etwas herausfinden können?", fragte Hook an Peter gewandt und Peter schreckte aus seinen Gedanken auf.
"Ja", antwortete er nickend, "Angeblich ist mein Vater der Elf und Hüter dieser Insel gewesen... was bedeutet, dass diese Aufgabe jetzt an mir hängen bleibt."
Hook grinste höhnisch.
"Na dann, viel Spaß.", neckte er Peter, der ihm einen bösen Blick zu warf.
"Das ist nicht lustig", fauchte Peter ihn an, "Wann hast du das letzte Mal erfahren, dass du Verantwortung über eine ganze Insel und ihre Bewohner übernehmen musst?!"
Hooks Grinsen verblasste und Falten bildeten sich auf seiner Stirn.
"Nie", erwiderte er herablassend, "Aber ich bin auch ein Pirat. Ich würde diese "Aufgabe" nicht ernst nehmen."
"Toll", schnaubte Peter sarkastisch, "Ich hab nichts anderes erwartet. Seit wann hast du dich schon um irgendwas gekümmert?"
Hooks Gesichtsausdruck verdüsterte sich. So wütend sah er richtig bedrohlich aus, doch Peter ließ sich davon nicht einschüchtern.
"Du kleiner arroganter Bengel!", zischte Hook und baute sich vor Peter auf,
"Wer war's denn, der seinen Kopf riskiert hat, um dir deinen Hintern zu retten?! Wer war es der das Dorf und das Mädchen vor Rackham gerettet hat? Ich, ich, ich! Und ich soll mich um nichts kümmern, ja?!"
Peter wurde unruhig, doch er versuchte sich das nicht anmerken zu lassen und sah Hook mit einem gleichgültigen Blick an.
"Wow", sagte er spöttisch, "So von dir überzeugt..."
"So, jetzt reicht's!"
Hook ballte die Hände zu Fäusten.
"Wenn du nicht sofort deine kleine, freche Klappe hälst, werde ich..."
Der Pirat hob die Hand, wie als wollte er Peter schlagen, doch plötzlich ging Wolf dazwischen und baute sich schützend vor Peter auf.
"Na los", stachelte der Riese den Piraten an, "Oder traust du dich nur vor kleineren deine Stärke zu zeigen?"
Hook ließ mit hochrotem Kopf die Hand sinken. Seine Unterkiefer arbeitete, als würde er Knochen dazwischen zermahlen.
"Ich hab mich hinreißen lassen", murmelte er mit bebender Stimme, "Das tut mir leid."
Er warf Peter einen undefinierbaren Blick zu und funkelte Wolf zornig an bevor er sich abwandte und davon stapfte.
Als Hook außer Sicht war, drehte Wolf sich zu Peter um.
"Geht's dir gut?", fragte er besorgt und musterte Peter von oben bis unten. "Hat er dir was getan? Wenn er dich auch nur angefasst hat -"
"Nein, alles gut", sagte Peter schnell und lächelte Wolf kurz an.
Sein Blick schweifte dahin, wo Hook verschwunden war.
"Wir haben uns nur gestritten..."
"Das wäre fast eine Prügelei geworden, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre!", protestierte Wolf,
"Peter, versprich mir, dass du vorsichtig mit Hook bist, okay? Ich traue ihm nicht..."
"Ich weiß", erwiderte Peter seufzend, "Aber eigentlich hast du keinen Grund dazu, Wolf. Ich vertraue ihm. Auch wenn ich gerade wütend auf ihn bin..."
Wolf stöhnte leise und schüttelte den Kopf.
"Ich kann es nicht so recht verstehen.", meinte er, "Für mich spricht alles an ihm gegen ihn. Er ist Pirat. Er schleimt sich ein...
Nein, ich schätze nicht, dass ich ihn jemals mögen werde."
Peter nickte bloß.
"Und er wollte dich schlagen.", setzte Wolf noch hinzu, "Er ist ein skrupelloser Mensch, Peter. Pass auf dich auf!"
"Das tue ich", erwiderte Peter, "Du machst dir zu viele Sorgen, Wolf.
