
Ein harter Tag
"Also", begann Wolf, als sie am Übungsplatz angekommen waren.
"Wir fangen ganz einfach an."
Peter sah ihm dabei zu, wie er ein paar lange Stöcker von den Waffen aufnahm und einen davon Peter hin hielt.
Er nahm ihn entgegen und war überrascht, dass der Stock so schwer war, er hatte leichter ausgesehen.
"Das nennst du einfach?", fragte Peter keuchend und stellte den Stock senkrecht neben ihm ins Gras.
"Dieser Stock ist genauso schwer wie ein Säbel.", erklärte Wolf grinsend, "Du musst lernen dieses Gewicht zu deinem Vorteil zu nutzen. Ansonsten wirst du nie richtig kämpfen können."
Peter sah zweifelnd den Stock an. Irgendwie hatte er sich das doch einfacher vorgestellt...
"Nimm den Stock", befahl Wolf und schwang seinen Stock locker in der Hand.
"Zuerst arbeiten wir an deinem Gleichgewicht. Das ist sehr wichtig für einen richtigen Kampf. Ohne hast du schon verloren."
"Okay", sagte Peter nervös und nahm widerwillig den Stock in beide Hände.
"Halt ihn waagerecht in die Höhe", forderte Wolf, und Peter tat, was er sagte.
"Und jetzt ein Bein hoch", fuhr Wolf schmunzelnd fort.
Als Peter ein Bein hochnahm, war ihm bereits klar, dass das ein hartes Training werden würde.
So auf einem Bein stehen zu bleiben, schaffte er höchstens zwanzig Sekunden, dann stolperte er und stürzte ins Gras.
Wolf ging auf ihn zu und half ihm auf.
"Siehst du?", sagte Wolf, "Wir haben eine Menge zu tun. Es wird lange dauernd, bis du überhaupt die Grundlagen kannst."
Peter seufzte tief, als er wieder stand und nahm den Stock entschlossen in die Hände.
"Ziehen wir's durch.", sagte er mit fester Stimme.
Nach drei Stunden knallhartem Training fühlte Peter sich so erschöpft wie noch nie. Wolf hatte ihn ordentlich in die Zange genommen und war dabei gnadenlos gewesen.
Peter hatte so viele Ausdauer- und Gleichgewichtsübungen gemacht, dass er jetzt das Gefühl hatte, er würde tot umkippen.
Irgendwann war auch Deer mal vorbei gekommen und hatte Wolf ermahnt es langsam anzugehen, doch der hatte diese Mahnung offenbar nicht zur Kenntnis genommen.
Das würde Peter ihm nochmal heimzahlen, dass schwörte er sich.
Und das Schlimmste an dem Ganzen war, dass Peter nicht das Gefühl hatte, irgendwelche Fortschritte gemacht zu haben.
Er fühlte sich jetzt nach dem Training noch nutzloser und schwächer als zuvor.
"Na, du hast dich doch ganz wacker geschlagen.", sagte Wolf grinsend und hockte sich neben Peter hin, der mit Armen und Beinen ausgestreckt im Gras lag.
Peter drehte den Kopf zu Wolf und streckte ihm verärgert die Zunge raus.
"Seeehr lustig", schnaubte er und wischte sich die verschwitzten Haare aus dem Gesicht.
Wolf lachte amüsiert und seine Augen blitzten schelmisch.
"Morgen gehts weiter.", erwiderte er kichernd und richtete sich auf. "Jetzt kannst du dich ausruhen."
"Na vielen Dank auch!", schimpfte Peter, als Wolf sich entfernte.
"Eines Tages wirst du es mir danken, dass ich dich jetzt so hart dran nehme", sagte der Riese unbeeindruckt, "Dann, wenn du in Gefahr schwebst und dich verteidigen musst."
Peter setzte sich mühsam auf.
"Jeder Kampf mit Rackham wäre ungefährlicher als ein Training bei dir!", rief er Wolf zu.
Der Riese lachte nur und wandte sich ab.
Peter schüttelte verständnislos den Kopf und stand auf.
Nachdem er sich den Dreck von den Hosen geklopft hatte, lief er auf Wolf zu.
"Wolf", sagte er mit Nachdruck, "Ich werde niemals bis morgen gut genug sein, um gegen Rackham zu kämpfen. Was soll ich tun?"
Wolf schwieg eine Weile. Sein Gesicht war ratlos.
"Ich weiß es nicht", meinte er schließlich und warf Peter einen besorgten Blick zu.
"Aber uns wird schon was einfallen. Irgendwie müssen die Piraten ja zu vertreiben sein. Und selbst wenn wir einen Krieg vom Zaune brechen müssen..."