Alle machen sich zu viele Sorgen. Ich bin kein Baby mehr. Ich kann auf mich selbst aufpassen."
"Das bezweifle ich auch gar nicht", sagte Wolf mit sanfter Stimme, "Aber du kannst nicht bestreiten, dass Hook um einiges stärker und gefährlicher ist als du. Du hättest keine Chance gegen ihn."
"Das brauch ich auch gar nicht, weil Jamie nämlich nicht gefährlich ist!", schimpfte Peter laut, "Klar, er ist aufbrausend, und die Nummer gerade war ziemlich bescheuert von ihm, aber er ist trotzdem noch ein guter Freund. Und das meine ich ernst, Wolf. Jamie ist mein Freund. Ich vertraue ihm."
Peter wandte sich ab und lief den Weg lang, wo Hook verschwunden war.
Er wollte sich bei dem Piraten entschuldigen. Er wollte nicht, dass sie zerstritten waren.
Aber dachte Hook auch genauso?
Das war es was Peter Angst machte. Dass Hook ihm egal sein könnte.
Peter drängte sich durch die Dorfbewohner und hielt Ausschau nach Hook, doch der Pirat schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein.
Als er weiter ging, kam ihm Tigerlily entgegen - Peter blieb ruckartig stehen.
Er spürte, wie die Röte ihm ins Gesicht stieg.
Tigerlily hielt ebenfalls inne und sah Peter mit großen Augen an.
Da sie um einiges größer und auch älter als Peter war, fühlte er sich irgendwie unwohl dabei sie anzusehen.
Wahrscheinlich war sie schon so um die 16 Jahre alt, vermutete er.
Und sie war so wunderschön...
"Ähm", krächzte er und wollte am liebsten vor Scham im Boden versinken. Sie hielt ihn sicherlich für den größten Trottel!
"Hast du Hook gesehen?"
Er war überrascht, dass er es geschafft hatte, überhaupt noch ein Wort raus zu bringen.
Durch irgendeinen Grund, den Peter nicht kannte, verdüsterte sich Tigerlilys Gesichtsausdruck.
"Nein", antwortete sie schroff, "Und ich bin froh drüber."
Peter runzelte die Stirn, entschied sich aber dagegen nachzufragen. Was Hook anging, war Tigerlily offenbar nicht die richtige Gesprächspartnerin. Genauso wie Wolf.
"Oh, okay", sagte er schnell, "Trotzdem danke."
Er wollte weiter an ihr vorbei gehen, doch Tigerlily hielt ihn auf, in dem sie einen Schritt auf ihn zu machte.
Erschrocken wich Peter ein wenig zurück, danach fand er sich selbst albern.
"Hast du was raus gefunden?", fragte die Prinzessin mit gesenkter Stimme und sah Peter durchdringlich an.
Peter schluckte und sah schnell auf seine Füße.
"Ja", erwiderte er leise, "Aber ich möchte eigentlich nicht darüber sprechen. Tut mir leid."
Warum fühlte er sich in ihrer Nähe nur immer wie ein totaler Versager?
Tigerlily sah enttäuscht aus.
Peter tat das leid, doch er wollte nun mal wirklich nicht darüber reden. Damit musste sie sich jetzt abfinden.
"Alles klar", meinte sie langsam, "Ich will dich schließlich nicht zwingen zu sprechen."
Sie atmete tief ein und lächelte dann leicht, doch es war nicht echt.
"Viel Glück, Abenteurer."
Damit ging sie davon.
Peter sah ihr noch kurz nach, bevor er seine Suche nach Hook wieder aufnahm.
Dennoch konnte er nicht aufhören an sie zu denken.
Irgendwie musste er es schaffen, in ihrer Gegenwart sich seinen Gefühlen nicht so hinzugeben, so wie jeder andere auch nicht. Schließlich war sie viel zu alt für ihn und vor allem viel zu gut.
Außerdem waren Mädchen doof - das hatten er und die Jungen sich immer in London gesagt.
Das war ein ziemlich schweres Vorurteil, klar - aber es hatte dazu geführt, dass sie sich besser gefühlt hatten.
Nach einer Viertelstunde gab Peter die Suche auf.
Hook wollte ganz offensichtlich allein sein, sonst wäre er im Zentrum des Dorfes geblieben. Vielleicht war er zu den Mustangs gegangen, oder so...
Hoffentlich hatte er nicht das Dorf verlassen.
Nachdenklich schlängelte Peter sich durch die Tipis, bis er plötzlich aufschreckte.
Wolf stand vor ihm und sah ihn mit einem ernsten Gesichtsausdruck an.
Peter machte schon den Mund auf, um ihn zu fragen, was los war, doch Wolf unterbrach ihn:
"Peter, ich möchte, dass du mal mitkommst."
Der Riese drehte sich um und ging mit großen Schritten los. Peter lief ihm nach und holte ihn eilig ein.
"Wohin gehen wir?", fragte er neugierig und sah Wolf von der Seite her an.
"Ich mache mir Sorgen um deine Sicherheit", erwiderte der Riese trocken, "Ich glaube es ist an der Zeit, dir das ein oder andere beizubringen."
Peter war überrascht. Das hatte er nicht erwartet, vor allem da er gerade mit Wolf so diskutiert hatte.
"Das heißt, du bringst mir Bogenschießen bei?", fragte Peter hellauf begeistert und versuchte mit Wolf Schritt zu halten.
"Nein.", antwortete Wolf knapp, "Das vielleicht ein anderes Mal. Ich werde dir das Fechten beibringen. Das hast du momentan am nötigsten. Besonders wenn du wieder Rackham gegenüber stehst."
Er drehte den Kopf und lächelte Peter kurz an, bevor er seinen Blick wieder stur geradeaus richtete.
Nun war Peter aufgeregt.
Er würde lernen zu kämpfen! Das hatte er schon immer können wollen!
"Ach ja."
Wolf verlangsamte seine Schritte ein wenig und blieb dann stehen.
"Was ist los?", fragte Peter stirnrunzelnd und musterte Wolfs Gesicht.
Wolf drehte sich lächelnd zu ihm um und holte aus dem Inneren seines Umhangs einen länglichen Gegenstand eingewickelt in ein schlichtes Tuch hervor.
Verwirrt starrte Peter auf das Tuch, das Wolf ihm hin hielt. Zögerlich nahm er es entgegen.
"Wickel es auf", forderte Wolf ihn leise auf und nickte ihm ermutigend zu.
Ganz vorsichtig rollte Peter den Gegenstand aus dem Tuch heraus. Seine Hand berührte etwas Kaltes und Glattes.
Er staunte nicht schlecht.
In seinen Händen lag ein wunderschöner Dolch, der Griff verziert mit Schnörkelein und eingearbeitetem Gold.
Die Klinge war schmal und ungefähr 30 cm lang. Sie klitzerte in der Sonne und sah äußerst scharf aus.
"Das... das kann ich nicht annehmen", murmelte Peter entsetzt und hielt Wolf den Dolch hin.
"Du kannst mir doch nicht sowas Wertvolles schenken!"
"Oh doch, das kann ich", grinste Wolf verschmitzt und machte einen Schritt zurück.
"Außerdem gehört der gar nicht mir. Er gehört dir. Ich habe ihn in der geheimen Wohnung des Elfen gefunden."
Wolf deutete mit dem Finger auf die ebenmäßige Klinge. Es waren Buchstaben an der Stelle zu erkennen.
"Pan.", las Wolf vor.
Peter starrte auf den Dolch und strich sanft mit der Hand darüber.
"Der gehört mir?", flüsterte er ehrfürchtig und hielt den Dolch in die Höhe, so dass sich die Sonne darin spiegelte.
"Ich hab noch nie etwas so Schönes besessen.", sagte er leise und lächelte glücklich.
Wolf erwiderte sein Lächeln mit warmem Blick.
Peter schloss alle Finger um die Waffe und drückte sie sich an die Brust. Die würde er sicherlich nie wieder hergeben. Es war das einzige, was er besaß.
Es hatte auch seine guten Seiten ein halber Elf zu sein, dachte er bei sich.
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