Peter fuhr ein Schauer über den Rücken und sagte lieber nichts weiter dazu.
Er war froh, als Wolf das Thema wechselte.
"So, wollen wir mal was essen?", schlug der Riese lächelnd vor.
Wie auf Kommando grummelte Peters Magen laut und vernehmlich.
Wolf lachte.
"Ja, ich glaube, ich könnte was vertragen", grinste Peter mit rotem Kopf und drückte sich die Hände auf den Bauch.
"Na dann, komm mit", sagte Wolf, "Wir wollen doch nicht, dass du verhungerst."
Das Essen fand wieder einmal mit dem gesamten Stamm statt.
Peter mochte sehr die ausgelassene und lockere Stimmung unter all den Dorfbewohnern, denn es machte ihn selbst viel gut gelaunter und ließ ihn die harten Trainingsstunden vergessen.
Seine Freunde saßen rechts neben ihm und verschlangen das Essen genauso gierig wie Peter.
Er musste zugeben, hier war es besser als alles was er je gegessen hatte. Und dieses Selesium - es schmeckte zu jeder Essbarkeit einfach köstlich.
Nicht wie diese Pampe, die sie immer im Waisenhaus bekommen hatten, oder wie steinhartes Brot.
Links neben Peter saß Bunter Schmetterling, die sich darüber amüsierte, dass Peter nicht satt wurde und ihm erklärte, was das überhaupt alles war, was er da aß.
Peter hätte nie gedacht, dass man auch mit einem Mädchen Spaß haben konnte.
Er mochte Schmetterling sehr gerne und hatte in ihr eine gute Freundin gefunden, die viel klüger war als jeder achtjähriger Junge auf der Erde.
Mit ihrer Schwester dagegen würde Peter wohl noch nicht mal richtig sprechen können, er bekam ja schon weiche Knie, wenn er sich in ihrer Nähe befand.
Außerdem hatte Tigerlily ganz andere Interessen, als sich mit ein paar Jungen abzugeben.
Als Peter zu ihr hin sah, unterhielt sie sich gerade eifrig mit einem gut aussehenden Indianer, den sie sehr gut zu kennen schien.
Peter sah lieber wieder weg und lauschte weiter Schmetterlings Erzählungen.
Sie erzählte von ihrem Leben auf der Erde und wie sie auf das Piratenschiff gekommen war.
"Es war wie eine Vorhersehung", meinte sie mit einem Hauch von Stolz in der Stimme.
"Ich bin mit meiner Stieffamilie nach London entführt worden und als wir am Hafen angelegt sind, bin ich abgehauen und hab mich drei Tage lang dort versteckt. Dich hab ich auch gesehen.
Als ich das Piratenschiff entdeckt habe, wusste ich durch irgendeinen Grund, dass es mich zurück nach Hause bringen würde, und dann hab ich mich in einer Nacht rauf geschlichen und versteckt.
Ich hab alles mitbekommen, also Rackhams Erpressung und deine Flucht mit Hook. Ich hatte zu viel Angst mich zu zeigen, aber du warst ja so mutig!"
Peter schmunzelte verlegen und fuhr sich mit einer Hand durch's Haar.
Er machte schon den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber Schmetterling ließ ihn gar nicht zu Wort kommen und redete wie ein Wasserfall weiter.
Es schien überhaupt kein Ende zu nehmen.
Sie brachte ihm sogar schon ein paar Wörte aus ihrer Sprache bei.
Nach dem Essen konnte Peter schon Dinge wie "Danke", "Entschuldigung", "Guten Tag" und "Bitte" sagen.
Es war eine unglaublich komplizierte Sprache, doch Peter war wissbegierig und hatte Lust daran, etwas dazu zu lernen.
Hook hatte Peter nicht mehr gesehen. Beim Essen war er nicht da gewesen und auch nicht, als die Nacht herein brach.
Als die Monde hell am Himmel standen, war Peter bereits so müde, dass er Hook komplett vergessen hatte.
Deer ließ ihm und den Jungen ein Zelt einrichten, in dem sie schlafen konnten.
Bevor Peter im Zelt verschwand, fiel ihm Hook wieder ein.
Er hielt inne und lauschte dem Rauschen des Meeres, das viel deutlicher zu hören war, jetzt wo das Dorf so still und verlassen war.
Alle waren bereits in ihren Zelten verschwunden.
Kurz überlegte Peter, ob er Hook suchen gehen sollte, doch dann siegte die Müdigkeit.
Hook war bestimmt längst zurück gekehrt und hatte sich schlafen gelegt. Und wenn nicht, dann würde er das bald tun. Er konnte auf sich selbst aufpassen.
Peter gähnte müde und betrat das warme Zelt, in dem seine Freunde auf ihn warteten.
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